A. Benatar: Kalter Krieg auf dem indischen Subkontinent

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Titel
Kalter Krieg auf dem indischen Subkontinent. Die deutsch-deutsche Diplomatie im Bangladeschkrieg 1971


Autor(en)
Benatar, Alexander
Reihe
Zentrum Moderner Orient: Studien 38
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 257 S.
Preis
€ 79,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Methfessel, Historisches Seminar, Universität Erfurt

Alexander Benatar leitet seine Dissertation mit einer spannenden Beobachtung zu Parallelen südasiatischer und deutscher Geschichte ein. In beiden Fällen kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Teilung: aus der Kolonie Britisch-Indien gingen 1947 die unabhängigen Staaten Indien und Pakistan hervor; 1949 kam es zur Gründung von Bundesrepublik und Deutscher Demokratischer Republik (DDR). Die infolge der Teilungen aufkommenden Konflikte sollten die Geschichte der Beziehungen aller vier Staaten zueinander prägen.1 Die Jahre 1971/72 bildeten schließlich eine Zäsur in dieser Geschichte. Im Rahmen der Neuen Ostpolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt fand eine Annäherung zwischen Bundesrepublik und DDR statt. In Südasien hingegen kam es zu einer weiteren Teilung. Zunehmende Forderungen nach mehr Selbstständigkeit im Ostteil des Landes, das darauffolgende brutale Vorgehen des pakistanischen Militärs und die indische Unterstützung der dortigen Unabhängigkeitsbewegung führten zum Zerfall des Staates. Das heutige Pakistan ist auf das Territorium des ehemaligen Westflügels beschränkt, wohingegen im Osten ein neuer Staat, Bangladesch, entstand.

Zur gleichen Zeit verschoben sich die globalen Bündniskonstellationen. In Washington strebten Präsident Richard Nixon und dessen Nationaler Sicherheitsberater Henry Kissinger mithilfe pakistanischer Vermittlung eine Annäherung an die Volksrepublik China an. In Neu-Delhi verfolgte man diese Entwicklung mit Sorge, betrachtete man die Volksrepublik doch spätestens seit dem Indisch-Chinesischen Grenzkrieg 1962 als Bedrohung der eigenen Sicherheit. Daher suchte Indien den Schulterschluss mit der Sowjetunion, die China infolge des sowjetisch-chinesischen Zerwürfnisses ebenfalls feindlich gegenüberstand.

Vor dem Hintergrund dieser globalen Entwicklungen untersucht Benatar die Politik der beiden deutschen Staaten während der Bangladeschkrise. Im Mittelpunkt stehen die deutschlandpolitischen Interessen von Bundesrepublik und DDR und deren Einfluss auf die jeweilige Positionierung zu den Entwicklungen in Südasien sowie die Bemühungen der Regierungen Indiens, Pakistans und Bangladeschs, auf die Südasienpolitik von Bundesrepublik und DDR in ihrem Sinne einzuwirken. Mehrere chronologisch geordnete Kapitel führen zunächst in die globalhistorischen Zusammenhänge und die Ereignisgeschichte in Südasien ein. Dabei gibt der Autor stets zuverlässig den aktuellen Forschungsstand wieder. Daraufhin werden im zweiten Teil jedes Kapitels die Südasienpolitik der beiden deutschen Staaten und die Deutschlandpolitik der südasiatischen Staaten nachgezeichnet. Hierfür hat Benatar auch Quellen aus mehreren deutschen und indischen Archiven ausgewertet.

Beginnend mit der Vorgeschichte der Bangladeschkrise 1971 wird skizziert, wie die politische und ökonomische Benachteiligung des Ostteils Pakistans dort zum Aufkommen von Autonomieforderungen führte. Vertreten wurden diese Forderungen von der Awami League, die im Dezember 1970 die ersten demokratischen Wahlen Pakistans gewann. Allerdings weigerten sich die westpakistanischen Eliten, das Wahlergebnis anzuerkennen. Es folgten Proteste im Ostteil des Landes, auf die das pakistanische Militär im März 1971 mit Gewalt reagierte. Neu-Delhi unterstützte daraufhin die sich im Folgemonat bildende „Provisorische Regierung von Bangla Desh“ und deren Kampf gegen das pakistanische Militär. Der Konflikt verschärfte sich weiter, als im Verlauf des Jahres Millionen von Menschen aus Ostpakistan in Indien Zuflucht suchten. In Anbetracht dieser Lage warben sowohl Indien als auch Pakistan um internationale Unterstützung. Gegen pakistanische Versuche, die Niederschlagung des Aufstandes als innere Angelegenheit zu definieren, forderte Neu-Delhi mit Verweis auf die humanitäre Katastrophe in der Region eine Verhandlungslösung. Zugleich sollte auf diese Weise aber auch die Ausgangslage für eine mögliche militärische Intervention Indiens verbessert werden.

Bei der Rekonstruktion der deutsch-deutschen Reaktion auf diese Entwicklung liegt der Schwerpunkt ganz auf der Hoffnung der DDR, die staatliche Anerkennung durch Indien zu erreichen, und dem bundesrepublikanischen Streben, diese Anerkennung vor Abschluss der Verhandlungen zum deutsch-deutschen Grundlagenvertrag zu verhindern. Um der Anerkennung schon zuvor näherzukommen, unterstützte Ost-Berlin die indische Position, knüpfte früh Kontakte mit der bangladeschischen Exilregierung und ignorierte pakistanische Annäherungsversuche. Im Rahmen dieser Strategie kristallisierte sich zunehmend die Idee heraus, dass man die Anerkennung der DDR durch Indien als Gegenleistung für die eigene Anerkennung Bangladeschs erreichen könne. Die Bundesrepublik bezog zwar offiziell eine neutrale Position, bewegte sich im Laufe des Jahres jedoch auf Neu-Delhi zu, um eine indische Anerkennung der DDR zu verhindern. Brandt forderte die pakistanische Regierung zu Verhandlungen auf und es wurden zunächst widerrufene Lieferungen von Rüstungsgütern an Indien erneut genehmigt.

Anfang Dezember kam es schließlich zum offenen Krieg zwischen den beiden südasiatischen Antagonisten. Zugleich erkannte Neu-Delhi die bangladeschische Exilregierung an und drängte die DDR, diesem Schritt zu folgen. Benatar zufolge waren die Handlungsmöglichkeiten der ostdeutschen Regierung allerdings eingeschränkt, da die Sowjetunion eine Anerkennung Bangladeschs noch als verfrüht betrachtete. Als die pakistanischen Truppen nach nur 13 Tagen im Ostteil des Landes kapituliert hatten, war die DDR jedoch bemüht, zumindest die Chance auf wechselseitige Anerkennung mit dem jungen Staat Bangladesch nicht verstreichen zu lassen. Nachdem Moskau im Januar 1972 grünes Licht gegeben hatte, folgte diese schließlich im Rahmen einer Südasienreise des ostdeutschen Außenministers Otto Winzer. Die in Ost-Berlin erhoffte Anerkennung durch Indien konnte die Bundesrepublik jedoch noch bis Oktober 1972 verhindern. Entscheidender Grund hierfür war neben der indischen Sympathie für Brandt und die Neue Ostpolitik vor allem die Zusage Bonns, zusammen mit weiteren europäischen Staaten diplomatische Beziehungen mit Bangladesch aufzunehmen.

Die Grundlinien der von Benatar rekonstruierten Ereignisgeschichte sind schon bekannt, liegen doch aktuelle Studien zum untersuchten Thema vor.2 Aber die Monografie erweitert unser Wissen doch um zahlreiche Details. So erklärt Benatar die bislang als überraschend betrachtete indische Anerkennung der DDR im Oktober – die Erwartung war, dass Neu-Delhi diesen Schritt nicht vor den westdeutschen Bundestagswahlen im November vollziehen würde – mit einer Mitteilung des Brandt-Beraters Egon Bahr über den Fortschritt der Verhandlungen zum Grundlagenvertrag und verweist hierfür auf eine indische Archivquelle (S. 185). Viel Neues erfährt man auch in dem Kapitel zur Entwicklung der Beziehungen von Bundesrepublik und DDR zu den Staaten Südasiens nach dem Bangladeschkrieg. Spannend sind zudem die Ergebnisse zur indischen Instrumentalisierung des deutsch-deutschen Konflikts. Überzeugend wird dargelegt, wie es die indische Regierung schaffte, aus dieser Rivalität den größtmöglichen Nutzen für die eigene Bangladeschpolitik zu ziehen.

Dennoch bleiben offene Fragen. Mit Blick auf die mediale Entrüstung über das Vorgehen des pakistanischen Militärs eigentlich auf der Hand liegend, aber nach der Lektüre des ganz auf die Deutschlandfrage fokussierten Buches doch überraschend, räumt Benatar abschließend ein, dass neben der Besorgnis über die Aktivitäten der DDR in Indien auch die öffentliche Wahrnehmung des Konfliktes ein Faktor in der Außenpolitik der Regierung Brandt gewesen sein könnte (S. 242). Tatsächlich hätte man gerne mehr darüber erfahren, inwieweit die Medienberichterstattung und humanitäre Erwägungen in den ausgewerteten diplomatischen Dokumenten diskutiert wurden.

Auch in Hinblick auf die zentrale These der Arbeit stellt sich die Frage, ob hier nicht eine Chance zum Voranbringen der Forschungsdiskussion verpasst wurde. Für Benatar war die „Südasienpolitik der beiden deutschen Staaten […] im Bangladeschkrieg derart auf- und gegeneinander bezogen, dass sie die Bipolarität des Kalten Krieges teilweise durchbrachen“ (S. 10, 236). Den Beobachtungen zu den Unterschieden zwischen der pro-pakistanischen Politik der Nixon-Administration und der indienfreundlicheren Linie der Regierung Brandt kann man schwerlich widersprechen. Aber ob es in Anbetracht dessen weiterführend ist, von einem Durchbrechen der Bipolarität zu sprechen, ist zweifelhaft. Eine einheitliche westliche Position, von der Bonn hätte abweichen können, gab es während der Bangladeschkrise nicht. Benatar selbst verweist kurz darauf, dass mehrere westliche Staaten nicht dem Kurs Washingtons folgten (S. 145). Ausschlaggebend waren dafür neben humanitären Motiven auch Sorgen über eine Schädigung der eigenen Position durch eine einseitige Unterstützung des absehbaren Verlierers in dem sich anbahnenden Krieg zwischen Indien und Pakistan.3 Das bundesrepublikanische Sonderinteresse an einer Nicht-Anerkennung der DDR stand somit nicht im Widerspruch zu dem auch anderswo im Westen verfolgten Ziel, gute Beziehungen mit Indien beizubehalten.

Hier wäre es ertragreicher gewesen, über die Kontrastierung der Aktivitäten der beiden deutschen Staaten mit der Politik der Supermächte hinauszugehen und sich stattdessen ausführlicher auf die in der Einleitung skizzierten Forschungsdiskussionen zum multipolaren Charakter des Kalten Krieges einzulassen (S. 14), um so zu einer differenzierteren Verortung von Bundesrepublik und DDR im Kalten Krieg um Südasien zu kommen. Für zukünftige Arbeiten zum Zusammenhang von globalen Machtkämpfen und regionalen Konflikten eröffnet die Arbeit von Benatar dennoch viele interessante Einblicke. Im Open Access-Format für die Forschung frei zugänglich4, stellt sie einen sehr begrüßenswerten Beitrag zur Geschichte des deutsch-deutschen Konfliktes im globalen Kalten Krieg dar.

Anmerkungen:
1 Vgl. hierzu auch Amit Das Gupta, Divided Nations. India and Germany, in: Andreas Hilger / Corinna R. Unger (Hrsg.), India in the World since 1947. National and Transnational Perspectives, Frankfurt am Main 2012, S. 300–325.
2 Johannes H. Voigt, Die Indienpolitik der DDR. Von den Anfängen bis zur Anerkennung (1952–1972), Köln 2008; Amit Das Gupta, India and Ostpolitik, in: Carole Fink / Bernd Schaefer (Hrsg.), Ostpolitik, 1969–1974. European and Global Responses, Cambridge 2009, S. 163–181.
3 Vgl. etwa Simon C. Smith, Coming Down on the Winning Side. Britain and the South Asia Crisis, 1971, in: Contemporary British History 24 (2010), S. 451–470.
4https://www.degruyter.com/view/title/570663 (27.01.2021).

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