Cover
Titel
Global Development. A Cold War History


Autor(en)
Lorenzini, Sara
Reihe
America in the World
Erschienen
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
$ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sönke Kunkel, Kennedy-Institut für Nordamerikastudien, Freie Universität Berlin

Eine „Cold War History“ kündigt diese informative, auf eigenen Archivrecherchen basierende Studie von Sara Lorenzini im Untertitel an – um eine klassische Geschichte des Kalten Krieges handelt es sich dabei aber nicht. Cold War, das wird bei der Lektüre schnell klar, meint hier vor allem einen Epochenbegriff, kein strukturelles Organisationsprinzip der internationalen Beziehungen. Es gehe ihr darum, schreibt die Autorin, ein „hegemony narrative“ (S. 7) zu vermeiden: „Cold War development was much more than a competition between superpowers“ (S. 7), müsse eher als ein „patchwork of regional plans with global ambitions“ (S. 6) charakterisiert werden. Entsprechend weitläufig argumentiert und erzählt dieses Buch: Von Sun Yat-sen bis Jimmy Carter, von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bis zum Comecon, von Bandung bis zum Nord-Süd-Dialog der späten 1970er-Jahre versammelt es eine Vielzahl an Stimmen, Akteuren und Ereignissen. Herausgekommen ist so eine Globalgeschichte der Nord-Süd-Beziehungen im Zeitalter des Kalten Krieges, die gut in Rahmenbedingungen und Grundlinien entwicklungspolitischen Denkens und Handelns in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einführt.

Kenner/innen der Materie werden in diesem Buch einiges an Bekanntem wiederentdecken, folgt die Studie doch größtenteils einer klassischen Periodisierung und Narrativierung: Noch einmal rekonstruiert es die ideenhistorischen Vorläufer der Entwicklungszusammenarbeit, von der Zivilisierungsmission und dem Mandatssystem des Völkerbunds bis zum Colonial Development and Welfare Act (Kapitel 1), erzählt es die Geschichte von Marshall-Plan, Harry Truman und Point Four (Kapitel 2) oder von Modernisierungstheorie, Kennedy und der Allianz für den Fortschritt (Kapitel 4). Andere Kapitel behandeln die Entwicklungsideen und -praktiken der Vereinten Nationen, der Weltbank und der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) sowie die in manchen dieser Institutionen ausgetragenen Debatten rund um die Neue Weltwirtschaftsordnung (Kapitel 6 und 7). Kapitel 8 schildert die Bedeutung der Stockholmer Weltumweltkonferenz von 1972 – alles keine neuen Themen und Einsichten, doch werden sie hier souverän und konzise zusammengeführt, sodass gerade Leser/innen ohne Vorkenntnisse einen sehr guten Überblick gewinnen können.

Instruktiv wird es dort, wo die Arbeit die gewohnten Bahnen der Geschichte von development verlässt, etwa wenn es um die Entwicklungshilfe sozialistischer Länder geht. Kapitel 3 schlägt noch einmal den historischen Bogen zurück zu Lenin, erinnert an die sowjetischen Versuche des Ideologieexports in den 1920er- und 1930er-Jahren und zeigt dann, wie sich in der Ära Chruschtschow ein neuer Aktivismus in der Entwicklungszusammenarbeit entfaltete. Grundpfeiler des „socialist development“ (S. 43) waren dabei nicht nur Investitionen in Landwirtschaft, Industrie und Infrastruktur, sondern auch spezifische Logiken des Tausches: Fabriken gegen Rohstoffe, Kredite gegen Kaufverpflichtungen (eine allerdings auch in der Welt der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) beliebte Praxis). Seit den 1960er-Jahren drängten auch die DDR und die Volksrepublik China in die Entwicklungszusammenarbeit, was an den Beispielen Guinea (DDR) und Tansania (China) illustriert wird.

Zu den Stärken des Buches gehört es, dass es auch immer wieder den Blick auf europäische Akteure und Institutionen richtet. Gerade für die Frühphase der europäischen Integration betont Sara Lorenzini die Bedeutung von Entwicklungszusammenarbeit: „European integration was a venture for joint imperial management“ (S. 56), das mittels des European Development Fund betrieben und von vielen beteiligten Politikern auch als Möglichkeit zur „continuation of [Europe’s] grand and global civilizing mission“ (so der niederländische Außenminister Joseph Luns, S. 56) angesehen und angekündigt wurde. Entwicklungszusammenarbeit, so zeigt Sara Lorenzinis Studie an solchen Beispielen, war mitnichten nur ein amerikanisches Projekt. Eher war sie eine Form des globalen Wettbewerbs um Marktchancen, Einfluss und Ressourcen, der sich aus sehr unterschiedlichen Motivationen speiste und für den Vorstellungen eines bipolaren Systemkonflikts daher auch nicht so recht passen wollen.

Andere Rezensent/innen haben zu Recht angemerkt, dass es sich bei diesem Buch vorrangig um eine Politik- und Diplomatiegeschichte von „Entwicklung“ handelt.1 Gleichwohl regt es auch darüber hinaus zu weiteren Forschungen an: Die Logik des Kreditgeschäfts hinter „Entwicklung“ etwa wird von Sara Lorenzini zu Recht immer wieder kommentiert, müsste aber einmal systematischer untersucht werden. Nach wie vor unterbeleuchtet bleiben die eigentlichen Macher von „Entwicklung“: Baufirmen wie Julius Berger oder der im Buch vorgestellte italienische Industrielle Aurelio Piccei. Experten sind demgegenüber zwar ein klassischer Gegenstand vieler Arbeiten, der in dieser Studie beschriebene größere Komplex der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit aber hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Nur knapp angerissen werden die vielen in den 1970er- und 1980er-Jahren neu aufkommenden Themen wie der Schutz von Umweltressourcen oder die zunehmende Überlagerung von Menschenrechtsdiskurs und „Entwicklung“. Ereignisse wie „Live Aid“ oder die Entwicklungszusammenarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen werden nicht behandelt.

Leser/innen bietet dieses Buch dennoch eine kompakte und verlässliche Einführung in zentrale Fragen, Probleme, Themen und Akteure der Geschichte von Entwicklungszusammenarbeit im 20. Jahrhundert. Sara Lorenzinis eigenes Fazit dieser Geschichte fällt dabei ambivalent aus: Zwar habe es durchaus einige bemerkenswerte Erfolge in der globalen Armutsbekämpfung gegeben, insgesamt war die Entwicklungszusammenarbeit jedoch „eine der größten Enttäuschungen des 20. Jahrhunderts“ (S. 171): Zu unterschiedlich waren die Projektionen und Erwartungen, die damit verbunden waren, zu komplex die Akteursgefüge, die sie trugen, zu vielfältig ihre Interessen und Zielsetzungen. In der Sensibilisierung für diese Komplexitäten und Ambivalenzen liegt die Bedeutung dieses Buchs.

Anmerkung:
1 Siehe die Besprechungen des H-Diplo Roundtable XXI-41 vom 11.5.2020, hrsg. von Diane Labrosse, https://hdiplo.org/to/RT21-41 (02.07.2020).

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