P. Anker: The Power of the Periphery

Cover
Titel
The Power of the Periphery. How Norway Became an Environmental Pioneer for the World


Autor(en)
Anker, Peder
Reihe
Studies in Environment and History
Erschienen
Anzahl Seiten
XIII, 285 S.
Preis
£ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fabian Zimmer, Institut für Philosophie, Literatur-, Wissenschafts- & Technikgeschichte, Fachgebiet Technikgeschichte, Technische Universität Berlin

„The Power of the Periphery. How Norway Became an Environmental Pioneer for the World“ – der Titel des neuen Buchs des Historikers Peder Anker mag auf den ersten Blick skeptisch stimmen, klingt er doch ausgesprochen affirmativ und wirft Fragen auf in Anbetracht der Tatsache etwa, dass sich Norwegen nach wie vor unter den größten Erdölförderländern der Welt befindet und damit eine eher fragwürdige Pionierrolle einnimmt. Tatsächlich erweist sich der Titel aber nach Lektüre als der einzige größere Kritikpunkt an einem ansonsten rundum informativen und lesenswerten Buch. Anker geht es nämlich keineswegs darum, Norwegen als das Modell ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit zu schildern, als das sich das Land gerne inszeniert und selbst versteht, sondern darum, die Entstehung genau dieses Selbstbildes nachzuvollziehen. Es sei geprägt gewesen von der Vorstellung, dass abseits urbaner und industrieller Zentren, etwa im norwegischen Hochgebirge, ein moralisch überlegenes Modell für eine nachhaltigere Gesellschaft gefunden werden könne. „The Power of the Periphery“ erscheint so als „a system of belief“, als „a social construction“, wie Anker (leider erst) in seinem erhellenden Schlusskapitel schreibt (S. 239).

Ankers Buch, das in der renommierten Reihe Studies in Environment and History erschienen und auch im Open Access verfügbar ist, bietet einen fundierten Einblick in die Geschichte der norwegischen Umweltdebatten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und erschließt einem internationalen Publikum damit ein Feld, das bislang ohne entsprechende Sprachkenntnisse kaum zugänglich war. Dabei steht diese norwegische Geschichte keineswegs isoliert da, begegnen einem doch bei der Lektüre zahlreiche international bekannte Namen (Thor Heyerdahl, Arne Næss, Jørgen Randers, Gro Harlem Brundtland), wodurch Ankers Darstellung auch für eine nicht unmittelbar an Skandinavien interessierte Leser:innenschaft von hohem Interesse ist. Der besondere Reiz des Buches liegt allerdings in dem spezifischen Fokus, den der Wissenschaftshistoriker Anker seiner Geschichte gibt: Er bezeichnet sein Buch treffend als eine „social history of science“ (S. 6). Im Mittelpunkt seiner Darstellung stehen die „scholar-activists“, wie Anker sie nennt – die Vertreter zahlreicher wissenschaftlicher Disziplinen, die an den norwegischen Umweltdebatten zwischen den 1960er- und 1990er-Jahren beteiligt waren (S. 6 und passim). Peder Anker, der heute an der New York University lehrt, zuvor aber lange in Oslo tätig war, hat hier somit auch ein Stück seiner eigenen intellektuellen Biografie erforscht.

Ankers Buch gliedert sich in neun Kapitel, die von einer Einleitung und einem Schlusskapitel gerahmt werden. Die neun Kapitel des Hauptteils sind grob chronologisch organisiert und folgen mehr oder weniger eng den „scholar-activists“ jeweils einer Disziplin: „starting with (1) anthropology and archeology, followed by (2) ecology, (3) philosophy, (4) politics, (5) environmental studies, (6) theology, (7) managerial sciences, (8) geology, and finally ending with (9) economics“ (S. 6). Besonders gelungen in dieser Hinsicht sind die mittleren Kapitel des Buches. So erzählt Anker in Kapitel 3, 4 und 5 eine detaillierte Geschichte der Tiefenökologie (Deep Ecology), in der Arne Næss als Begründer der philosophischen Strömung eine prominente, aber keineswegs dominierende Rolle spielt. Gekonnt schreibt Anker hier eine intellektuelle Biographie Næss’ und seiner Kollegen, die er eng mit ihren Reise- und Naturerfahrungen als Bergsteiger verschränkt. Hierbei tauchen zahlreiche Figuren auf, die einem internationalen Publikum kaum bekannt sein dürften, wie der Philosoph und Aktivist Sigmund Kvaløy, den Anker später als „unofficial charismatic leader of the Deep Ecologists“ (S. 100) bezeichnet. Anker arbeitet also höchst detailliert, verliert dabei aber nie die breiteren Kontexte aus dem Blick und ordnet die Institutionalisierung ökologischen Denkens im philosophischen Kanon der Universität Oslo in die zeithistorisch prägenden Konflikte ein, die sich allesamt um das Jahr 1970 konzentrieren: die Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung, die Proteste gegen ein geplantes Wasserkraftwerk am Mardøla-Wasserfall und das Referendum über den EG-Beitritt Norwegens.

In Kapitel 7 dann widmet sich Anker dem Limits To Growth-Report von 1972 mit einem besonderen Fokus auf seinen jungen norwegischen Co-Autor Jørgen Randers. Im Mittelpunkt steht hier Randers’ Entwicklung des Konzepts einer „sustainable society“, das in den folgenden Jahren prägend etwa für den Brundtland-Report Our Common Future von 1987 und damit auch für heutige Nachhaltigkeitsdebatten werden sollte. Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Verknüpfung von Religion und Theologie mit den ökologischen Debatten der Zeit, die Anker herstellt und die über konventionelle Metaphern von ökologischen ‚Sünden‘ oder ‚Apokalypse-Szenarien‘ weit hinaus gehen. So zeigt er, dass die vermeintlich säkulare Ökologie gerade im pietistisch geprägten Norwegen bisweilen enge Verbindungen mit christlichem Denken und kirchlichen Institutionen einging. So habe beispielsweise Randers den Kontakt zu religiösen Institutionen gesucht, da diese langfristiger, „with a more viable timeline“ in Umweltfragen arbeiteten (S. 156). Das so prägende Konzept der „sustainable society“ habe Randers erstmals auf einer Konferenz des World Council of Churches 1974 in Bukarest zur Debatte gestellt, von wo aus es dann allmählich in säkulare Debatten eindrang.

In diesen wissenschaftshistorischen Kapiteln entfaltet sich die volle Stärke des Buches, die in einer detaillierten Quellenarbeit liegt. Anker stützt sich überwiegend auf publiziertes Material, dringt dabei aber bis tief in die Graue Literatur von Abschlussarbeiten, Forschungsreports, Lehrmaterialien und internen Publikationsorganen vor und leistet damit eine dichte Beschreibung der akademischen Milieus, die er in den Blick nimmt. Die übrigen Kapitel des Buches sind indes nicht weniger lesenswert, sie haben allerdings eher einleitenden bzw. abschließenden Charakter. So die ersten beiden Kapitel, die frühe, proto-ökologische Denkstile in den Arbeiten von Archäologen und Anthropologen wie Thor Heyerdahl ausfindig machen und die Einführung der Ökologie in die norwegische Biologie nachvollziehen. Die letzten zwei Kapitel des Buches bewegen sich dann zunehmend auf politikhistorischem Gebiet. Hier erzählt Anker zwar auch die Geschichte der Tiefenökologie weiter, die sich in Norwegen im Laufe der 1970er-Jahre zunehmend radikalisierte und an Bedeutung verlor, zugleich jedoch auf internationaler Ebene nun erst Bekanntheit und Einfluss erlangte. Im Mittelpunkt steht in diesen letzten Kapiteln aber die norwegische Umweltministerin und dreifache Premierministerin Gro Harlem Brundtland, die als Vorsitzende der World Commission on Environment and Development der UN, sowie in zahlreichen weiteren umwelt- und wissenschaftspolitischen Initiativen „her ambitious goal of making Norway into a pioneer country for the world” verfolgte, wie Anker formuliert (S. 225). Dass sich dieser umweltpolitische Führungsanspruch paradoxerweise vor dem Hintergrund der boomenden norwegischen Ölindustrie ab den 1970er-Jahren entfaltete, macht Anker sehr deutlich. Entsprechend beschließt er sein Buch mit einer „long list of grievances“ unnachhaltiger Praktiken des norwegischen Staates und norwegischer Firmen (S. 237), die den im Titel des Buches mitschwingenden Optimismus in ein kritischeres und damit auch angemesseneres Licht rückt.

Alles in allem ist Peder Anker ein sehr lesenswertes Buch gelungen, das durch seine hohe Quellendichte in Kombination mit einer umfangreichen Kontextualisierung höchst informativ, anschaulich und zugleich sehr gut lesbar ist. Schade ist, dass das Buch ohne ein Register auskommt, das Leser:innen einen schnellen Zugang zu den zahlreichen im Buch angesprochenen Kontexten und Debatten ermöglichen würde, die nicht immer aus den Überschriften ersichtlich sind. Schließlich eignet sich Ankers Buch für ein internationales Publikum durchaus als ein nützlicher Überblick über die Geschichte der norwegischen Umweltdebatten und Umweltbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und auch der wissenschaftshistorische Kern des Buches ist über den norwegischen Fall hinaus von hohem Interesse – so lässt sich das breite Spektrum der an den Umweltdebatten beteiligten Disziplinen, das Anker hier entfaltet, auch als Beitrag zu einer Genealogie der Environmental Humanities lesen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch