Zwei Monographien sind hier zu besprechen, die sich mit gedenkpolitischen Tendenzen in vormals sozialistischen Staaten befassen: Jelena Subotićs „Yellow Star, Red Star“ (2019, Cornell University Press) und Jelena Đureinovićs „The Politics of Memory of the Second World War in Contemporary Serbia“ (2020, Routledge). Beide Werke setzen ein ambivalentes Phänomen an den Anfang ihrer Analysen. Subotić schildert die widersprüchliche Rolle ihres Großvaters: Dieser war an der Spitze des Belgrader Polizeiapparats in den ersten Monaten der deutschen Besatzung 1941 Teil jener Kräfte, die aktiv mit den neuen Machthabern kollaborierten, vernichtete aber auch Akten kommunistischer Widerstandsmitglieder. Schließlich war er selbst Gefangener im Belgrader KZ Banjica und in Mauthausen, später in Gefängnissen des sozialistischen Jugoslawiens. Erst als die Familie 30 Jahre nach seinem Tod erfuhr, dass er kommunistischen und jüdischen Verfolgten geholfen haben soll, wurde das bis dato antikommunistische Familiengedächtnis in Frage gestellt.
Auch Đureinović wählt ein umkämpftes Gedenkereignis als Einstieg: die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Befreiung Belgrads im Oktober 2014, bei denen – mit Vladimir Putin als Gast – der antifaschistische Befreiungskampf betont wurde, gerahmt allerdings von Symbolen der königstreuen, mit den Partisanen verfeindeten Četniks und konterkariert durch Gegenveranstaltungen zum Gedenken an die Opfer des Kommunismus.
Ausgehend von solchen Widersprüchen zeigen beide Autorinnen, welche Reibung entsteht, wenn vielschichtige Vergangenheiten in Forme(l)n des Gedenkens gegossen werden. Subotićs biographischem Anschauungsbeispiel für die Komplexität von Kollaboration und Rettung etwa steht die sozialpsychologische Funktion von Erinnerung und Gedenken entgegen, Dissonanzen zu beseitigen und kognitive Konsistenz im Blick auf Vergangenes herzustellen. Diese Konstruktionsprozesse sind per se konfliktanfällig. Sie sind es aber in besonderem Maße in postsozialistischen Gesellschaften, in denen die Suche nach neuen nationalen Identitäten auch über eine Neuverhandlung der Geschichte verläuft. Das veranschaulichen beide Bände auf unterschiedliche Weise.
Jelena Subotić, die an der Georgia State University Politikwissenschaften lehrt, verfolgt ihre Erinnerungsforschung aus dem Bedürfnis heraus, die Lücken fremden Leidens zu schließen, die sie (nicht nur) im eigenen Familiengedächtnis ausmacht. Ihre Studie legt Subotić vergleichend an und analysiert Gedenkpraktiken in Serbien, Kroatien und Litauen. Bereits die Bildsymbolik des Titels spiegelt das Kernthema des Buchs: Gelber und roter Stern – die Symbole der Shoah und des Kommunismus – erscheinen vermeintlich gleichförmig und sind doch keineswegs kongruent. Ihre Parallelisierung und Überblendung stellt Subotić zufolge das zentrale Problem postsozialistischer Gedenkpolitik dar. In ihrem Buch untersucht sie, wie sich in ost- und südosteuropäischen Gesellschaften eine solche Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus vollzieht – etwa wenn Bilder aus dem KZ Buchenwald die Leiden auf der Gefängnisinsel Goli Otok illustrieren. Ein solches „blackwashing“1 der Geschichte des Kommunismus nutzt etablierte Formeln des Holocausgedenkens, um eine fragwürdige Identifikation mit den Opfern der Shoah herzustellen. Deren Leiden werden zwar nicht geleugnet, aber doch so sehr relativiert, dass Subotić von „memory appropriation“ (S. 9) spricht. Diese sei die zentrale Strategie postkommunistischer Staaten, die nach 1990 eine fundamentale ontologische Verunsicherung erlebten und bemüht seien, sich vehement vom Erbe des supranationalen Kommunismus loszusagen.
Dass ausgerechnet das Holocaustgedenken zur Folie für diese Agenda werde, liege unter anderem an der Relevanz, die eine westlich geprägte internationale Gedenkgemeinschaft dem Holocaust beimesse. Das „kosmopolitische“ Narrativ über die Shoah, wie es gerade die EU vertrete, decke sich nicht reibungslos mit der Struktur des Gedenkens in postkommunistischen Staaten, in denen der stalinistische Terror und das Leiden unter sowjetischer Besatzung zentrale Erinnerungsanker darstellten. In der prekären Phase politischer Neuorientierung werde das bereits gefestigte „westliche“ Holocaustnarrativ als bedrohliche Konkurrenz zur eigenen ethnonationalen Opfererzählungen erlebt. Um diese Reibung auszubalancieren, hätten postkommunistische Gesellschaften längst neue Formen des Holocaustgedenkens entwickelt – und von Anfang an auch das europäische Narrativ hinterfragt. Diese reziproke Beeinflussung und Herausforderung herauszuarbeiten, ist eine der Stärken der Studie, nimmt sie doch Abstand von einem Sender-Empfänger-Dualismus, der dem „neuen“ Europa einzig die Rolle eines passiv-reagierenden Nachzüglers zuweist. Die neuen Praktiken zeichnen sich dadurch aus, dass sie nominell dem westlichen Kanon folgen, dabei aber Holocaustsymbole zur Verurteilung kommunistischer Verbrechen entlehnen und so ablenkten von unbequemen Themen, insbesondere antisemitischen Verbrechen oder der Kollaboration der Mehrheitsgesellschaft mit den nationalsozialistischen Besatzern.
Subotićs Fokus liegt auf drei Staaten, die in der Gedenkforschung bislang weniger intensiv untersucht wurden. Mit ihrer Analyse von Gedenkpraktiken im ehemaligen Jugoslawien und im Baltikum setzt sie Regionen mit unterschiedlichen Vergangenheiten in Bezug auf Shoah und Kommunismus vergleichend zueinander in Beziehung. Die Gegenüberstellung von Serbien und Kroatien wirft dabei ein Licht auf zwei Nachbarländer, die eine gemeinsame kommunistische Vergangenheit haben – und die trotz oder wegen dieser geteilten Erfahrung unterschiedliche Gedächtnisversionen ausprägten, um ihre postsozialistischen Identitäten zu formen.
Hervorzuheben ist Subotićs Fähigkeit, Spezifika einzelner Gesellschaften herauszustellen und diese mit globalen Tendenzen zu verknüpfen. Die Erinnerungsforschung hat sich zuletzt zunehmend von nationalen Rahmen gelöst: Dabei richten vergleichende Studien den Fokus meist auf innerjugoslawische Divergenzen (etwa Kuljić2), nehmen den postsowjetischen Raum Ostmitteleuropas in den Blick (etwa Shafir3 und Bernhard/Kubik4) oder untersuchen Europas „geteiltes Gedächtnis“ anhand des Spannungsverhältnisses zwischen „West“ und „Ost“.5 Subotićs Arbeit entspricht einem nochmals erweiterten Blick, wie ihn die Arbeitsgruppe PoSoCoMeS der Memory Studies Association in Hinblick auf eine komparatistische Untersuchung postsozialistischen Gedenkens vertritt.6
Für Serbien konstatiert Subotić eine „memory inversion“ (S. 15): Während im jugoslawischen Sozialismus der öffentliche Gedenkdiskurs auf den kommunistischen Befreiungskampf fokussiert gewesen sei und jüdische Opfer nur als „Opfer des Faschismus“ vorgekommen seien, habe mit dem Zerfall des Tito-Regimes auch eine Neuordnung der Geschichte eingesetzt. Eine zunehmend nationalisierte Interpretation des Zweiten Weltkriegs habe sich der Bildsprache des Holocaust zu bedienen begonnen, auch um in der Propaganda gegen die neuen Feindbilder – insbesondere Kroatien – mobilzumachen. Das serbische Volk sei angesichts einer angeblichen kroatischen „Genozidalität“ zu „neuen Juden“ stilisiert worden. Dass diese ethnonationalistische Wende sich bereits während der 1980er-Jahre vorbereitete, bleibt leider undeutlich. Im rhetorischen Fokus auf den Holocaust, der mit einem faktischen Desinteresse an historischer Aufarbeitung einhergeht und oft nationalistische und revisionistische Positionen kaschiert, sieht Subotić einen oberflächlichen Tribut an europäische Erwartungen. Europa wiederum trage zu einer Relativierung bei, indem das Narrativ der „zwei Totalitarismen“ auch von mehreren EU-Resolutionen gefestigt werde.
Auch in Kroatien kommen nationalistische Inhalte im Gewand europäischer Standards daher. Hier diagnostiziert Subotić „memory divergence“ (S. 15): Im Bemühen, die eigene Nation auf der moralisch unangreifbaren Opferseite zu verorten, werde die Rolle der faschistischen Ustaše normalisiert und stattdessen selektiv jener Verbrechen gedacht, die sich gegen die kroatische Bevölkerung richteten, insbesondere von Partisanen verübte Gräueltaten. Im Begriff des „kroatischen Holocaust“ für das Massaker von Bleiburg wird dies offenkundig. Der europäische Erzählrahmen, so eine von Subotićs Kernthesen, biete die Gelegenheit, lokale Spezifika zu übergehen und die Verantwortung der eigenen Seite auszublenden.
Dass eine solche Revision nicht trotz, sondern sogar basierend auf EU-Praktiken erfolgen kann, zeigt sich schließlich am Beispiel Litauen: „Memory conflation“ (S. 26) nennt Subotić die systematische Engführung des Holocaust und der Erfahrung der Sowjetbesatzung – die dann zum „Sowjet-Genozid“ oder „litauischen Holocaust“ stilisiert werde. Die Bedeutung der jüdischen Kultur (die in Litauen schon durch den zahlenmäßigen Bevölkerungsanteil gewichtiger ist als in den Balkanstaaten), antijüdische Pogrome vor dem Einmarsch der Deutschen und die Mitwirkung litauischer Einheiten bei Massenerschießungen blieben Leerstellen im öffentlichen Diskurs. Zwar habe mit der EU-Annäherung Litauens der Holocaust Eingang ins kollektive Gedächtnis gefunden. Ein folkloristisch anmutendes Gedenken trage jedoch ebenso wie die Rede vom „doppelten Genozid“ zur Verschleierung historischer Tatsachen bei und vermittele das Bild eines „abstrakten, passiven Holocaust“ (S. 189), während es das zentrale Projekt Litauens bleibe, auf internationaler Bühne den Kommunismus als größtes Verbrechen des 20. Jahrhunderts zu verankern.
Auch im Schlusskapitel, in dem Subotić schlaglichtartig auf weitere postsozialistische Staaten sowie die Rolle Russlands eingeht, wird deutlich, dass Gedenkpolitik kein kulturpolitisches „Extra“ ist, sondern eine eminent (de-)stabilisierende Funktion für nationale Selbstbilder besitzt. Ein Muster erkennt Subotić darin, dass der Holocaust als rhetorisches und visuelles Repertoire von Terror, Verbrechen und Tod dient, das zur Stärkung eigener Leidensnarrative instrumentalisiert werden kann – was wiederum mit internationaler Anerkennung honoriert wird. Damit verdeutlicht Subotić, dass der problematische Umgang mit dem Holocaustgedenken, der auch dem Aufstieg rechter Strömungen im postkommunistischen Europa Vorschub leistet, kein alleiniges Produkt und Problem des sogenannten Ostens ist.
Jelena Đureinovićs (Universität Gießen) Dissertationsschrift kann als Nahaufnahme zu diesen Erkenntnissen gelesen werden: Ihre Studie zeigt den inkonsistenten Charakter der Gedenkpolitik in Serbien, die insbesondere seit dem Fall des Milošević-Regimes 2000 zwischen Antikommunismus und Ethnisierung oszillierte, dabei aber Anleihen sowohl bei sozialistischen als auch bei europäischen Traditionen machte. Đureinović´ Fokus auf einen nationalen Rahmen ist dabei kein Zurück zu alten Selbstverständlichkeiten der Gedenkforschung – vielmehr entspricht er der von ihr dargelegten Überzeugung, dass gerade für den post-jugoslawischen Raum die Annahme einer Transnationalisierung ignoriere, dass hier seit dem Bröckeln Jugoslawiens vor allem eine Ethnisierung und Nationalisierung griffen.7
Das Buch beleuchtet – nach einem Abriss zur Geschichte Serbiens im Zweiten Weltkrieg – die revisionistische Transformation der sozialistischen Kriegsinterpretation, die sich bereits während der 1980er-Jahre abzeichnete. In der Krisenzeit nach dem Tod Titos habe sich die Wende vom hegemonialen Kriegsnarrativ, das in einem binären Schema nur revolutionäre „Volkshelden“ und deren Gegner (Besatzer, „heimische Verräter“, Četniks, Ustaše) gekannt habe, hin zu neuen Vergangenheitsdeutungen in den Teilrepubliken. In Serbien habe sich diese Umdeutung auf die Betonung der eigenen (ethnisch-serbischen) Opferrolle im faschistischen Kroatien (NDH) sowie auf die Neubewertung von Partisanen und Četniks konzentriert; die Rehabilitierung Letzterer ist der zentrale Analysegegenstand des Buches.
Um die dicht verwobenen Ebenen von „memory work“8 zu erfassen, nimmt Đureinović unterschiedliche öffentliche Äußerungsformen in den Blick: Sie untersucht die Rolle staatlicher Kommissionen, die Gräber von Opfern des Kommunismus und von Četnik-Führer Draža Mihailović ausfindig machen sollten und, bei konsequentem Verfehlen ihrer eigentlichen Aufgaben, dazu beigetragen hätten, das Bild der widersprüchlich agierenden jugoslawischen Heimatarmee in ein positives Licht zu rücken. Auch die Darstellung des Zweiten Weltkriegs in Museen und Medien ist Gegenstand ihrer Analyse.
Ein zentrales Instrument staatlich gelenkter Erinnerung – aber auch eine Kontaktzone der Gedenkakteur:innen – sieht Đureinović in der Rechtsprechung, wie sie anhand der Rehabilitierung Mihailovićs (2015 rehabilitiert) oder des Chefs der Kollaborationsregierung Milan Nedić (Rehabilitierung 2018 abgelehnt) aufzeigt: Die Bedeutung der Prozesse liege vor allem darin, „die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des sozialistischen Jugoslawien im Gerichtssaal neu zu schreiben“ (S. 131). Das neue Narrativ basiere auf einer Gleichsetzung von Partisanen und Četniks. Letztere spielten im Krieg eine hochambivalente Rolle: Bis 1943 von den Alliierten unterstützt, weil sie anfangs gemeinsam mit den Partisanen die Besatzer bekämpften, kollaborierten sie bereitwillig mit den Achsenmächten, wenn es gegen die Partisanen ging, die zunehmend zu ihrem Hauptgegner wurden, und sind für Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung verantwortlich. Diese Ambivalenz, so eine ihrer zentralen Thesen, mache die Četniks zur Identifikationsfolie für das postsozialistische serbische Selbstbild: Sie lassen sich sowohl zur antifaschistischen Bewegung, als auch zu Opfern des Kommunismus stilisieren – und bedienen so das Ideologem der „zwei Totalitarismen“, die sie angeblich beide bekämpften. Diese revisionistische Gegenerzählung habe sich in den 1990er-Jahren im Milieu einer politisch rechten Opposition wie der Ravna-Gora-Bewegung herausgebildet und sei mit dem Wendejahr 2000 mehrheitsfähig geworden.
Die antikommunistische Gedenkarbeit „von unten“ wurde von der Forschung bislang ignoriert. Đureinović gewinnt hier wertvolle Einsichten durch Interviews mit Beteiligten und die teilnehmende Beobachtung an Gedenkveranstaltungen. Während bei Subotić der „diskursive Widerstand“ (S. 190) lokaler Gruppierungen nur am Rand erwähnt wird, gelingt es Đureinović, durch einen starken Akteur:innenfokus Handlungsspielräume aufzuzeigen und die Heterogenität inner- bzw. unterhalb des hegemonialen Erinnerungsdiskurses herauszuarbeiten. Dabei legt sie Nuancen offen, die im Blick auf dominante Narrative oft unsichtbar bleiben – etwa, dass die Četniks auch innerhalb der antikommunistischen Gedenkgemeinschaft mal als pro-westliche Demokraten, mal als anti-westliche Vertreter eines ethnisch homogenen Serbien gelten.
Beide Werke glänzen durch eine fundierte Analyse und anschauliche Fallbeispiele. Mit ihrem unterschiedlichen Zuschnitt ergänzen sie einander bestens und liefern in Kombination ein Bild sowohl transnationaler Rahmen, an denen sich nationales Gedenken orientiert und abarbeitet, als auch der Unter- und Gegenströme, die sich im Geflecht der Vergangenheitsversionen und in der Interaktion jener, die sie im Sinne einer möglichst widerspruchsfreien Identitätsstabilisierung verfechten, ergeben.
Anmerkungen:
1 Vgl. Kristen Ghodsee, Blackwashing History, in: Anthropology News, March 16, 2013, URL: http://scholar.harvard.edu/files/kristenghodsee/files/blackwashing_history.pdf (03.09.2021).
2 Todor Kuljić, Post-Yugoslav Memory Culture, Beau Bassin 2017.
3 Michael Shafir, Between Denial and “Comparative Trivialization”: Holocaust Negationism in Post-Communist East Central Europe, Jerusalem 2002.
4 Michael H. Bernhard / Jan Kubik, Twenty Years after Communism: The Politics of Memory and Commemoration, Oxford 2014.
5 Vgl. etwa Aleida Assmann, Europe’s Divided Memory, in: Uilleam Blacker / Aleksandr E˙tkind / Julie Fedor (Hg.), Memory and Theory in Eastern Europe, New York 2013, S. 25–41.
6 URL: https://www.memorystudiesassociation.org/pocowg/ (03.09.2021).
7 Vgl. Jelena Đureinović, (Trans)national Memories of the Common Past in the Post-Yugoslav Space, in: Stefan Berger / Caner Tekin (Hrsg.), History and Belonging: Representations of the Past in Contemporary European Politics, New York 2018, S. 106–122.
8 Brian Conway, Commemoration and Bloody Sunday: Pathways of Memory. Palgrave Macmillan Memory Studies, Basingstoke 2010, S. 150.