P. Pichler: Metal Music, Sonic Knowledge and the Cultural Ear in Europe since 1970

Cover
Titel
Metal Music, Sonic Knowledge, and the Cultural Ear in Europe since 1970. A Historiographic Exploration


Autor(en)
Pichler, Peter
Reihe
Studien zur Geschichte der Europäischen Integration 34
Erschienen
Stuttgart 2020: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
184 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Vitus Sproten, Belgisches Generalstaatsarchiv und Staatsarchive in den Provinzen, Dienststelle Eupen

Obwohl sich Peter Pichler in seiner Monographie Metal Music, Sonic Knowledge, and the Cultural Ear in Europe since 1970 in erster Linie mit der Geschichte der Heavy Metal-Musik bzw. (Sub-)Kultur (im Folgenden auch kurz „Metal“) beschäftigt, sind seine Fragestellungen in vielerlei Hinsicht an verschiedene Forschungszweige der jüngeren zeithistorischen Forschung anschlussfähig. Im Zentrum des Werkes steht dabei die Frage, wie sich die Heavy Metal-Kultur in einem zusammenwachsenden Europa entwickelte und in welchem Zusammenhang diese beiden Größen zueinander standen. Pichler versteht sein Werk dabei in erster Linie als einen ersten Beitrag und als eine Erkundung des Heavy Metals aus historischer Perspektive.

Dementsprechend eröffnet das Werk nicht nur Einblicke in die Geschichte des Heavy Metals, sondern verfolgt eine Fragestellung, die für die (populär-)kulturhistorische Forschung und die transnationale Historiographie von Interesse ist. Gerade die Frage, wie sich zwischenmenschliche und kulturelle Kontaktzonen und das gelebte Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelten und ausgestalteten, ist dabei noch weitestgehend unerforscht, verspricht aber neben politikhistorischen oder wirtschaftshistorisch geprägten Fragestellungen zahlreiche erkenntnisfördernde Einblicke, die zu einem besseren Verständnis eines immer enger verflochtenen Europas beitragen. Die Analyse bietet daher zahlreiche Anknüpfungspunkte und weiterführende Fragestellungen für eine tiefergehende Erforschung der Heavy Metal-Musik im Besonderen und der Geschichte der (Populär-)Kultur im Allgemeinen.1 Gerade der Fokus des Autors auf die Zeit ab 1970 ermöglicht dabei Einblicke in eine aus kulturhistorischer Perspektive weitestgehend un(t)erforschte Zeit. Dass Pichler einen Bogen bis in die Jetztzeit spannt und seine Studie mit ethnographischen Betrachtungen endet, darf als durchaus innovativ gewertet werden.

Pichler erkundet – so auch der Untertitel seiner Studie – im ersten Teil des Werkes anhand verschiedener theoretischer Fragestellungen die Geschichte des Heavy Metals. Dabei schlägt er sechs Wege vor, die zur Entschlüsselung der Geschichte des Gegenstandes dienen sollen: „Prolegomena“, „Narrativism, Narrations and Emplotment“, „Identities and Identitary Practices“, „Europeanness, Transnationalism, Entaglement“ sowie „Time“ und „Space“. Die einzelnen Herangehensweisen sind teils nochmals in Spannungsfelder untergliedert. Hierauf aufbauend erarbeitet der Autor einen Ansatz, den er als sonic knowledge beschreibt und der aus fünf Einflussgrößen gebildet wird: Dabei handelt es sich zunächst um Metalness, worunter szenetypische Strukturen verstanden werden, die gleichzeitig Wandlungsprozessen unterliegen. Daneben wird das Sonic Emplotment des Metals untersucht, wobei insbesondere Narrative in Metal-Musik und über Metal in den Blick genommen werden. Dabei versteht der Autor die Narrative des Metals als sonische Gesamtwerke, wenn er textliche und klangliche Elemente in seine Analyse einbezieht. Drittens untersucht Pichler die „Europeanness“ des Genres. In den Blick genommen werden dabei insbesondere die Zirkulationen der Metal-Musik und der mit ihr verbundenen Kultur im transnationalen und europäischen Kontext. Letztlich nimmt der Autor die Einordnung des Metals in Zeit und Raum in den Blick. Hierbei werden einerseits das Album als „taktgebende“ Größe und andererseits die Tour als raumschaffende Größe verstanden.

Dabei geht es dem Autor in erster Linie um die Entschlüsselung von Sinnstiftungsprozessen, die in und über Metal stattfinden, sowie deren identitäts- und szenenformende Wirkung. Zentrale Themen sind dabei Inklusion und Exklusion, Wahrheit und Authentizität, Gender und Sexualität, Gefühle, Krieg, Gewalt, Performativität und andere Formen der genregebundenen Sinnstiftung (S. 73). Deutlich wird dabei insbesondere, dass der Autor der Vielschichtigkeit seines Untersuchungsobjektes gerecht werden will.

In der Gesamtschau entsteht in diesem ersten Teil der Studie ein überzeugender theoretischer Rahmen, der immer wieder versucht, Metal Music nicht als statisches Genre bzw. kulturelle Ausdrucksform zu verstehen, sondern dynamischen historischen Entwicklungen nachspürt. Diese Herangehensweise erlaubt es dem Autor, den unterschiedlichen Einflussfaktoren, die auf den Metal einwirkten, zu erforschen. Eine Adaptation des Konzepts zur Erforschung anderer Musikstile, Räume, kultureller Ausdrucksformen oder Kontaktzonen bietet sich daher durchaus an. Obwohl an zahlreichen Stellen deutlich wird, dass der Autor den Musikstil auch aus der Perspektive eines Hörers kennt, erlaubt es dieser theoretische Rahmen, eine kritische Distanz zum Untersuchungsobjekt aufzubauen. Immer wieder hinterfragt Pichler daher gekonnt gängige Mythen, die in ähnlicher Form auch für andere Musikgenres gelten könnten.

Im zweiten Teil der Studie wird Metal dann anhand von neun empirischen Fallstudien analysiert, wobei Alben, Tourneen, Events und Praktiken in die Analyse einbezogen werden. Hierbei geht er methodisch mit einem close reading an die ausgewählten Quellen heran und untersucht etwa „Motörhead’s ‚Classic‘ Tours“, das Debutalbum der Band Black Sabbath oder das Album „Reign in Blood“ der Band Slayer. Obwohl der Autor die Veröffentlichung einer grundlegenden Erforschung der Geschichte der Heavy Metal Music gar nicht für sich beansprucht, vermisste der Rezensent – dies legt auch das nicht vorhandene Quellenverzeichnis oder bei Zitaten nur ungenügend angegebene Verweise nahe – gerade in diesem Teil der Arbeit eine Erforschung des Themas auf Grundlage einer breiteren Quellenbasis. Obwohl die Studie, nachdem sich bereits anthropologische, soziologische oder musikologische Studien mit der Thematik befasst haben, einen ersten Beitrag zur historischen Erforschung des Themas leisten will, bleibt eine umfassende Beschäftigung mit historischen Quellen aus. Vielmehr werden auf Basis von einzelnen Quellen allgemeine Aussagen über die Geschichte des Heavy Metals getroffen. Auch vor dem Hintergrund eines bis dato „übertheoretisierten“ Forschungsfeldes zur historischen Erforschung von populärer Kultur wäre die Einbeziehung einer breiteren Quellenauswahl unter Rückgriff auf das dargelegte theoretische Konzept wünschenswert gewesen.

Ein Wermutstropfen ist ebenfalls, dass die europäische Integration – sei es auf kultureller, ökonomischer oder sozialer Ebene – sowie die Entwicklung des Genres Heavy Metal Music eher lose und unverbunden nebeneinanderstehen, sodass die Passagen zur europäischen Integration vielfach wie Kontextinformationen für ein historisch uninformiertes Publikum wirken. Die Wechselbeziehungen zwischen den beiden Faktoren werden eher schemenhaft angedeutet. Hierzu trägt zweifelsohne bei, dass eine breitere Einbettung in die Forschungslandschaft zu kulturhistorischen Fragestellungen oder die Historiographie zur europäischen Integration fehlt. In der Gesamtschau wirkt die Monographie aus der Perspektive des Historikers daher wie der Auftakt zur weiteren historischen Erforschung der kulturellen Entwicklungen ab den 1970er-Jahren vor dem Hintergrund eines zusammenwachsenden Europas und weniger wie ein erster Beitrag zu seiner Erforschung.

Überzeugend kann Pichler in diesem empirischen Teil der Arbeit hingegen darlegen, dass es sich bei dem besprochenen Genre um ein offenes, aber gleichzeitig zutiefst europäisches musikalisches Kulturgut handelt, das nur vor dem Hintergrund transnationaler Einflussfaktoren verstanden werden kann und bis dato einer stärkeren Historisierung harrte. So erweisen sich zahlreiche Passagen zu Konzerten, Alben oder einzelnen Musikstücken, die diese vor dem Hintergrund historischer Ereignisse erzählen, als durchaus spannend und als ein möglicher Anknüpfungspunkt für eine tiefergehende Erforschung. Genannt seien an dieser Stelle etwa stilistische Wandlungsprozesse und Experimente der Band Pyogenesis vor dem Hintergrund einer sich in den 1990er- und 2000er-Jahren wandelnden europäischen Musik- bzw. Kulturlandschaft (S. 126–133). Dementsprechend werden gerade fachfremde Forscher, die sich ebenfalls mit der Entwicklung des Genres beschäftigen und in den letzten Jahren für ein sehr lebendiges Forschungsfeld zu Heavy Metal Music sorgten, die Analyse mit einigem Gewinn lesen.

Anmerkung:
1 An dieser Stelle sei etwa auf die DFG-FNR geförderte Forschungsgruppe “Populärkultur Transnational – Europa in den langen 1960er Jahren” verwiesen, die sich mit ebenjener Fragestellung beschäftigt: https://popkult60.eu/de/ (31.03.2021).

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