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Titel
Rudolf Olden – Journalist und Pazifist. Vom Unpolitischen zum Pan-Europäer. Moralische Erneuerung im Zeichen moderner Kulturkritik


Autor(en)
Schäfer, Sebastian
Reihe
Weimarer Schriften zur Republik 8
Erschienen
Stuttgart 2019: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
438 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reinhold Lütgemeier-Davin, Kassel

Eine wissenschaftliche Monografie über Rudolf Olden (1885–1940), den einst bekannten und einflussreichen liberal-demokratischen Journalisten und profilierten Strafverteidiger in der Weimarer Republik, war bislang nicht greifbar. Zwar hatte das Deutsche Exilarchiv in Frankfurt am Main 2010 eine ansprechende und informative Ausstellung über Olden organisiert1, aber eine umfassende Biografie, die ihn zugleich in die Geisteswelt seiner Zeit, in die Kulturpolitik, die heftigen politischen Kämpfe zwischen Verteidigern einer demokratischen Republik und deren Verächtern und Zerstörern von rechts einordnet sowie seinen weltanschaulichen Standort bestimmt, fehlte.

Die an der Technischen Universität Chemnitz entstandene Dissertation von Sebastian Schäfer füllt diese Lücke. Sie begreift sich als Beitrag zum Forschungsbereich der „Intellectual History“, verbindet eine Biografie im landläufigen Sinne mit Aspekten politischer Theorie und Ideengeschichte der Zeit. Schäfer spürt den Wandlungen Oldens nach: von einem nationalliberal gesonnenen, im großbürgerlichen Milieu verankerten, sich als unpolitisch begreifenden Konservativen im Kaiserreich, über einen Kriegsfreiwilligen im Ersten Weltkrieg zu einem organisatorisch ungebundenen Pazifisten nach 1918, der zwischen gemäßigten und radikalpazifistischen Positionen changierte, hin zu einem 1933 aus Deutschland Vertriebenen, der durch einen Torpedoangriff eines deutschen U-Bootes auf ein Flüchtlingsschiff im Atlantik zusammen mit vielen anderen Passagieren ums Leben kam. Schäfers Biographie möchte Erkenntnisse der Historischen Friedensforschung und der Intellektuellengeschichte nutzbar machen. Dabei stützt sich der Autor maßgeblich auf die Veröffentlichungen Oldens und ein breites Spektrum an Literatur zur Kultur-, Gesellschafts- und Politikgeschichte und zu den intellektuellen Diskursen der Zwischenkriegszeit. Beides setzt Schäfer miteinander in Beziehung. Diese erkenntnisfördernde Vorgehensweise ist zugleich ein notwendiges Hilfsmittel, um das Denken und Handeln eines Nonkonformisten zu erschließen, der sehr spärliche Ego-Dokumente hinterlassen hat. Oldens Denkweisen und politische Überzeugungen lassen sich meist nur aus seinen Kommentaren zum Zeitgeschehen herausfiltern.

In groben Zügen informiert uns Sebastian Schäfer zunächst über Oldens Kindheit und Jugend, über soziale Verortung, konservativ-autoritäre Sozialisation, Schulbildung und Universitätsstudium, über erste, schlussendlich gescheiterte literarische Gehversuche, seine Freundschaften mit Arthur Schnitzler und Jakob Wassermann, seine Nietzsche-Rezeption, seine Erfahrungen mit Militarismus und Nationalismus. Es kann allerdings nicht eindeutig geklärt werden, ob es tatsächlich Oldens Kriegserlebnisse waren, die ihn zu einem Pazifisten geformt haben. Für die Lebensphase bis in die Anfänge der 1920er-Jahre kann sich Schäfer immerhin auf einige Briefzeugnisse stützen. Für die wichtigeren späteren Lebensjahre, in denen Olden als Journalist, Publizist, Strafverteidiger und Emigrant wirkte, fehlen diese Zeugnisse zumeist. In dem sehr knapp gehaltenen Kapitel über seine Londoner Emigrationsjahre verzichtet Schäfer gar auf eine mögliche Auswertung von Dokumenten über den deutschen PEN-Club im Exil und untersucht zudem nur flüchtig Oldens Beiträge in Exilzeitschriften. Sehr ausführlich hingegen sind die Darstellungen seiner Wiener (1919–1926) und seiner Berliner Jahre (1926–1933), zunächst als kommentierender Journalist von Tagesereignissen, als Publizist einiger historisch-politisch ausgerichteter Schriften, schließlich als Rechtsanwalt in spektakulären politischen Prozessen, im Kampf gegen politische Reaktion, Justizwillkür, Militarismus und Nationalsozialismus.

Ein prinzipiell nachvollziehbarer Zugriff ist es, Rudolf Olden den zeitgenössischen Bewegungen, Strömungen, Parteien, Gruppierungen und Denkmustern zuzuordnen. In allen Teilen wirklich überzeugend gelungen erscheint mir dies bei meist dürftiger Quellenlage und dem Zwang zur Analogiebildung leider nicht. Schäfer gesteht ein, dass es Olden zum Ende des Weltkriegs noch „an politischer Bewusstseinsschärfe“ (S. 77) mangelte, so dass zwar seine Abwendung vom preußisch bestimmten obrigkeitsstaatlichen, antiliberalen Denken erkennbar wird, aber keine eindeutige Festlegung auf eine neue politische Überzeugung. Seine Sympathie für pazifistische Ideen sei zwar offensichtlich, durch welche Einflüsse sie aber genau ausgebildet wurden, bleibt ungesichert. Zugegeben, Olden arbeitete in Wien bei pazifistischen Wochenzeitschriften mit, er setzte auf den Reformwillen der neuen deutschen Republik, wollte gar eine Ergänzung des Parlamentarismus durch eine irgendwie geartete Herrschaft der Geistigen und eine Schulreform, die eine Änderung der autoritären Gesinnungen einer Mehrheit der Bevölkerung hin zu demokratischen Überzeugungen befördert hätte. Aber Schäfers Zuordnungen bleiben oft im Ungefähren – und das äußerst sich vielfach in einer von Vorsicht und Vorläufigkeit geprägten Wortwahl. Einige Beispiele: „Olden, dessen pazifistischen Anschauungen sich wohl erst in den politischen Tumulten der Republikgründung formiert haben dürften […]“ (S. 102). Die Idee Kurt Hillers über eine Herrschaft der Geistigen sei „durchaus vergleichbar mit derjenigen, die Olden formuliert hatte, wenngleich diese von ihm nicht derart radikal und eindeutig postuliert worden war“ (S. 103). „Inwiefern Olden selbstkritisch seine eigene Haltung zum Kriegsausbruch im Sommer 1914 aufzuarbeiten versuchte, muss offenbleiben“ (S. 115).

Rudolf Olden war in die unmittelbare Nachkriegspolitik in Deutschland nicht involviert. Als Journalist in Wien blieb er kommentierender Betrachter der Entwicklungen im Reich vom benachbarten Ausland aus, wenngleich hellsichtig und mit geschärfter Urteilsgabe. Allerdings betätigte er sich als Vermittler zwischen Österreich und Deutschland und brachte Politik und Gesellschaft in Österreich deutschen Leser/innen nahe. Nur gelegentlich konnte Olden seinen österreichischen Leser/innen auch Eindrücke über deutsche Verhältnisse aus erster Hand berichten, wenn er sein Heimatland bereiste. Aber mitunter hielt er sich fern vom zu berichtenden Geschehen auf: Beim Ausbruch der Ruhrkrise 1923 war er in Brasilien und Argentinien. Dass Olden dabei über die Einschätzungen innerhalb des deutschen Pazifismus zum passiven Widerstand gegen die Ruhrbesetzung informiert war, erscheint höchst zweifelhaft. Schäfer gesteht ein, dass Oldens „Argumentationsmuster quer zur Mehrheit der Friedensbewegung in Deutschland“ waren (S. 136). Das ist wahrlich kein überraschender Befund.

Weshalb Schäfer viel zu ausführlich die unterschiedlichen Organisationen der deutschen Friedensbewegung und deren politische Ausrichtungen vorstellt, ohne dass Olden nachweislich diesen Verbänden jemals angehört und aktiv mitgewirkt hat, verwundert. Oldens Vorstellungen sollen, so wie sie sich aus seinen Artikeln herauslesen lassen, den verschiedenen pazifistischen Strömungen zugeordnet werden. Schäfer stellt fest, Olden habe keinen Zugang zu radikalpazifistischen Überzeugungen gefunden und als Anhänger eines deutsch-französischen Ausgleichs, Befürworter der Paneuropaidee und Unterstützer eines Völkerbundes mit Sanktionsmöglichkeiten gegen Friedensstörer habe er dem gemäßigten Pazifismus zugeneigt. Aber es muss Spekulation bleiben, ob oder inwiefern er von diesen Positionen überhaupt maßgeblich beeinflusst worden ist. Fern von Deutschland, fern von Berlin, fehlten ihm Informationen aus erster Hand, erst recht über Flügelkämpfe und weltanschauliche Dispute im organisierten Pazifismus. Und auch in Wien blieb Olden partei- und verbandspolitisch ungebunden. Seine „Übereinstimmungen zu den Hauptströmungen des Weimarer Pazifismus waren punktuell und dienten der Unterfütterung und Herausbildung eigener Positionen“ (S. 186), wie Schäfer selbst konstatiert.

Erst Rudolf Oldens Wechsel 1926 nach Berlin, sein Eintritt in die Redaktion des Berliner Tageblatts, seine Beiträge für die Weltbühne und das Tagebuch brachten ihn der deutschen Friedensbewegung etwas näher. Er wurde zu einem wichtigen Rechtsberater der Deutschen Liga für Menschenrechte, attackierte besonnen, aber bestimmt die politische Justiz und forderte eine grundlegende Justizreform. Als Journalist verurteilte er geheime Rüstungen der Reichswehr, illegale Wehrformationen, die Verfolgung von Pazifisten mit dem Verdikt des Landesverrats, wies auf Fememorde von Rechtsradikalen hin. Wenngleich er Militarisierungstendenzen argwöhnisch verfolgte, hoffte er auf eine Republikanisierung der Reichswehr und rechtfertigte die Existenz des Reichsbanners zur Verteidigung der demokratischen Republik. Als geschickter Strafverteidiger trat er gegen Ende der Weimarer Republik auf. Nicht zuletzt die Verteidigung Carl von Ossietzkys machte ihn zu einem unerschrockenen Anwalt der Republik. Noch im Februar 1933 organisierte er den Kongress „Das freie Wort“, auf dem renommierte demokratische Schriftsteller gegen die beginnende Nazidiktatur protestieren.

Oldens Jahre im englischen Exil werden von Sebastian Schäfer nur gestreift, obgleich er ab 1934 bis zum Ende seines Londoner Exils als rühriger Sekretär des Deutschen PEN-Clubs im Exil tätig war, sich als Mitarbeiter der American Guild for German Cultural Freedom für die Unterstützung emigrierter Schriftsteller verwendete und ihnen bei der Flucht vor den Nationalsozialisten half.2 Für seine Darstellung und Analyse der Exiljahre stützt sich Schäfer auf die Quellenstudien der britischen Historikerinnen Charmian Brinson und Marian Malet.3

Der Eindruck von Sebastian Schäfers Monographie bleibt zwiespältig. Den Journalisten als Intellektuellen zu begreifen, ist – wie der Autor selbst zugibt (S. 418f.) – nur eingeschränkt nachvollziehbar. Auch Olden mit dem Etikett des Pazifisten zu belegen, erfasst nur einen Teil seines Wirkens und Handlungsspektrums. Ärgerlich sind die gehäuften Verstöße gegen Regeln der Silbentrennung, der Grammatik und Lexik. Es wird nicht immer korrekt zitiert (z.B. S. 8 und S. 15: erhebliche Auslassungen werden nicht markiert; der Urheber einer Äußerung bleibt ungenannt). Dennoch ist es ein Verdienst der Dissertation, Rudolf Olden als ungebundenen Pazifisten, Paneuropäer und Menschenrechtler nach 1919 vorgestellt und ihn dabei mit einem Panorama von Ideen und Strömungen seiner Zeit verbunden zu haben.

Anmerkungen:
1 Sylvia Asmus/Brita Eckert (Hrsg.), Rudolf Olden. Journalist gegen Hitler – Anwalt der Republik, Leipzig 2010.
2 Ein Beispiel für die Unterstützung durch Olden findet sich bei Daniel Münzner, Kurt Hiller. Der Intellektuelle als Außenseiter, Göttingen 2015, S. 222–224.
3 Zum Beispiel Charmian Brinson / Marian Malet, Rudolf Olden in England, in: Siglinde Bolbecher (Hrsg.), Zwischenwelt 4. Literatur und Kultur des Exils in Großbritannien, Wien 1995, S. 193ff.