Obgleich die Intellectual History in den letzten zwanzig Jahren eine spürbare Aufwertung erfahren habe, so Axel Schildt (1951–2019) in seiner monumentalen Studie über die bundesrepublikanischen Medien-Intellektuellen, „existieren bisher lediglich Fragmente einer Geschichte der Intellektuellen und ihrer Debatten“.1 Die beiden hier vorzustellenden Sammelbände nähern sich dem Thema aus unterschiedlicher zeitlicher und teils auch geographischer Perspektive. Die Beiträge im Band von Alexander Gallus, Sebastian Liebold und Frank Schale fokussieren auf die Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland – mit dem dezidierten Ziel, „ein farbiges Bild jener Epoche zu liefern, die in der Frische der Auseinandersetzung, im kantigen Profil ihrer Akteure, im Widerspruch zwischen Tradition und Willen zu politischer, gesellschaftlicher und technischer Veränderung heute – auch generationsbedingt – kaum mehr präsent ist“ (S. 9). Ingrid Gilcher-Holtey und Eva Oberloskamp drehen dagegen mit ihrem Band an der Uhr; sie richten den Fokus auf die Veränderungen hinsichtlich gesellschaftlicher Bedeutung und sozialer Rolle der Intellektuellen seit den 1960er-Jahren.2
Gallus, Liebold und Schale interessieren sich weniger für die großen ideengeschichtlichen Entwicklungen an sich, formulieren die drei Herausgeber doch den Anspruch, die Jahre der frühen Bundesrepublik aus sich selbst heraus zu verstehen. Mit Blick auf das titelgebende Vermessen sollen einerseits Forschungsfelder benannt und neu erschlossen, andererseits die „Tragfähigkeit zentraler theoretischer Prämissen der Intellectual History“ getestet werden (S. 12). Aufbrechen möchten die Herausgeber die Mär vom restaurativen Charakter der Adenauer-Ära; stattdessen fragen sie, welche Reaktionen auf Totalitarismus, NS-Herrschaft und Holocaust, aber auch auf den beginnenden Kalten Krieg und die neue westdeutsche Demokratie in wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Diskursen wahrnehmbar sind. Mit ihren „Vermessungen“ erheben sie keinen Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit, sondern verstehen die Beiträge eher als „Probebohrungen“ (S. 14) – mal biografisch, mal institutionell, aber auch über die Medien und Verlagshäuser.
Bleibt die Einleitung hier noch fast irritierend vage, liefert Alexander Gallus direkt im Anschluss einen deutlich konkreteren Problemaufriss, über welche Forschungsansätze sich eine Intellectual History der frühen Bundesrepublik schreiben lasse: Dies könne zunächst ein biografie- und erfahrungsgeschichtlicher Zugang sein, in dem die Sozialfigur des Intellektuellen mit all ihren Facetten betrachtet wird. Im vorliegenden Band wird dies beispielsweise anhand der intellektuellen Lebenswege von Arnold Bergstraesser, Max Horkheimer oder Jürgen Habermas vorgeführt. Sodann schlägt Gallus einen „theorie- und paradigmengeleiteten Pfad der Wissens- und Problemgeschichte“ vor, den er über die Politikwissenschaft exemplifiziert. Mit diesem Zugang solle eine stärkere Rückkopplung an die ursprünglichen gesellschaftlichen Probleme erreicht werden – dies auch, um eine „problemgeschichtliche Öffnung“ der Intellectual History anzustreben (S. 27). In einem dritten Ansatz, der auf die „materiell-kulturellen Ermöglichungsbedingungen intellektuellen Wirkens“ fokussiert, sind Verlagshäuser und deren Druckerzeugnisse ebenso gemeint wie jene Akteure, die wie Redakteure oder Intendanten die Arbeit der Intellektuellen erst möglich gemacht haben und die Gallus daher als „Multiplikatoren, Mediatoren und ‚Milieu-Manager‘ intellektuellen Guts“ begreift (S. 32). Innerhalb des Bandes verfolgt Gabriel Rolfes dies etwa anhand von Eugen Kogon und Walter Dirks als Herausgeber der „Frankfurter Hefte“, während Peter Hoeres die „FAZ“ untersucht. Viertens schlägt Gallus vor, sich dem Thema mit Blick auf die Entwicklungen in der DDR über eine Vergleichs- und Verflechtungsgeschichte zu nähern, ließen sich die klassischen Definitionen des Intellektuellen doch nicht einfach auf die DDR übertragen.
Axel Schildt hebt in einem postum veröffentlichten Beitrag sodann die Frontstellung des Kalten Krieges als „konstitutiv“ für die intellektuellen Debatten und Diskurse der frühen Bundesrepublik hervor (S. 37) – weit über die unmittelbar auf den Kalten Krieg bezogenen Positionierungen hinaus. Vielmehr habe der Systemkonflikt auch auf politikferne Felder eingewirkt. Dass sich die Intellektuellen dieser Gemengelage nicht hätten entziehen können, fasst Schildt gewohnt pointiert mit der Formel vom „Zwang zur Parteinahme“. Jener Zwang sei einerseits in „Sagbarkeitsregeln“ zum Ausdruck gekommen, andererseits in „informellen Sagbarkeitsgrenzen“ – an denen sich die damaligen Intellektuellen nicht gestört hätten, die aber „von heute aus gedacht, als Zumutung“ hätten empfunden werden müssen (S. 41).
Gallus’ Anregung einer vergleichs- und beziehungsgeschichtlichen Analyse der Intellektuellen in beiden deutschen Staaten greift Friedrich Kießling auf, der zunächst betont, dass der konservative Beginn der Bundesrepublik gewissermaßen konstituierend für die späteren Entwicklungen wie beispielsweise die große Wirkmächtigkeit der Frankfurter Schule war. Sodann lenkt er den Blick auf das hohe Maß an Skepsis, mit dem zahlreiche Intellektuelle der Bonner Republik – verstanden als eine lediglich „formale Demokratie“ – gegenübertraten, obwohl sie sich zeitgleich in eben dieser Demokratie einen Namen machten. Es sei faszinierend, sich vor Augen zu führen, „wie viele Intellektuelle, die den Staat zunächst kritisierten, im Laufe der Zeit in ihn hineinwuchsen und die Bundesrepublik nach und nach auch zu ihrem Staat machten“ (S. 60). Dies habe nicht zuletzt daran gelegen, dass die Bonner Republik als Staat „funktionierte“ (S. 61). In der DDR habe man es, so Kießling, hingegen mit einer ganz anderen Öffentlichkeitsstruktur zu tun, in der zahlreiche Halb-, Gegen- und Sonderöffentlichkeiten existierten. Trotz schon früh deutlich werdender Repression zeige sich als ein „irritierender Befund“, dass die „Übereinstimmung“ der Intellektuellen in der DDR mit ihrem Staat zumindest anfangs um ein Vielfaches größer gewesen sei als beim westlichen Nachbarn (S. 67).
Während Martina Steber mit Blick auf den Begriff „Konservatismus“, der nach 1945 problematisch geworden war, betont, wie sehr „Sprachkritik […] ein beständiges Hintergrundrauschen der bundesrepublikanischen politischen Kultur“ bildete (S. 130), unterzieht Karl-Siegbert Rehberg den Neuanfang der Soziologie einer kritischen Analyse. So zeigt er für die frühen Jahre die Dominanz einer „Verdeckungsrhetorik“ (S. 172), wenn es um Deutungen der nationalsozialistischen Vergangenheit ging, die „weitestgehend unreflektiert“ blieb (S. 178). Jan Eckel hebt hervor, wie sehr die „Zeitgeschichte“ für die junge Bundesrepublik zu einem „Spiegel“ geworden sei, „oft genug aber auch Motor der intellektuellen Veränderungen“, die sich in ihr ereignet hätten (S. 223). Die Gegenwartsdiagnosen der sich in jenen Jahren etablierenden Zeitgeschichte als Wissenschaft hätten erst dazu geführt, dass sich ein kritisches Geschichtsbewusstsein entwickelt habe. Dies veranschaulicht Eckel sowohl auf der institutionellen Ebene, wenn er beispielsweise die Formierungsphase des Instituts für Zeitgeschichte in München rekonstruiert3 oder aber deren erfolgreiches Publikationsorgan – die „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“ – betrachtet. Er rückt auch die erfahrungsgeschichtliche Dimension in den Blick, den „lebensgeschichtlichen Bezug“ der Zeithistoriker jener Jahre, wobei er festhält, wie wenig sich diese selbst „als handelnde Subjekte“ der von ihnen erforschten Epoche verstanden hätten (S. 233). Mag der Band erklärtermaßen auch keine Enzyklopädie der Intellectual History der Bundesrepublik sein, so ist er angesichts der zahlreichen Perspektiven, welche die Autor:innen mit ihren insgesamt 18 Aufsätzen eröffnen, zweifelsohne weit mehr als ein bloßes Vademecum für die erste Orientierung.
Die Sozialfigur des klassischen Intellektuellen, „des herausragenden Kulturschaffenden oder Gelehrten, der sich aus Überzeugung in politische Angelegenheiten des Gemeinwesens einmischt“, so heben es Ingrid Gilcher-Holtey und Eva Oberloskamp in ihrer Einleitung zu „Warten auf Godot?“ hervor, sei ab den 1960er-Jahren zunehmend hinterfragt und dekonstruiert worden (S. 3). Doch parallel zu jener „Intellektuellendämmerung“ seien zugleich neue Rollenbilder entstanden, beispielsweise der „rebellische“, „spezifische“ oder „kollektive Intellektuelle“. Neben dieser Diversifizierung, so die Herausgeberinnen in ihrer Einleitung, hätten zunehmend auch neue Akteur:innen wie Nichtregierungsorganisationen, Thinktanks oder Expert:innen den beschriebenen Wandel intensiviert. Gilcher-Holtey und Oberloskamp deuten diese „neuen Formen intellektuellen Engagements“ als „Reaktionen auf beschleunigte Transformationen“ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (S. 6). Jene substantiellen strukturellen Veränderungen – angefangen mit einer neu entstandenen Expertenkultur, einer beschleunigten Globalisierung, die von einer zunehmenden Fragmentierung der Gesellschaft begleitet wird, über den Wandel der Öffentlichkeitsstrukturen bis hin zu einem grundsätzlichen „Autonomieverlust des intellektuellen Feldes“ – hätten zu einem fundamentalen Wandel der Einflusssphären von Intellektuellen geführt (S. 7f.). Vor diesem Hintergrund gruppieren die Herausgeberinnen die 13 Beiträge des Bandes in vier Themenblöcke: „Die klassische Intellektuellenrolle und der Strukturwandel der Öffentlichkeit“, „Intellektuelle im Kontext sozialer Bewegungen“, „Rechter (Anti-)Intellektualismus“ sowie „Politisches Engagement und intellektuelle Autonomie“. Neben Jürgen Habermas, Alexander Kluge, Noam Chomsky, Eric Hobsbawm, Adam Michnik und einigen anderen werden mit Susan Sontag und Maria João Rodrigues nur zwei Frauen in ihrer Intellektuellenrolle eingehender untersucht. Spiegelt diese Schwerpunktsetzung das tatsächliche Geschlechterungleichgewicht im Intellektuellendiskurs seit den 1960er-Jahren wider? Leider bleibt eine entsprechende Diskussion im Band aus.
Wie gewinnbringend der grundsätzliche Ansatz ist, zeigt sich beispielsweise im zweiten Themenblock, wenn Eva Oberloskamp für die Atomenergiedebatte zeigt, dass sich der gesellschaftliche Widerstand gegen den als undemokratisch wahrgenommenen Beschluss, Atomkraftwerke (AKW) ungeachtet ihrer technologischen Risiken massiv auszubauen, zunächst ohne die Intervention der klassischen Intellektuellen formiert habe. Jene „vermeintlich ‚universellen Intellektuellen‘“ schienen „auf dem technischen Auge blind“ gewesen zu sein (S. 115), was letztlich dazu geführt habe, dass neuartige Typen von Intellektuellen die Bühne betreten hätten, die Oberloskamp anhand dreier exemplarischer Biografien vorstellt. Mit Hans-Helmut(h) Wüstenhagen porträtiert sie zunächst den Typus des „Bewegungsintellektuellen“, der als charismatischer Redner rasch zu einem Anführer des lokalen Widerstands aufgestiegen sei und dabei gleichermaßen identitätsbildend nach innen gewirkt sowie als Sprecher der Anti-AKW-Bewegung nach außen agiert habe. Bei Dieter von Ehrenstein, Professor für experimentelle Physik an der Reformuniversität Bremen, habe man es dagegen mit einem „spezifischen Intellektuellen“ zu tun, der weithin als Sachverständiger gefragt war, wobei er in seinen Stellungnahmen vielfach über die technisch-wissenschaftlichen Aspekte hinausgegangen sei und auch die „politischen, gesellschaftlichen und ethischen Implikationen der technischen Fakten“ berücksichtigt habe (S. 108). Der Journalist, Friedensaktivist und Zukunftsforscher Robert Jungk wiederum sei mit seinem Buch „Der Atom-Staat. Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit“, das sich ab 1977 zehntausendfach verkaufte, ein Vertreter des „allgemeinen Intellektuellen“ gewesen, der sich als Aufklärer verstand und die Öffentlichkeit zum Widerstand gegen die Atomenergie motivieren wollte. Auch aufgrund ihrer jeweiligen Profession sei die Handlungsautonomie der drei Akteure unterschiedlich stark ausgeprägt gewesen, wobei Oberloskamp abschließend mit Blick auf die „begrenzten Erfolge“ die von vornherein limitierten Einflussmöglichkeiten auf die Energiepolitik betont.
Trond Kuster legt dagegen schlüssig dar, warum Noam Chomsky im Kontext der Bewegung „Occupy Wall Street“ (seit 2011), mit der er von Beginn an sympathisierte, keineswegs als „Bewegungsintellektueller“ zu verstehen sei. Chomsky, der ab den 1960er-Jahren – zunächst noch im Kontext der Anti-Vietnamkriegsproteste – kontinuierlich seine Rolle als Intellektueller wahrgenommen habe und eben diese schon früh in seinem berühmten Aufsatz über „Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen“ (1967) reflektierte, habe in der Occupy-Bewegung zahlreiche seiner anarchistischen Ideen und Grundüberzeugungen wiedererkannt; zudem habe er in verschiedenen Publikationen und Interviews über die Bewegung nachgedacht. Damit war er Kuster zufolge „nicht nur Unterstützer nach innen, sondern zugleich auch Vermittler der Ideen und Konzepte der globalisierungskritischen Occupy-Bewegung nach außen“ (S. 140), dies wohlgemerkt ohne jeglichen Führungsanspruch, der mit dem klar kommunizierten Ziel der Bewegung, ohne Hierarchiestruktur auszukommen, sowieso nicht korrespondiert hätte. Chomsky habe vielmehr stets „autonom“ agiert, weshalb er eben nicht dem Typus des „Bewegungsintellektuellen“ entspreche.
Mit der Neuen Rechten, einer dem Autor zufolge als rechtsextremistisch einzuschätzenden Strömung, fokussiert Armin Pfahl-Traughber dagegen auf eine nicht selten verkannte oder ignorierte intellektuelle Gruppe, die er als ein „Netzwerk unterschiedlicher Publizisten“ ohne geschlossene Organisationsstruktur beschreibt (S. 148). Gemeinsam sei ihnen die ideologische Nähe zur Konservativen Revolution der Weimarer Republik, deren Ideen sie in die Gegenwart übertragen und angepasst hätten. Nach einem kurzen Überblick zur Entstehungsgeschichte stellt Pfahl-Traughber exemplarisch einzelne Foren und Netzwerke der Neuen Rechten vor, darunter das „Institut für Staatspolitik“ (2000–2024), das er als deren „Denkfabrik“ und „kommunikatives Zentrum“ benennt (S. 155). Aufgrund ihrer vielfachen Verbindungen zur AfD, zu PEGIDA oder den Identitären seien die gesellschaftliche Bedeutung und das Gefahrenpotenzial der öffentlich teils bewusst gemäßigt auftretenden rechtsorientierten Intellektuellen nicht zu unterschätzen.
Thomas Kroll wiederum zeichnet ausgehend von dem durch Deindustrialisierung und Transformation in die Dienstleistungsgesellschaft beschleunigten Niedergang der britischen Arbeiterbewegung die Krisendiagnose des marxistischen Historikers Eric Hobsbawm nach. Dieser habe eine „intensive Reflexion der politischen Rolle des ‚Intellektuellen‘ in der Arbeiterbewegung“ geleistet (S. 183). Hätten die Intellektuellen gegenüber dem Proletariat bis in die 1960er-Jahre hinein eine „prinzipiell dienende Haltung einnehmen und sich in die Hierarchien der Arbeiterparteien einfügen müssen“ (ebd.), wandelte sich deren Funktion in Hobsbawms Denken mit der einsetzenden Krise der britischen Arbeiterbewegung deutlich. Nun ging auch der britische Historiker – ähnlich wie der US-amerikanische Linguist Chomsky – von der Notwendigkeit einer „union of intellectuals and the masses“ aus. Die Intellektuellen könnten „ihrerseits zwar politische Erneuerungsprozesse und sogar soziale Revolutionen anstoßen, deren Erfolg sei aber nur mit Hilfe von proletarischen Massenorganisationen denkbar“ (S. 184). Zugleich wies er den Intellektuellen eine Mittlerfunktion zu, sah er sie doch als unabhängige Akteure innerhalb der Arbeiterbewegung und zugleich als strategische Bündnispartner der Labour Party – sie sollten, wie Kroll ausführt, „eine Art kreative ‚pressure group‘“ bilden (S. 185).
Das Nachspüren des stetigen und facettenreichen Wandels der Sozialfigur des Intellektuellen ist fraglos eine Stärke des Bandes, der auf diese Weise eine neue Dimension der Intellectual History eröffnet. Doch so willkommen die Öffnung und Pluralisierung der Perspektiven auf die Intellektuellengeschichte und auf die neuen Rollen der Intellektuellen auch ist, wie sie in beiden Bänden vorgenommen wird und hier nur ansatzweise erläutert werden konnte, so verwunderlich ist indes, warum die visuelle Ebene der Intellectual History weitestgehend ausgespart bleibt – als wäre diese nicht Teil der Medien- und Kommunikationsprozesse. So hat beispielsweise Niklas Maak 2021 anschaulich dargelegt, wie sehr Jürgen Habermas es verstand, sich in seiner Villa am Starnberger See auf dem Sofa, dem „kommunikativen Epizentrum“, umgeben von modernem Mobiliar und zeitgenössischer Kunst, zu inszenieren. Das Private wurde auf diese Weise über eine Vielzahl an Reportagen zu einem elementaren „Teil seiner Außendarstellung“.4 Habermas war gewiss nicht der erste Intellektuelle der Bundesrepublik, der die bildsymbolische Dimension von Pressefotografien und Magazinreportagen mitzudenken wusste – und erst recht nicht der letzte. Zudem irritiert, wie sehr der Intellektuellenbegriff in beiden Büchern noch immer auf die schreibende Zunft beschränkt bleibt, wirkten doch nicht nur Philosoph:innen, Schriftsteller:innen, Soziolog:innen, Politikwissenschaftler:innen, Publizist:innen oder Historiker:innen am intellektuellen Klima mit, sondern eben auch Film- und Theaterregisseur:innen, Musiker:innen oder bildende Künstler:innen, die sich über ihre Inszenierungen, Performances und ästhetischen Positionen hinaus (oder gerade durch diese künstlerische Arbeit) ebenfalls politisch äußerten. In den hier diskutierten Bänden sucht man solche Akteur:innen weitgehend vergeblich – mit Ausnahme Rosa von Praunheims, den Christian Neuhierl im Sammelband „Warten auf Godot?“ unter dem treffenden Titel „Radikale Selbst-Ermächtigung“ vorstellt.
Anmerkungen:
1 Axel Schildt, Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Gabriele Kandzora und Detlef Siegfried, Göttingen 2020, S. 10.
2 Inzwischen ist dieser Band im Free Access abrufbar: https://doi.org/10.1515/9783110681444 (14.12.2024). An der Tagung im Juli 2018, die dem Sammelband vorausging, war auch Axel Schildt mit einem Vortrag beteiligt, konnte aber leider keinen Aufsatz mehr fertigstellen.
3 Siehe dazu jetzt auch Frank Bajohr / Magnus Brechtken (Hrsg.), Zeitzeugen, Zeitgenossen, Zeitgeschichte. Die frühe NS-Forschung am Institut für Zeitgeschichte, Göttingen 2024.
4 Niklas Maak, Die absolute Form und die Geschichte. Betrachtungen zum Haus Habermas, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 15 (2021) 3, S. 101–114.