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Title
Der Pakt. Hitler, Stalin und die Geschichte einer mörderischen Allianz 1939–1941


Author(s)
Weber, Claudia
Published
München 2019: C.H. Beck Verlag
Extent
276 S., 21 SW-Abb.
Price
€ 26,95
Reviewed for H-Soz-Kult by
Maren Röger, Universität Augsburg

Zum 80. Jahrestag des Abkommens zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion hat die Osteuropahistorikerin Claudia Weber, Inhaberin des Lehrstuhls für Europäische Zeitgeschichte an der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder, eine einschlägige Monografie vorgelegt. Das Abkommen wird üblicherweise als „Hitler-Stalin-Pakt“ oder „Molotov-Ribbentrop-Pakt“ bezeichnet, je nachdem, ob die Staatschefs oder ihre unterzeichnenden Außenminister herangezogen werden. Webers im C.H.Beck-Verlag erschienenes Buch trägt den schlichten Obertitel „Der Pakt“, was neben der juristischen Bedeutung des Staatsvertrages die mythologische Bedeutung des Teufelspaktes aufruft, wobei sich hier zwei Diktatoren verbündeten – und dafür eine ganze Region und deren Millionen Bewohner:innen ihren Gewaltpolitiken preisgaben.

Jene „mörderische Allianz“ – so der Untertitel – dauerte 22 Monate und bestimmte in dieser Phase den Krieg in West- und Osteuropa und werde, so Weber, bisher doch nur oberflächlich betrachtet. Zum einen konstatiert sie, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit bis heute auf die Jahre ab 1941 verenge, als sich die vormaligen Verbündeten einen erbitterten Krieg liefern sollten, der den ideologischen Differenzen Rechnung trug und der Millionen Menschenleben, von Militärs und Zivilisten, kosten sollte. Zum anderen sei die tiefgreifende Bedeutung des geheimen Zusatzprotokolls bisher nicht ausreichend erfasst worden. Dieses habe Ostmitteleuropa in Einflusssphären aufgeteilt und das Schicksal der Länder für die ganze Nachkriegszeit beeinflusst, weil diese auch nach Kriegsende dem sowjetischen Einfluss unterworfen blieben. Mit dem Buch will Weber gegen das Unverständnis der Region anschreiben, gegen „ein westeuropäisch zentriertes Geschichtsbild […], das die grundstürzende Tragik Osteuropas im 20. Jahrhundert verkannte“ (S. 11).

Der Ausgangspunkt des Jahrestags, das pointierte, auch geschichtspolitische Ansinnen und der weitere Aufbau reihen das Buch in ein Genre ein, das in letzter Zeit verstärkt bespielt (und zuletzt auch diskutiert) wurde: Sachbücher, verfasst von Fachhistoriker:innen, die aufgrund des angestrebten breiten Publikums einige Fachkonventionen nicht bedienen und die die Verlage unter dem ewig gleichen Mantra eines völlig neuen Blicks vermarkten. Die Antworten der Fachwissenschaftler:innen auf das Genre sind mitunter reflexhaft. Im Fall des vorliegenden Buches zielte die Fachkritik unter anderem auf den „Gestus des Innovativen“ (Jessen), wobei vieles doch bekannt sei. Breitenwirksam angelegte Bücher stehen in einem Spannungsfeld und die Antwort scheint noch nicht gefunden, wieviel Zuspitzung und Auslassung (von wem) zu akzeptieren sind. Bei Webers Buch fällt die Knappheit beim Forschungsstand auf, auch die Überzeichnung mancher Forschungslücken und der am Ende fast überrumpelnde Verzicht auf ein Fazit.

Es lässt sich fragen, ob an das Format des publizistischen Fachbuchs in großen Publikumsverlagen andere Bewertungskriterien angelegt werden sollten, die stärker das Neuerzählen und Synthetisieren als eigene Leistung anerkennen, freilich ohne dabei wissenschaftliche Standards aus dem Blick zu verlieren. Ob sich die Publikumsverlage darauf einlassen werden, einfach ein sehr gutes, neues Buch zu bewerben, anstatt bahnbrechende Neuigkeiten aufzurufen, bleibt abzuwarten. Ein solcher Wandel könnte für die Autor:innen hilfreich dabei sein, sich auf die wichtige Kompetenz des breitenwirksamen Neuerzählens zu konzentrieren.

Claudia Weber jedenfalls gelingt dies in überzeugender Weise. Sie entfaltet ihre Geschichte in sieben Kapiteln, manche gänzlich oder hauptsächlich politik- und ereignisgeschichtlich angelegt, und entlang einschlägiger Daten und Akteure erzählend, manche auch die gesellschaftlichen Folgen in den Blick nehmend. Zu Beginn umreißt Weber die deutsch-sowjetischen Beziehungen der Zwischenkriegszeit, die geprägt waren von intensiver Zusammenarbeit im wirtschaftlichen und auch militärischen Bereich. Von sowjetischer Seite dominierten realpolitische Interessen über ideologische Differenzen, die eher von Hitler stark gemacht wurden. Zudem skizziert sie die außenpolitischen Positionierungen der Zeit. Mit dem Münchner Abkommen musste allerdings die Sowjetunion ihre multilaterale „Politik der kollektiven Sicherheit“ für gescheitert erklären. Aus der außenpolitischen Isolation heraus signalisierte die Sowjetunion NS-Deutschland Gesprächsbereitschaft, sodass im Spätsommer 1939 das Abkommen zustande kam. Weber schildert den je nach Gruppe der Lesenden mehr oder weniger bekannten Ablauf der Ereignisse und greift immer wieder auf die Memoiren des sowjetischen Volkskommissars für auswärtige Angelegenheiten Maxim Litwinow und des Diplomaten Gustav Hilger zurück. Dies suggeriert eine Innenperspektive, die zur sehr guten Lesbarkeit beiträgt, wenngleich eine stärkere Bewertung der Entstehungsbedingungen der Quellen wichtig gewesen wäre. Den Pakt ordnet Weber dann als einen Sieg Stalins und Molotovs ein, die zahlreiche Verhandlungspunkte gegenüber Ribbentrop durchsetzen konnten.

Im dritten Kapitel erzählt Weber fesselnd von der Unsicherheit in den ersten Wochen nach dem Abschluss des Nichtangriffspaktes: von den Befürchtungen der europäischen Länder, von der Irritation der Deutschen, als sich Stalin mit dem Einmarsch nach Polen nach ihrem eigenen Angriff auf das Land Zeit ließ, und von der nackten Angst in Polen, in das am 1. September 1939 bekanntlich die deutschen Truppen einmarschierten und am 17. September die sowjetische Armee. Eine aussagestarke wiederabgedruckte Fotografie eines mit Hakenkreuz und Hammer und Sichel versehenen Empfangsbogens eines polnischen Dorfes verdeutlicht die Ungewissheit der Zivilbevölkerung, die ansonsten in dem sehr politikgeschichtlichen Buch etwas kurz kommt. Jene Phase des Übergangs nutzte die Sowjetunion, um bei der Demarkationslinie bzw. der zugestandenen Einflusssphäre noch nachzufordern bzw. Fakten zu schaffen. Die Verzögerung des sowjetischen Einmarsches erklärt Weber mit Stalins Wunsch, die Stärke der Wehrmacht einschätzen zu können, sowie seinem vorausschauenden Denken. Denn der Kriegsausbruch werde dadurch ganz eindeutig der nationalsozialistischen Eroberungspolitik zugeschrieben, was die Erinnerungskultur bis heute präge.

Besonders hervorzuheben ist das vierte Kapitel, in dem Weber die Umsiedlung der „Volksdeutschen“ als Ergebnis erfolgreicher Zusammenarbeit der Regimes im Zuge des Hitler-Stalin-Paktes einordnet. Diese gemeinsame Perspektive wurde bislang selten angelegt und die Umsiedlung der sogenannten Volksdeutschen in der Tat vor allem im Kontext der nationalsozialistischen Rassen- und Volkstumspolitik beschrieben. Dazu jedoch sind zahlreiche einschlägige Studien in den letzten Jahren erschienen1, sodass die Referenz auf eine im Jahr 2001 konstatierte Forschungslücke unglücklich gewählt scheint. Gerade wenn man mit der genannten Literatur vertraut ist, ist einiges von Webers Schilderungen bekannt. Nichtsdestotrotz sind Webers Ausführungen zu den wechselseitigen Beobachtungen, zum Kompetenzgerangel und Misstrauen zwischen den verantwortlichen Akteuren und Institutionen auf beiden Seiten instruktiv. Den Nationalsozialisten missfiel, dass der NKWD im Generalgouvernement die Umsiedlungen in das sowjetische Gebiet verzögerte; dem NKWD, dass sich in manchen sowjetischen Gebieten vor den Gebäuden der deutschen Umsiedlungskommission Menschenschlangen bildeten – darunter Personen ohne deutschsprachige Vorfahren. Für Angehörige unterschiedlicher ethnisch-religiöser Gruppen boten die Umsiedlungen den einzig legalen Weg und die oftmals letzte Chance, noch in das andere Land zu kommen. Zahlreiche Ukrainerinnen und Ukrainer präferierten das nationalsozialistische Deutschland, während viele Juden der Region trotz der Ungewissheit versuchten, auf nun sowjetisches Territorium zu gelangen.

Die ideologischen Reibungspunkte traten immer wieder offen zutage. Auch nahmen die Differenzen über den Anspruch auf einzelne Territorien zu. Bereits im Sommer 1940, so Weber, drohte das Bündnis „unter dem Gewicht des auf beiden Seiten gleichermaßen unbedingten Expansionswillens zu brechen.“ (S. 193) Entsprechend schildert Weber den Zerfall des Bündnisses, diskutiert sowjetische Strategien angesichts des immer offener zutage tretenden Kriegstreibens NS-Deutschlands. Die immer wieder auftauchende Idee eines sowjetischen Angriffskriegs weist auch Weber jedoch entschieden zurück. Stalin habe den Pakt nicht brechen und als Aggressor auftreten wollen.

Das Buch endet – logischerweise – mit dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion, mit dem die Gewaltspirale weiter eskalierte und an dessen Ende über zwanzig Millionen getötete Sowjetbürger stehen sollten. Und es endet mit dem Ausblick auf neue Mächtekonstellationen auf internationaler Ebene, die die Sowjetunion nun Teil der Anti-Hitler-Koalition werden ließen. Es endet nicht mit einem Fazit, was eine verschenkte Gelegenheit ist, die Thesen zum blinden Fleck im Geschichtsbewusstsein zu bündeln und die eigenen Positionen zu stärken. Insgesamt liegt mit „Der Pakt“ ein sehr gut lesbares Buch vor, das Genese und Verlauf des Hitler-Stalin-Paktes beleuchtet und helfen kann, ein westeuropäisch zentriertes Geschichtsbild in der breiteren Öffentlichkeit aufzubrechen.

Anmerkung:
1 Dies gilt sowohl für die institutionengeschichtliche Seite als auch die Erfahrungswelten einzelner Gruppen betreffend. Vgl. etwa Andreas Strippel, NS-Volkstumspolitik und die Neuordnung Europas. Rassenpolitische Selektion der Einwandererzentralstelle des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD (1939–1945), Paderborn 2011; Maria Fiebrandt, Auslese für die Siedlergesellschaft. Die Einbeziehung Volksdeutscher in die NS-Erbgesundheitspolitik im Kontext der Umsiedlungen 1939–1945, Göttingen 2014 oder beispielhaft Mariana Hausleitner, „Viel Mischmasch mitgenommen“. Die Umsiedlungen aus der Bukowina 1940, Berlin 2018.

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