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Titel
Roger II of Sicily. Family, Faith, and Empire in the Medieval Mediterranean World


Autor(en)
Hayes, Dawn Marie
Reihe
Medieval Identities: Socio-Cultural Spaces
Erschienen
Turnhout 2020: Brepols Publishers
Anzahl Seiten
221 S.
Preis
75,00 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Krumm, Mittelalterliche Geschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der sizilisch-kalabrische Graf Roger II. (1095–1154) stieg erst zum Herzog, dann zum König eines neben der Insel Sizilien auch das süditalienische Festland – und zeitweise Teile Nordafrikas – umfassenden Reiches auf, das bis zur italienischen Einigung im 19. Jahrhundert Bestand haben sollte. In der Forschung galt er lange Zeit als mittelalterliche Anomalie, als proto-absolutistischer Begründer eines modernen Modellstaats, aufgeklärt und tolerant in seiner Haltung, strategisch kühl und teils ruchlos bei der Wahl seiner Mittel. Die jüngere Forschung hat die scheinbare Ausnahmegestalt gewissermaßen auf den Boden seiner mediterranen Herrschaft heruntergeholt. Die Anerkennung als gleichrangiger Herrscher durch den byzantinischen Kaiser oder den fatimidischen Kalifen war für Roger mindestens so wichtig wie die durch die Könige oder den Kaiser im Westen. Sein Königreich war ein Hybrid dieser verschiedenen kulturellen Einflüsse, was ihm ein anhaltend großes Interesse nicht nur von Seiten der Forschung garantiert.

In der Fülle an Literatur zu Roger und dem von ihm begründeten Königreich beansprucht die hier zu besprechende Monographie von Dawn Marie Hayes, die als Professorin an der Montclair State University in New Jersey lehrt, aufgrund des programmatischen Titels Roger II of Sicily einen prominenteren Platz. Es handelt sich jedoch nicht, wie man meinen könnte, um eine Biographie des Normannen; vielmehr liegt der Fokus auf drei Bereichen, die Hayes unter die Schlagworte Family, Faith and Empire gestellt hat. Konkret behandelt sie Rogers Ehen (S. 33–90), die Nikolaus-Verehrung (primär) in Süditalien (S. 93–135) sowie zwei Details der wohl berühmtesten bildlichen Darstellung des Königs: des Mosaiks in der Kirche S. Maria dell’Ammiraglio (La Martorana) von Palermo, auf dem Roger von Christus gekrönt wird (S. 139–185).

Jedem Bereich sind zwei Kapitel gewidmet, von denen die Hälfte zwischen 2013 und 2016 bereits in Form von Aufsätzen publiziert worden ist (Kapitel 3, 5 und 6 bzw. die Hälfte von „Faith“ und der gesamte Teil zu „Empire“). Das verbindende Element dieser Einzelstudien ist Hayes biographisches Interesse an der „agency“ Rogers II. und seinen mutmaßlichen „ambitious plans“, nämlich ein Großreich zu schaffen, das über Süditalien und Nordafrika hinaus auch das Byzantinische Reich und das Königreich Jerusalem hätte umfassen sollen (u. a. S. 26, 57). Wie Hayes in der knappen Einleitung (S. 25–29) erklärt, versteht sie Ehen, fromme Akte und visuelle Repräsentation als Mittel indirekter Machtausübung („oblique power“), mit denen Roger sowohl naturgegebenen wie gesellschaftlich-politischen Problemen bei der Verwirklichung dieser Pläne begegnet sei.

Entsprechend ihrer Fragestellung interessiert sich die Autorin in den beiden Kapiteln zu „Family“ vor allem dafür, wie Rogers Ehen bei seinem „state building“ halfen und was sie über seine größeren Ambitionen verraten. Da die Quellen hierzu wenig ergiebig sind, sucht sie Antworten über die familiären Kontexte der Frauen. Bei Rogers erster, um 1117 geschlossener Ehe mit Elvira betont sie den Ruf des (toten) Brautvaters, König Alfons’ VI. von Kasilien-Léon (†1109), als eines erfolgreichen Kämpfers gegen die Muslime auf der iberischen Halbinsel sowie den von Alfons beanspruchten kaiserlichen Rang. Hayes zufolge machte nicht allein dies die Ehe für den damals erst seit wenigen Jahren selbständig regierenden Roger II. attraktiv; vielmehr habe die Verbindung bei ihm den Wunsch geweckt, selbst auch Kaiser zu werden (S. 59). Letzeres ist reine Spekulation, ebenso wie Hayes überraschend eindeutige Identifizierung von Elviras Mutter (von der wir vor allem wissen, wer sie nicht war1) mit Gisela, der Tochter Graf Wilhelms I. von Burgund (S. 40 f.).

Anlass für Rogers spätere Ehen mit Sibylla von Burgund († 1150) und Beatrix von Rethel (†1185) gaben laut Hayes zwar der frühe Tod von vier der fünf Königssöhne (und natürlich der seiner ersten bzw. zweiten Frau); zugleich aber erkennt Hayes auch diesmal weitere strategische Überlegungen Rogers. Für die Heirat mit Sibylle sprachen demnach die Bedeutung des burgundischen Herzogshauses, ihre Verwandtschaft mit den Kapetingern (Hayes sieht hier eine Kontinuität zu Rogers ersten Ehe) und das Engagement ihrer Familie in der Kreuzzugsbewegung (61–63). Für die Ehe mit Beatrix wiederum habe sich Roger vor allem aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen zur herrschenden Dynastie in Jerusalem entschieden. Wie Hayes ausführlich – meines Erachtens jedoch wenig überzeugend – zu begründen sucht, habe Roger mit seiner dritten Ehe seine Aussichten steigern wollen, selbst König im vom Bürgerkrieg erschütterten Königreich Jerusalem zu werden (S. 64–89).

Im ersten Kapitel zu „Faith“ (Kapitel 3 der Gesamtzählung) geht Hayes allgemein auf die Nikolaus-Verehrung in der Normandie und in Süditalien sowie die Bedeutung der Nikolaus-Reliquien für Bari ein (S. 93–111). Das folgende Kapitel behandelt die Bedeutung des Heiligen speziell für Roger II. (S. 113–135). Den „devotional context“ seiner Nikolaus-Frömmigkeit erkennt Hayes in den natürlichen Gefahren für Rogers „Thalassokratie“. Ob sich eine persönliche Verehrung des Heiligen durch den König mit den von Hayes genannten Quellen belegen lässt, sei dahingestellt. Neben einer Kirchen- und einer Klostergründung mit dem Nikolaus-Patrozinium (S. 131f., 133f.) verweist sie auf die Darstellung des Heiligen auf Mosaiken in drei während Rogers Herrschaft gebauten bzw. im Bau befindlichen sizilischen Kirchen (Kathedrale von Cefalù, Cappella Palatina und S. Maria dell’Ammiraglio), auf die Emailplatte vom Ziborium in S. Nicola in Bari, auf dem Roger mit dem Heiligen dargestellt ist, sowie auf das Bild des Heiligen auf Münzprägungen aus dem festländischen Teil des Regnum.

In „Empire“ (S. 137–185), dem meines Erachtens deutlich schwächsten Teil des Buches, widmet sich Hayes schließlich der berühmten Mosaik-Darstellung Rogers II. in der Kirche S. Maria dell’Ammiraglio, der Stiftung seines engen Vertrauten und amiratus Georg von Antiochia. Hayes geht davon aus, dass Georg und Roger selbst Einfluss auf die Ikonographie genommen hätten und liest diese als Quelle für die Herrschaftsideologie des Königs (S. 141, 143, 169 und öfter). Ihr erster Ansatzpunkt bei der Bildinterpretation sind Lilien, die man mit etwas Phantasie auf Rogers an sich byzantinischem Gewand erkennen kann. Die weitreichenden Überlegungen, die Hayes an die Lilien knüpft, können hier nicht im Einzelnen wiedergegeben werden; letztlich dechiffriert sie das Motiv als visuelles Bekenntnis Rogers zu der von ihm gesuchten Nähe zu den Kapetingern (139–170).

Das abschließende Kapitel 6 ist dem Loros gewidmet, den Roger II. auf dem Mosaik trägt. Hayes schließt sich Ernst Kitzingers Beobachtung an, dass es sich um eine antiquierte Darstellung des byzantinischen Herrschaftszeichens handelt. Zugleich betont sie, dass Roger (und Georg) die Darstellung bewusst übernommen hätten, sie also abermals Rückschlüsse auf Ideen des Königs erlaube. In einem eher assoziativen Gedankengang (bei dem Hayes westliche Troja-Ursprungserzählungen aus dem Frühmittelalter ebenso bespricht wie das byzantinische Zeremonienbuch aus dem 10. Jh.) meint die Autorin den Loros und überhaupt das gesamte Mosaik als politische Propaganda entschlüsseln zu können, mit der die von Roger II. und Georg von Antiochia geplante Eroberung des Byzantinischen Reiches habe unterstützt werden sollen (S. 171–185).

Eine ausgewogene Beurteilung der Studien fällt nicht leicht. Positiv hervorzuheben ist sicherlich Hayes’ Fokus auf verschiedene, bislang eher weniger behandelte Facetten der Biographie Rogers II., namentlich die Frage nach den Motiven bei seinen Eheschließungen oder die immer wieder hervorgehobene, für den König zweifellos schwierige Situation gegen Ende seines Lebens, als vier seiner fünf Söhne verstorben waren. Demgegenüber überwiegt leider der negative Gesamteindruck. Dieser rührt nicht so sehr von dem offensichtlich durch die Textgenese bedingten Gefühl her, eher eine Aufsatzsammlung als eine Monographie vor sich zu haben (selbst die in den Obertiteln genannten Bereiche „Family“ oder „Faith“ werden in Bezug auf Roger eher eklektisch als umfassend behandelt).

Deutlich schwerer wiegt aus meiner Sicht Hayes' unbedingter Wille, ihre Grundthesen beweisen zu wollen und ihr dabei praktizierter Umgang mit den Quellen. Im Grunde hat sie eine sehr konkrete Vorstellung von der Persönlichkeit Rogers II. Angetrieben werde er einerseits von seiner Begeisterung für die Kapetinger, andererseits vom Wunsch, eines Tages als Kaiser in Konstantinopel zu herrschen. Nun ist die These, Roger II. sei eigentlich zu (noch) Größerem berufen gewesen und habe ein Großreich im östlichen Mittelmeer errichten wollen, nicht neu.2 Nur wird sie in der jüngeren Forschung kaum mehr vertreten – und das mit guten Gründen, schließlich stützen die Quellen die These eines solchen Plans keineswegs so eindeutig, wie Hayes ihren Leser/innen Glauben macht. In kritischer Auseinandersetzung mit der lange Zeit kolportierten These, Roger II. habe spätestens ab dem Jahr 1148 alles daran gesetzt, mit Hilfe u. a. Bernhards von Clairvaux einen Kreuzzug gegen Byzanz zu organisieren (von Hayes u. a. auf S. 80–85, 184f. vertreten), hat Timothy Reuter bereits 2001 auf die Versuchung hingewiesen, die verstreuten Quellenaussagen zu einer glatten und kohärenten Erzählung zusammenzufügen, „brushing any lumps of uncertainty under the nearest available carpet“.3 Hayes ist dieser Versuchung sichtlich erlegen. Ihr dienen alle Quellen als Beleg für Rogers „ambitious plans“, gleichviel ob es sich um Urkunden, Hagiographie, Historiographie, Predigten, Münzen, Sakralkunst handelt (um nur einige zu nennen). Der Preis dafür ist meines Erachtens eine Banalisierung und Reduzierung sowohl Rogers II. selbst, mehr noch aber der komplexen sozialen Realität seiner Zeit und letztlich sogar des Politischen.4 Etwa für das Martorana-Mosaik und die Emailplatte in Bari hat Mirko Vagnoni jüngst eine ungleich überzeugendere Neudeutung vorgelegt, indem er den jeweiligen memorialen Entstehungskontext zum Ausgangspunkt seiner Analyse gemacht hat.5

Hayes endet mit der Überlegung, wie sich die Geschichte des östlichen Mittelmeerraums entwickelt hätte, wenn Roger seine „ambitious plans“ hätte realisieren können. Die Forschung zum Begründer des Königreichs Sizilien ist da eigentlich schon weiter.

Anmerkungen:
1 Vgl. Hubert Houben, Roger II. von Sizilien, Herrscher zwischen Orient und Okzident, 2. Aufl., Darmstadt 2010, S. 37, 186 (mit weiterer Literatur).
2 Vgl. z. B. Hans Eberhard Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, 10. Aufl., Stuttgart 2005 (zuerst 1965), S. 97f.; Pierre Aubé, Roger II de Sicile, un Normand en Méditerranée, Paris 2001.
3 Timothy Reuter, The „non-crusade“ of 1149-50, in: Jonathan P. Phillips / Martin Hoch (Hrsg.) The Second Crusade. Scope and Consequences The Second Crusade. Scope and Consequences, Manchester 2001, S. 150–163, hier S. 158.
4 Zu den Potentialen vgl. Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg) Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 35) Berlin 2005.
5 Mirko Vagnoni, Dei gratia rex Sicilie. Scene d’iconoronazione divina nell’iconografia regia normanna, Neapel 2017.

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