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Titel
Hüter ihrer Nationen. Studentische Verbindungen in Deutschland und Polen im 19. und frühen 20. Jahrhundert


Autor(en)
Lausen, Sabrina
Reihe
Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen 21
Erschienen
Köln 2020: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
507 S.
Preis
€ 65,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philip Rosin, Abteilung Zeitgeschichte, Konrad-Adenauer-Stiftung

Einer ambitionierten Aufgabe hat sich Sabrina Lausen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Institut der Universität Paderborn, in ihrer Dissertation gewidmet. Sie untersucht darin Strukturmerkmale, Verhaltensweisen und Einstellungen deutscher und polnischer Verbindungsstudenten zwischen dem Vormärz und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. Den bisher ganz überwiegend auf Studentenverbindungen im deutschsprachigen Raum gerichteten Blick der Forschung möchte sie mit ihrem Buch erweitern, „indem es mittels eines transnationalen bzw. transkulturellen Ansatzes das als ‚singulär deutsch‘ empfundene Verbindungswesen in einen bilateralen Kontext stellt und den Blick für ähnliche Gruppierungen in anderen Kulturen öffnet“ (S. 13).

Als Vorbilder dienen ihr die Pionierstudien von Sonja Levson zu Tübinger und Cambridger Studenten im frühen 20. Jahrhundert sowie von Thomas Weber zu Heidelberg und Oxford.1 Anders als in diesen Untersuchungen zieht Lausen jedoch nicht bestimmte Universitätsstädte als Vergleichskriterium heran, sondern jeweils drei Verbindungstypen beziehungsweise Dachverbände, so im deutschen Fall die „Deutsche Burschenschaft“ (DB), den „Kösener Senioren-Conventsverband“ der Corps (KSCV) sowie den „Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen“ (CV) als einen von zwei zentralen katholischen Dachverbänden.

Der deutsch-polnische Vergleich gelingt insgesamt nur bedingt, weil die Parameter einfach zu unterschiedlich sind: Ein polnischer Staat und damit vergleichbare Strukturen auch mit Blick auf das Hochschul- und Verbindungswesen existierten nur in der Endphase der Untersuchung zwischen 1919 und 1939, den sehr guten Archivbeständen auf deutscher Seite steht, bedingt durch Unterdrückung in der Teilungszeit sowie später Krieg und Verfolgung, eine disparate Quellenlage zu den polnischen Verbindungen gegenüber und die Übermittlung und Übernahme von studentischem Brauchtum war, wie Lausen selbst zugesteht, „ein einseitiger Transfer“ (S. 436) von der deutschen zur polnischen Seite. Entsprechend werden in den einzelnen thematischen Kapiteln zumeist separat zunächst die deutschen und anschließend die polnischen Entwicklungen abgehandelt und kaum miteinander verwoben.

Wenn man sich als Leser etwas von dem theoretisch-transnationalen Ansatz der Untersuchung löst, ergibt sich gleichwohl eine sehr gewinnbringende kulturhistorische Studie zu den Charakteristika des Verbindungswesens in seiner Blütezeit. Besonders die Kapitel drei, fünf und sechs zum Selbstbild, zur Geschlechterfrage und zum Ehrgefühl mit Blick auf Duell und Mensur sind gelungen, wozu die akribische Auswertung wichtiger Publikationsorgane der Dachverbände wie der „Burschenschaftlichen Blätter“, der „Deutschen Corpszeitung“ und der katholischen „Academia“ wesentlich beiträgt. Auf diese Weise kann Lausen beispielsweise überzeugend nachweisen, dass – anders als bei Christopher Dowe dargestellt2 – katholische Verbindungsstudenten trotz des ihnen auferlegten Duell- und Mensurverbots – wie die Angehörigen der schlagenden Verbindungen auch – das militärische Selbstbild des „Ritters“ zum Maßstab erhoben: „Das Ritter-Motiv war folglich in den katholischen Verbindungen ebenso programmatisch wie in den schlagenden, allerdings mit dem Unterschied, dass das Motiv der Corps wie der Burschenschaft für gewöhnlich sinnhaft mit Duell und Mensur sowie mit dem Schutz der persönlichen Ehre verknüpft war, während sich die Mitglieder des CV vor dem Hintergrund des Kulturkampfes auf den Hochschulen Deutschlands und der Donaumonarchie nicht nur verstärkt als Kreuz- und Gralsritter fühlten, sondern in ihrem Selbstbild auch von der katholischen Kirche bestärkt wurden.“ (S. 295)

Wie auch Lausens Untersuchung verdeutlicht, gab es im späten Kaiserreich – gerade bei den Burschenschaften – durchaus Modernisierungs- und Reformtendenzen. Die Reformüberlegungen betrafen eine Lockerung des Trinkzwangs, ein – freilich unterhalb der Schwelle der Gleichberechtigung und der Mitgliedschaft – größeres Verständnis für die Emanzipation von Frauen und deren stärkeren Einbeziehung in das Verbindungsleben sowie eine zumindest partielle Hinterfragung der Wichtigkeit der Mensur zugunsten sportlicher Aktivitäten. Bei diesen Themen ergab sich ein Generationenkonflikt, denn Widerstand gegen Neuerungen dieser Art kam neben einem Teil der Aktivitas zumeist von den „Alten Herren“ der Verbindungen, die im Führen des Säbels oder Heben des Bierkrugs weiterhin angeblich sinnvolle Erziehungsziele zum Zwecke der männlichen Abhärtung sahen. Beispielsweise stellte ein Philister 1914 in der Deutschen Corpszeitung die Frage, „sollen wir denn so werden wie die Weiber, am warmen Ofen auf weichem Pfühl unsere Limonade lutschen? […] Wir haben so viele große Männer in unseren Reihen – und alle haben sie nur eine Aktivität mit Trinkzwang gekannt – die uns beweisen, daß eine trinkfröhliche Aktivität der Entwicklung von Geist und Körper nicht so schädlich sein kann, wie die modernen Schreier und Reformer immer behaupten“ (S. 320). Eine Abkehr vom Trinkzwang galt somit als unmännlich, trotzdem wurde er zumindest bei Burschenschaft und CV offiziell vollzogen.

Aspekte der Männlichkeit spielten auch bei der Frage des Umgangs mit dem weiblichen Geschlecht eine nicht unwesentliche Rolle. War den Damen zunächst nur die Rolle des „schmeichelnden Spiegels“ (Pierre Bourdieu) zugedacht, weitete sich die Perspektive seit Ende des 19. Jahrhunderts, als Frauen zuerst als Gasthörerinnen und später als Studentinnen an die Universitäten kamen. Zwar war eine gleichberechtigte Teilnahme ausgeschlossen, doch rein als schmückendes Beiwerk konnten die Kommilitoninnen auch nicht mehr betrachtet werden. Recht aufgeschlossen zeigten sich interessanterweise die katholischen Verbindungen. Nicht nur gab es bereits positive Erfahrungen mit katholischen Frauenvereinen, aufgrund der gemeinsamen Glaubensüberzeugung war auch eine inhaltliche Basis vorhanden. Einen eigenen Akzent setzt Lausen mit der Betonung der „pädagogische[n] Funktion“ (S. 330) von Frauen gegenüber Verbindungsstudenten, der in den Quellen aufscheint. Auf Männlichkeitsrituale allein wollte man sich bei der Erziehung dann doch nicht verlassen, sondern schrieb dem Einfluss der Frauen eine positive Wirkung auf die Entwicklung der Verbindungsstudenten zu; diese sorgten für die „feinste, letzte Politur“ wie es beispielsweise in einer Verbandszeitung hieß.

Der Erste Weltkrieg und die zunehmende Dominanz völkischen Gedankenguts in den 1920er-Jahren setzten den reformerischen Überlegungen innerhalb der Verbindungen ein frühes Ende und führten gerade in gesellschaftlichen Fragen eher zu Rückschritten. Eine deutliche Veränderung ergab sich allerdings in der bereits seit der Kaiserzeit kontrovers geführten Debatte, inwieweit sportliche Aktivitäten zu Lasten der studentischen Mensur gestärkt werden sollten. An dieser Stelle zeitlicher Parallelität kann Lausen den deutsch-polnischen Vergleichsansatz gewinnbringend ins Feld führen. Im Deutschen Reich setzte sich infolge von Demobilisierung und erzwungener Abschaffung der Wehrpflicht bei den Verbindungen die Ansicht durch, dass dieser Nachteil durch die körperliche Ertüchtigung der eigenen Mitglieder ausgeglichen werden müsse und gleichsam patriotische Pflicht sei. Damit ging freilich eine nicht unproblematische Tendenz zum Wehrsport einher. In Polen waren umgekehrt Staatlichkeit und Wehrpflicht gerade erst wieder entstanden. Sportliche Aktivitäten gewannen zwar auch bei den polnischen Verbindungsstudenten in der Zwischenkriegszeit an Interesse, wobei man sich durchaus an der Tendenz für mehr Sport bei deutschen Studenten orientierte, aber das war gerade nicht mit einer militärischen Komponente wie in Deutschland verbunden.

Wie die große Bandbreite verschiedener Meinungen zu Themen wie Trinkzwang, Mensur und Geschlechterfrage verdeutlicht, lohnt sich der vergleichende Blick zwischen verschiedenen Dachorganisationen oder auch nur zwischen einzelnen Verbindungen, sodass sich eine Vielzahl potenzieller Forschungsperspektiven sowohl übergreifend als auch lokal an einzelnen Hochschulstandorten ergibt.

Es handelt sich insgesamt um eine gelungene kulturgeschichtliche Untersuchung zum Habitus und zu Formen verbindungsstudentischen Brauchtums deutscher und polnischer Korporierter, wobei der gewählte transnational-komparatistische Ansatz jedoch nicht vollständig zu überzeugen vermag.

Anmerkungen:
1 Sonja Levsen, Elite, Männlichkeit und Krieg. Tübinger und Cambridger Studenten 1900–1929 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 170), Göttingen 2006; Thomas Weber, Our friend „the enemy“. Elite education in Britain and Germany before World War I, Stanford 2008.
2 Christopher Dowe, Auch Bildungsbürger. Katholische Studierende und Akademiker im Kaiserreich (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 171), Göttingen 2006, S. 97.

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