Cover
Titel
Die Achse. Berlin – Rom – Tokio 1919–1946


Autor(en)
Hedinger, Daniel
Erschienen
München 2019: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
543 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Takuma Melber, Heidelberg Centre for Advanced Transcultural Studies (HCTS), Universität Heidelberg

The Man in the High Castle, eine von 2015 bis 2019 erstmals ausgestrahlte und auf dem gleichnamigen Roman von Philip Kindred Dick basierende TV-Serie, erzielte allgemein große Aufmerksamkeit.1 In gedankenmodellartiger Weise präsentiert die Serie eine Alternativwelt, wie sie nach 1945 wohl ausgesehen hätte, wären die „Achsenmächte“ Deutschland, Italien und Japan als Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen. Auch in der Wissenschaft war eine intensivere Auseinandersetzung mit der Geschichte der als „Achse“ bezeichneten Länder des Dreimächtepakts von 1940 in jüngerer Vergangenheit zu erkennen – auch und gerade dank Daniel Hedinger, der erste wichtige Publikationen vorgelegt hat, die zugleich Kondensate der hier besprochenen Monografie sind.2

Das Buch Die Achse: Berlin – Rom – Tokio, 1919–1946 widmet sich der Geschichte des Bündnisses des nationalsozialistischen Deutschlands, des faschistischen Italiens und des fernöstlichen Kaiserreichs Japan in transnationaler Perspektive. Hedinger gelingt es in seiner Darstellung, die Entwicklungsgeschichte der Achse als einen dynamischen Prozess sich wechselseitig radikalisierender Bündnispartner darzustellen, denen es vor allem darum ging, die damals vorherrschende Weltordnung im Sinne der von den Achsenmächten geteilten Ideologie ins Wanken zu bringen. Besonders wohltuend weicht Hedinger eine in der westlichen Zweite-Weltkrieg-Geschichtsschreibung oftmals vorherrschende eurozentrische Perspektive auf, indem er in gut ausbalancierter Weise auf die drei Signatarmächte des im September 1940 geschlossenen Dreimächtepaktes fokussiert. Weitere mit den Achsenmächten verbündete Staaten wie Rumänien, Ungarn, die Slowakei, Bulgarien oder Kroatien bleiben von Hedinger aber nahezu vollständig unberücksichtigt. Punktuell ausgewählte „globale Moment[e] des Faschismus“ (S. 114) in den Blick nehmend, ist die über 500 Seiten zählende Monografie im Wesentlichen in drei chronologische Blöcke untergliedert.

Unter dem Titel „Gravitation, 1932–1935“ wird zunächst die Frühphase der ideologisch-politischen Annäherung der drei späteren Bündnispartner nachgezeichnet, die – so eine These des Buches – früher einsetzte als bisher in der Forschung landläufig angenommen wurde. Erfreulich erfrischend ist Hedingers Befund, dass nicht etwa die Hauptstädte Berlin, Rom und Tokio die Gravitationszentren dieses gegenseitigen Annäherungsprozesses bildeten, sondern diese vielmehr in den Peripherien der Achse lagen, in denen die Bündnispartner ideologisch motivierte Expansionskriege führten. Dies gelingt ihm mittels der Fallbeispiele der japanischen Invasion in der Mandschurei und des italienischen Abessinienkrieges im heutigen Äthiopien. Dabei wendet Hedinger auf die drei Bündnispartner den Begriff der „glokale[n] Faschismen“ (S. 118) an, die „einerseits lokal determiniert waren und nationalen Kontexten verhaftet blieben, andererseits aber global ausgriffen und zunehmend interagierten“ (ebd.). Bereits für Mitte der 1930er-Jahre macht Hedinger somit einen Prozess transnational-reziproker und ideologischer Beeinflussung aus, den er mit dem Schlagwort „imperialer Nexus“ (S. 171) versieht und die Basis für die ideologische und territoriale Expansion der Achse in den Folgejahren bildete.

Der zweite Block umfasst die Zeit von 1936 bis zum Kriegsausbruch in Europa 1939, die laut Hedinger die Hochphase der Achsenkooperation war. Der Intensivierung und Manifestierung des Bündnisses wurde durch das Vertragswerk des Antikominternpakts Ausdruck verliehen – gemeinsam mit dem zeitgleichen Spanischen Bürgerkrieg und dem Ausrufen der Achse Rom – Berlin durch Mussolini war dies „genau der Moment, in dem das Dreierbündnis erstmals konkret Gestalt annahm und dabei auch seinen Gegnern als ein Konstrukt von globaler Reichweite erschien“ (S. 205). Neben diplomatischen Tätigkeiten war es die ideologische Selbstinszenierung der Achse, als deren hierzulande bekanntestes Beispiel sicherlich die Olympischen Spiele von Berlin 1936 zu gelten haben, welche diesen Zeitraum entscheidend prägte. Überzeugend legt Hedinger die zunehmende Verbindung der Krisenherde in Asien und Europa, eine damit einhergehende Globalisierung, aber auch ganz entscheidende Radikalisierung der Achse dar. Wenn auch in seiner Monografie so nicht benannt, greift er in diesem Kapitel das Konzept einer transcultural brokerage auf: Transnationale Mittler der drei Achsenmächte trugen ganz wesentlich zur wechselseitigen erfolgreichen Vernetzung, aber auch stetigen faschistischen Ideologisierung und Radikalisierung Berlins, Roms und Tokios bei. Dieser Entwicklungsprozess ging gleichzeitig mit einer scharfen Abgrenzung von der restlichen nicht-faschistischen Welt einher, etwa der liberal-demokratisch geprägten anglo-amerikanischen Allianz. Besonders mit Hilfe der Fokussierung auf die Mittler verdeutlicht Hedinger, dass weitaus mehr Personen als nur die politischen und militärischen Führer Deutschlands, Italiens und Japans das Achsenbündnis trugen. Als eine Kulturgeschichte der Achse gelesen sind hier die Seiten von 223 bis 251 des Buches besonders erhellend: Indem Hedinger etwa hierzulande kaum bekannte Ausstellungen in Japan oder wechselseitige Besuche von Jugendvertretern erörtert, gelingt es ihm bravourös, kulturdiplomatische Akte und die propagandistische Selbstinszenierung der Achse als Spektakel zu veranschaulichen.

Der unter dem Schlagwort „Eskalation“ stehende dritte Teil ist der Zeit von 1940 bis Mitte 1942 gewidmet: Den Höhepunkt ihrer territorialen Expansion erreichte die Achse mittels faschistischer Kriegsführung, einer globalen Entfesselung von Gewalt nie dagewesenen Ausmaßes und nie dagewesener Radikalität. Die drei Bündnispartner stürzten die Welt in einen totalen Krieg, der gerade aufgrund der Ideologie der Achse eine ganz eindeutig genozidale Prägung besaß. Dabei drehte sich die Eskalationsspirale nicht von Gefühlen von Stärke oder Überlegenheit, sondern vor allem von Bedrohung und Angst auf Seiten der Achse getrieben von Italiens Abessinienkrieg über Pearl Harbor bis hin zur deutschen Kriegserklärung an die USA und die Shoah immer weiter. Ferner argumentiert Hedinger im dritten Hauptteil, dass die Kriegsschauplätze Europa und asiatisch-pazifischer Raum enger miteinander verbunden waren, als bisher angenommen worden sei. Anhand der „globalen Momente“ des deutschen Blitzfeldzuges in Westeuropa im Frühjahr/Sommer 1940 sowie der Ereignisse um die Jahreswende 1941/42 und die weit bis ins Jahr 1942 anhaltenden militärischen Erfolge der Achsenmächte ruft Hedinger in Erinnerung, dass ein Sieg der Achse, eine neue Weltordnung und damit folglich auch das eingangs skizzierte Alternativszenario Philipp Kendrid Dicks realitätsnäher waren, als heute retrospektiv betrachtet oft zugestanden wird. Allerdings wird in diesem Buchteil auch eine wesentliche Schwäche der Darstellung offenbar. Die Achsenmächte waren nämlich auch und gerade eines, Waffenbrüder, und die Kriegsführung der Achse nicht nur und mehr als der „Weltblitzkrieg“ (S. 341), der im Zentrum dieses Kapitels steht. Über den Blitzkrieg hinausgehend erfährt der Leser von gegenseitigen Wechselwirkungen und Kooperationen der Achse im militäroperativen Bereich aber erstaunlich wenig. Weder ist von den gegenseitig radikalisierend wirkenden Aufrüstungsdoktrinen der Achse – etwa der Aufkündigung der Flottenverträge oder dem Hang Deutschlands und Japans zu Wunderwaffen und Superschlachtschiffen (Bismarck hier, Yamato und Musashi da) – die Rede, noch von Japans Fallschirmjägereinsatz bei der Invasion Sumatras im Frühjahr 1942, der ganz entscheidend an der deutschen Landung auf Kreta im Mai 1941 orientiert, davon beeinflusst und dadurch auch radikalisiert war. Lohnend wäre auch eine tiefergehende Betrachtung der Zusammenkunft von Tomoyuki Yamashita – den Hedinger im Kontext der im Dezember 1941 erfolgten japanischen Malayainvasion fälschlicherweise als General betitelt (S. 318)3 – mit Adolf Hitler in Berlin im Sommer 1941 gewesen: Laut japanischen Quellen sei das Kaiserreich hier vom bevorstehenden deutschen Überfall auf die Sowjetunion unterrichtet worden – ein Treffen, das zumindest als potentieller „crossroad moment“ der Achse mit weitgehenden Folgen diskutiert werden kann.4 Quasi unberücksichtigt bleibt auch die Kriegsführung italienischer und deutscher Einheiten wortwörtlich Seite an Seite – nicht nur in Nordafrika, sondern auch an der Ostfront.5

Positiv hervorzuheben ist der den drei Hauptteilen vorangestellte Prolog: Hier werden 1919, d.h. die Pariser Friedenskonferenz/Versailles und die damit einhergehenden Enttäuschungen, als Ausgangspunkt der Achse genommen und Mussolinis Marsch auf Rom 1922 als vielleicht der zentrale Moment der Genese des globalen Faschismus dargestellt. Im Vergleich hierzu fällt der Epilog und die Analyse des Niedergangs der Achse etwas ab. Aus Sicht des Rezensenten wäre das Buch daher richtiger mit „Der Aufstieg der Achse Berlin – Rom – Tokio“ betitelt worden. Daneben hätte spätestens im Epilog eine Diskussion der Person und Rolle des japanischen Kaisers erfolgen müssen; verglichen damit, welchen Stellenwert Hitler und Mussolini in der hier besprochenen Studie einnehmen, fällt es geradezu auf, dass Hedinger eine dezidierte Einordnung Hirohitos in das Konstrukt der Achse vermeidet.

Trotz obiger Anmerkungen, die ausdrücklich als konstruktive Kritik und Verbesserungsvorschläge zu verstehen sind, ist Hedinger zweifelsohne eine innovative und analytisch überzeugende Monografie gelungen. Es bleibt zu wünschen, dass viele Folgestudien an dieses Werk andocken, um weitere – etwa militäroperative, erinnerungspolitische oder justizielle – Aspekte des Bündnisses zwischen Berlin, Rom und Tokio im Sinne einer transimperial history und Globalgeschichte der Achse zu untersuchen.

Anmerkungen:
1 Philip Kindred Dick, The Man in the High Castle. A Novel, New York 1962.
2 Siehe: Reto Hofmann / Daniel Hedinger, Editorial – Axis Empires: Towards a Global History of Fascist Imperialism, in: Journal of Global History 12 (2017), S. 161–165; Daniel Hedinger, Fascist Warfare and the Axis Alliance: From Blitzkrieg to Total War, in: Miguel Alonso / Alan Kramer / Javier Rodrigo (Hrsg.), Fascist Warfare, 1922–1945. Aggression, Occupation, Annihilation, Cham 2019, S. 195–220.
3 Zum General (jap. Rikuguntaishō) wurde Yamashita erst im Februar 1943 ernannt.
4 Vgl. Takuma Melber, Zwischen Kollaboration und Widerstand. Die japanische Besatzung in Malaya und Singapur (1942–1945), Frankfurt am Main 2017, S. 96f.
5 Siehe zu Letztgenanntem: Matteo Scianna, The Italian War on the Eastern Front, 1941–1943. Operations, Myths and Memories, Cham 2019.

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