Cover
Titel
Im Namen der Thora. Die jüdische Opposition gegen den Zionismus


Autor(en)
Rabkin, Yakov M.
Erschienen
Frankfurt am Main 2020: Westend Verlag GmbH
Anzahl Seiten
463 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Josef Herbasch, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Seit es den (politischen) Zionismus gibt, gibt es auch eine jüdische Opposition dagegen. In seinem Buch fokussiert sich Yakov M. Rabkin vor allem auf den Zionismus und dessen Gegner, die sich im russischen Zarenreich im späten 19. Jahrhundert entwickelten und sich im Staat Israel bis ins 21. Jahrhundert fortsetzten. Dabei schlägt Rabkin den Bogen von der jüdischen Emanzipationsbewegung (Haskala) über die Säkularisierungstendenzen bis hin zum Drang nach einem jüdischen Nationalstaat und erläutert eingehend die verschiedenen Ideen, die sich in diesen geographischen Kontexten herausbildeten. Darüber hinaus erklärt er die sozialistischen Prägungen der Staatsgründer und die Ideen von anderen zionistischen Vertretern (wie zum Beispiel Nahum Sokolow, Zeev Jabotinsky oder Awraham Stern) im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Darunter fällt auch die Entwicklung der modernen hebräischen Sprache, die im Staat Israel zur Alltagssprache und damit zu einem wichtigen Identifikationsmerkmal des modernen Zionismus wurde.

Vor diesem Hintergrund untersucht Rabkin die Vernachlässigung der Religion durch den (politischen) Zionismus, die nach seiner Lesart dazu führte, dass der Zionismus schon früh von strengreligiösen Juden scharf verurteilt wurde. Dabei konzentriert Rabkin seine Studie auf die religiöse Opposition zum Zionismus, die in Osteuropa und im damaligen osmanischen Palästina hervortrat. Ihm zufolge wiesen sowohl die Vertreter des strengreligiösen Judentums als auch des Reformjudentums die neue Bewegung zurück und begründeten ihre Kritik mit ihren religiösen Vorstellungen: Zum einen verwiesen sie auf die Notwendigkeit des passiven Abwartens (wie zum Beispiel im Kontext des Wartens auf den Messias) und zum anderen auf den aktiven Gewaltverzicht als kodifizierte religiöse Praxis. Die grundlegenden Methoden des politischen Zionismus, die zum Aufbau eines jüdischen Staates nebst Militär führen sollten, widersprachen damit grundlegend diesen religiösen Prinzipien. Gerade diesen Widersprüchen geht Rabkin in seinem Buch nach und will den (deutschen) Lesern die Möglichkeit geben, die Kritiker des Zionismus zu verstehen, die diesen als etwas der jüdischen Religion und Kultur Fremdes begriffen beziehungsweise begreifen. 2004 veröffentlichte Rabkin sein Buch in französischer Sprache mit dem Titel „Au nom de la Tora: une histoire de l’opposition juive au sionisme“, das 2020 unter dem Titel „Im Namen der Thora, die jüdische Opposition gegen den Zionismus“ auch auf Deutsch erschienen ist.

Das Problem, welches bereits zu Beginn auffällt, ist, dass Rabkin sich einer scheinbar leicht subjektiven, kritischen Betrachtung des Zionismus widmet, ohne dabei eine genaue Analyse der vielstimmigen jüdischen Opposition zum Zionismus vorzunehmen. Die antizionistischen (und nichtzionistischen) Stimmen kommen daher eher nur als Beleg für seine Kritik episodenhaft zu Wort. Eine umfassende Ausdifferenzierung der verschiedenen Strömungen – vor allem der in seinen Hauptinteressen stehenden Opposition – bleibt eher schemenhaft. Dies ist umso überraschender, da Rabkin richtigerweise die religiöse Diversität des Judentums und die unterschiedlichen Positionen zum Staat sowie zur Religionsausübung benennt.

In sieben Kapitel gliedert Rabkin sein Buch, die sich an der geschichtlichen Entwicklung des Zionismus orientieren. Im ersten Kapitel analysiert er die Vorbedingungen des Zionismus, wie zum Beispiel die jüdische Aufklärung (Haskala) und die Evolution eines säkularen Judentums. Er argumentiert dabei, dass die Rolle der Juden in der Geschichte bereits früh zu Auseinandersetzungen führte. Die Zionisten sahen sich als aktive Gestalter, was die Anti-Zionisten deutlich kritisierten. Dabei differenziert Rabkin anschaulich am Beispiel des Verhältnisses zum Staat Israel die Positionen von Anti- oder Nicht-Zionisten, die den Staat Israel ablehnten beziehungsweise eher ignorierten.

Das zweite Kapitel unter dem Titel „Die neue Identität“ widmet sich der Entwicklung des Zionismus im Russischen Reich sowie den Spannungen zwischen Messianismus (passives und religiöses Judentum) und Nationalismus (säkulares Judentum). Rabkin argumentiert hier, dass der Zionismus ein aktiver und ethnischer Nationalismus war, der sich nicht vornehmlich aufgrund des Antisemitismus in Europa, sondern infolge der Ausbreitung des Liberalismus entwickelte. Dieser ethnische Charakter sorge Rabkin zufolge bis heute für Probleme im Staat Israel. Dieser Konflikt zwischen Religion und Nation spiegelt sich auch in der Entwicklung der modernen hebräischen Sprache wider. Die Frühphase der Sprachentwicklung und das langsam abnehmende Verständnis für das religiös konnotierte Vokabular werden ausführlich besprochen, um die Konflikte von religiösen und säkularen Gruppen zu verdeutlichen. Leider führt Rabkin nur wenige Beispiele der zweideutigen Verwendung der hebräischen Sprache an, die sich genau an dem Punkt reiben: modernes Hebräisch als säkulare Sprache und rabbinisches Hebräisch als religiöse Sprache. Die wenigen Beispiele, die Rabkin benennt, kennt der geschulte Leser bereits von Aviezer Ravitzky.

Das dritte Kapitel verfolgt die angerissenen Dualismen weiter. Auf der einen Seite standen hier die religiösen Vorstellungen, dass das jüdische Volk von Gott aus dem Land Israel verbannt worden war und aufgrund der „Drei Schwüre“ (Babylonischer Talmud, Traktat Gittin 110b–111a) nicht (in Massenbewegungen) nach Israel zurückwandern sollte. Auf der anderen Seite plädierten die Zionisten dafür, eine aktive Masseneinwanderung umzusetzen und die Gründung eines Staates Israel zu vollziehen, wodurch sie faktisch einen Bruch mit den „Drei Schwüren“ propagierten.

Welche Rolle Gewalt in diesen Auseinandersetzungen spielte, geht Rabkin im folgenden Kapitel nach. Überaus interessant analysiert er hier den religiös verursachten Pazifismus, der aufgrund der Verbannung nach und seit der Zerstörung des zweiten Tempels im Judentum vorherrschte. Im Gegensatz dazu manifestierten sich militaristische Züge des Zionismus, die Rabkin bei säkularen Juden nachwies, die im russischen Militär ihren Dienst ableisteten und für ein jüdisch-militärisches Auftreten eintraten, wie zum Beispiel im israelischen Militär.

Das Kapitel „Die Grenzen der Zusammenarbeit“ behandelt die Opposition zum Zionismus im osmanischen Palästina, wobei auch weitere oppositionelle Strömungen bis in die heutige Zeit untersucht werden. Einen ähnlichen Brückenschlag nimmt das Buch in den zwei Kapiteln „Der Holocaust (NS-Völkermord)“ sowie „Untergangsprophezeiungen und Überlebensstrategien“ vor und diskutiert die Verstrickungen des Zionismus und des Staates Israel bis heute.

Damit gibt das Buch Einblicke in die Geschichte des Zionismus und verweist auf die unterschiedlichen Kritiker der Bewegung – vor allem auf die Stimmen aus dem strengreligiösen Judentum, die die wortstärksten waren. In detailreichen Beschreibungen zeichnet Rabkin die Geschichte des Zionismus nach und vermittelt kenntnisreich vor allem die russisch-jüdische Geschichte. Als exzellenter Kenner der Materie fordert er den Erstleser mit einer besonderen Detailfülle heraus, was zum Teil zu Lasten der Nachvollziehbarkeit und Struktur geht. Diskussionswürdige Themen werden nur kurz angeschnitten und die thematische Vielstimmigkeit innerhalb des Zionismus beziehungsweise Judentums nur ungenügend für ein breites Publikum eingebettet. Besonders den vielen zeitlichen Sprüngen ist schwer zu folgen.

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf das eindimensionale Verständnis von Opposition. Rabkin konzentriert sich vor allem auf die orthodoxe Opposition. Die Stimmen des Reformjudentums tauchen nur ab und an auf, obwohl diese auch ein interessantes Phänomen darstellen. Auch das links-politische Lager wird zwar wahrgenommen (wie beispielsweise Shlomo Sand), aber nicht als Teil der Opposition behandelt. Die Wirkungskraft der beiden Strömungen ist in der bekannten wissenschaftlichen Literatur noch nicht weiter erläutert und wäre eine interessante Bereicherung gewesen. Auch die chassidische Opposition, die manchmal nur ironisch abgetan wird, hätte genauer in die Gesamtkonzeption eingebunden werden sollen, vor allem vor dem Hintergrund der Äußerungen des letzten Rebbe Menachem Mendel Schneerson der Chabad-Bewegung. Damit bleibt es schwierig, eine Struktur in der Verwendung des Begriffs der Opposition und der Geschichte der Oppositionsstimmen zu erkennen. Zudem hätte es dem Buch gutgetan, den vielen Spekulationen mehr historisch belegte Gegebenheiten entgegen zu stellen.

Gleichzeitig führt Rabkins Buch in die Geschichte des Zionismus ein und bietet einen detail- und kenntnisreichen Einblick in die jüdische Geschichte, insbesondere in die russisch-jüdische Geschichte beziehungsweise die Geschichte des russischen Zarenreiches. Es ist zudem eine kritische Stimme zum Zionismus, die selbst nicht aus der religiösen Richtung kommt und damit den deutschen Lesern und Leserinnen eine neue Perspektive vermitteln kann.

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