I. Schnelling-Reinicke u.a. (Hrsg.): Karrieren in Preußen

Cover
Titel
Karrieren in Preußen – Frauen in Männerdomänen.


Herausgeber
Schnelling-Reinicke, Ingeborg; Brockfeld, Susanne
Reihe
Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte – Beihefte
Erschienen
Anzahl Seiten
349 S.
Preis
€ 119,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne-Laure Briatte, Fakultät für German studies, Sorbonne Universität, Paris

Denke ich an Preußen in der Nacht... Um das in Paris verfasste Gedicht „Nachtgedanken“ Heinrich Heines aus dem Jahr 1844 in leicht veränderter Form aufzugreifen, so fallen mir bestimmt nicht unmittelbar Karrieren von Frauen ein. Umso erfreulicher ist es, dass die Zeitschrift Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte sich vorgenommen hat, mit einem Beiheft zu Geschlechterverhältnissen die preußische Geschichte in der Frühen Neuzeit und der neueren Geschichte neu zu beleuchten. So reiht sich dieser Band eindeutig in der neueren Preußenforschung ein, die sich seit den 1980er Jahren vom Fokus auf den Macht- und Militärstaat ab- und weiteren Dimensionen der Geschichte des preußischen Staates zuwendet. Mit der Akzentsetzung auf Geschlechterverhältnisse trägt er auch dazu bei, ein Forschungsdesiderat der Preußenforschung zu erfüllen.

Anlässlich des 100. Jahrestages der Einführung des Wahlrechts für Frauen in Deutschland im November 1918 veranstalteten die Preußische Historische Kommission und das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz ihre gemeinsame Jahrestagung 2018 zum Thema „Karrieren in Preußen – Frauen in Männerdomänen“. In dem vorliegenden Beiheft sind die dort gehaltenen Vorträge samt Abendvortrag zusammengestellt.

Im Vorwort erläutern die Herausgeberinnen Ingeborg Schnelling-Reinicke und Susanne Brockfeld ihr Vorhaben, auf die preußische Geschichte, die „in erster Linie als maskulin empfunden“ (S. 5) sei, ein neues Licht zu werfen, und „unter Berücksichtigung der aktuellen Forschungsdiskussion in der Frauen- und Gender-, aber auch der Sozialgeschichtsforschung, lange Zeit männlich dominierte Räume auf ihre Öffnung oder Verschlossenheit für Frauen in Preußen zu untersuchen“ (ebd.). Kurzum geht es um „Karrieren in Preußen – Frauen in Männerdomänen“ (ebd.).

An dieser Stelle bedauert die Rezensentin, dass die Begriffe „Karriere“ und „Männerdomänen“ nicht weiter definiert und problematisiert werden. Unter der Voraussetzung, dass Frauen die meisten betroffenen Berufe versperrt waren, stellt sich die Frage, wie sich dann „Frauenkarrieren“ vermessen lassen? Welche Kriterien werden hierzu verwendet, wenn die damalige gesellschaftliche Ordnung keine Karriere von Frauen in den betroffenen Bereichen vorsah? Ferner sollte der nur auf den ersten Blick selbstverständliche Begriff „Männerdomäne“ kontextualisiert werden. Diese Redewendung von der „Männerdomäne“ suggeriert eine scharfe Trennung der männlichen von der weiblichen Sphäre, die es so nicht gab, und blendet eine Komplexität und Anpassungsfähigkeit in den Geschlechterverhältnissen aus, die in manchen Beiträgen klar zum Vorschein kommen.

Der auf dem öffentlichen Abendvortrag beruhende Beitrag Gunilla Buddes steckt mit drei außergewöhnlichen Frauenbiographien aus Preußen epochenübergreifend (18. bis 21. Jh.) den Rahmen ab und zeigt am Beispiel dieser „Meisterinnen weiblichen networkings“ (S. 45) die strukturellen Voraussetzungen weiblichen Vordringens in Bereichen auf, die ihnen auf Grund ihres Geschlechts eigentlich verschlossen waren. Dazu zählten „zeitspezifische Umstände, das soziale und kulturelle Kapital-Vermögen der Akteurinnen und ihrer Konterparts und – last but not least – die situative Gemengelage plus persönlicher Dispositionen“ (S. 14). Dies wird in den darauffolgenden Beiträgen vielfach bekräftigt, die nach den vier Bereichen – Arbeit, Kunst, Militär und Politik/Diplomatie – geordnet sind.

So stellt sich zunächst die Frage, wie sich in den Arbeitswelten die Geschlechterzugehörigkeit auf Handlungsräume und -möglichkeiten von Frauen auswirkte. Bezogen auf die Frauen der ländlichen Unterschichten, Mägde und Frauen in Landarbeiterfamilien, weist Monika Wienfort darauf hin, dass die ständisch geprägte preußische Gesindeordnung von 1810, die Leben und Arbeit des Gesindes beiderlei Geschlechts regelte, ein ständisches Rechtsverhältnis schuf, das nur selten ausdrücklich zwischen Frauen- und Männerarbeit unterschied. Nach Abschaffung der Gesindeordnung infolge der Revolution von 1918/19 setzte sich die privatrechtliche Benachteiligung der Frauen fort, und die bürgerliche Normvorstellung der Hausfrauenehe dehnte sich auf die Frauen der ländlichen Unterschicht aus. Bezogen auf die Handlungsräume von in Zunfthandwerken in Soest und Lippstadt tätigen Frauen während der Frühen Neuzeit zeigt Claudia Strieter eindrücklich, dass „auch in den beiden Untersuchungsstädten [...] Frauen dauerhaft am Produktions- und Distributionsprozess der Handwerke beteiligt waren“ (S. 70), obwohl sie meist in den Normen „hinter ihren Männern“ (S. 71) verschwanden. Wenn ihr Status als selbstständig agierende Frauen immer wieder bedroht und die Gewerberechte von Frauen Gegenstand von Aushandlungen zwischen Frauen, Zünften und Obrigkeiten waren, so folgte dies eher einer Logik von Konkurrenz als einer Marginalisierung von Frauen als solchen. In ihrem Beitrag über Frauenproteste in Berlin und Preußen um 1900 skizziert Susanne Knoblich das weite Spektrum der proletarischen und bürgerlichen Frauenbewegungen. Sie zeigt die Vielfalt ihrer Aktionen und Protestformen in ihrem Kampf um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen etwa durch die Einführung einer weiblichen Gewerbeinspektion und insbesondere durch den historischen Streik der Konfektionsindustrie, in der über 90 Prozent Frauen beschäftigt waren, im Frühjahr 1896.

Der nächste Abschnitt ist der Kunst gewidmet. Die ersten beiden Beiträge beschäftigen sich mit bildender Kunst auf komplementäre Art. Untersucht Angelika Schaser die individuellen, strukturellen und kontextbezogenen Voraussetzungen beruflichen Erfolgs für weibliche Künstlerinnen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, so bietet Birgit Verwiebe eine Fallstudie, in der sie die Ausstellung von Werken von Malerinnen an der Alten Nationalgalerie in Berlin auf Inhalt und Genre, technische Fertigkeit und Umstände der Erwerbung und Dauer der Ausstellung hin untersucht. So umfassend und präzise der Beitrag ist und diese Werke von Frauen auch an Hand von farbigen Abbildungen wieder sichtbar macht, bleibt am Ende der etwas resignierte Schluss Schasers, die die Erforschung von weiblicher Kunst ein „Paralleluniversum“ (S. 130) nennt, das zwar von der allgemeinen Kunstgeschichtsschreibung freundlich wahrgenommen wird, aber an deren Kanonisierungsstrategie nichts zu ändern vermag. Mit ihrem Beitrag zum Verein der Berliner Künstlerinnen als erstem Berufsverband bildender Künstlerinnen in Preußen und im deutschsprachigen Raum zeichnet Carola Muysers die Gründungsgeschichte des Vereins nach und zeigt, wie der Verein für von der Kunst lebende Künstlerinnen Ressourcen schuf, um die von Schaser ausgearbeiteten Voraussetzungen zu erfüllen.

Die vier Beiträge zur „Männerdomäne“ Militär und Krieg zeigen allesamt, dass „der Krieg ein temporär begrenztes Fenster [eröffnete], in dem Frauen in Männerdomänen tätig werden konnten [...], in einem Machtfeld, dessen Regeln sie nicht kontrollierten.“ (Marian Füssel, S. 208). In seinem Beitrag geht Marian Füssel Frauen im Siebenjährigen Krieg auf die Spur und analysiert ihre Handlungsmöglichkeiten in verschiedenen Situationen wie der Einquartierung, dem Dienst bei der Armee und der literarischen Öffentlichkeit. All diese Situationen attestieren, so Füssel, dass Frauen als militärische und politische Akteurinnen, als Propagandistinnen und als Zuschauerinnen in den kriegerischen Auseinandersetzungen partizipierten. Der Art und Weise, wie Frauen nolens volens in den Krieg miteinbezogen waren und gewisse Zusatzlasten dadurch tragen mussten, ist der Beitrag Denny Beckers zur familiären Arbeitsorganisation in Kriegs- oder Übungszeiten für preußische Soldatenfrauen im 18. Jahrhundert gewidmet. Thomas Weißbrich wendet sich der Thematik „Frauen in Uniform“ zu und analysiert, wie es einzelnen Frauen im 19. Jahrhundert gelang, inkognito in der preußischen Armee zu dienen und wie das Engagement dieser Ausnahmefiguren in der preußischen Geschichtsschreibung und Historiendramen medial aufgearbeitet wurde. Schließlich untersucht Sophie Häusner den schweren Stand der Rotkreuz-Krankenschwestern in ihrer Zusammenarbeit mit dem Militär im Ersten Weltkrieg und zeigt eindrücklich auf, wie durch verschiedene Grenzziehungen die polare Geschlechtervorstellungen eines männlichen und weiblichen Bereichs aufrechterhalten wurden.

In Politik und Diplomatie waren Frauen nicht nur als Gattinnen von männlichen Amtsträgern, sondern unter bestimmten Umständen auch als eigenständige Akteurinnen zu sehen. Das preußische Erbrecht ließ zwar keine direkte weibliche Herrschaft zu, doch zeigt Hillard von Thiessen, dass es in den frühneuzeitlichen Außenbeziehungen durchaus Handlungsräume für weibliche Akteure gab. Genauer war die Fürstengesellschaft „ein System [...], das von der männlichen Herrschaft als Normalfall ausging, aber weibliche Herrschaft als legitimen Ausnahmefall zuließ“ (S. 294). In ihrem Beitrag stellt Birgit Aschmann die Königin Augusta als „political player“ in Preußens Politik dar und zeichnet nach, in welchen spezifischen Zeiten, Räumen und Feldern die preußische Königin und Kaiserin ihre Handlungsspielräume ausdehnen konnte. Schließlich zeigt Pauline Puppel am Beispiel der Johanna von Puttkammer, die in dieser Rolle genauso unglücklich war wie ihr Ehemann sie für ungeschickt hielt, welche Aufgaben, Handlungsmöglichkeiten und Normen Ehefrauen von Diplomaten zufielen und welche beruflichen Kompetenzen von ihnen erwartet wurden.

Als Fazit zeigt der Band facettenreich, dass es in Preußen in der Zeit vom 17. bis zum frühen 20. Jahrhundert, also epochengreifend, keine reinen Männerdomänen gab. Vielmehr waren in den betroffenen beruflichen Feldern meist beide Geschlechter involviert, wenn nicht aufeinander angewiesen, und in bestimmten Situationen öffneten sich oft zeitlich begrenzte Fenster mit erweiterten Handlungsmöglichkeiten für Frauen. Abgesehen von der oben genannten Kritik ist diese Lektüre für alle empfehlenswert, die an einer geschlechtersensiblen Preußenforschung interessiert sind.

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