Cover
Titel
The Oxford Handbook of Demosthenes.


Herausgeber
Martin, Gunther
Reihe
Oxford Handbooks
Erschienen
Anzahl Seiten
XV, 510 S.
Preis
€ 114,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Fraß, Historisches Institut / Alte Geschichte, Ruhr-Universität Bochum

Wie alle Oxford Handbooks besteht auch das zu Demosthenes aus sehr unterschiedlichen Beiträgen zu den verschiedensten Aspekten des Wirkens und Werkes des attischen Redners. Erklärtes Ziel des Herausgebers ist es, nicht nur das Œuvre und das Leben des Demosthenes auszuleuchten, sondern beides auch in den soziopolitischen und kulturellen Kontext des klassischen Athens einzuordnen. Neben der Einleitung durch den Herausgeber enthält das Handbuch zu diesem Zweck 35 Einzelbeiträge von ebenso vielen Fachleuten. Es soll daher hier gar nicht versucht werden, all diese Aufsätze einzeln zu besprechen. Glücklicherweise wurden die Beiträge vom Herausgeber bereits in sechs thematische Blöcke geteilt. Daher ist es naheliegend, auch in dieser Rezension der vorgegebenen Ordnung des Handbuches zu folgen. Deshalb soll jeweils ein Beitrag herausgegriffen und besprochen werden. Die Auswahl – dies soll vorweg gestellt werden – folgt den Interessen des Rezensenten und soll in keiner Form und Weise ein Urteil zur Qualität der Einzelbeiträge darstellen.

Der erste thematische Block, den man durchaus als eine erweiterte Einleitung begreifen kann, ist folgerichtig mit „General Matters“ überschrieben und besteht aus vier Beiträgen. Von diesen soll der Beitrag von Adele C. Scafuro („Historical Readings of Oratory“, S. 33–44) herausgegriffen werden. Denn in diesem umreißt die Verfasserin konzise die Möglichkeiten und Grenzen das überlieferte Werk des Demosthenes sowohl für die politische Geschichte und Rechtsgeschichte als auch für die Rekonstruktion sozioökonomischer und religiöser Strukturen. Für die politische Geschichte zeigt Scafuro dies am Beispiel Philipps von Makedonien, der bekanntlich prominent in den Reden des Demosthenes vorkommt. Ebenso wird aufgezeigt, wie man ökonomische Strukturen in Ansätzen nachzeichnen kann, auch wenn in den forensischen Reden jedes Argument wichtiger erscheint als die tatsächlichen ökonomischen Zustände.

Im zweiten Teil des Sammelbandes („The Institutional Context of Oratory“) wird in fünf Aufsätzen der institutionell-politische Rahmen dargestellt, in welchem die demosthenischen Reden verstanden werden müssen. Genauer besprochen werden soll von diesen Beiträgen jener von Susan Lape („Political Elites“, S. 101–113), in welchem die politische Elite des demokratischen Athens im Spiegel der demosthenischen Rhetorik charakterisiert wird. Besonderes Augenmerk wird auf das Konfliktpotenzial gelegt, welches aus der notwendigen Existenz einer politischen Elite und der dirketdemokratischen Ordnung resultierte. Die Möglichkeit dieses Konfliktpotenzial in innerelitären Auseinandersetzungen zu instrumentalisieren, zeigt Lape am Beispiel der Rede gegen Meidias (Demosth. or. 21), in welcher Demosthenes es nach einer eher privaten Auseinandersetzung gelingt, den politischen Gegner als „over-violent rich man wilfully abusing a younger man“ (S. 106) darzustellen und so eine Verurteilung zu erreichen.

Im dritten Teil des Sammelbandes („The Political Context“) wird die Darstellung des institutionell-politischen Rahmens fortgesetzt. Die Teilung von Teil II und III erfolgte vermutlich weniger aus inhaltlichen Überlegungen heraus, denn aus solchen der Symmetrie. Dessen ungeachtet enthält dieser Teil weitere sechs Beiträge, welche dem Verständnis der demosthenischen Reden ungemein förderlich sind. Herausgegriffen werden soll hier der Beitrag von Robert J. Nichols („Corruption“, S. 167–205), der nahtlos an den zuvor besprochenen Aufsatz anschließt, da der Vorwurf der Korruption ein beliebtes Mittel innerelitärer Auseinandersetzungen im Athen des 4. Jahrhunderts war. Nichols verdeutlicht dies am Beispiel des Konflikts zwischen Demosthenes und Aischines, bei der es um die grundsätzliche Ausrichtung der athenischen Politik gegenüber Philip von Makedonien ging und welche durch Reden beider Antagonisten gut bezeugt ist (Demosth. or 18 und 19 sowie Aischin. or. 1 und 2). Als Arena dieser Auseinandersetzung wählte Demosthenes aber das Volksgericht und als Mittel die Anklage wegen Korruption. Obwohl Demosthenes verlor, konnte er sich langfristig politisch durchsetzen. Beide Seiten, wie von Nichols herausgearbeitet wird, stellen aber die Bestechlichkeit von Amtsträgern als Anzeichen einer „deeper moral corruption and a debauched lifestyle“ (S. 176) dar, was als Argumentation offensichtlich beim Demos gut angekommen sein muss.

Im vierten thematischen Block des Handbuches („The Social and Cultural Context“) werden schließlich die Reden des Demosthenes durch sieben Einzelbeiträge in einen breiteren sozialgeschichtlichen Kontext gestellt. Aus diesen wird im Folgenden der prägnante Beitrag von Hannah Willey (ebenso prägnant betitelt: „Religion“, S. 271–282) ausgewählt. Bereits in den einleitenden Worten verdeutlicht Willey, dass die Instrumentalisierung des Religiösen alles andere als einem einheitlichen Muster folgt. Selbst für Demosthenes sei „the question of how to deal with religion […] always a context-sensitive one and essentially up for grabs”. Im Folgenden wird dann die Bedeutung von Schwören, von Göttern und anderen religiösen Autoritäten dargestellt. Dabei erstaunt es, dass etwa Orakel nur dreimal im gesamten Korpus des Demosthenes explizit genannt werden (vgl. S. 275). Wenig überraschend hingegen ist die große Bedeutung der religiösen Festkultur der athenischen Gemeinschaft in den demosthenischen Reden. Gerade die Frage nach den Partizipationsrechten wie Partizipationspflichten an den Fest- und Kulthandlungen wird dabei durch Demosthenes immer wieder aufgegriffen. Zum Abschluss ihres Beitrages warnt Willey allerdings zu Recht davor, aus isolierten Bemerkungen des Redners allzu komplexe religiöse Strukturen rekonstruieren zu wollen.

Der fünfte Teil des Sammelbandes („Demosthenes‘ Life“, S. 365–470) begibt sich schließlich in fünf Beiträgen auf eine biografische Spurensuche. Dabei vergisst keiner der Beiträger/innen, auf die Gefahren hinzuweisen, welche vor allem in den nachklassischen biografischen Traditionen liegen. Dennoch lässt sich aus dem Œuvre des Demosthenes selbst einiges zu seiner (politischen) Biografie rekonstruieren. Auf diese Spurensuche begibt sich daher auch Chrisotes Karvounis („Political Career“, S. 321–335). Ganz auf Quellen außerhalb des demosthenischen Corpus kann er dabei aber auch nicht verzichten. Leider werden diese aber selten belegt, sodass nicht immer klar ist, welche Informationen etwa aus der Demosthenes-Biografie des Plutarch stammen und welche aus dem Werk des Demosthenes selbst.

Der letzte Teil des Handbuches („The Corpus Demosthenicum“) beschäftigt sich mit dem Werk, der Überlieferung und dem Nachwirken des demosthenischen Werkes. Dies geschieht in acht sehr diversen Beiträgen. Herausgegriffen werden soll daraus der Beitrag von Jeremy Trevett („Authenticity, Composition, Publication“, S. 419–430). Er beginnt diesen damit aufzuzeigen, dass man heute nicht mehr, wie noch im 19. Jahrhundert, automatisch jede unter dem Namen des Demosthenes überlieferte Rede aus dem Corpus des Demosthenes ausschließt, nur weil diese kein „flawless masterpiece“ (S. 422) darstellt. Auch geht Trevett davon aus, dass Auftragsreden kaum von Demosthenes später noch überarbeitet wurden. Anders wird es sich aber mit den Reden verhalten haben (Trevett nennt hier explizit die 18. und 19. Rede), die eine dezidiert politische Zielrichtung hatten, auch wenn sie formal Gerichtsreden waren. Auch argumentiert Trevett dafür, dass Demosthenes zumindest einige seiner Reden für die Volksversammlung vorher niedergeschrieben haben wird, was ihn zu einer Ausnahmeerscheinung in dieser Zeit machen würde. Zum Abschluss dieses Beitrages wird noch kurz die Frage nach der Publikation der Reden angeschnitten. Dabei nimmt Trevett an, dass zumindest die überarbeiteten Reden bereits von Demosthenes selbst publiziert wurden, wenn auch eine tatsächliche Publikation erst für das dritte Jahrhundert belegt ist.

Dankenswerterweise hat man auf eine Gesamtbibliografie verzichtet und jeder Beitrag hat sein eigenes Sekundärliteraturverzeichnis. Viele Beiträge enden überdies mit einer kurzen Empfehlung für weiterführende Literatur zum jeweiligen Thema. Das Werk besitzt außerdem einen General- und einen Quellenindex, die beide die Benutzbarkeit des Handbuches deutlich erleichtern. Abschließend lässt sich noch sagen, dass die Beiträge keine bahnbrechenden neuen Erkenntnisse vorstellen wollen. Vielmehr bieten sie solide Einführungen in verschiedenste thematische Spezialbereiche zu Werk und Leben des Demosthenes. Sowohl für Fachleute als auch für Studierende (so diese denn bereit sind, Texte in englischer Sprache zu lesen) bietet das Handbuch damit einen guten Einstieg in die Beschäftigung mit dem interessantesten der attischen Redner.

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