C. Pelling: Herodotus and the Question Why

Cover
Titel
Herodotus and the Question Why.


Autor(en)
Pelling, Christopher
Erschienen
Anzahl Seiten
XVIII, 360 S.
Preis
£ 44.00; $ 55.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Pascal Mathéus, Historisches Seminar, Universität Zürich

Das vorliegende Buch stellt die Summe einer lebenslangen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Historien Herodots und deren geistigem Umfeld dar. In sechzehn Kapiteln nähert sich Christopher Pelling seinem Gegenstand mit einer Vielzahl von methodischen und inhaltlichen Zugriffsweisen. Analysen einzelner Passagen und Themenkomplexe der Historien stehen breite Rekonstruktionen des literarischen und intellektuellen Hintergrunds1 des Geschichtswerks gegenüber. Zusammengehalten werden die vorgetragenen Überlegungen durch die einfache, im Titel genannte Frage nach dem „Why“. Sie bezieht sich gleichzeitig auf die Entstehung der Historien, auf ihren Anspruch, die Gründe für den in ihnen beschriebenen Krieg zwischen Griechen und Persern zu ermitteln, und auf den epistemologischen Gehalt des wissenschaftlichen und literarischen Fragens im 5. Jahrhundert v.Chr. überhaupt.

Anstelle einer Einleitung werden in Kapitel 1 (S. 1–21) grundsätzliche Voraussetzungen geklärt. Die Ausleuchtung des begrifflichen Feldes umfasst die Auseinandersetzung mit den Wortgruppen um aition/aitios, prophasis und proschēma (S. 5–11). Ihre Verwendung wird mit ihrer Rolle in den Erklärungsmustern hippokratischer Medizin abgeglichen, die Nuancen ihrer Bestimmung verschiedener Formen von Kausalität werden ermittelt. Mit Verweis auf den narrativen Ansatz Herodots wird ihr Erklärungspotential jedoch gleich wieder relativiert, insofern sich Herodots Erkenntnisse nicht in eindeutig feststellbaren Kausalitätszusammenhängen präsentierten, sondern vielmehr in ein komplexes Gewebe von Erzählmustern verstrickt seien. Pelling bringt die herodoteische Herangehensweise auf die Formel „show, not tell“. In Anknüpfung an Emily Baragwanaths Untersuchung2 des narrativen Zuschnitts der Historien, betont Pelling die Interpretationsbedürftigkeit von Herodots bunten Erzählungen. Im Zuge dessen werden die Erwartungshaltungen des Publikums und die Interaktion von Text und Leser- bzw. Zuhörerschaft als wichtige Faktoren bei der Erklärung historischer Zusammenhänge eingeführt (S. 13–15). „Explanation“ erscheint als „a game for two“.

Bei der Analyse des Prooimions (S. 22–25) betont der Autor in Kapitel 2 die enge Bezogenheit der Historien auf die homerischen Epen. Indem sie zur Bewahrung des kleos geschrieben worden seien, lehnten sie sich an die Ilias an, insofern Herodot die Vielzahl der von ihm beschriebenen Länder und Städte anführe, scheine das Programm der Odyssee auf. Der Gegensatz zwischen Griechen und Barbaren werde von Anfang an als komplexes Verhältnis gegenseitiger Schuldigkeiten und Schuldzuweisungen gezeigt, das keineswegs in einfache Dichotomien aufgelöst werden könne.

In Kapitel 3 (S. 40–57) nähert sich Pelling der historischen Methode Herodots über eine Betrachtung der Einblicke, die Herodot selbst bei der Darlegung seiner Schlussfolgerungen gewährt. Am Beispiel von Hdt. 7,139 (das Lob der Athener für die Rettung Griechenlands) kommt er dabei etwa auf seine Verwendung kontrafaktischer Überlegungen zu sprechen, die charakteristischerweise sowohl bei der Erläuterung historischer Prozesse als auch bei der Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Phänomenen herangezogen würden.

Kapitel 4 (S. 58–79) beschäftigt sich mit Herodots Vorläufern auf dem Feld der Literatur in Prosa und nimmt dabei naturgemäß vor allem Hekataios, aber auch die im 5. Jahrhundert aufkommenden Prosawerke der Redner und Sophisten in den Blick. Hekataios erscheint darin als wichtiger Anknüpfungs- und Abstoßungspunkt für Herodot, der einerseits in seiner Behandlung von Ethnographie und Geographie als enger geistiger Verwandter des Halikarnassiers fungiere, gegen den er aber andererseits aufgrund seiner ungenauen und mitunter naiven Erklärungen polemisiere, um die Überlegenheit seiner eigenen Methode zu demonstrieren. Antiphons Tetralogien und Gorgias’ Traktate (vor allem die Helena) werden von Pelling als wichtige Bezugspunkte in einem zu Herodots Zeiten virulenten und vielgestaltigen Diskurs um Schuldfragen angeführt. Sie belegen, wie kontrovers zu dieser Zeit um derartige Fragen gerungen werden konnte, und gleichen nach Ansicht des Autors den Historien in ihrem Anliegen, den Rezipienten in die Beschäftigung mit den geschilderten Problemen zu involvieren.

Kapitel 5 und 6 (S. 80–105) sind dem herodoteischen Verhältnis zum Corpus Hippocraticum gewidmet. Herodot sei nicht nur inhaltlich von den Medizinschriftstellern beeinflusst worden, sondern habe vor allem auch im Hinblick auf die methodische Bewältigung seines Stoffes von ihnen gelernt. Dies zeige sich bei der charakteristischen Verzahnung multipler Kausalitäten, dem Verständnis von Beziehungen und Abhängigkeiten unterschiedlicher Phänomene und den allgemeinen Prinzipien des logischen Schließens. Auch in den Präsentationstechniken seien Gemeinsamkeiten festzustellen: Typischerweise beginne ein hippokratischer Traktat mit der Aufstellung einer starken These (etwa die Winde als Ursache von allen Krankheiten in Über die Winde), die dann unter Hinzuziehung von vielfältiger Evidenz bestätigt, teilweise aber auch in Frage gestellt, jedenfalls in einer fortlaufenden Steigerung der Komplexität ausgestaltet werde. Ähnliches macht Pelling beispielsweise für den ägyptischen Logos geltend, der mit einer Darstellung Ägyptens als verkehrte Welt beginne, dann aber die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen ägyptischer und griechischer Welt näher in Augenschein nehme, indem sie in ihrer historischen Verbundenheit gezeigt würden.

Während Kapitel 7 (S. 106–113) mit der Untersuchung des präfigurativen Charakters der lydischen Logoi eine Überleitung zur intensiven Auseinandersetzung mit den Geschichten der Historien selbst bietet, beschäftigen sich die Kapitel 8–14 (S. 114–213) mit den zentralen Leitmotiven des Geschichtswerks. Die Entstehung von Imperien und ihr prekärer Expansionsdrang (S. 114–128), die zwischen exotischer Faszination und Spiegelfunktion changierenden Erzählungen aus der Welt der persischen Königshöfe und Feldzüge (S. 129–145), der Anteil göttlicher Intervention an den menschlichen Bemühungen (S. 146–162), die spezifischen Ursachen für den griechischen Sieg (S. 163–173), Freiheit (S. 174–189), Demokratie (S. 190–198) und schließlich das Zusammenspiel von Individuen und Kollektiven (S. 199–213) bilden die Themen für die Analyse. Ihr jeweiliger Beitrag zu der Frage nach dem Warum wird vermessen.

Im Kapitel 15 (S. 216–231) kommt Pelling auf jene Spuren in den Historien zu sprechen, die auf Herodots Auseinandersetzung mit den Geschehnissen seiner eigenen Lebenszeit hinweisen. Die Einsicht in die Kontinuität des historischen Prozesses erweist sich für Pelling schon durch die Äußerungen Solons in den Historien als gegeben. Indem dieser dem Kroisos rate, stets auf das Ende einer Entwicklung zu schauen, werde die Geschichte in Richtung auf die Zukunft geöffnet. Die Beschreibung von Ähnlichkeiten und Parallelitäten zwischen geographisch oder zeitlich weit voneinander entfernten Bereichen belege das wechselseitige Erklärungspotential, das sich aus einer Zusammenschau von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ergebe. Sehr nützlich ist die vom Autor gelieferte Auflistung aller Anspielungen auf zukünftige Ereignisse innerhalb der Historien (S. 218–222).

In seinem Fazit (Kapitel 16, S. 232–236) rückt Pelling Herodot in die Nähe des thukydideischen Standpunkts, mit seiner Geschichtsschreibung ein Werk für die Ewigkeit geschaffen zu haben. Dies habe er durch seine komplexen Erklärungsansätze für historische Prozesse, seine zum Mitdenken einladenden Gegenüberstellungen von scheinbaren und tatsächlichen Gegensätzen und seine Verknüpfung der Vergangenheit mit der Gegenwart und der Zukunft erreicht.

Durch die Engführung der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Historien mit dem wissenschaftlichen, philosophischen und literarischen Hintergrund ihrer Entstehungszeit, vermag es Pelling, viele Eigenheiten des herodoteischen Zugriffs auf sein Material plausibel zu analysieren. Das Buch stellt damit eine ideale Einführung in das Werk Herodots dar, die zuweilen auf die letzte Tiefenbohrung verzichtet, wenn sie wieder einmal zu dem Fazit kommt, dass es keine einfachen Wahrheiten in den Historien gebe oder die Dinge komplizierter seien, als sie auf den ersten Blick erscheinen. Für den englischsprachigen Raum schließt Pelling damit eine Lücke. Im Vergleich zu den vorliegenden deutschsprachigen Einführungen3 entspricht Herodotus and the Question Why einer Aktualisierung auf der Höhe der Zeit. Durch die Breite des thematischen Zuschnitts und die umfangreiche Berücksichtigung des neuesten Forschungsstands wird sich das Buch sowohl für Einsteiger/innen als auch fürs Fachpublikum als äußerst nützlich erweisen.

Anmerkungen:
1 Hier knüpft Pelling u.a. an die Arbeiten von Rosalind Thomas, Herodotus in Context, Cambridge 2000, und Rosaria V. Munson, Telling Wonders. Ethnographic and Political Discourse in the Work of Herodotus, Ann Arbor 2001, an.
2 Vgl. Emily Baragwanath, Motiviation and Narrative in Herodotus, Oxford 2008.
3 Vgl. Reinhold Bichler / Robert Rollinger, Herodot, 4. Aufl., Hildesheim 2014; Linda-Marie Günther, Herodot, Tübingen 2012.

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