Cover
Titel
Pflanzen für Palästina. Otto Warburg und die Naturwissenschaften im Jischuw


Autor(en)
Von Suffrin, Dana
Reihe
Schriftenreihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo Baeck Instituts 80
Erschienen
Tübingen 2019: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
267 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malgorzata Maksymiak, Historisches Institut, Universität Rostock

In Ihrem bereits 2017 als Dissertation vorgelegten Buch geht Dana von Suffrin den Verschränkungen des deutschen Zionismus mit dem deutschen Kolonialismus in den ersten vier Dekaden des 20. Jahrhunderts nach. Das Thema der kolonialen Inhalte des Zionismus ist komplex und nicht neu. Es beschäftigt vor allem israelische und amerikanische Historikerinnen und Historiker seit beinahe 40 Jahren. In Deutschland legte Stefan Vogt in seiner 2016 erschienen umfangreichen Studie die Ambivalenz der Beziehung zwischen dem deutschen Zionismus und deutschen Kolonialideen offen. Und es ist nur zu begrüßen, dass dieses neu aufgerollte Thema zu weiteren Forschung anregt, die neue Aspekte in die koloniale Vergangenheit des Zionismus hineinbringen. Dazu gehört die Arbeit von Dana von Suffrin, die in ihrer exotisch anmutenden Studie die Bedeutung von Naturwissenschaften im zionistischen Projekt untersucht, um die zionistische „Übernahme kolonialistisch gefärbter Denkmuster, Erfahrungen und Institutionen kritisch zu reflektieren“ (S. 10).

In fünf Hauptkapiteln verspricht Dana von Suffrin, die „Transformation Palästinas von einer Wüste in einen Garten“ zu präsentieren, denn „Palästina wurde ästhetisch, wissenschaftlich und wirtschaftlich verändert“, so die Autorin, und dieses gehe auf „ein genuin politisches und ideologisches Projekt“ zurück (S. 3). Dafür rückt die Autorin den weniger bekannten, als einen „botanischen“ verspotteten Zionismus in den Fokus ihrer Untersuchung. Die Idee des „botanischen Zionismus“ – vertreten durch eine kleine Gruppe von europäischen, „praktischen“ Zionisten um den Hamburger Kolonialbotaniker und späteren Zionisten Otto Warburg – stellte die Wissenschaft in den Dienst der politischen Idee des Zionismus, so die Autorin, um als Gegengewicht für die „mangelnde politische, monetäre und militärische Macht“ (S. 5) der Zionisten zu fungieren.

Zunächst verortet die Autorin den Akteur Otto Warburg im Kontext des deutschen Kolonialismus als Botaniker und analysiert sein Engagement für die praktische Richtung des Zionismus, der auf eine europäisch-jüdische Besiedlung Palästinas abzielte (Kapitel II, Das Setting. Otto Warburg zwischen Zionismus, Kolonialismus und Wissenschaft, S. 25–54.). Im anschließenden dritten Kapitel (Kapitel III, Vorstellung und Ideal: Die Botanischen Zionisten in Palästina, S. 55–89) geht es um die zionistische Imaginierung Palästinas: Im Tenor der zeitgenössischen europäischen Orientdiskurse, stellten die „botanischen Zionisten“ kaum überraschend Palästina als „desolat“ zugleich aber auch als „Schatzkammer“ dar (S. 67), die nur durch wissenschaftliche Erkenntnisse zugänglich gemacht werden könne. Dem double-bind Narrativ der kolonialen Phantasien folgt nun im weiteren Kapitel die Beschreibung der praktischen Arbeit der „botanischen Zionisten“ (Kapitel IV, Die Vermessung Palästinas: Expeditionen im Zionismus, S. 91–136). Interessanterweise berücksichtigt die Autorin auch die wissenschaftlichen Expeditionen außerhalb Palästinas, wie z.B. die Expeditionen nach El-Arisch und Uganda, die die „Tropenhelm-Mentalität“1 der „botanischen Zionisten“ verdeutlichen. In Bezug auf Palästina, hebt die Autorin hervor, dass die Expeditionen in Palästina „keine tieferen Eingriffe“ im Land waren, sondern als eine symbolische, für die europäischen Juden identitätsstiftende Aneignung des Landes zu lesen sind, um in den abschließenden, durchaus überzeugenden zwei Kapiteln der Studie diese von den „botanischen Zionisten“ initiierte „symbolische Aneignung“ des Landes an praktischen Beispielen zu erörtern (Kapitel V, Die wissenschaftliche Eroberung Palästinas: Die Entdeckung des Urweizens, S 137–176; Kapitel VI, Die Schaffung der hebräischen Flora: Palästina wird produktiv, S. 177–222).

Mit ihrer Untersuchung will von Suffrin eindeutig ein Korrektiv zu der von Stefan Vogt vertretenen These anbieten, der die Ambivalenz in der Beziehung des deutschen Zionismus und des deutschen Kolonialismus betont und als Beispiel die publizistische Tätigkeit von Otto Warburg in den deutschen kolonialen Periodika aufführt, unter denen sich jedoch keine Beiträge kolonialpolitischen Inhalts finden.2 Zurecht moniert die Autorin, dass sich das Kolonialpolitische vom Kolonialbotanischen und Kolonialökonomischen nicht trennen lässt (S. 10). Allerdings negiert Stefan Vogt keinesfalls kolonialpolitische Interessen der deutschen Zionisten: Auf ihrer Suche nach einem Platz in der europäischen Moderne, so Vogt, machten die deutschen Zionisten keinen Bogen um die deutschen Kolonialideen, aber sie unterstützten die Ansprüche des deutschen Imperialismus, der Deutschland als Kultur- und Wirtschaftsmacht weltweit zu etablieren suchte, nicht.3 Die Argumentation von Suffrins läuft hier ins Leere. Dana von Suffrins Studie stützt insofern sogar die von Vogt vertretene These, dass sich die deutschen Zionisten aus den kolonialpolitischen Anliegen im Sinne der deutschen Imperialisten zurückgezogen haben und untermauert dies mit einschlägigen Beispielen der deutschen zionistischen und kolonialen wissenschaftlichen Unternehmungen. Besonders überzeugend und lesenswert sind die letzten zwei Kapitel der Studie, in denen die Verschränkung der kolonialen Ideen mit dem Streben der „botanischen Zionisten“ nach Produktivität Palästinas durch Entwicklung neuer Technologien, Methoden und Gründung wissenschaftlicher Versuchsstationen zum Ausdruck kommt. Dabei gelingt es der Autorin immer wieder den „botanischen Zionismus“ im Kontext der europäischen Diskurse der Zeit zu lesen und auf zahlreiche Netzwerke mit den kolonialen Akteuren in Deutschland zu verweisen.

Umso überraschender ist die Tatsache, dass der transnationale Charakter des „praktischen“, respektive „botanischen Zionismus“ in der Studie unbenannt bleibt. Besonders auffällig ist das in der Charakterisierung der praktischen Zionisten, die als „deutschstämmige“ bezeichnet werden, wobei über die Hälfte von ihnen aus russischen oder von Preußen annektierten polnischen Gebieten stammte und die meisten über die inner- und außereuropäischen Grenzen hinaus agierten. Selbst die Gruppe um Warburg mit Aaron Aaronson und Jitzchak Wilkansky war äußerst heterogen. Außerdem wird keine Kontinuität zu den praktischen Zionisten der vor-Herzl-Ära hergestellt, etwa zu den Früh-Zionisten, wie z.B. Nathan Birnbaum oder Heinrich Löwe, die bereits in den 1880er- bis 90er-Jahren in ihren frühzionistischen Schriften den „Orient“ symbolisch „eroberten“. Und während die Autorin auf die „Anderen“ in Palästina, d.h. die arabische Bevölkerung immer wieder Bezug nimmt, werden andere „Andere“ wie etwa Frauen in Palästina nicht thematisiert. Zu fragen wäre etwa, warum so wenig Frauen an dem Unternehmen des „botanischen Zionismus“ teilhatten? Korrespondierte etwa das Bild der Frau im „botanischen Zionismus“ mit deutschen kolonialen Vorstellungen des Frauenideals?

Trotz dieser kritischen Punkte, ist Dana von Suffrins Fokus auf die Rolle der Naturwissenschaften im zionistischen Aufbauprojekt äußerst tragfähig und führt in vielen Details zahlreiche Verwandtschaften des europäischen Zionismus mit deutschen kolonialen Ideen vor Augen. Historikerinnen und Historiker finden hier zahlreiche spannende Details aus der praktischen Arbeit der Naturwissenschaftler für einen europäischen Nationalismus. Und auch für die Israel-Besucherinnen und Besucher von heute, die sich fragen mögen, warum in diesem Land „eine ganze Reihe von Pflanzen“ wachsen, die dort „nicht heimisch waren“ (S. 221), bietet die Studie eine Antwort.

Anmerkungen:
1 Moshe Ya‘akov. Ben Gavriel, Israel. Die Geburt eines Staates, München 1957, S. 43.
2 Stefan Vogt, Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland 1890–1933, Göttingen 2016.
3 Ebd., S. 188.

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