Adelheid von Saldern legt mit diesem Buch eine umfassende Überblicksdarstellung vor, die sowohl für die Kunstgeschichte als auch für die Geschichte der transatlantischen Beziehungen und des transatlantischen Kulturtransfers in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und für die transnationale Geschichte des Nationalismus (oder der Nationalismen) ausgesprochen anschlussfähig ist.
Die Autorin geht dem vielschichtigen Zusammenspiel von Kunst und Nationalismus in Deutschland und den USA nach. Ihre Analyse ist dabei sowohl vergleichend als auch verflechtungsgeschichtlich angelegt. Auf diese Weise werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen nationalen Kontexte in ihren spezifischen Ausprägungen gut nachvollziehbar, ohne dabei zu national eingrenzenden Kategorien zu gerinnen. Dieses Vorgehen ist besonders fruchtbar, da es die unterschiedlichen Referenzrahmen der Thematik deutlich werden lässt. Von Saldern legt methodisch kritisch dar, wie „Konvergente Phänomene“ durch die Betrachtung auf Makro-, Mikro- und Meso-Ebene identifiziert, aber auch dekonstruiert werden können – und müssen (S. 339). Während die Diskursebene in beiden Ländern von essentialistischer Rhetorik geprägt war, finden sich in den personellen oder biographischen, institutionellen und arbeitspraktischen Verflechtungen komplexe Strukturen des Austauschs, welche die unterschiedlichen ideologischen Dimensionen des Kunstnationalismus auf beiden Seiten des Atlantiks entlarven.
In ihren konzeptuellen Überlegungen zum Nationalismus wartet die Autorin mit vielleicht erwartbaren, aber angesichts der Fragestellungen nicht minder sinnvollen Theorien auf: Benedict Anderson, Eric Hobsbawm und – speziell für die Überlegungen zu „American Identity“ – Stuart Hall. Die Rahmung eines „prozesshaften und diskursiv eingebundenen“ Nationalismus – im Sinne von „doing nationalism“ (S. 14) – unterstreicht einmal mehr die Vielschichtigkeit der Analyse, die den Begriff immer als im historischen Kontext wandelbar versteht. Besonders erhellend sind hier auch die Überlegungen zu zentralen heuristischen Begriffen („Identität“, „race“, „Ethnie“, aber auch „Americanism“ – im Kontrast zu „Deutschtum“), die den Blick auf die divergenten historiographischen Traditionen lenken (S. 17–19). Auch der Kunst-Begriff wird nicht als solcher definiert, sondern für die jeweiligen Kontexte in seiner Historizität selbst untersucht, was zu einem Herzstück der Analyse wird, da es, wie von Saldern eindrücklich zeigt, beim Kunstnationalismus stets nicht nur darum ging, was die Nation ausmache, sondern auch, was als Kunst zu gelten habe. Vor diesem Hintergrund klar umrissen ist die Definition des titelgebenden Terminus „Kunstnationalismus“ in drei verschiedenen, aber miteinander verwobenen Varianten: (1) „wenn die Künste in ihrer Bedeutung für die Nation überbetont werden“, (2) „wenn Künste und Kunstkritik sich affirmativ nach nationalen Belangen richten“ und (3) „wenn die Qualität von Kunstwerken primär nach ihrem nationalen Gehalt und ihren nationalen Bezügen bewertet wird“ (S. 20f.). Untermauert wird diese Definition durch die Darstellung der Hauptakteure (und vereinzelt -akteurinnen) in diesem Diskurs, ihren Medienorganen und Netzwerken. Ein wenig mehr theoretische Tiefe hätte dem Kultur-Begriff zu Teil werden können, der zuweilen wie ein Synonym für Kunst auftritt, an anderer Stelle wiederum umfassender gedacht zu sein scheint (etwa im Sinne von „Kunst und Kultur“ oder adjektivischen Formulierungen wie „transkulturell“ oder „interkulturell“). Während diese unterschiedlichen Verwendungen zweifellos alle ihre Legitimität haben, hätte mehr Trennschärfe gegenüber dem Kunst-Begriff gerade bei der vorliegenden Thematik durchaus fruchtbar sein können.
Strukturell gliedert sich das Werk in drei Hauptteile, die alle je auch als alleinstehende Darstellungen gelesen werden können. Teil I und II (respektive „Kunstnationalismus in Amerika“ und „Kunstnationalismus in Deutschland“) legen die jeweiligen nationalen Kontexte ausführlich und detailreich dar, während Teil III die „Atlantische Vergleichs- und Verflechtungsgeschichte“ behandelt. Dank der ersten zwei Teile braucht die Autorin im letzten Teil nicht mehr aufwendig zu kontextualisieren, sondern kann gezielt und stringent in den Vergleich einsteigen. Vereinzelt wünscht man sich beim Lesen dennoch eine Erinnerung oder einen expliziten Rückbezug auf die vorherigen Kapitel, aber argumentativ geht die Logik der Struktur auf. Für den vergleichenden Ansatz besonders förderlich ist auch die parallele Binnenstruktur von Teil I und Teil II. Diese Darstellungsweise hat den interessanten Effekt, dass man beim Lesen praktisch die Dekonstruktion von oberflächlich konvergent erscheinenden Strukturen erfahren kann. So widmet sich etwa in beiden Teilen das jeweils zweite Kapitel der Frage, in welcher Beziehung Kunst zu „the people“ oder „dem Volk“ stand. Sowohl in den USA als auch in Deutschland wurde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhundert eine breitere Basis für die Produktion wie auch die Rezeption von Kunst ins Auge gefasst. In den USA hatte diese Tendenz einen stark utilitaristischen Einschlag, der oft sozialreformerische Ziele verfolgte, wie sich nicht zuletzt in dem von US-Präsident Franklin D. Roosevelt als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise aufgelegten New Deal zeigte. Neben zahlreichen staatlichen Maßnahmen, die wirtschaftliche Anreize schufen und in die nationale Infrastruktur investierten, sind die New-Deal-Jahre bis heute für verschiedene Kunst-Förderungsprogramme bekannt (etwa das Federal Writers Project, die Sammlung von „Folk Music“, Dokumentarfotografie oder auch die Auskleidung öffentlicher Gebäude mit Wandmalereien und Mosaiken). Um diese bis dahin und seither in den USA kaum vergleichbaren Summen öffentlicher Ausgaben für die Kunst zu legitimieren, griff man auf nationalistische Rahmungen zurück. Die zwei zentralen Themen waren „Amerikanismus“ und „Demokratie“ – wobei letzteres hier im Sinne von Zugang und Nutzen von Kunst für ein breiteres Publikum zu verstehen war. Auch in Deutschland sehen wir verstärkt den Staat in die Kunst investieren, vor allem mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten, die in elaborierten Ausstellungen, Konzerten und Festivitäten die „deutsche“ Kunst für Propagandazwecke instrumentalisierten, um das Volk zu „erziehen“ und „aufzuklären“. Hier wurde klar entschieden und inszeniert, was als Kunst zu gelten habe – und was „entartet“ war. Wie die differenzierte Analyse jedoch deutlich werden lässt, gab es in beiden nationalen Diskursen jeweils auch Anklänge des anderen. So sahen einige amerikanische Kunst-Intellektuelle durchaus einen Bildungsauftrag in ihrer Arbeit und schickten sich an, das Volk zu erziehen und unerwünschte Strömungen auszuschließen, während es in Deutschland – besonders vor 1933 – durchaus Stimmen gab, die eine funktionalistische Vision von der deutschen Kunst hatten. Man denke nur an den Werkbund oder das Bauhaus. Hier klingt an, was sich als ein weiterer roter Faden auf höchst erhellende Weise durch die Argumentation des gesamten Buches zieht: das ambivalente Verhältnis von Nationalismus und Moderne. Dieses Spannungsverhältnis ist natürlich nicht nur im Bereich der Kunst anzusiedeln, lässt sich aber hier exemplarisch in seiner Komplexität gut nachvollziehen. Gerade im transatlantischen Vergleich kommt dem Rekurs auf Konzepte der Moderne bereits seit dem 19. Jahrhundert eine geradezu ordnende Funktion zu. Wie vielschichtig aber die Verwerfungen dennoch sein konnten, zeigt die Autorin eindrücklich an unterschiedlichen Beispielen. Exemplarisch sei hier etwa die Rolle der „deutschen Avantgarde“ im transatlantischen Kulturtransfer genannt und ihre ambivalente Wahrnehmung in den USA; oder auch die Rezeption der als „amerikanisch“ wahrgenommenen Industriekunst in Deutschland. Die Wirkmacht dieser Selbst- und Fremdbilder wurde dadurch verstärkt, dass man die Beurteilung unterschiedlicher Kunstformen oder Kunstrichtungen auf beiden Seiten des Atlantiks in lang tradierte eurozentrische Wert-Hierarchien eingeordnete, die dann auf die nationale Stellung übertragen wurden. Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, wie sich Deutschland auf der Grundlage „klassischer“ Kunst (vor allem Malerei und Musik) als überlegen inszenieren konnte, um damit vor allem in der Zwischenkriegszeit Macht zu projizieren; während umgekehrt die geopolitisch immer mächtiger werdenden USA noch bis weit ins 20. Jahrhundert mit einem „Minderwertigkeitskomplex“ zu ringen schienen, der ein umso intensiveres Drängen auf eine genuin „amerikanische“ Kunst oder Kunstform begünstigte.
Nun wäre es aber zu kurz gegriffen, den amerikanischen Nationalismus als suchend und offen zu beschreiben, kontrastiert zum präskriptiven, exkludierenden deutschen Nationalismus. Wie auch von Saldern klar darlegt, muss auch der harsche Rassismus in den USA hier mit betrachtet werden. Auch wenn etwa der New Deal grundsätzlich inkludierende Ambitionen verfolgte, waren viele der Programme doch von einem strukturinherenten Rassismus geprägt und im weiß dominierten Diskurs wurde selbst Wertschätzung von „schwarzer“ Kunst oft paternalistisch relativiert. Anders aber als der letztlich vernichtende Rassismus in Deutschland, der den vom Staat nicht als Nationalkunst sanktionierten Kunsterzeugnissen gar keinen Raum ließ, führte die segregationistische Politik in Nordamerika zum Aufblühen einer eigenen schwarzen Kulturszene, die sich ebenfalls mit Identität und Amerikanismus beziehungsweise African-Americanism auseinandersetzte, etwa im Kontext der Harlem Renaissance. Letztlich sollte es dann auch der Jazz sein, der sowohl in der Eigen- als auch bald in der Fremdwahrnehmung zu einer genuin „amerikanischen“ Kunstform stilisiert wurde. Ebenfalls produktiv vermag von Saldern die zeitgenössischen Debatten über Populärkultur, Kunstkonsum und Massenkunst mit ihrer Analyse von Kunstnationalismus in Bezug zu setzen, wobei sie gerade für den deutschen Diskurs die Instrumentalisierung dieser Begriffe und Argumente im Anti-Amerikanismus noch etwas stärker hätte herausarbeiten können. Ebenso etwas zu kurz kommt auch die Exilerfahrung, zu der andererseits bereits eine derart breite Forschung existiert, dass hier nicht zwingend näher darauf eingegangen werden muss.
Der Platz reicht nicht, um die vielen pointierten und reichhaltig belegten Themen, auf die von Saldern eingeht, ausführlich darzulegen. Daher seien nur noch zwei Punkte kurz herausgegriffen. Erstens: Die Analyse verliert die Kategorie „Geschlecht“ nicht aus den Augen und weist nach, wie sowohl in den USA als auch in Deutschland der Kunstdiskurs ausgesprochen männlich geprägt war, während Frauen auf beiden Seiten des Atlantiks im „Kunst-Feld“ (definiert nach Bourdieu) durchaus eine gestalterische Rolle zukam – sowohl als Künstlerinnen als auch als Sammlerinnen. Zweitens: In Teil III des Buches rekurriert die Analyse auf das Konzept des „Dritten Raums“ (nach Bhabha), um die vermittelnde Rolle von Kunstmärkten zu fassen. Von Saldern beeilt sich darzulegen, warum Asymmetrie, Machtgefälle und die Verschiebung von Peripherie sowie Zentrum gerade für den transatlantischen Kunstmarkt durchaus die Anwendung postkolonialer Terminologien rechtfertigt. Selbst wenn man sich hier nicht vollkommen überzeugen lässt und geneigt sein mag, einzuwenden, ob dies nicht letztlich hierarchisierende Narrative unterstreicht, wirft dieses Framing doch noch einmal auf stimulierende Weise ein ganz eigenes Licht auf die transnationalen Verquickungen von Kunstnationalismen.
Im Ganzen bietet von Salderns Werk eine hervorragende Brücke zwischen Kunst- wie auch Musikgeschichte und der transnationalen Transfergeschichte zwischen Deutschland und den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aus beiden Perspektiven ist das Buch lesenswert und auch für einen ersten Einstieg durchaus geeignet. Vielleicht wäre auch eine Übersetzung ins Englische denkbar.