Mit dem schweizerischen Staatsschutz in der Zeit des Kalten Krieges hat sich die historische Forschung in der Schweiz bereits intensiv auseinandergesetzt – einschlägig sind beispielsweise die Arbeiten von Aviva Guttmann1 oder Georg Kreis.2 Allerdings fehlten bisher Studien, die sich detaillierter mit dem antikommunistischen Staatsschutz in der Zwischenkriegszeit beschäftigen. Diese Lücke schliesst Dorothe Zimmermann mit ihrer 2017 am Historischen Seminar der Universität Zürich angenommenen Dissertation „Antikommunisten als Staatsschützer. Der Schweizerische Vaterländische Verband, 1930–1948“. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Antikommunismusforschung und zur Geschichte der Neuen Rechten in der Schweiz – einem Forschungsfeld, das bislang vor allem von der französischsprachigen Forschung abgedeckt wurde, zum Beispiel von Stéphanie Roulin3 und Michel Caillat.4
In ihrer Dissertation zeichnet Zimmermann die wichtigsten Tätigkeitsfelder des Schweizerischen Vaterländischen Verbandes (SVV) von 1930–1948 nach und knüpft dabei zeitlich an Andreas Thürers5 Dissertation an, welche sich mit dem SVV von 1919–1930/31 befasste. Anhand der übergeordneten Themen Staatsschutz und Flüchtlingspolitik zeigt Zimmermann die Wechselbeziehungen des SVV zu den staatlichen Behörden in einem antikommunistischen Spannungsfeld auf. Dabei setzt Zimmermann die unterschiedlichen Ebenen antikommunistischer politischer Diskurse, Gesetzgebung und Institutionen des Staatsschutzes und die antikommunistisch geprägte Überwachung miteinander in Beziehung (S. 21), indem sie untersucht, wie der SVV den Aus- und Aufbau des schweizerischen Staatsschutzes beeinflusste und welche Bedeutung und Funktionen antikommunistischen Praktiken und Ideologien zukamen.
Ihren Forschungsfragen geht Zimmermann in ihrer Dissertation in fünf thematisch gegliederten Kapiteln nach. Sie analysiert die Einflussnahme des rechtsbürgerlichen SVV auf verschiedenen Ebenen, beispielsweise in Bezug auf die Flüchtlingspolitik oder in der Verabschiedung von Gesetzen gegen Anhänger der kommunistischen Partei. Insbesondere die Vorstandsmitglieder verfügten über ein weit verzweigtes Netzwerk in Militär, Politik und Wirtschaft – der SVV fungierte so als Denunziant, Experte und Lobbyist. Selbst den Landesstreik vermochte er bis 1933 für seine eigenen Deutungen erinnerungspolitisch zu instrumentalisieren – in den 1920er-Jahren primär mit Denkmälern, Schriften und Vorträgen, wobei die politische Zuverlässigkeit der linken Parteien infrage gestellt wurde. Nach 1938, als sich die Sozialdemokratische Partei der Schweiz zur „Geistigen Landesverteidigung“ bekannte, waren erinnerungspolitische Projekte des SVV nicht mehr anschlussfähig, wie Zimmermann anhand des gescheiterten „Landesstreik-Buch“-Projektes zeigt: Ein mit Erinnerungen an den Landesstreik gefülltes Buch, das 1939 dessen 20-jähriges Jubiläum hätte markieren sollen, wurde nie publiziert (S. 398).
Zimmermann stützt sich vor allem auf Quellen aus dem Bundesarchiv: auf Akten der Bundesbehörden wie Sitzungsprotokolle und interne Schreiben, aber auch auf im Bundesarchiv gelagerte Akten des SVV-Archivs, auf Meldungen aus dem Nachrichtendienst, Briefe und Sitzungsprotokolle des Vorstandes (S. 37). Als weitere Quellen hat die Autorin Organisationsarchive und Nachlässe von Personen, die Verbindungen zum SVV hatten, konsultiert.
Zimmermann fasst Antikommunismus als durchgehend handlungsleitende Doktrin des SVV auf: bei dessen Vernetzung auf politischer Ebene, im Rahmen des Nachrichtendienstes, beim Lobbyieren in politischen Abstimmungskomitees für einen stärkeren Staatsschutz und für eine restriktivere Flüchtlingspolitik sowie beim Rückgriff auf den Landesstreik als Teil einer handlungslegitimierenden Erinnerungspolitik. Antikommunismus funktionierte als einigender Code zwischen den Akteuren in Zimmermanns Studie: Verbandsmitglieder des SVV, aber auch bürgerliche Politiker, Presseorgane und staatliche Behörden – für sie alle war die antikommunistische Haltung eine „notwendige Reaktion auf angebliche kommunistische Umsturzvorbereitungen“ (S. 11). Abgelehnt wurde unter dem Begriff „Kommunismus“ alles „Unschweizerische“, zum Beispiel Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen. Antikommunismus einte den heterogenen, rechtsbürgerlichen Block in der Abwehr gegen links (S. 162).
Der argumentative rote Faden der Studie lautet: Die ausgezeichnete Vernetzung des SVV auf politischer Ebene habe dessen Bedeutung erst ermöglicht (S. 17). An einzelnen Mitgliedern zeigt Zimmermann schlüssig auf, dass der SVV Einfluss auf die Ausgestaltung von Gesetzen oder 1933 auf die Konzeptualisierung der Bundespolizei nehmen konnte. Dabei betont Zimmermann im ersten Kapitel die Beziehungen des SVV zur Mittelpresse, einer nationalen Nachrichtenagentur für bürgerliche Zeitungen, zur Ligue Aubert, einer antikommunistischen Organisation der Westschweiz sowie zu Banken und Arbeitgeberverbänden (S. 161). Hier hätte sie auch noch etwas ausführlicher auf das internationale Beziehungsnetz eingehen können. Ebenfalls im ersten Kapitel betont Zimmermann, dass der SVV frontistische Anliegen wie eine Totalrevision der Bundesverfassung in den frühen 1930er-Jahren unterstützte. Ab circa 1937 war der SVV jedoch bestrebt, sich von der Frontenbewegung zu distanzieren, um die bürgerliche Zustimmung zum Verband nicht zu gefährden (S. 139).
Im zweiten Kapitel untersucht die Autorin die Kooperation zwischen SVV und den Behörden anhand der Denunziationsmeldungen des Verbandes. Dieser unterhielt ab 1932 einen eigenen Nachrichtendienst: Sogenannte „Vertrauensmänner“, vor allem Mitglieder der KPS oder SPS, lieferten dem SVV Informationen gegen Geld, aber auch parteilose Verbandsmitglieder teilten ihre Beobachtungen mit (S. 170). Die Meldungen der Vertrauensmänner wurden vom SVV-Zentralsekretär an die Behörden weitergeleitet, dort bearbeitet und an kantonale Polizeidienststellen weitergegeben, wo sie als Grundlage für polizeiliche Untersuchungen dienten (S. 217). Als Gegenleistung zu SVV-Nachrichtendienstmeldungen, welche von 1932 bis 1941 die Erkenntnisse des schweizerischen Staatsschutzes ergänzten und für die Behörden relevant waren (S. 367), trat der Bundesrat auf politische Vorstösse des Verbandes ein. Anhand einschlägiger Quellenbeispiele zeigt Zimmermann, wie der SVV politisch Einfluss nehmen und seine Vorstellungen von Staatssicherheit und -gefährlichkeit in der Bundespolitik einbringen konnte. Dem SVV gelang es, für eigene Zwecke brauchbare Machtstrukturen aufzubauen, indem er zu einem zentralen Ort des Wissens über Kommunismus und Staatsgefährlichkeit wurde (S. 274). Wie Zimmermann plausibel argumentiert, fand die Selbstwahrnehmung der Mitglieder als zuverlässige Staatsbürger in der Denunziationstätigkeit ihre Bestätigung (S. 277).
Im dritten Kapitel der Studie stehen die Aktivitäten des SVV als Lobbyist und Experte für einen starken Staatsschutz und für eine restriktive Flüchtlingspolitik im Fokus. Zimmermann zeigt auf, dass sich die Möglichkeit der politischen Einflussnahme dem SVV aufgrund seines breiten Netzwerkes bot: Verbindungen zu Parlamentariern ermöglichten die Eingabe von Interpellationen, Beziehungen zu Experten sicherten Einblick in interne Kommissionen. Der SVV verfasste Nachrichtendienstmeldungen, Expertenmeinungen (S. 366), Stellungnahmen für Bundesräte, Resolutionen und Eingaben an den Bundesrat. Anhand der Diskussionen um ein KPS-Verbot zeigt Zimmermann, wie sich der Verband auf institutioneller und legislativer Ebene durchsetzte (S. 295) und schlussfolgert, dass der SVV von den Bundesbehörden als politisch relevante Kraft wahrgenommen wurde (S. 369). Die Autorin bewertet allerdings die lobbyistischen Aktivitäten des SVV für eine restriktivere Flüchtlingspolitik als strategisch wenig abgesichert, denn dem Verband fehlte das notwendige Expertenwissen (S. 370). Er vertrat in der Flüchtlingspolitik eine radikalere Position als der Bundesrat, wie 1944 die Beantwortung der vom SVV-Mitglied Eugen Bircher eingereichten Interpellation zeigte, die zur Folge hatte, dass der Verband seine machtvolle Position in der Bundespolitik allmählich verlor (S. 372). Das fünfte Kapitel fasst die wichtigsten Ereignisse der Verbandsgeschichte zusammen, vor allem mit Blick auf die Auflösung des Verbandes 1948.
Zimmermann kommt zum Schluss, dass der Auf- und Ausbau des Staatsschutzes in der Schweiz durchgängig von einer antikommunistischen Gesinnung geprägt war, welche beispielsweise in der Bundespolizei vorherrschte und „die sicherheitspolitische Kultur und Struktur der Schweiz nachhaltig“ beeinflusste (S. 370). Dank Zimmermanns Dissertation kann antikommunistischer Staatsschutz künftig nicht mehr nur mit dem Fichenskandal gleichgesetzt werden. Vielmehr wird deutlich, dass damit auch die hier untersuchten früheren Verbindungen zwischen Bundespolizei und privaten Verbänden mitgemeint sein müssen.
Anmerkungen:
1 Aviva Guttmann, The origins of international counterterrorism. Switzerland at the forefront of crisis negotiations, multilateral diplomacy, and intelligence cooperation (1969–1977), Leiden 2018.
2 Georg Kreis / Jean-Daniel Delley / Otto Kaufmann, Staatsschutz in der Schweiz, die Entwicklung von 1935–1990. Eine multidisziplinäre Untersuchung, Bern 1993.
3 Stéphanie Roulin, Un credo anticommuniste. La commission Pro Deo de l’Entente internationale anticommuniste, ou, La dimension religieuse d’un combat politique (1924–1945), Lausanne 2010.
4 Michel Caillat, L'Entente internationale anticommuniste de Théodore Aubert. Organisation interne, réseaux et action d'une internationale antimarxiste 1924–1950, Lausanne 2016.
5 Andreas Thürer, Der Schweizerische Vaterländische Verband 1919–1930/31, Basel 2010.