Titel
Die Deutschland-Akte. Juden und Deutsche in Ost und West. Tatsachen und Legenden


Autor(en)
Wolffsohn, Michael
Erschienen
München 1996: Bruckmann Verlag
Anzahl Seiten
396 S.
Preis
DM 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Constantin Goschler, Castrop-Rauxel

Die DDR und die Juden - Neue Literatur und Perspektiven

Nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft begann sich auch auf dem Boden der SBZ bzw. DDR allmählich wieder ein jüdisches Leben zu rekonstruieren. Auch gegenüber dem 1948 gegründeten Staat Israel herrschte in Moskau wie in Ostberlin anfänglich durchaus Wohlwollen, wurde doch der neue Staat zuerst als antiimperialistischer Pflock im Fleisch des britischen Empires betrachtet. Die sich seit Ende der vierziger Jahre von der Sowjetunion wellenförmig an die Peripherie des Ostblock ausbreitenden antisemitischen Ausschreitungen zerstörten jedoch schon bald diesen Honey-moon mit Israel, und ebenso die sich gerade erst entwickelnden Grundlagen jüdischen Gemeindelebens in der DDR. Dort gipfelten diese Vorgänge unter anderem Ende 1952 in der Verhaftung Paul Merkers und der Veröffentlichung der "Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky" durch das ZK der SED. Die Folge war 1953 ein massenhafter jüdischer Exodus aus der DDR, an dessen Ende von den etwa 5000 Juden, die sich mittlerweile wieder dort angesiedelt hatten, gerade noch etwa 1500 übriggeblieben waren.1 1989 sollte diese überalterte und kontinuierlich schrumpfende jüdische Restgemeinde nur noch 380 Mitglieder zählen. Woraus speist sich angesichts dieser scheinbar marginalen Bedeutung des Gegenstandes das Interesse am Verhältnis der DDR zu den Juden?

Die internationale Öffentlichkeit betrachtete die Beziehungen zwischen der DDR und den Juden vielfach als einen Prüfstein der Glaubwürdigkeit des ostdeutschen Staates - beanspruchte dieser doch, weitaus radikaler als sein verfeindeter Zwillingsbruder mit den Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus aufgeräumt zu haben. Mißtrauen herrschte jedoch vor allem darüber, inwieweit ein antisemitisches Dispositiv in der DDR weiterhin fortwirkte. Zu solchen Fragen gab vor allem die antizionistische Propaganda gegenüber Israel Anlaß, die im Gefolge der Anfang der fünfziger Jahre betriebenen antisemitisch gefärbten Kampagne in der DDR einsetzte. In der Wahrnehmung der politischen Führung der DDR konzentrierte sich das Problem im Umgang mit den Juden vor allem auf drei Gruppen: die wenigen Juden im eigenen Lande, den Staat Israel und die amerikanischen jüdischen Organisationen. Einen Brennpunkt bildete die Frage der "Wiedergutmachung" der den Juden durch den Nationalsozialismus zugefügten Verbrechen. Dabei enthielt vor allem die Frage der nunmehr zum sozialistischen "Volkseigentum" gewordenen ehemaligen jüdischen Vermögenswerte auf dem Gebiet der DDR viel Sprengstoff. Die DDR lehnte jedoch vor allem unter Verweis auf die angeblich großzügige Unterstützung der auf ihrem Staatsgebiet lebenden Juden, aber auch auf die von ihr sorgfältig erfüllten Reparationspflichten sowie die Überwindung aller Hinterlassenschaften des Faschismus fast bis zu ihrem Ende jegliche Verantwortung für diese Fragen ab.

Bereits vor 1990 entstanden einige wichtige Arbeiten zum Verhältnis der DDR zu den Juden. Hervorgehoben seien nur einige wenige wichtige Beispiele: Die Dissertation Gerald E. Thompsons bot eine erste Gesamtdarstellung jüdischen Lebens in der DDR.2 Hingegen standen in den Arbeiten Peter Dittmars3 sowie Inge Deutschkrons4 die außenpolitischen Aspekte im Mittelpunkt. Während diese Arbeiten ganz auf öffentlich zugängliche Quellen sowie Interviews angewiesen waren, boten sich im Gefolge der nach der Wende erfolgten Öffnung der Archive der ehemaligen DDR ganz neue Möglichkeiten. In den letzten Jahren entstand so eine Anzahl neuer Studien und Quelleneditionen, von denen im folgenden einige vorgestellt werden sollen. Dabei hatte es offensichtlich mit den politischen Orientierungsbedürfnissen der ersten Jahre nach dem Ende der DDR zu tun, daß zumindest in den ersten Arbeiten zu diesem Thema der Versuch eine zentrale Rolle spielte, anhand des Umgangs mit den Juden eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung des "Antifaschismus" für die Politik, aber auch das Bewußtsein der politischen Eliten wie der Bevölkerung der DDR zu führen. Dies geschah einerseits in der Absicht, den Antifaschismus als Mythos zu entlarven, mitunter aber auch mit dem Ziel, verteidigungswürdige Bruchstücke aus dieser Hinterlassenschaft zu orten. Diese Phase, in der es um aktuelle Legitimierungsbedürfnisse im Zuge der Vereinigung der beiden deutschen Staaten ging, scheint aber allmählich zu Ende zu sein, und dies dürfte sich langfristig auch positiv auf das Niveau der Fragestellungen auswirken.

Soweit es die Untersuchung der Juden in der DDR betrifft, konzentrieren sich diese Untersuchungen in der Regel auf die jüdischen Gemeindemitglieder, da dies das einzige sozusagen unverdächtige Definitionskriterium darstellt. Zumindest für die Erforschung des jüdischen Lebens in der DDR, soviel muß vorab gesagt werden, bergen die neuen archivalischen Zugangsmöglichkeiten neben vielen Chancen allerdings auch eine methodische Herausforderung in sich: Da die jüdischen Gemeinden der ehemaligen DDR (in Anlehnung an die traditionelle Praxis des Vatikans) den Zugang zu ihren Archiven nicht in gleicher Weise ermöglichen, wird die Perspektive auf dieses Verhältnis nun ganz wesentlich durch den in ihren hinterlassenen Aktenbergen verewigten Blick der Partei-, Staats- und Sicherheitsorgane der DDR geprägt. Gefahrenquellen liegen insbesondere dort, wo es um die Einschätzung der Qualität der Beziehungen mit den Juden geht, da hier der Maßstab möglichst vollständiger Kontrolle zugrundeliegt. Die in den amtlichen Quellen dokumentierte notorische Neigung, eigene Erfolge ins beste Licht zu setzen bzw. solche zu feiern, auch wenn es sie vielleicht gar nicht gab, läßt sich im Grunde nur durch die konsequente Benutzung von Gegenüberlieferungen kontrollieren. Solche sind aber, wie gesagt, oft entweder nicht zugänglich oder haben nie existiert. Es wird im einzelnen zu überprüfen sein, wie die einzelnen Arbeiten mit diesem Problem umgehen.

Ein weiteres prinzipielles Problem besteht darin, daß Untersuchungen zum Verhältnis zwischen der DDR und den Juden oft dazu neigen, implizit ein bestimmtes Modell vorauszusetzen, wie dieses Verhältnis eigentlich beschaffen sein sollte. Idealtypisch lassen sich vor allem zwei Positionen unterscheiden: Die eine benennt die Akkulturation und Integration der Juden als hauptsächlich erstrebenswertes Ziel, die andere dagegen die Erhaltung der religiösen und kulturellen Identität des Judentums. Diese Fragen durchziehen die Geschichte des deutschen Judentums seit dem 19. Jahrhundert. Seit 1945, spätestens aber seit der Gründung Israels 1948 kommt hinzu aber auch noch die auch innerjüdisch äußerst kontrovers diskutierte Frage, in welchem Verhältnis jüdisches Leben in Deutschland zur jüdischen Diaspora steht.

Ein gutes Beispiel für diese Problematik bildet die Studie Mario Keßlers, die am Forschungsschwerpunkt Zeithistorische Studien in Potsdam entstand und die vor allem auf der Auswertung der einschlägigen SED-Akten basiert. Er konzentriert seine mit einem Dokumentenanhang angereicherte Darstellung auf die politischen Entwicklungen bis 1967. Mario Keßler kommt dabei zu dem Ergebnis, daß dem Verhältnis der SED zu den Juden letztlich das auf Assimilation zielende Konzept der Kommunistischen Internationale zugrunde gelegen sei. Seine Untersuchung folgt dabei dem Schema, wonach dem "guten Anfang" im Osten Deutschlands, in dem sich "vor allem für bewährte Antifaschisten, darunter für nicht wenige Kommunisten jüdischer Herkunft" Aufstiegschancen eröffnet hätten, in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren eine zeitweise Unterbrechung gefolgt sei.5 Doch sei die SED nach dieser Phase der Repression wieder auf den Pfad der Toleranz zurückgekehrt. Seit dem Frühjahr 1953 hätte "die SED-Führung einen deutlichen Trennungsstrich zwischen Antizionismus und Antisemitismus" gezogen. Die in der DDR lebenden Juden, die sich nach 1953 in ihrer Existenz nicht mehr hätten bedroht fühlen müssen, hätten ein Maß an Toleranz genossen, das ihnen erlaubt hätte, "sich in die Gesellschaft zu integrieren."6

Damit wird deutlich, daß Keßler das kommunistische Assimilationskonzept als Bewertungsmaßstab für seine Analyse übernommen hat. Dies wird auch dadurch unterstrichen, daß er - im Gegensatz zu den meisten anderen Autoren - nicht zwischen in jüdischen Gemeinden organisierten und außerhalb der Gemeinden in der DDR lebenden Juden unterscheidet. So vermißt Keßler am Ende zwar, daß die SED-Führung nicht in der Lage gewesen sei, "die vielschichtige Problematik jüdischer Existenz in Deutschland wie in Israel genügend wahrzunehmen." Doch gelangt er zu dem alles in allem positiven Ergebnis, daß sich diese Politik nach einem Ausrutscher in die Repression bis 1967 hin zur Toleranz entwickelt habe. Im Zusammenhang der auch von ihm deutlich gesehenen Funktionalisierung der Juden in der DDR für die Zwecke der SED erscheint die Verwendung des Begriffes "Toleranz" in diesem Zusammenhang aber unbedacht und unangemessen.7

Wesentlich kritischer fällt dagegen der Blick Michael Wolffsohns auf das Verhältnis der DDR zu den Juden aus. Ihm geht es vor allem darum, die "antifaschistische Legende" als solche bloszustellen. Zu diesem Zweck konzentriert er sich vorrangig auf die außenpolitischen Aspekte des Themas. Erklärtermaßen verfolgen Michael Wolffsohn und seine Mitarbeiter dabei zugleich das ehrgeizige Ziel, einen wissenschaftlichen Schelmenroman zu schreiben, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleiben soll.(14f.) Die zentrale These des Bandes wird auf der letzten Seite des Werkes bündig zusammengefaßt: "Vom Antifaschismus und der vermeintlichen Judenfreundlichkeit der DDR bleibt nichts. Nichts bleibt."(388) Die Aufforderung an den eiligen Leser, sich die Belege für diese These durch Lesestreifzüge durch die einzelnen Kapitel zu holen, bereitet allerdings nicht immer Vergnügen: Die vorgeblichen Konzessionen an einen leserfreundlichen Stil bewirken m. E. mitunter das Gegenteil. Die als hauptsächliches Stilmittel eingesetzten parataktischen Satzkonstruktionen haben bei der Lektüre eines fast 400-Seiten langen Buches den ermüdenden Effekt einer Fahrradtour auf Kopfsteinpflaster.

Das Buch basiert auf intensiven Archivrecherchen in Deutschland, Israel, USA und Großbritannien. Wolffsohn konnte dabei noch die Akten des Außenministeriums der DDR einsehen, die bald darauf auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik wieder gesperrt wurden. Die Struktur des Werkes zerfasert gelegentlich in anekdotische Einzelschilderungen, die letztlich vor allem die zentrale These immer wieder umschreiben, wonach das "antifaschistische Vermächtnis" der DDR nur eine nicht zuletzt auf gutgläubige Idealisten im Westen berechnete Attrappe gewesen sei. Diesen Gedanken verfolgt er im einzelnen anhand von Versuchen seitens der DDR, die Bundesrepublik - etwa durch inszenierte Hakenkreuzschmierereien - außenpolitisch zu diskreditieren, das Problem des Antisemitismus in der DDR, das Verhältnis der DDR zu Israel und den arabischen Staaten sowie die Versuche der DDR in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, ihre Beziehungen zu amerikanischen jüdischen Organisationen zu verbessern. Bemerkenswert ist dabei seine These, daß zwar die politische Führung der DDR "alles andere als immun" gegen den Antisemitismus gewesen sei, die Bürgermehrheit jedoch demoskopischen Untersuchungen am Ende der DDR zufolge zum Teil eine größere Distanz zu braunen und antisemitischen Positionen besessen habe, als die Bevölkerung der Bundesrepublik.(111) Er unterläßt es jedoch zu interpretieren, ob dies trotz des staatsoffiziellen Antifaschismus oder wegen diesem so der Fall gewesen sei.

Das Gegenstück zu dieser Arbeit bildet in gewisser Weise die Studie Angelika Timms, die sich auf die Beziehungen der DDR zu Israel konzentriert und dabei den Zeitraum bis 1990 untersucht.8 Im Zusammenhang der gegenwärtigen Debatte um Historiker im Nationalsozialismus, in der auch die Frage der "Lernfähigkeit" nach 1945 eine wichtige Rolle spielt, ergeben sich hier interessante Parallelen. Angelika Timm war bis zum Ende der DDR eine radikale Vertreterin antizionistischer, antiisraelischer Positionen. 9 Seither hat sie sich auch international einen Ruf als Expertin für das Verhältnis zwischen der DDR und Israel erarbeitet, wobei sie ihre Kenntnisse aus früheren amtlichen Funktionen sozusagen produktiv verwerten konnte. Jenseits der auch von ihr selbst reflektierten Problematik der intellektuellen Aufrichtigkeit einer solchen Wissenschaftlerinnenbiographie ist jedenfalls festzustellen, daß sie eine solide Studie vorgelegt hat, in der die politischen Beziehungen zwischen der DDR und Israel im Mittelpunkt stehen. Bemerkenswert ist auch hier der breite Archivzugang, hat sie doch gleichfalls alle für ihr Thema einschlägigen Archive in Deutschland, Israel und den USA ausgewertet. Auch sie war noch in der glücklichen Lage, den mittlerweile versperrten Zugang in das Archiv des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten in der DDR nutzen zu können. Ihr Band enthält einen edierten Quellenanhang, wobei für viele Leser insbesondere die Übersetzung hebräisch verfaßter Quellen nützlich sein dürfte.

Auch für Angelika Timm stellt die Frage des Umgangs mit den Juden den "Lackmustest" des antifaschistischen Credos der DDR dar, den diese letztlich nicht bestanden habe.10 Sie legt jedoch Wert darauf, daß dies nur für die "Königsebene" gelte. Demgegenüber habe jedoch eine bislang unerforschte "Alltagserfahrung des Antifaschismus" einen wichtigen Bestandteil ostdeutscher Realität gebildet.(387) Doch bleibt ihre eigene Untersuchung selbst ganz auf der "Königsebene" und muß sich von daher vor allem mit den Widersprüchen des offiziellen Antifaschismuskonzepts herumschlagen. Dabei versucht sie "Antisemitismus" und "Antizionismus" begrifflich voneinander abzugrenzen und bezeichnet die Exzesse der frühen fünfziger Jahre als "politisch-taktischen Antisemitismus".(389) Zusammenfassend kommt sie zu dem Ergebnis, daß die "Staatspolitik der DDR und die öffentliche Meinung ... - mit Ausnahme antijüdischer Repressionen im Gefolge des Slansky-Prozesses - nicht antisemitisch im engeren Sinne" gewesen seien. Doch sei das "Verhältnis des Staates zu den jüdischen Gemeinden des Landes durch Unwissenheit, Ignoranz und zum Teil auch bewußte politische Instrumentalisierung gekennzeichnet" gewesen.(397)

Anders als Keßler vermag Angelika Timm dabei zu unterscheiden, daß die staatliche Förderung der jüdischen Gemeinden als Religionsgemeinschaften dennoch auf die Zerstörung jüdischer Identität zielen konnte.(391) Im Ganzen vertritt sie die Auffassung, daß nicht nur die jüdischen Gemeinden, sondern auch antijüdische Haltungen seitens der politischen Führung instrumentalisiert worden seien. Dies führt zu der bemerkenswerten Einschätzung des Antisemitismus als einer Art 'sozialistischer Realpolitik': So seien auch die proarabischen und antizionistischen, antiisraelischen Stellungnahmen im Nahostkonflikt nicht "auf eine antijüdische Grundeinstellung zurückzuführen", sondern hätten sich "aus systemorientierter Parteinahme und realpolitischen Interessen" ergeben. Doch bemerkt Angelika Timm zugleich an, daß der offizielle Antizionismus der DDR seit Anfang der fünfziger Jahre die Möglichkeit bot, antisemitische Dispositionen in der politischen Führung wie in der Bevölkerung offen zu artikulieren, was auch sie als Förderung eines latenten Antisemitismus einschätzt.(398) So bleibt vor dem Hintergrund ihrer eigenen These eines 'doppelten Antifaschismus' - einerseits ein staatsoffizieller, andererseits ein lebensweltlicher, volkstümlicher - die Frage offen, wie die Wechselwirkungen zwischen dieser Art von offiziellem, "taktischen" Antisemitismus und populären antisemitischen Dispositionen genau beschaffen waren. Möglicherweise würde sich dann auch der 'volkstümliche Antifaschismus' als Chimäre erweisen.

Für die Bearbeitung der außenpolitischen Dimensionen der Beziehungen zwischen der DDR und den Juden leistete auch Yeshayahu A. Jelinek einen wichtigen Beitrag. Die von ihm herausgegebene Quellenedition konzentriert sich auf die deutsch-israelischen Beziehungen zwischen 1945 und 1965. Sie basiert auf umfangreichen Recherchen in deutschen, israelischen, amerikanischen und britischen Archiven und bietet diese in deutscher Übersetzung. Dieses mit einer nützlichen Einleitung versehene Werk bietet somit die Möglichkeit, die Beziehungen beider deutscher Staaten mit Israel in diesem Zeitraum miteinander zu vergleichen. Zu den thematischen Schwerpunkten gehören unter anderem die Frage der Wiedergutmachung, das Verhältnis zu den arabischen Staaten, aber auch der Eichmann-Prozeß.

Auf die Beziehungen zwischen der DDR und den dortigen jüdischen Gemeinden konzentrieren sich dagegen zwei kurz nacheinander erschienene Arbeiten, wovon die erste als Habilitationsschrift an der Universität Bochum entstand, die zweite als Dissertation an der Freien Universität Berlin. Die Quellenbasis beider Arbeiten, die erste von Lothar Mertens, die zweite von Ulrike Offenberg, weist eine ähnliche Struktur auf. Beide müssen sich vor allem auf die Archivüberlieferung von Staat und Partei beziehen, da sie nur äußerst begrenzt Zugang zur Überlieferung der von ihnen untersuchten jüdischen Gemeinden in der DDR erhielten. Das Material gibt in beiden Fällen deutlich erkennbar den thematischen Zugang vor: In ähnlicher Weise schildern sie die Geschichte der jüdischen Gemeinden in der DDR als einen Versuch von Staat und Partei einerseits, diese zu kontrollieren und zu instrumentalisieren, sowie andererseits als einen Prozeß von Anpassung und gelegentlich auch partieller Resistenz.

Für Lothar Mertens steht dabei im Vordergrund seiner Untersuchung, die durch "Partei und Staat vorgegebenen politischen Rahmenbedingungen für eine religiöse Präsenz der überlebenden jüdischen NS-Opfer unter dem atheistisch-autoritären Regime der SED" zu analysieren. Die "verschiedenen Facetten der Existenzbedingungen" reichten dabei, so Mertens, "vom eher distanzierten 'Absterben' der Religion in der 'sozialistischen Menschengemeinschaft' der Ulbricht-Ära bis hin zur gezielten außenpolitischen Instrumentalisierung der jüdischen Gemeinden in den späten Honecker-Jahren".(26) Seine Untersuchung zerfällt in zwei Teile: Die erste, chronologisch geordnete Hälfte des Buches konzentriert sich auf die organisatorische Entwicklung der jüdischen Gemeinden von 1945 bis Anfang der 90er Jahre. Die folgenden, systematisch geordneten Kapitel greifen dagegen spezielle Probleme des Verhältnisses zwischen den jüdischen Gemeinden zu Staat und Partei heraus und entwickeln diese zu Fallstudien.

Im Ergebnis gelangt Mertens dazu, das Verhältnis der jüdischen Gemeinden zu Staat und Partei in vier Phasen einzuteilen, die in etwa auch der Abfolge der vier Präsidenten des Verbands der Jüdischen Gemeinden in der DDR entsprechen. Die Ära Julius Meyer, die zunächst im Zeichen einer wohlwollenden Haltung gegenüber den Juden gestanden habe, sei in der antisemitischen Interrimsperiode 1950-53 zu Ende gegangen - symbolisiert durch die Flucht Meyers nach Westen. Darauf folgte, so Mertens, von Mitte der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre ein "Phase politischer Indifferenz, in der die Gemeinden staatlicherseits weitgehend unbeachtet blieben und ihrerseits unter der Führung von Hermann Baden in kritischer Distanz zum sozialistischen Staat verharrten."(383) In einer dritten Phase zwischen 1967 bis Anfang der achtziger Jahre hätte die DDR-Führung vor dem Hintergrund der Verschärfung des Nah Ost-Konflikts versucht, "die Juden als Alibi für die antizionistische Politik des Staates zu benutzen". Dieses Verhalten sei von den SED-Mitgliedern in den jüdischen Gemeinden mitgetragen worden, wobei sich vor allem Verbandspräsident Helmut Aris hervorgetan habe. Unter dem letzten Verbandspräsidenten Siegmund Rotstein hätten die jüdischen Gemeinden in der DDR hingegen eine zunehmende Aufmerksamkeit erfahren. Dies sei sich jedoch besonders ihrer vermuteten Nützlichkeit für außenpolitische Zwecke geschuldet gewesen, weshalb die neue Fürsorglichkeit besonders innig mit Versuchen der Vereinnahmung und Instrumentalisierung einhergegangen sei. Der kleinen Gruppe jüdischer Bürger sei nunmehr verstärkt "die Rolle von öffentlichen Demonstrationsobjekten" zugekommen. Nachdem sie in den ersten Nachkriegsjahren "als Alibi für die antifaschistische Politik" hatten dienen müssen, so Mertens, wurden sie "nun in den achtziger Jahren zu einem Instrument der sozialistischen Entspannungs- und Außenpolitik."(384) Äußere Anzeichen dafür waren etwa die Gründung des Centrum Judaicums in Ost-Berlin und Bemühungen um die Anstellung eines Rabbiners sowie um verbesserte Beziehungen zu Israel und amerikanischen jüdischen Organisationen.

Auch Mertens läßt dabei keinen Zweifel daran, daß dies in erster Linie dazu dienen sollte, der Außen- und Außenhandelspolitik der DDR größere Spielräume zu eröffnen. Neben Honeckers Wunsch, eine prestigeträchtige USA-Einladung zu erhalten, spielte dabei auch das handfeste Ansinnen um die Zuerkennung der Meistbegünstigungsklausel im Handel mit Nordamerika eine entscheidende Rolle. Interessant ist dabei vor allem Mertens Befund, daß die offizielle DDR-Politik gegenüber den jüdischen Gemeinden in den achtziger Jahren in wachsende Abhängigkeit von der westlichen Öffentlichkeit geriet. Die Versuche, die neubegründeten jüdischen Kontakte 1989/90 noch zur Erhaltung des Fortbestandes einer postsozialistischen DDR zu instrumentalisieren, sei jedoch "am Junktim mit der über Jahrzehnte negierten Wiedergutmachung" gescheitert.(386) Es bleibt hinzuzufügen, daß selbst wenn dies geglückt wäre, dies vermutlich auch nichts am Ausgang verändert hätte. So besteht die eigentliche historische Ironie in der bis zuletzt herrschenden Überschätzung des jüdischen Einflusses auf die Weltpolitik durch die DDR-Führung. Hier schienen sich der systemimmanente Hang zu verschwörungstheoretischer Analyse mit Elementen des antisemitischen Dispositivs perfekt ergänzt zu haben.

Die Arbeit Ulrike Offenbergs weist naturgemäß erhebliche inhaltliche Überschneidungen auf. Um so mehr bietet es sich an, die Unterschiede des Zugriffes zu verdeutlichen. Ulrike Offenbergs zentrale Frage lautet, warum sich "die Vertreter jüdischer Gemeinden derart distanzlos mit der DDR" identifiziert hätten?(9) Darin liegt allerdings bereits eine problematische Unterstellung enthalten. So schildert sie die Geschichte der jüdischen Gemeinden in der SBZ bzw. DDR seit 1945 einerseits als Kampf verschiedener Fraktionen um die Dominanz des jüdischen Gemeindelebens, andererseits als von SED-Genossen innerhalb der jüdischen Gemeinden aktiv unterstützten Kampf von Staat und Partei um Kontrolle und Instrumentalisierung dieser Gemeinden.

Ihre Ausführungen zielen zu weiten Teilen darauf, ein deplorables Bild des Verhaltens der jüdischen Gemeinden gegenüber den an sie gerichteten ideologischen Zumutungen des sozialistischen Regimes zu zeichnen. Nach dem Massenexodus 1953 sei nur noch eine führerlose, überalterte Restgemeinde übriggeblieben, die keinerlei Distanz zu Staat und Macht mehr eingehalten habe. Geradezu genüßlich verweist Ulrike Offenberg dazu insbesondere auf die mittlerweile erfolgten zahlreichen Enthüllungen ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi unter wichtigen Funktionären der jüdischen Gemeinden der DDR, die so alles in allem als willfährige Transmissionsriemen der SED-Herrschaft erscheinen.(157f.) Dabei stellen sich bei der Lektüre gelegentlich Bedenken ein, ob hier die Erfolgsperspektive, die in den Akten von Staat und Partei enthalten ist, nicht in allzu unreflektierter Weise übernommen wurde. Deutlich wird jedenfalls das Ziel dieser Arbeit, die jüdischen Gemeinden in der DDR nachträglich zu delegitimieren. Dabei stützt sie sich auf ein normatives Vorverständnis dessen, wie sich Juden in der DDR hätten verhalten sollen. Ulrike Offenberg lehnt den Weg der "Assimilation" beharrlich ab und macht diese geradezu verantwortlich für die von ihr konstatierte politisch-moralische Malaise: "In Ermangelung religiöser oder kultureller Bindungen an das Judentum nahmen viele Gemeindefunktionäre den staatlich propagierten Antifaschismus als Identifikationsersatz an"(189), tadelt die studierte evangelische Theologin. Immer wieder finden sich in diesem Buch derartige Wertungen, die daraufhin hinauslaufen, daß die solcherart 'bindungslosen Juden' leichte Beute der Staatsideologie werden mußten.

In gewisser Weise konstruiert Ulrike Offenberg damit die Vorgeschichte zu der in der Endphase der DDR durch den Westberliner Sozialwissenschaftler und Journalisten Dr. Mario Offenberg in Ost-Berlin wiedergegründeten orthodoxen jüdischen Gemeinde Adass Jisroel, die von den Nationalsozialisten ausgelöscht worden war. Bei der Schilderung dieser Neugründung divergieren die Darstellungen bei Lothar Mertens und Ulrike Offenberg erheblich, weshalb es sich lohnt, hier etwas näher darauf einzugehen. Mertens zufolge habe es sich bei dieser Wiedergründung im wesentlichen um ein Familienunternehmen gehandelt, und nicht um eine legitime Nachfolge der ehemaligen Gemeinde Adass Jisroel. Die DDR habe sich in ihrer Spätphase vor allem aus Gründen des erhofften außenpolitischen Prestigegewinns von Offenberg instrumentalisieren lassen, obwohl sie um die Fragwürdigkeit dieser Ansprüche gewußt habe. Am Ende habe es sich als besonders hilfreich erwiesen, daß der in den späten achtziger Jahren mit der anwaltschaftlichen Vertretung Mario Offenbergs beauftragte Lothar de Maizière der Übergangsregierung Hans Modrows als stellvertretender Ministerpräsident eintrat und dort für Kirchenfragen zuständig war. Unter seiner Ägide wurde die Angelegenheit zügig im Sinne seines ehemaligen Mandanten entschieden.11 Damit bestätigt Mertens auf Grundlage umfangreicher archivalischer Recherchen eine frühere journalistische Darstellung des Falles durch Henryk M. Broder.12

Ulrike Offenberg läßt die umstrittene Frage unerörtert, inwieweit Mario Offenberg berechtigt war, als legitimer Nachfolger einer Gemeinde ohne Gemeindemitglieder aufzutreten. Für sie steht dagegen ein grundsätzlicher Konflikt im Mittelpunkt: Die jüdischen Gemeinden in der DDR seien "assimilatorisch orientiert und darauf bedacht [gewesen], sich nicht gegen ihre Umwelt abzusetzen. Das fehlende Selbstbewußtsein war mit einem Mangel an jüdischem Wissen und an Wertschätzung der jüdischen Tradition gepaart. Dem stand das traditionsbewußte Judentum der Adass Jisroel gegenüber, das auch notwendige Abgrenzungen gegenüber der nichtjüdischen Umgebung und gegenüber dem Staat vollzog."13 Auf diese Weise erweist sich die scharfe Kritik am "assimilatorischen Verhalten" des "traditionslosen" Judentums in der DDR zuletzt als Legitimation der umstrittenen Wiederbegründung der orthodoxen Gemeinde Adass Jisroel durch Mario Offenburg. Dieser hatte sein Traditionsbewußtsein allerdings anscheinend erst nach Abschluß seiner an der Freien Universität Berlin 1974 angenommenen Dissertation über "Kommunismus in Palästina - Nation und Klasse in der antikolonialen Revolution" erworben.14

Es stellt sich so der Verdacht, daß die Studie Ulrike Offenbergs, die zu Mario Offenburg gleichermaßen in familiärer und beruflicher Verbindung steht, Teil einer heftigen Auseinandersetzung um Legitimierung und Delegitimierung darstellt, die unter den jüdischen Gemeinden vor allem im Osten Berlins nach 1990 geführt wurde. Den Hintergrund des Konflikts bildete nicht zuletzt die Frage der Aktivlegitimation für das umfangreiche Vermögen des unter nationalsozialistischer Herrschaft geraubten Vermögens der ehemaligen jüdischen Gemeinden. So stimmen Ulrike Offenberg und Lothar Mertens zumindest am Schluß ihrer Darstellungen, der das Ende der jüdischen Gemeinden in der DDR betrifft, weitgehend überein: Deren 1990 unter Leitung Heinz Galinskis erfolgte Vereinigung mit den westlichen jüdischen Gemeinden sei in ausgesprochen autoritärer und ruppiger Manier durchgeführt worden. Die östliche Braut habe zwar eine reiche Mitgift in Gestalt von Rückerstattungsansprüchen in die gemeinsame Ehe eingebracht, doch seien die weniger als 400 jüdischen Gemeindemitglieder im Osten Deutschlands unter den etwa 35.000 Gemeindemitglieder im Westen praktisch verschwunden und hätten auch jegliches Mitspracherecht verloren.15

Bei der Bilanz des Gesamteindruck der in den letzten Jahren erschienenen, manchmal auf nahezu exzessive archivalische Materialbasis gestützten Studien ergibt sich ein zwiespältiger Eindruck: Wir wissen nun viel mehr, aber das Verständnis ist nicht im gleichen Maße gewachsen. Verglichen mit den älteren Studien zum Verhältnis der DDR und den Juden gibt es wenig Überraschungen. Das bestehende Bild wird vielfach differenziert, ausgemalt, belegt, aber kaum einmal umgestürzt. Dieser auch in anderen Bereichen der DDR-Forschung gelegentlich auftauchende Eindruck mag zum einen mit der Struktur der sozialistischen Ideologie und Herrschaft zu tun haben, vielleicht auch mit der Qualität älterer Forschung. Möglicherweise hat es aber auch damit zu tun, daß zunächst einmal die tradierten Fragestellungen noch einmal neu durchdekliniert wurden, nur diesmal auf der Basis zugänglicher Archive des ehemaligen Herrschaftsapparats. Die gelegentlich auftretende Monotonie, die durch das immer wieder neue Belegen von Instrumentalisierung und Funktionalisierung irgendwelcher gesellschaftlicher Gruppen durch Staat und Partei in der DDR entsteht, läßt sich daher vielleicht am ehesten durch neue Fragestellungen durchbrechen. Deshalb sollen im folgenden im Anschluß an die oben besprochenen Arbeiten einige vielleicht erfolgversprechende Perspektiven vorgeschlagen werden:

Erstens sollte man die Stellung der Juden in der DDR stärker systematisch mit der Rolle der christlichen Kirchen vergleichen. Zum einen ließen sich dabei vermutlich einige Spezifika im Umgang mit Juden in der DDR genauer bestimmen. Zum anderen wäre es im Anschluß an die im Hinblick auf die christlichen Kirchen bereits intensiv geführte Diskussion über die Verstrickung kirchlicher Würdenträger in das Informantennetz der Stasi vielleicht auch möglich, insbesondere die mit der Rolle des Informellen Mitarbeiters in gesellschaftlichen Organisationen verbundenen Probleme differenzierter analysieren.16 Vor allem gilt es dabei die Funktionalisierung des IM-Status als Totschläger in gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen zu vermeiden. Die größere Frage wäre dabei, wie im Falle der jüdischen Gemeinden das komplizierte Verhältnis von Anpassung und Resistenz beschaffen war. Stärker als dies bislang erfolgt ist, könnten die Juden in der DDR somit auch als ein Fallbeispiel für das Herrschaftssystem der DDR und seine Strukturbedingungen dienen.

Zu fordern wären auch begrifflich stärker geschärfte Analysen zum Verhältnis von "Antisemitismus" und "Antizionismus". Soweit diese Unterscheidung in den bisherigen Studien erfolgte, waltet oftmals ein gewisser Dezisionismus. Erfolgversprechend könnte auch hier die Einbettung in Vergleichsperspektiven sein. Vor allem aber könnten die Systemgrenze der DDR überschreitende Untersuchungen etwa zurück in nationalsozialistische Zeit vielleicht auch dazu führen, unser Verständnis von der realen Akzeptanz und Bedeutung des Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung zu verbessern. Ein zugegebenermaßen willkürlicher Eindruck aus der Lektüre der Tagebücher Viktor Klemperers, die Stimmungsberichte aus Dresden in der Kriegszeit wiedergeben17, wirft etwa die Frage auf, inwieweit die antikapitalistische Komponente des Antisemitismus, die dort sehr im Vordergrund steht, im Verhältnis zu seiner rassistischen Komponente vielleicht stärker gewichtet werden müßte, zumal da sie später mühelos die Anschlußfähigkeit zu einer antifaschistischen Einstellung herstellte. Hieraus ergeben sich möglicherweise weitreichende Konsequenzen für Gestalt und Kontinuitätslinien des antisemitischen Dispositivs.

Die Untersuchung jüdischen Lebens in der DDR sollte zudem nicht in der bisherigen Ausschließlichkeit unter die Perspektive des Verhältnisses zu Staat und Partei gestellt sein. So wäre etwa auch die Frage des Verhältnisses der in der DDR lebenden Juden zu den Juden in Israel und der Diaspora zu fragen. Inwieweit bestand beispielsweise auch für in der DDR lebende Juden ein Rechtfertigungsdruck im Hinblick darauf, daß sie sich nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes wieder auf deutschem Boden ansiedelten? Im Falle der Bundesrepublik spielte dies bekanntlich eine gewichtige Rolle.18 Kann man so vielleicht gar hypothetisch formulieren, daß derartiger Druck die Juden in der DDR stärker an die Seite des Regimes trieb? Zu fordern wäre also auch hier, nicht mehr länger mehr oder weniger ausgeprägt den Blick der politischen Eliten der DDR auf "die Juden" zu reproduzieren, der diese als Teil eines monolithischen "Weltjudentums" betrachtete. An seine Stelle sollte die Beschäftigung mit der Pluralität jüdischer Gruppierungen, Interessen und Identitäten stehen.

Daraus folgt als ein weiteres Desiderat, sich auch mit dem Problem der Einbeziehung derjenigen Juden, die nicht in Gemeinden organisiert waren, stärker zu beschäftigen. Dies führt letztlich zum Problem jüdischer Identitätsbildung unter den Bedingungen der DDR. Welche Veränderungen lassen sich hierbei in der Zeit des Bestehens dieses Staates feststellen? Was hat es dabei zu bedeuten, daß es bereits einige Jahre vor dem Zusammenbruch der DDR zu Bemühungen der jüdischen Identitätsvergewisserung außerhalb der jüdischen Gemeinden kam? Langfristig führt auch diese Frage über den engeren Zeitraum der DDR hinaus: Sie mündet letztlich in eine Untersuchung der Veränderungen, die seit Beginn der 90er Jahre durch den Zustrom meist religionsferner Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in die jüdischen Gemeinden Ostdeutschlands ausgelöst wurden. Doch bietet sich das Thema des Verhältnisses der DDR zu den Juden ohnehin in besonderer Weise an, die DDR sei es durch synchrone oder diachrone Vergleiche aus ihrer historiographischen Insellage herauszuholen.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu insbesondere Jeffrey Herf, Antisemitismus in der SED. Geheime Dokumente zum Fall Paul Merker aus SED- und MfS-Archiven, in: VfZ 42 (1994), S. 635-667; ders., Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland, Berlin 1998, S. 130-193.
2 Jerry E. Thompson, Jews, Zionism, and Israel: The Story of the Jews in the German Democratic Republic since 1945, Ph. D. Thesis Washington State University 1978. Zu erwähnen wäre auch die Interviewsammlung von Robin Ostow, Jüdisches Leben in der DDR, Frankfurt a. Main 1988.
3 Peter Dittmar, DDR und Israel. Ambivalenz einer Nicht-Beziehung, Teil I u. II, in: Deutschland-Archiv 10 (1977), S. 736-754, 848-861.
4 Inge Deutschkron, Israel und die Deutschen. Zwischen Ressentiment und Ratio, Köln 1970.
5 Keßler, S. 148 f.
6 Ebenda, S. 150 f.
7 Siehe auch die Kritik von Lothar Mertens, Davidstern unter Hammer und Zirkel, S. 13.
8 Auf dieser Studie basiert auch ihre Spezialstudie zum Problem der jüdischen Wiedergutmachungsforderungen an die DDR: Angelika Timm, Jewish Claims against East Germany. Moral Obligations and Pragmatic Policy, Budapest 1997.
9 Vgl. hierzu auch die scharfen Vorwürfe bei Wolffsohn, S. 80-85.
10 Timm, S. 400.
11 Mertens, S. 345-374.
12 Henryk M. Broder, Juden rein!, in: ders., Erbarmen mit den Deutschen, Hamburg 1993, S. 85-115.
13 Offenberg, S. 245.
14 1977 hatte Mario Offenberg zudem auf dem Leipziger Dokumentarfilmfestival für seinen Film "Der Kampf um den Boden der Palästiner in Israel" einen Preis der PLO erhalten. Siehe Mertens, S. 345.
15 Offenberg, S. 270-273; Mertens, S. 154 ff.
16 Vgl. hierzu etwa Charles S. Maier, Das Verschwinden der DDR und der Untergang des Kommunismus, Frankfurt a. M. 1999, S. 473-499.
17 Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-1945, Berlin 1998, hrsg. v. Walter Nowojski u. Mitarbeit v. Hadwig Klemperer, 10. Aufl., Berlin 1998.
18 Vgl. dazu etwa Münch, Peter L.: Zwischen "Liquidation" und Wiederaufbau: die deutschen Juden, der Staat Israel und die internationalen jüdischen Organisationen in der Phase der Wiedergutmachungsverhandlungen, in: Historische Mitteilungen 22 (1997), S. 81-111.

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