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Title
The Bookshop of the World. Making and Trading Books in the Dutch Golden Age


Author(s)
Pettegree, Andrew; Der Weduwen, Arthur
Published
Extent
485 S.
Price
€ 16,50
Reviewed for H-Soz-Kult by
Mona Garloff, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck

Die beiden Buchhistoriker Andrew Pettegree und Arthur der Weduwen sind außerordentlich produktive Publizisten: Die vorliegende Studie erschien nahezu zeitgleich in englischer (Hardcover 2019) und niederländischer Sprache.1 Fast zur selben Zeit veröffentlichten sie ferner zwei detailreiche Studien zum niederländischen Zeitungsmarkt.2 Bemerkenswert an diesen Arbeiten ist die umfassende Quellenbasis, auf der die beiden Verfasser zur Druckgeschichte der Republik der Niederlande argumentieren. Vergleichbares gelingt nur wenigen Arbeiten zur Mediengeschichte der Frühen Neuzeit.

The Bookshop of the World changiert zwischen fach- und allgemeinwissenschaftlicher Ausrichtung. So führt die Einleitung auch allgemein in das „Dutch Golden Age“ ein, der Forschungsstand wird insgesamt nur knapp in Endnoten mit wenigen archivalischen Nachweisen erfasst. Die 70 Farbabbildungen des Bandes sind hervorragend gewählt, auch wenn der Haupttext nur teilweise direkten Bezug auf sie nimmt.

Die Vorstellung von einem „Goldenen Zeitalter“ bildet die Grundlage ihres Ansatzes: Vor diesem thematisieren sie, wie der Aufstieg zur florierenden Handelsnation im 17. Jahrhundert den Niederlanden auch im Buchhandel eine europaweit führende Stellung sicherte. Dieser Konnex wird bereits im Titel hergestellt: Er greift Voltaires Preisung Amsterdams als „magasin de l’univers“ (1722) auf, der damit allgemein das pulsierende wirtschaftliche Leben der Handelsstadt beschrieb. Als verlegerische Entscheidung ist die Titelwahl überraschend, als es bereits zwei frühere gleichlautende Publikationen zur niederländischen Buchgeschichte gibt.3 Die vorliegende Studie richtet den Fokus jedoch weniger auf die Rolle der Niederlande auf den europäischen Buchmärkten, sondern analysiert vorrangig die Praktiken des Herstellens von Druckwerken und des Handels auf nationaler Ebene.

Mit der Hervorhebung der Praktiken der Buchherstellung und -distribution („Making and Trading Books“) im Untertitel der Studie werden die Zielsetzungen der Verfasser unterstrichen. Es geht ihnen darum, Buchgeschichte unter erweiterter, praxeologischer Perspektive zu betreiben, was insbesondere die umfassende Einbeziehung von Archivmaterial bedeutet. The Bookshop of the World macht deutlich, wie diffizil die Erschließung des oft nur bruchstückhaft zugänglichen und heute weltweit zerstreuten Quellenmaterials ist – wenngleich die Druckgeschichte des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden deutlich besser als für viele Territorien des Heiligen Römischen Reichs überliefert ist.

Die Publikation nimmt einen umfassenden Blick auf die Produktpalette des Buchdrucks vor, die weit mehr als die in Nationalbibliographien wie dem Short-Title Catalogue Netherlands (STCN) verzeichneten Werke beinhaltet. Den Verfassern geht es dabei gerade um die Erfassung von „lost books“ (S. 16): Gebrauchsschrifttum, administrative Proklamationen, Gelegenheitsdichtung, Andachtsbücher, Pamphlete und Zeitungen – Quellen, die heute in ihrer Mehrheit nicht mehr physisch erhalten sind. Die Wahrscheinlichkeit der Überlieferung hängt ihnen zufolge stark mit dem Gebrauchsgrad der Schriften zusammen: Je weniger ein Druck genutzt wurde, etwa als Bestand einer gelehrten Sammlung, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit seiner Überlieferung (S. 17). Pettegree und der Weduwen setzen die Produktionskraft des niederländischen Druckgewerbes weit über der anderer europäischer Länder an: Sie gehen davon aus, dass die niederländische Republik im Lauf des 17. Jahrhunderts insgesamt um die 350.000 Einzeldrucke in etwa 300 Millionen Exemplaren produzierte (S. 16). Allein im administrativen Bereich wurden etwa 100.000 Erlässe gedruckt: Die Bedeutung des administrativen Schrifttums wird generell zu wenig in die Buchgeschichte einbezogen; demgegenüber macht die Studie deutlich, wie wichtig obrigkeitliche Aufträge für die Verleger als Einnahmequelle waren (S. 211).4

Das Buch ist in vier Hauptteile gegliedert („A New Republic“, „Pillars of the Trade“, „True Freedoms“, „Catastrophe and Redemption“). Diese widmen sich unterschiedlichen Genres, Akteuren sowie den politischen, wirtschaftlichen und religiösen Rahmenbedingungen: Das serielle Zeitungswesen, religiöse Gebrauchsliteratur, Schulbücher, administrative Dokumente, Gelegenheitsschrifttum für Hochzeiten, Dichtungen und Musikalien seien alles Drucke, die in ihrer Überlieferung mehrheitlich zu den „lost books“ zählen. Hier wird ein weitgefasstes Verständnis des gedruckten Buchs deutlich, das über das Kupferstichwesen zugleich in enger Verbindung zum Kunstmarkt stand. Als wichtige Rahmenbedingung für den Handel wird die religiöse Diversität der Niederlande vorgestellt, die Zensurbestimmungen ineffizient bzw. ihre Umsetzung unmöglich machte. Dies hatte wiederum zur Folge, dass in Auktions- und Verkaufskatalogen gezielt libri prohibiti als eigene Rubrik bzw. heterogene Autoren wie etwa Spinoza oder Hobbes beworben werden konnten.

Besonders wichtig sind den Autoren auch die Akteure, also die „Drucker, Buchverkäufer und Leser“, die für die niederländische Übersetzung auch titelgebend waren.5 Sie treten in unterschiedlichen Zusammenhängen der Studie immer wieder hervor. Neben den Verlagsdynastien Elzevier und Blaeu kommen der zum Calvinismus konvertierte Verleger Cornelis Claesz oder der Amsterdamer Zeitungsverleger Broer Jansz und schließlich Buchbesitzer selbst vor: Rembrandt, der 1659 in Konkurs geraten gerade einmal noch 22 Bücher besaß (S. 261), steht hier den Besitzern großer Privatbibliotheken mehrerer tausend Titel gegenüber. Leserinnen oder Druckerinnen und Verlegerinnen wie Franchyna Woedwaerdt, Susanna Veseler und Margaretha van Bancken werden hingegen nur summarisch im Abschlusskapitel behandelt.

Die Rolle der Niederlande auf den internationalen Buchmärkten thematisieren vor allem die letzten Abschnitte der Studie. Dazu gehört die Analyse der Funktionsweisen von Im- und Exporten des Buchmarktes: Einerseits wurden beispielsweise aufwendige lateinischsprachige Drucke wie Rechtskompendien oder naturwissenschaftliche Werke selten in den Niederlanden gedruckt, sondern vor allem über die Frankfurter Buchmesse importiert, und gegebenenfalls für den weiteren Export gehandelt. Andererseits hatten die Niederlande eine große Bedeutung für den Druck von Handels- und Verwaltungsdokumenten oder von Preislisten für die Dutch East India Company (VOC), womit auch die globale Ebene der niederländischen Kolonial- und Handelspolitik angesprochen wird.

Die Besonderheiten der Niederlande als republikanisches Herrschaftsgebilde, Welthandelsmacht und Ort religiöser Toleranz haben das Narrativ eines Goldenen Zeitalters geprägt, an dem die Verfasser festhalten. Sie argumentieren, dass das „miracle of the Dutch Republic“ (S. 3) in hohem Maße durch die führende Stellung der Buchproduktion mitbedingt worden sei. In zweierlei Hinsicht bedürfen die Ergebnisse der Studie einer Kontextualisierung, die über den Fokus auf das „Dutch Golden Age“ hinausgeht: In zeitlicher Perspektive ist erstens fraglich, ob die Jahrzehnte um 1700 eine klare Zäsur der niederländischen Buchgeschichte bedeuteten. Dem Narrativ des Goldenen Zeitalters folgend mag dieser Abschluss gerechtfertigt sein („catastrophe and redemption“), jedoch macht der abschließende Teil deutlich, dass das niederländische Buchgewerbe auch im 18. Jahrhundert äußerst produktionsstark blieb.

Zweitens bedürfen die Ergebnisse in Bezug auf die Bedeutung der Niederlande im europäischen Vergleich eine Kontextualisierung. Den Autoren zufolge druckten die Niederländer im Verhältnis zu einer Einwohnerzahl von weniger als zwei Millionen „ten times as many books as printers in France, Spain or the Italian city-states, and five time as many as in the Holy Roman Empire“ (S. 11). Aufgrund der fehlenden Grundlagenforschung in anderen Ländern ist es schwierig, über Hochrechnungen hinaus internationale Vergleiche vorzunehmen. Neben der ökonomischen Leistungskraft der Buchproduktion hatten die Niederlande zweifelsohne für Distributionsformen wie Auktionen oder Lotterien Vorbildfunktion in Europa (S. 396). Über ihre hervorgehobene ökonomische Stellung hinausgehend stellt sich dennoch die Frage, ob sich nicht ähnliche Befunde zur Ausdifferenzierung der Genres oder dem Buchbesitz etwa für einzelne Territorien des Heiligen Römischen Reichs nachzeichnen ließen. Ungeachtet dieser Überlegungen ist Andrew Pettegree und Arthur der Weduwen eine beeindruckende Gesamtdarstellung gelungen, die mit fundiertem Wissen und großer Erzählkraft vielfältige Einzelbeobachtungen zusammengeführt und die Faszination der Buchgeschichte weit über den fachwissenschaftlichen Horizont hinaus vermittelt.

Anmerkungen:
1 Andrew Pettegree / Arthur der Weduwen, De Boekhandel van de Wereld. Drukkers, boekverkopers en lezers in de Gouden Eeuw, Amsterdam 2019.
2 Arthur der Weduwen / Andrew Pettegree, News, Business and Public Information. Advertisements and Announcements in Dutch and Flemish Newspapers, 1620–1675, Leiden 2020; Dies., The Dutch Republic and the Birth of Modern Advertising, Leiden 2020. Siehe auch die Doppelrezension von D. Bellingradt dazu: Daniel Bellingradt, Rezension zu: Arthur der Weduwen / Andrew Pettegree, News, Business and Public Information. Advertisements and Announcements in Dutch and Flemish Newspapers, 1620–1675. Leiden 2020. / Arthur der Weduwen / Andrew Pettegree, The Dutch Republic and the Birth of Modern Advertising Leiden 2020, in: H-Soz-Kult, 23.04.2021, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-93912.
3 Christiane Berkvens-Stevelinck u.a. (Hrsg.), Le Magasin de l’univers. The Dutch Republic as the centre of the European book trade, Leiden 1992; Lotte Hellinga u.a. (Hrsg.), The bookshop of the world. The role of the Low Countries in the book-Trade 1473–1941, t’Goy-Houten 2001.
4 Vgl. jüngst Saskia Limbach, Government Use of Print. Official Publications in the Holy Roman Empire, 1500–1600, Frankfurt am Main 2021.
5 Siehe oben.

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