S. Bauer: The Invention of Papal History

Cover
Titel
The Invention of Papal History. Onofrio Panvinio between Renaissance and Catholic Reform


Autor(en)
Bauer, Stefan
Erschienen
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
£ 70.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Herman H. Schwedt, Bad Säckingen, Südbaden

Von den vielen Altertumskundlern aus der italienischen Renaissance und Spätrenaissance sind etliche heute kaum mehr bekannt oder doch zumindest Teile ihrer Werke vergessen. Zu ihnen zählen Antiquare, die sich mit kirchlich-geschichtlichen Fragen befassten, wie etwa Carlo Sigonio und auch der Augustiner Onofrio Panvinio (1530–1568). Davide Aurelio Perini hat seinen Ordensbruder Panvinio 1899 mit einer ersten Monographie in seinem Orden in Erinnerung gerufen. Erst weitere fast hundert Jahre später richtete Jean-Louis Ferrary sein Augenmerk auf Panvinio als Historiker der Antike.1 Nun legt Stefan Bauer erstmals eine Monographie zur Biographie und zum Gesamtwerk dieses Autors vor. Der Schwerpunkt liegt auf dessen Arbeiten zur Papstgeschichte und zu kirchlich-politischen Institutionen wie dem Kardinalskollegium und den Papstwahlregelungen. Mit einer längeren Fassung dieser Arbeit habilitierte sich Bauer 2018 an der Universität Freiburg (Schweiz) für Geschichte der Frühen Neuzeit. Seit mehreren Jahren veröffentlicht er Studien zu verwandten Themen, darunter 2006 zu dem Humanisten Bartolomeo Platina aus dem 15. Jahrhundert.2

Im Kern geht es in Bauers hier vorzustellendem Buch um Panvinios Historiographie zum Papsttum und um seine Methode der Quellenkritik. Obgleich der Historiker Panvinio einerseits deutlich die Legitimität von Ansprüchen des Papstes in Bezug auf die Stellung des Kaisers in Frage stellte, nahm er andererseits inmitten der Glaubenskämpfe eine bemerkenswert offene Haltung in konfessionspolitischen Fragen ein. Seine Papstgeschichte war damit anschlussfähig für unterschiedliche Kontexte. Bauers Buch ist in vier Kapitel unterteilt, von denen die ersten beiden eher biographisch, die übrigen stärker themenspezifisch ausgerichtet sind.

Im ersten Drittel seines Buches behandelt Bauer die Biographie Panvinios (bis 1559) und ordnet dessen Studien und schriftstellerische Tätigkeit in die verschiedenen Lebensphasen ein. Geboren wurde Panvinio 1530 als Sohn eines Schneiders in Verona, dessen Familie ein Jahrhundert vorher fast als adelig galt und seither sozial und wirtschaftlich an Prestige verloren hatte. Mit elf (!) Jahren trat er bei den Augustiner-Eremiten in Verona ein, mit Studium ab 1546 in Neapel, gefördert durch den Ordensgeneral Girolamo Seripando. Seit 1548 in Rom ansässig, war Panvinio „more interested in Aristotle than in theologians, more in antiquity than in the Middle Ages, and much more in emperors than in popes” (S. 27). Die Jahre 1552 bis 1555 zeigten Panvinio jedoch besonders unter dem Einfluss des Kardinals Marcello Cervini, Protektor der Augustiner und 1555 für drei Wochen Papst Marcellus. Dieser gebildete Reformkardinal beklagte, dass die Gelehrten sich vorwiegend für die Geschichte Altroms interessierten, kaum jedoch für die Geschichte der westlichen Kirche, sodass Panvinio sich von seinen Studien zur altrömischen Chronik (ab Urbe condita) weg und zu den Fasti teilweise auf die frühkirchliche und mittelalterliche Chronik hin verlagerte. In der Folge entstanden mehrere Arbeiten, darunter zu den Kardinälen; zu besonderer Berühmtheit gelangten diese dadurch, dass sie 1601 in die Vitae et gesta der Kardinäle und Päpste des Alfonso Chacón eingingen.

Für die Jahre nach 1555 prägte der Mäzen und Sammler Kardinal Alessandro Farnese Arbeit und Forschen Panvinios. Dieser stärkte Panvinios Interesse für das Reich und trug zu dessen intensivierter politischen Bindung an die kaiserlich-spanische Politik bei. Gegen diese richtete sich Paul IV., was 1556/57 zu kriegerischen Konflikten mit verheerenden Folgen für den Kirchenstaat und die päpstliche Politik führte. Farnese schlug sich auf die Seite Spaniens, auch aus dynastischen Interessen der Farnese in Piacenza, und ging 1556 ins Exil nach Parma. Panvinio folgte und veröffentlichte ab 1557 einige seiner wichtigsten Schriften.

Im zweiten Kapitel analysiert Bauer die Stellung Panvinios „between Church and Empire“ im letzten Lebensjahrzehnt des Augustiners. Im Juli und August 1559 war er auf Deutschlandreise zwischen Brixen, Passau und Mittelrhein (Mainz, Worms, Speyer), vor allem in Augsburg, wo er zwanzig Tage blieb. Dort traf er zwar nicht, wie er gehofft hatte, Hans Jakob Fugger an, doch der Augsburger Fürstbischof Kardinal Otto Truchsess von Waldburg förderte den Italiener und stellte ihn auch zweimal bei Kaiser Ferdinand vor. Der Reiseplan folgte dem Rat des langjährigen Freundes Panvinios, des Historikers und spanischen Bischofs Antonio Agustín, der die Manuskripte der Dombibliotheken in Süddeutschland empfahl. Die Reise hatte als spätere Folge dann auch finanzielle Zuweisungen Fuggers an Panvinio.

Zurück in Italien eilte Panvinio bald nach Rom: im August 1559 war Paul IV. verstorben, Kardinal Farnese kam zur Wahl des neuen Papstes Pius IV. nach Rom. Dieser Papst verschaffte Panvinio erstmals eine bescheidene Anstellung in der Vatikanischen Bibliothek, die sein Nachfolger, der neue Papst Pius V., nach nur einem Jahr nicht verlängerte. Seit seiner Rückkehr nach Italien befasste sich Panvinio vorrangig mit Arbeiten zur Papstgeschichte, insbesondere in den Bearbeitungen der Werke Platinas, die er in den 1560er-Jahren veröffentlichte. Als Begleiter seines Protektors Kardinal Farnese verstarb Panvinio bei einer Reise 1568 in Palermo.

Das dritte Kapitel untersucht Panvinios Arbeitsweise und Geschichtsbild in dessen Werken über die Papstwahlverfahren („De varia creatione Romani pontificis“, 1559–1563) und mittelalterlichen Kaiserwahlen („De comitiis imperatoriis“, 1558). Deutschen Juristen wie Simon Schard gefiel es wenig, dass Panvinio die Kaiserwahlen erst für die Zeit nach dem Tod Friedrichs II. ansetzte. Auch seine Kritik an der Einflussnahme Karls V. auf die aktuelle Wahl Ferdinands stieß im Reich auf Widerspruch.

Panvinio berichtet, dass die Wahlen des Bischofs von Rom zunächst durch Klerus und Volk erfolgten, dann durch die altrömischen Kaiser und deren Nachfolger, bis sich schließlich im 11. Jahrhundert die römische Kirche von politischer Einflussnahme von außen zu befreien suchte. Päpstliche Wahlmänner sollten alleine über den künftigen Pontifex bestimmen, ein Prinzip, das sich nur langsam umsetzte und immer wieder umgangen wurde. Mit dieser Darstellung der Regeln und der Praxis der Papstwahl und ihren zahlreichen Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte gefährdete Panvinio ein beliebtes Argument der katholischen Kontroversisten, wonach die historische Kontinuität die eigene konfessionelle Legitimation gegenüber den protestantischen Neuerungen beweise (S. 142).

Im vierten Kapitel behandelt Bauer unter Stichworten wie „Theologie und Geschichte“, „Zensur und Konfessionalisierung“ die Rezeption verschiedener Werke Panvinios nach seinem Tod. Die „Historia Ecclesiastica“, in der unter anderem die Legende der Päpstin Johanna zurückgewiesen wurde, blieb unveröffentlicht. Diese Legende und andere historisch umstrittene Themen, wie die Anwesenheit des Apostels Petrus in Rom oder die damals schon widerlegte Konstantinische Schenkung, dienten als Waffe in der konfessionellen Auseinandersetzung. Politisch-ideologische Zwänge oder Interessen konnten Blick und Urteil auch der Geschichtskundigen führen; dies illustriert Bauer kurz aber kenntnisreich an der Diskussion um die Frage, ob die Theologie als Richtschnur der Kirchengeschichtsschreibung gelten müsse. Seine politische Haltung in der Geschichtsschreibung in Bezug auf die Rolle des Kaisers offenbart Panvinio deutlich; bei der Darstellung des Investitionsstreits beispielsweise stand Panvinio „plainly on the emperor’s side in the treatment of the Church-State conflict“ (S. 114). Seine kirchengeschichtliche Haltung hinsichtlich konfessioneller Differenzen aber war bemerkenswert neutral. Panvinio lieferte inmitten erhitzter Konfessionsauseinandersetzungen denkwürdige Beispiele historischer Quellenkritik.

Im Anhang stellt Bauer ein Filetstück aus Panvinios Arbeiten zur Geschichte der Papstwahlen vor. Das Papstwahldekret von 1059, bedeutend unter anderem wegen der erstmaligen Festlegung des Wahlrechtes für die Kardinäle, war freilich in zwei divergierenden Texten überliefert. Ohne äußere Daten etwa zum Alter der überlieferten Texte anzubieten, erarbeitete Panvinio allein anhand des Inhaltes seine Quellenkritik und wies hierbei die päpstliche Fassung zugunsten der den Kaiser und seinen Einfluss begünstigenden Version zurück.

Dem Titel des Buches zufolge hat Panvinio die Papstgeschichte erfunden. Bauer nennt diesen Titel eine Provokation (S. 15). Doch meint Bauer mit dem Begriff der Erfindung nicht eine Vielfalt von Forschungsergebnissen, aus der Panvinio nach Belieben und eigenem gusto ausgewählt habe; vielmehr erschuf Panvinio eine neue Geschichte des Papsttums in Abgrenzung zu einer Tradition, die den Papst mit Vollmachten überfrachtete und dies zum Lehrsatz christlicher Theologie erklärte. Panvinios kritische Sichtung der Quellen führte ihn zu einer Papstgeschichte, die die ekklesiologische Rolle des Herrschers (Kaisers) als Protektor der Kirche würdigte. Dabei bemühte er sich um eine von konfessionspolitischen Vorgaben weitgehend freie „Erfindung“ seiner Geschichte.

Bauers Buch, recherchiert auf der Grundlage zahlreicher unveröffentlichter Handschriften, enthält zehn Abbildungen zu Panvinio, der mit Recht als ein großer Historiker der Spätrenaissance charakterisiert wird. Der Verlag hat den Druck hervorragend gestaltet (wenn auch mit allzu kleiner Schriftgröße in den Fußnoten). Insgesamt legt Bauer mit seiner Monographie eine ebenso gewichtige wie erhellende Neuinterpretation der Katholischen Reform vor. „The Invention of Papal History“ ist ein neues Standardwerk, das in keiner kirchengeschichtlichen Bibliothek fehlen sollte.

Anmerkungen:
1 Jean-Louis Ferrary, Onofrio Panvinio et les antiquités romaines, Rom 1996 (dazu die kritische Rezension von Ingo Herklotz, in: Wolfenbütteler Renaissance-Mitteilungen 22, 1998, S. 19–22).
2 Vgl. z.B. Stefan Bauer, The Censorship and Fortuna of Platina’s Lives of the Popes in the Sixteenth Century, Turnhout 2006; ders., Wieviel Geschichte ist erlaubt? Frühmoderne Zensur aus römischer Perspektive, in: Susanne Rau / Birgit Studt (Hrsg.), Geschichte schreiben. Ein Quellen- und Studienhandbuch zur Historiografie (ca. 1350–1750), Berlin 2010, S. 334–347.

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