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Titel
Nathaniel Wallich. Ein Botaniker zwischen Kopenhagen und Kalkutta


Autor(en)
Krieger, Martin
Erschienen
Anzahl Seiten
335 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Mann, Institut für Asien- und Afrikawissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Nathaniel Wallich (1786–1854) gehört zu den zahlreichen Botanikern, nach damaligem Sprachgebrauch eher Naturforschern, die im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts die europäischen Kolonien in Asien, Afrika und Amerika bereisten und beforschten oder in den dortigen Botanischen Gärten angestellt waren bzw. diese leiteten. Viele von ihnen sind aus dem Wissenschaftsgedächtnis getilgt worden. Bei Wallich kommt erschwerend hinzu, dass er wegen des reinen Sammelns von Pflanzen und deren botanischen Klassifizierens nach dem altbekannten, aber bereits altmodischen Linné‘schen Klassifikationssystem schon unter den zeitgenössischen Kollegen als überholt galt, deswegen immer weniger Beachtung fand und wohl deswegen auch rasch in Vergessenheit geriet. Dabei ist das wissenschaftliche Werk des Mediziners und Botanikers Wallich durchaus ansehnlich. Gleichwohl haben sein Leben und Wirken wenig historischen und botanischen Nachhall gefunden.1

Allerdings hat der wesentlich bekanntere William Roxburgh (1751–1815), Vorgänger von Wallich im Amte des Superintendent of the Botanical Gardens in Calcutta (1793–1813) auch erst vor Kurzem eine angemessene wissenschaftliche Würdigung erfahren.2 Und ist vielen Historiker/innen zur britischen Kolonialgeschichte Indiens Dietrich Brandis (1824–1907) im wissenschaftlichen Gedächtnis geblieben als der erste und nachhaltige Wirkung zeigende Inspector General of Forests in British India (1865–1883), ist dessen Ruf als eminenter und engagierter Botaniker nahezu unbekannt.3 Auch hier ist zu beobachten, dass weder die zeitgenössischen Kollegen noch die anschließende Wissenschaftsgeschichte den Botaniker Brandis würdigten, ganz im Gegensatz zu dessen forstwissenschaftlichem und forstadministrativem Wirken, das weltweit Beachtung fand und findet.4 Dieses offensichtliche Desinteresse an den kolonial-imperialen Botanikern des 19. Jahrhunderts mag indessen seinen guten Grund haben.

Der Historiker Martin Krieger unternimmt den mühevollen Versuch, das umtriebige Leben und naturwissenschaftliche Wirken Nathaniel Wallichs ins historiografische und botanische Wissenschaftsgedächtnis zurückzuholen bzw. es dort überhaupt erst einmal zu etablieren. Dazu wählt er die literarische Form der Biografie, eine Form, die, wie er zu Beginn des Buches eingesteht, durchaus hinterfragt werden kann, weil sich die Quellen zu einem Großteil auf die von Wallich selbst kompilierte und in 33 Bänden gebundene Korrespondenz seiner Zeit als Leiter des Botanischen Gartens in Calcutta beziehen. Martin Krieger hat sie in dem Central National Herbarium, Botanical Gardens Calcutta aufgespürt und zusammen mit weiterem Quellenmaterial systematisch ausgewertet und analysiert. Das Ergebnis ist eine Biografie, die das Leben Nathaniel Wallichs von dessen Geburt in Kopenhagen bis zu seinem Tod in London in einer dichten Beschreibung präsentiert.

Besonderes Verdienst der Biografie ist es, die Entwicklungen, Brüche und Widersprüche, die die Karriere dieses Mannes kennzeichneten, klar herauszustellen und im Kontext der Wissenschaftsgeschichte auch zu problematisieren. Ein weiteres Verdienst liegt darin, anhand des Lebens von Wallich die Dimension der Verschränkung von persönlichen, menschlichen und institutionellen Aspekten darzustellen. Dies zeigt sich insbesondere an den Karriereambitionen und daraus entwickelten -strategien, dem Aufbau von Forscherautorität, dem Aufkommen von Forscherrivalität und nicht zuletzt der systematisch betriebenen interkontinentalen bzw. internationalen Netzwerkbildung. Interessant ist auch die Entwicklung in der Selbstverortung des Dänen (mit „deutschen“ Wurzeln) Wallichs, der sich im Laufe seiner Dienstzeit in der East India Company immer mehr als Brite identifizierte, zum Ende seines Lebens im Zuge von Märzrevolution und schleswig-holsteinischer Erhebung – je nach Herkunft des jeweiligen Briefpartners – dänisch-nationalistische Töne anklingen ließ.

Bislang nahezu unbekannt waren Wallichs Expeditionen nach Nepal (1823), Birma (1824) und nach Assam (1835) und hier insbesondere seine Rolle bei der Etablierung des Tee-Anbaus in Britisch-Indien. Dass Wallich als Mitglied der Royal Asiatick Society of Bengal 1814 den Bau eines Naturkundemuseums initiierte und dieses dann auch in prominenter Lage und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gebäude der Asiatick Society errichtet wurde, heute in erweiterter Form das „Indian National Museum“, ist zwar bekannt, doch längst nicht im allgemeinen historischen Bewusstsein. Der Jubiläumsband zur Gründung des Museums aus dem Jahr 1914 bezieht sich, symptomatisch für die generelle Vernachlässigung der Person, in gerade einmal zwei kurzen Sätzen auf Wallich.5 Die Frage, warum Wallich, wie auch Roxburgh, Brandis und all die anderen Botaniker so arg in Vergessenheit gerieten, bleibt Martin Krieger freilich schuldig.

Eine mögliche Antwort hat David Arnold in seinem oben zitierten Aufsatz zur Hand: Es waren die rein ökonomischen Interessen, die das botanische Sammeln ab den 1820er-Jahren als eine reine Fleißarbeit und damit nutzlos erscheinen ließen. Gleiches ist nämlich auch für Dietrich Brandis zu konstatieren, der nur Gehör fand, wenn er sich beispielsweise in Fachzeitschriften über den forstartigen Anbau und die Aufzucht ökonomisch verwertbarer Nutzhölzer wie Teak und Bambus ausließ, seine umfangreichen und bahnbrechenden botanischen Studien zu Bambus aber unbeachtet blieben – ebenso wie sein umfassendes Herbar. Trotz allen Netzwerkens und trotz allen akribischen Fleißes vermochte es Wallich nicht, sich eine dauerhafte Reputation als Botaniker und Wissenschaftler zu verschaffen. Das lag daran, dass er aus der Zeit gefallen war, nicht erkennend, wie symptomatisch bei seinen zögerlichen bis ablehnenden Einlassungen zum Tee-Anbau in Assam erkennbar, dass allein der wirtschaftlichen Vermarktung von Naturprodukten und nicht ihrer wissenschaftlichen Verwertung die Zukunft gehörte. Die politisch-ökonomischen Verhältnisse ab dem frühen 19. Jahrhundert bestimmten folglich das Maß der Wahrnehmung.

Wie eingangs festgestellt, barg die Form der Biografie durchaus ein Wagnis. Freilich ist es weniger die literarische Form – denn es gelingt Martin Krieger eine durchweg überzeugende Darstellung – als vielmehr eine fehlende ausführlichere Reflexion über die potenziellen Probleme biografischer Darstellungen generell, die einen Schatten auf das Buch wirft. Es mangelt an einem stärker biografietheoretischen Unterbau, in dem nicht nur das Genre der historischen Biografie kritisch beleuchtet wird – nicht umsonst ist es in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend aus der Mode gekommen, erfreut sich aber seit Neuestem wieder einiger Beliebtheit, sofern es um „große Personen“ geht –, sondern auch der wissenschaftliche Erkenntniswert einer biografischen Darstellung kritisch unter die Lupe genommen wird. Diese Kritik außer Acht gelassen, ist Martin Kriegers Biografie zu Nathaniel Wallich eine interessante Lektüre.

Anmerkungen:
1 Wenige wissenschaftliche Beiträge beschäftigen sich mit Nathaniel Wallich: David Arnold, Plant Capitalism and Company Science. The Indian Career of Nathaniel Wallich, in: Modern Asian Studies 42/5 (2008), S. 899–928; Mark Harrison, The Calcutta Botanic Garden and the Wider World, 1817–46, in: Uma Das Gupta (Hrsg.), Science and Modern India. An Institutional History, c. 1784–1947, Delhi 2011, S. 235–255 und Edna Bradlow, Nathaniel Wallich. A Man for all Seasons, in: Quarterly Bulletin of the South African Library 52/3 (1998), S. 69–108.
2 Tim Robinson, William Roxburgh. The Founding Father of Indian Botany, Chichester 2008.
3 Michael Mann / Matthias Schultz, Brandis the Forgotten Botanist, in: Environment and History (2019), S. 1–26, https://www.ingentaconnect.com/content/whp/eh/pre-prints/content-whp_eh_1820#Cits (25.08.2020).
4 Herbert Hesmer, Leben und Werk von Dietrich Brandis 1824–1907. Begründer der tropischen Forstwirtschaft, Begründer der forstlichen Entwicklung in den USA, Botaniker und Ökologe, Opladen 1974; Sharad Singh Negi, Sir Dietrich Brandis. Father of Tropical Forestry, Dehra Dun 1991; David Prain / Mahesh Rangarajan, Art. “Brandis, Sir Dietrich (1824–1907)“, in: Oxford Dictionary of National Biography, https://doi.org/10.1093/ref:odnb/32045 (25.08.2020); Ajay S. Rawat, Brandis. The Father of Organized Forestry in India, in ders. (Hrsg.), Indian Forestry. A Perspective, New Delhi 1993, S. 85–101.
5 Trustees of the Indian Museum, The Indian Museum, 1814–1914, Calcutta 1914.

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