Ch. Christ-von Wedel: Die Äbtissin

Cover
Titel
Die Äbtissin, der Söldnerführer und ihre Töchter. Katharina von Zimmern im politischen Spannungsfeld der Reformationszeit
Weitere Titelangaben
unter Mitarbeit von Irene Gysel, Jeanne Pestalozzi und Marlis Stähli


Autor(en)
Christ-von Wedel, Christine
Erschienen
Anzahl Seiten
356 S.
Preis
CHF 38,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
André Holenstein, Historisches Institut, Universität Bern

Im Schlusswort zu dieser vom Verlag sehr ansprechend aufgemachten, reich illustrierten Biographie der letzten Äbtissin des Zürcher Fraumünsterstifts findet sich so etwas wie ein Motto: «Dieses Buch stellte viele Fragen zu Katharina von Zimmern und musste vieles offen lassen. Aber allein, dass viele Fragen zu stellen waren, sagt viel aus. Es zeigt, wie viel-schichtig die Zeit war, in der Katharina lebte, wie viel auf sie einstürmte und wie viele Probleme sie meistern musste und auch meisterte» (S. 241). Es geht mithin um das Lebensbild einer Akteurin, deren Lebenslauf in der bewegten Zeit der frühen Reformation viele Fragen aufwirft, von denen sich aber nur die wenigsten aus den Quellen beantworten lassen. Weil insbesondere Selbstzeugnisse bis auf wenige Ausnahmen fehlen, bleibt vieles in der Vita Katharinas im Dunkeln. Dem will die Biographin dadurch abhelfen, dass sie das Leben der Hauptperson «im politischen Spannungsfeld der Reformationszeit» verortet, um so vom weiteren Kontext her mehr Licht auf die Herausforderungen werfen zu können, vor die sich die Äbtissin in ihrem Leben gestellt sah und die sie «auch meisterte». Die Formulierung verrät etwas von der Bewunderung und Sympathie der Autorin für die von ihr porträtierte Frau.

Katharina von Zimmern (1478–1547) ist in der Zürcher protestantischen Erinnerungstradition vor allem dafür bekannt, dass sie 1524 dem Zürcher Rat die 853 von König Ludwig dem Deutschen in Zürich gestiftete, später gefürstete Abtei mit allen Rechten und Besitzungen übergab und damit in der Frühzeit der Zürcher Reformation die Säkularisation der Klöster im Herrschaftsbereich der Stadt Zürich einläutete. Diese Tatsache verhalf ihr auch im Geschichtsdrama «Zwingli», das im Reformationsjahr 2019 sehr erfolgreich in den Schweizer Kinos gezeigt wurde und dem breiten Publikum die Geschichte der Frühreformation näherbringen sollte, zu einer prominenten Nebenrolle neben den grossmehrheitlich männlichen Protagonisten des Religionsstreits. Welches die Ursachen und Hintergründe für das von der schwäbischen Adeligen eigenmächtig beschlossene Ende der fast 700jährigen Abtei waren, blieb im Film allerdings ebenso unklar, wie dort auch die kurz darauf erfolgte Heirat Katharinas mit dem württembergischen Adeligen Eberhard von Reischach, einem bekannten Söldnerführer und Gefolgsmann Herzog Ulrichs von Württemberg, unerwähnt blieb.

Viel weiter holt dagegen das Buch der bekannten Erasmus-Forscherin und Reformationshistorikerin Christine Christ-von Wedel aus, das sie – ebenfalls aus Anlass des Zürcher Reformationsjubiläums 2019 – mit tatkräftiger Unterstützung von Irene Gysel, Jeanne Pestalozzi und Marlis Stähli verfasst hat. Die Mitarbeiterinnen haben der Autorin mit aufwändigen Recherchen in schweizerischen und ausländischen Archiven, mit genealogischen Forschungen sowie Transkriptionen von Quellen zugearbeitet. Besonders hervorzuheben ist der Beitrag von Marlis Stähli, die dem Band eine mehr als 50 Seiten umfassende, klug ausgewählte und eingehend kommentierte Edition von neu erschlossenen und bislang nicht veröffentlichten Quellen beigegeben hat, auf die die Autorin im erzählerischen Teil der Biographie konsequent Bezug nimmt.

Zeitlich liegt der Schwerpunkt der Lebensbeschreibung auf den letzten circa 25 Lebensjahren der früheren Äbtissin. Weil Katharina von Zimmern in diesem Zeitraum selber kaum mehr als eigenständige Akteurin in Erscheinung trat und ihre persönliche Haltung und Einstellungen zu den grossen und kleinen Fragen der damaligen Zeit in den Quellen kaum fassbar werden, erweitert die Biographin ihre Darstellung über weite Strecken zu einer Geschichte der Frühzeit der Reformation in Zürich und darüber hinaus in der deutschen Schweiz. Thematisch im Vordergrund stehen damit die Hintergründe der Übergabe der Abtei an den Zürcher Rat und die Zürcher Klosterpolitik, die diplomatische und militärische Rolle der Stadt Zürich in den Bemühungen des aus seinem Fürstentum vertriebenen Herzogs Ulrich um die Rückeroberung Württembergs, die sozialen Unruhen in der Landbevölkerung und die diplomatische Bestrebungen der Stadt Zürich, sich aus ihrer allianzpolitischen Isolation innerhalb der Eidgenossenschaft zu befreien und ihren religions- und machtpolitischen Machtbereich insbesondere in der Nordostschweiz zu erweitern. Behandelt werden sodann das Pensionenwesen, die Kappeler Kriege und die politischen Wirren in der Folge der Niederlage Zürichs und Berns 1531. Näher an die Person der Katharina von Zimmern gelangt die Darstellung jeweils dort, wo sie den Schleier über die uneheliche Tochter der Äbtissin lüftet sowie die Umstände von Katharinas späterer Heirat, ihrer Mutterschaft und frühen Witwenschaft sowie das Schicksal ihrer Nachkommen schildert. Doch auch in diesen Kapiteln muss sich die Biographin mangels unmittelbarer Selbstzeugnisse immer wieder mit allgemeinen Ausführungen zum Eheleben, zu Frömmigkeit und Sexualität, zu Schwangerschaft und Kindererziehung im 16. Jahrhundert behelfen, um den Handlungsrahmen ihrer Protagonistin zumindest tentativ auszuloten. Die Verfasserin tut dies dank ihrer intimen Kenntnisse der Kirchen-, Geistes- und Theologiegeschichte des Humanismus und der Reformation gekonnt, so dass sich die Darstellung bisweilen zu einer allgemeinen Beschreibung der grossen Fragen weitet, die die «so widersprüchliche und an Gegensätzen so reiche Zeit […] der Reformation in Zürich» (S. 19) aufwarf. Dazu passt auch, dass die Autorin immer wieder Positionen des Erasmus (zur Gewissensfreiheit, zur Bibelkritik, zum Koran) einbringt und es so dem/r Leser/in ermöglicht, allzu selbstsichere Positionen der Reformatoren zu hinterfragen. Neue Erkenntnisse zum geistigen und kulturellen Horizont ihrer Protagonistin gewinnt sie auch aus der methodisch überzeugenden und interpretatorisch beeindruckenden ikonographischen Entschlüsselung des Bildprogramms und der Sprüche, mit denen Katharina von Zimmern den zwischen 1506 und 1508 neu errichteten Trakt im Fraumünster ausstatten liess.

Dem Rezensenten scheinen in der Fülle der durchwegs triftigen Beobachtungen einige Ergebnisse der Analyse besonders erwähnenswert. Mehrmals bringt die Biographin das Schicksal der Katharina von Waldburg, der letzten Äbtissin des 1528 durch die Stadt Bern säkularisierten Klosters Königsfelden, vergleichend in die Betrachtung ein. Die beiden Äbtissinnen aus dem schwäbischen Adel waren Cousinen – Katharina von Zimmern aus einer Familie, die dem Herzog von Württemberg nahestand, Katharina von Waldburg dagegen war die Schwester des Statthalters, der nach der Vertreibung Ulrichs aus Württemberg das Herzogtum im Auftrag der Habsburger verwaltete. Die Präsenz der beiden adeligen Damen an der Spitze der altehrwürdigen Stifte Fraumünster und Königsfelden zeugt von den noch im frühen 16. Jahrhundert starken transregionalen Beziehungen zwischen dem Südwesten des Reichs und der Eidgenossenschaft. Dazu passt auch die Tatsache, dass sie beide nach ihrem Austritt aus dem Kloster mit Eberhard von Reischach bzw. Georg Göldli prominente Söldnerführer heirateten, die die Bereitstellung von militärischer Schlagkraft für die turbulenten machtpolitischen und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Reich, Habsburg, dem Schwäbischen Bund und den eidgenössischen Orten an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert als lukratives Geschäftsmodell entdeckt hatten. Apologetischen Versuchen, die Übergabe der Fraumünsterabtei an die Stadt Zürich mit der reformatorischen Gesinnung der Äbtissin oder mit deren Sorge um die Wahrung des Friedens in der Stadt rechtfertigen zu wollen, hält die Verfasserin ihren nüchternen Befund entgegen: Die Säkularisierung der Abtei und Katharinas Heirat mit einem engen Vertrauten Herzog Ulrichs von Württemberg seien im Rahmen der gemeinsamen Bemühungen Ulrichs und der Stadt Zürich zu verorten, an der Jahreswende 1524/25 mit einem Feldzug in das von den Habsburgern besetzte Herzogtum nicht nur den vertriebenen Herzog wieder als regierenden Fürsten einzusetzen, sondern auch Württemberg der Reformation zuzuführen und damit Zürich an seiner Nordgrenze vom habsburgischen Druck zu befreien. Mit der wünschenswerten Klarheit benennt die Verfasserin sodann auch, was die Übergabe der Abtei an den Zürcher Rat war: «Hier […] wurde gegen weltliches und kirchliches Recht eine der überkommenen Kirche unterstehende selbstständige Stiftung bedingungslos in weltliche Hände gelegt und ihre geistliche Bestimmung aufgehoben. Das war ein ungeheurer Rechtsbruch» (S. 74). Der Rat von Zürich war froh, dafür keine Verantwortung übernehmen zu müssen, und honorierte die ehemalige Äbtissin für ihre Entscheidung mit einer ausgesprochen grosszügigen Pension.

Ein Personenregister, die Stammbäume der Familien von Zimmern, von Reischach, von Mandach, Göldli und von Waldburg sowie eine Zeittafel bieten nützliche Orientierung am Schluss eines Buches, das der Absicht der Autorin vollauf gerecht wird, wissenschaftlichen Ansprüchen genügen und leicht lesbar sein zu wollen.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/
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