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Title
Joachim Haupt (1900–1989). Vom Aufstieg eines NS-Studentenfunktionärs und Sturz des Inspekteurs der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten. Eine biographische Studie


Author(s)
Sperling, Christoph
Series
Rechtshistorische Reihe (478)
Published
Berlin 2018: Peter Lang GmbH
Extent
176 S.
Price
€ 44,95
Reviewed for H-Soz-Kult by
Martin Göllnitz, Institut für Hessische Landesgeschichte, Philipps-Universität Marburg

Joachim Haupt, Ideengeber und erster Inspekteur der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (NPEA), führender Nationalsozialist im studentischen Milieu während der „Kampfzeit“ der NSDAP und Günstling Bernhard Rusts im Reichserziehungsministerium (REM), blieb von der Forschung lange Zeit weitgehend unberücksichtigt. Seiner Person hat der Rechtswissenschaftler Christoph Sperling jetzt eine Biographie gewidmet, die mit 176 Druckseiten einen für biographische Studien zu frühen NS-Funktionären eher knapp gehaltenen Umfang aufweist, was aber weder zum Schaden der Darstellung noch ihrer Rezeption sein muss. Die Gliederung der Studie orientiert sich am Lebenslauf Haupts von dessen Schulzeit bis zu seinem Tod im Jahr 1989; die prägenden Jahre während der Weimarer Republik und im NS-Herrschaftssystem behandelt Sperling im weitaus größten, fast 140 Seiten umfassenden Kapitel. Schulzeit, Freikorpsdienst sowie Haupts Leben und Wirken nach seinem Ausschluss aus der NSDAP – immerhin der längste zeitliche Abschnitt seiner Biographie von 1938 bis 1989 – werden auf insgesamt sechseinhalb Seiten thematisiert – was zu einem überwiegenden Teil der als katastrophal zu charakterisierenden Quellenlage geschuldet ist. Die einzelnen Unterkapitel entsprechen im Wesentlichen einer biographisch begründeten Periodisierung, wobei die schulischen und akademischen respektive beruflichen Wegmarken die Untersuchung ordnen.

Unweigerlich muss sich Sperling einleitend mit der Frage beschäftigen, ob es eine biographische Darstellung Joachim Haupts brauche. Hier fällt der rechtshistorische Hintergrund des Verfassers besonders ins Auge: Als Leitfrage und zugleich Kernthese formuliert dieser eine mögliche Beteiligung Haupts an der Konstituierung der „Kieler Schule“, einer Gruppe junger NS-Juristen, die sich nach 1933 eine steile Karriere mit lautstarken nationalsozialistischen Postulaten erschrieben und die sich alsbald an der Kieler Förde wiederfanden, um unter der Leitung Karl August Eckhardts am Aufbau einer „Stoßtruppfakultät“ mitzuwirken. Ohne zu viel vorwegzunehmen, bestätigen die in der Studie gewonnenen Erkenntnisse diese Arbeitsthese letztlich nicht. Dass Haupt einer der einflussreichsten NS-Studentenfunktionäre und „vermutlich der führende junge Nationalsozialist im Norddeutschland der 1920er Jahre“ (S. 14) war, genügt hingegen eher, um die historiographiegeschichtliche Bedeutung des Forschungsgegenstandes aufzuzeigen. Umso mehr betrübt es, dass weder Methodik noch Vor- und Nachteile biographischer Untersuchungen, die vor allem auch in der geschichtswissenschaftlichen Forschung hinlänglich ausgetauscht worden sind, keinerlei Erwähnung finden. Kurzum: Die Person Haupt steht im Fokus der Betrachtung; einen die engere Biographie überschreitenden Erkenntnisgewinn verspricht Sperlings Dissertation hingegen nicht.

Der in einem bürgerlichen Umfeld geborene Haupt besuchte eine humanistische Oberschule in Frankfurt an der Oder sowie daran anschließend die Königlich Preußische Hauptkadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde, wo er mit Reinhard Sunkel einen Freund und Weggefährten fand, der ihn über die Schulzeit hinaus bis ins REM begleitete. Angesichts der ausdrücklich als Erkenntnisziel benannten Konzentration auf Haupt als Person hält der Verfasser die Darstellung dieser formativen Jahre ebenso erstaunlich kurz wie den gemeinsamen Freiwilligendienst der beiden Kadetten im Freikorps „Maercker“. Gleichwohl speziell zu Haupt keine expliziten Hinweise oder Quellen für diesen Zeitraum vorliegen, hätte sich der Rezensent doch mehr Informationen zum Umfeld und zu den Erziehungsmethoden der Kadettenanstalt sowie zum völkisch-nationalen Milieu der paramilitärischen Verbände gewünscht. Wem daran gelegen ist, mehr über diese beiden Einrichtungen als Sozialisationsinstanzen zu erfahren, sollte parallel zu Sperlings Studie die jüngst erschienene Arbeit Gregor Fröhlichs zu Ernst von Salomon lesen, der zusammen mit Haupt seine Schulzeit in Lichterfelde verbrachte und nach 1918 ebenfalls in den Straßenschluchten europäischer Großstädte bzw. auf den Schlachtfeldern im Baltikum kämpfte.1

Durch die behandelten Themen der Studienzeit Haupts in Frankfurt am Main, Greifswald und Kiel, dessen Schuldienst in Plön, seiner agitatorischen Tätigkeit als Schriftleiter der Niedersächsischen Tageszeitung sowie seinem steilen Aufstieg und Fall als Inspekteur der NPEA bildet das zweite Kapitel den eigentlichen Kern der Untersuchung. Im Anschluss an seine Freikorpszeit entschied sich Haupt für ein Studium der Philosophie, wobei er die akademischen Freiräume nutzte, um mit verschiedenen Spielarten sozialistischen und völkisch-nationalen Denkens zu experimentieren. Sperling arbeitet hier mit hoher Tiefenschärfe den sich noch entwickelnden Kern von Haupts völkisch gelagerter Ideologie heraus, die aber seinerzeit noch sehr abstrakt blieb und keine rassischen oder antisemitischen Elemente aufwies (S. 24–26). Zugleich wird an diesem Lebensabschnitt die zunehmende Radikalisierung des Protagonisten deutlich, der nach eigener Aussage am Hitler-Putsch 1923 teilnahm, den „Führer“ in Landsberg besuchte, mit Theodor Vahlen und Wilhelm Karpenstein den NSDAP-Gau Pommern etablierte, an der Ernennung Hinrich Lohses zum Gauleiter Schleswig-Holsteins beteiligt war und diverse Parteigliederungen in der schleswig-holsteinischen Provinz konstituierte. In diese Zeit fallen auch die ersten Bündnisse mit führenden Parteigrößen wie Joseph Goebbels oder Gregor Strasser, aber auch die ersten Konflikte mit rivalisierenden NS-Funktionären wie Wilhelm Tempel und Baldur von Schirach. Vor allem die Kieler Studienzeit ist für die Forschung von hohem Interesse, da Haupt zum „erste[n] nationalsozialistische[n] überregionale[n] Studentenführer“ (S. 165) avancierte und erheblichen Einfluss auf die reichsweite Entwicklung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) besaß.

Aufgrund seiner charismatischen Charakterzüge vermochte er es, die Studierenden in seinem näheren Umfeld ebenso für den Nationalsozialismus zu begeistern wie seine Schüler an der Staatlichen Bildungsanstalt in Plön, wo er ab 1928 sein Referendariat ableistete und anschließend als Lehrer und Erzieher bis zu seiner Entlassung im Januar 1931 wirkte. Obgleich ihm als preußischer Beamter gemäß einem staatsministeriellen Beschluss vom 25. Juni 1930 jegliche Unterstützung der NSDAP verboten war, intensivierte er seine politische Agitation zunehmend. Wiederholt hielt er Vorträge mit deutlichem Bezug zur NS-Ideologie und positionierte sich öffentlichkeitswirksam als „klarer Verfassungsfeind und Gegner der Demokratie“ (S. 69). Allem Anschein nach nahm Haupt seine Entlassung bewusst in Kauf – vielleicht provozierte er diese sogar –, um innerhalb der NS-Bewegung eine Art Märtyrerstatus zu erlangen. Seine Entfernung aus dem Schuldienst stellte daher keinen persönlichen Einschnitt oder Karriereknick dar, sondern bildete die Grundlage für seinen parteiinternen Aufstieg: Als Schriftleiter der Niedersächsischen Tageszeitung, einem von Bernhard Rust herausgegebenen Propagandablatt der NSDAP, knüpfte er wichtige Kontakte und baute seine Beziehung zum späteren Reichserziehungsminister weiter aus. Tatsächlich berief Rust seinen Vertrauten noch im Februar 1933 zum Ministerialrat im Preußischen Wissenschaftsministerium, obwohl diesem jede Eignung und Erfahrung fehlte.

In dieser Position entwickelte er das Konzept der NPEA, die als neue NS-Kaderschmieden in der Tradition der Kadettenanstalten standen und deren erklärtes Ziel es war, „einen allgemeinen nationalsozialistischen Führertypus zu schaffen“, womit zugleich eine Abgrenzung zu den Adolf-Hitler-Schulen vorgenommen wurde, „an denen speziell die zukünftigen Führer der NSDAP herangezogen werden sollten“ (S. 102). Das Amt des Inspekteurs der NPEA mag letztlich auch zum Sturz Haupts geführt haben, da zahlreiche machtpolitische Akteure des NS-Regimes wie die HJ, die SS und die Wehrmacht an einer Kontrolle der Anstalten interessiert waren. Ob Haupt tatsächlich im Juni bzw. Juli 1934 „vergessen“ worden war, wie das Gaugericht Groß-Berlin bemerkte, oder ob nicht vielmehr seine Homosexualität als Vorwand genutzt wurde, um einen unliebsamen Konkurrenten zu entmachten, ist aufgrund des nur fragmentarischen Aktenbestandes nicht abschließend zu klären. So kommt eine jüngere Studie zur Funktionselite des NSDStB, in der Haupts Entlassung unter Bezugnahme weiterer Quellen und eines größeren Kreises potenzieller Kontrahenten ebenfalls diskutiert wird, zu einem anderen Ergebnis als Sperling.2 Ein Zerwürfnis mit führenden Parteigenossen dürfte aber in jedem Fall der ausschlaggebende Grund für dessen Karriereende und Parteiausschluss 1938 gewesen sein – wer erst einmal in Ungnade gefallen war, galt innerhalb des Parteiapparates oft genug als „erledigt“. Für die Jahre danach bis zum Tod Haupts existieren leider kaum noch Quellen. Dieser Umstand spiegelt sich auch in Sperlings Arbeit: Auf nur zweieinhalb Seiten werden Leben und Wirken des Protagonisten ausgehend von den Kriegsjahren über die Nachkriegszeit bis hin zu dessen Ruhestand in der konsolidierten Bundesrepublik thematisiert.

Es liegt mit dieser weiteren Biographie eines frühen NS-Funktionärs eine zuverlässige und gut lesbare Studie vor, die deutlich aufzeigt, dass der Weg als Kämpfer für die NS-Bewegung und die berufliche Laufbahn, die politische Entwicklung und der soziale Aufstieg sich so weit vermischten, dass sich letztlich keine Trennlinie zwischen dem einen und dem anderen Bereich ziehen lässt. Haupt liefert damit zugleich ein einprägsames Beispiel für das hohe Maß an Unsicherheit im Bereich der mittleren Führungsebene, das sich durch das von Parteigrößen geschaffene Spannungsfeld in Bezug auf Kompetenzstreitigkeiten und Revierabgrenzungen ergab: Gleichwohl er eine Führungsposition im REM innehatte, blieb er doch der Kontrollierte eines nur bedingt rational kalkulierbaren, hierarchischen Staats- und Parteiapparates. Die angeführten Monita tun dem positiven Gesamteindruck einer gründlich recherchierten und sensibel argumentierenden Arbeit keinen wirklichen Abbruch, zeigen aber auf, dass die Biographie Joachim Haupts immer noch weiße Flecken aufweist.

Anmerkungen:
1 Gregor Fröhlich, Soldat ohne Befehl. Ernst von Salomon und der soldatische Nationalismus, Paderborn 2018.
2 Vgl. Martin Göllnitz, Der Student als Führer? Handlungsmöglichkeiten eines jungakademischen Funktionärskorps am Beispiel der Universität Kiel (1927–1945) (Kieler Historische Studien 44), Ostfildern 2018, insbesondere S. 527–529.

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