L. Radonić u.a. (Hrsg.): Das umkämpfte Museum

Cover
Titel
Das umkämpfte Museum. Zeitgeschichte ausstellen zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung


Herausgeber
Radonić, Ljiljana; Uhl, Heidemarie
Reihe
Erinnerungskulturen / Memory Cultures 8
Anzahl Seiten
286 S.
Preis
€ 32,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristiane Janeke, Tradicia History Service, Berlin

Der Sammelband, der auf eine Konferenz in Wien 2018 zurückgeht, widmet sich der Frage, „welche neuen Formen des Ausstellens, Erzählens und Vermittelns […] notwendig [sind], um im Spannungsfeld zwischen Dekonstruktion der ‚großen Erzählungen‘ und positiver Sinnstiftung zu navigieren“ (S. 17). Er wirft damit ein Schlaglicht auf die komplexe Institution des Museums und leistet einen wichtigen Beitrag zu dem in der deutschsprachigen Literatur noch immer überschaubaren Forschungsfeld der Museumsanalyse. Die Gesamtschau der Beiträge verbindet Institutionsgeschichte mit der Untersuchung des Mediums Ausstellung, indem deren Inhalte, Narrative, Gestaltung, Inszenierung, emotionale Ansprache sowie Methoden der Vermittlung in den Blick genommen werden.

Im Fokus stehen Geschichtsmuseen und Gedenkstätten, was sich aus dem Titel zunächst nicht ergibt. Eine „Intervention in traditionelle Geschichtsbilder und in die Vorstellung scheinbar homogener, nationaler Wir-Gemeinschaften“, wie es in der Ankündigung der Konferenz hieß, leisten auch andere Museen, aktuell diskutiert am Beispiel ethnologischer und Kunstmuseen im Kontext des Humboldt Forums. Ebenfalls erstaunt die Beschränkung auf die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust, dies umso mehr, als zu einem überwiegenden Teil von Deutschland und Österreich die Rede ist. Gerade im deutschsprachigen Raum wäre die Einbeziehung der DDR-Geschichte erhellend gewesen. Schließlich hätte ein Blick über den europäischen und nordamerikanischen Tellerrand die Erkenntnisse profilieren können, etwa die Frage, wie zeitgeschichtliche Museen in Afrika, dem arabischen oder asiatischen Raum aufgestellt sind.

Tatsächlich rechtfertigt noch die Einführung der Herausgeberinnen diese breiteren Erwartungen. Funktionen und Potentiale zeitgeschichtlicher Museen werden hier als „Bezugspunkt gesellschaftlicher Selbstvergewisserung“ (S. 9) weit gefasst, gefolgt von der Einordnung des Sammelbandes in die wissenschaftliche Diskussion zwischen Identitäten und Narrativen an dem einen und Formen des Ausstellens und der Repräsentation am anderen Ende des Spektrums. Es folgt der einleitende Aufsatz von Martin Sabrow zum Thema Zeitgeschichtsschreibung als Ich-Erzählung. Ein Blick in das Konferenzprogramm zeigt, dass dies der einzige Text ist, der (mit Ausnahme des Beitrags zur Gedenkstätte Mauthausen) aus den Vorträgen zweier übergeordneter Panels geblieben ist. Diese waren den Fragen „Gedenkstätten als Ort der Sinnstiftung?“ und „Museen als moralische Anstalt?“ gewidmet. Sabrows Text kann diesen theoretischen Aufschlag für die meist aus der Praxis kommenden Beiträge nicht auffangen. Er beschränkt sich auf die Frage „Können […] Historiker über den Einfluss ihrer Lebenserfahrung auf ihre fachliche Arbeit angemessen reflektieren?“ (S. 27) und diagnostiziert die Zeitgeschichte kritisch als geprägt von „prononcierte[r] Subjektivität“ (S. 29). Der Text erweist sich als Einleitung für den Sammelband als nicht dienlich, weil er seinerseits kaum Bezüge zum Museum herstellt und die nachfolgenden Artikel wiederum (mit wenigen Ausnahmen) den von Sabrow konstatierten „Trend zur wissenschaftlichen Subjektivierung“ (S. 33) nicht thematisieren. Daraus ließe sich schließen, dass er offenbar keine oder nur eine untergeordnete Relevanz für die Museen im Gegensatz zur Forschung hat. Das mag falsch sein, aber die meisten Berichte aus der Museumspraxis stellen die Arbeit mit Biografien und Ego-Dokumenten als geeignete Methode der Vermittlung dar. Um hier eine Brücke zu schlagen, wäre angesichts der Herausforderungen, vor denen gerade die Gedenkstätten ohne Zeitzeugen stehen, eine Vertiefung der Ausführungen zur „Nobilitierung der Zeitzeugenschaft“ (S. 30) wünschenswert gewesen.

Das Buch ist in fünf Abschnitte gegliedert, von denen der zweite und fünfte in den Augen der Rezensentin als besonders gelungen gelten können. Der erste Teil, „Zeitgeschichtliche Museen jenseits des Nationalen“, umfasst einen Text von Andrea Mork über „Das Haus der Europäischen Geschichte“ in Brüssel, der anschaulich und zugleich selbstkritisch die Konzeptfindung des Museums beleuchtet, in deren Zentrum letztlich die Frage stand, ob es ein gemeinsames Gedächtnis Europas geben kann. Daniel Logemann erläutert in seinem Beitrag über das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig kuratorische Entscheidungen vor dem Hintergrund der um das Museum ausgetragenen politischen Kontroverse.

Im zweiten Abschnitt geht es um „Migration als neuer Zugang“. Tatsächlich lösen die drei Aufsätze den damit formulierten Anspruch ein, Migration nicht allein als Ausstellungsthema, sondern als komplexe Aufgabe für die museale Praxis zu begreifen. Dirk Rupnow stellt fest, anstelle der hartnäckigen Wahrnehmung von Migration als „Störfall und Problem“ gegenüber der Sesshaftigkeit (S. 77) müsse diese als Querschnittsaufgabe für alle Museumsarten und innerhalb der Museen verstanden werden. Regina Wonisch wirft einen Blick in die Geschichte von Museen, die, in den Wunderkammern universal angelegt, erst im 19. Jahrhundert eine Verengung auf die nationale Perspektive erfuhren. Angesichts der Globalisierung bestehe daher die Herausforderung, „den Blick nicht auf das ‚Andere‘, sondern auf das ‚Eigene‘, die Verfasstheit der Geschichtsmuseen selbst zu richten“ (S. 93). Eine Perspektive sieht die Autorin im neuen Typ der Weltmuseen (S. 101). Die Ausführungen von Georg Traska ergänzen das Feld, indem der Autor sich mit praktischen Methoden der Partizipation beschäftigt. Er führt zwei Beispiele an, das Ko-Kuratieren einer Dauerausstellung (S. 114f.) und ein wissenschaftliches Projekt mit Schülerinnen und Schülern (S. 120f.). Beide seien „nicht primär mit dem Ziel der Inklusion neuer Communities ins Museum entwickelt“ worden (S. 123), sondern mit dem Ziel der „Erweiterung des kognitiven Raums“ aller Beteiligten.

„Opfer und Täter (nicht) sinnstiftend ausstellen – Nationalsozialismus und Holocaust im Museum“ ist das Thema des dritten Teils. Deborah Hartmann und Tobias Ebbrecht-Hartmann stellen „Yad Vashem als Resonanzort“ vor und zeigen, dass emotionale Erfahrung auch an nicht historischen Orten durch das „Zusammenspiel von Ort, Ausstellung und Erinnerung“ (S. 131) möglich sei. Ein besonderes Augenmerk legen sie auf die Frage, wie sich Täterbiografien integrieren lassen. Der zweite Text von Mirjam Zadoff zur Frage „Is it history that has the capacity to save us?“ wechselt zwischen Beispielen zu Formen der Erinnerung aus den USA, Skandinavien, Litauen, Polen und Deutschland sowie Museen, Gedenkstätten und Kunstprojekten und will damit zu viel. Dagegen schildert der Beitrag zu Mauthausen von Gudrun Blohberger und Christian Angerer die Chancen und Herausforderungen der Gedenkstättenpädagogik lebendig an konkreten Beispielen ihrer eigenen Erfahrungen.

Unter der Frage „Jüdische Museen als Korrektiv?“ fasst der vierte Block zwei Texte zusammen. Hanno Loewy eröffnet einen vergleichenden Blick auf die Geschichte und die Bezeichnung dieses Museumstyps „zwischen einer Zuschreibung des Gegenstandsfeldes und einer Zuschreibung von Identität“ (S. 187) in Westeuropa, den USA und Israel, der durch die Einbeziehung von Osteuropa an Kontur gewonnen hätte. Der Beitrag von Barbara Staudinger reflektiert „das Begehren der Politik gegenüber Jüdischen Museen“ (S. 202). Die Antwort darauf sollten Emanzipation und (räumliche) Öffnung sowie aktuelle Fragestellungen sein, um „Instrumentalisierungen des Museums“ (S. 209) entgegenzuwirken.

„Museen in postsozialistischen Ländern zwischen Europäisierung und nationaler Neuerfindung“ sind Gegenstand des letzten Abschnitts. Ljiljana Radonić analysiert Gedenkmuseen in elf Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zwischen Demokratieentwicklung und Geschichtspolitik. Sie unterscheidet jene Museen, die sich inhaltlich und ästhetisch an das westliche Holocaust-Narrativ anlehnen (S. 224), und solche, die „verlangen, dass [Europa] ihre Leiden unter […] der Sowjetunion anerkenne.“ (S. 227) Kenntnisreich zeichnet sie die Entwicklung von vor 1989 bis heute nach. Dabei vergleicht sie die Darstellung zu konkreten Themen wie dem Holocaust, dem Kommunismus oder dem Beitritt zur Europäischen Union unmittelbar, beschreibt die Museen also nicht einzeln hintereinander. So entsteht ein dichtes Bild davon, wie sich die sehr unterschiedlichen Kontexte in den Ländern im Museum spiegeln. Monika Heinemanns Ausführungen zur „Zeitgeschichte im polnischen Museumsboom" verortet die unterschiedlichen, oft einzeln besprochenen Museen in einem breiten politischen Kontext. Der Text ist damit auch eine Ergänzung des Beitrags zur Debatte um das Museum des Zweiten Weltkrieges im ersten Abschnitt. Katja Wetzel schließlich lenkt den Blick auf zwei weniger bekannte Museen in Riga zu den beiden Diktaturen und veranschaulicht daran die Veränderungen in der lettischen Erinnerungskultur.

Die Lektüre des Sammelbandes ist für Praktiker wie für Museumswissenschaftler gleichermaßen lohnend und anregend. Die Beiträge mit Literaturhinweisen am Ende jedes Textes bieten eine überzeugende Mischung aus Theorie und Praxis, die meisten Autorinnen und Autoren kommen selbst aus der Museums- und Ausstellungspraxis oder haben sich in der Forschung auf Museen spezialisiert. Zu bedauern ist, dass der Konferenzteil zu „museum goes digital“ sich nicht in der Publikation niederschlagen konnte (S. 22), sowie der weitestgehende Verzicht auf Fotos, die die Ausführungen hätten bereichern können.

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