Cover
Titel
Demetrius the Besieger.


Autor(en)
Wheatley, Pat; Dunn, Charlotte
Erschienen
Anzahl Seiten
528 S.
Preis
₤ 100.00; € 133,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Henry Heitmann-Gordon, Abteilung für Alte Geschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München

Als in den 1990er-Jahren eine Welle neuer Biographien frühhellenistischer Herrscher über uns hereinbrach, fehlte ausgerechnet der einzige, von dem wir eine antike Biographie haben: Demetrios, genannt der Städtebelagerer, dem Plutarch eine Gegenüberstellung mit Mark Anton gewidmet hatte. Tatsächlich war diese vermeintliche Materialfülle der Grund, weshalb wir noch so lange auf eine neue Biographie dieses Königs haben warten müssen. Die von Plutarch und Diodor als Hauptquellen übermittelten Informationen sind von zahlreichen Überformungsschritten chronologisch und geographisch verdreht, dramatisiert und auf kernige Gemeinplätze zugespitzt worden. Der vermeintlich einfachste Herrscher wurde so zur größten Herausforderung in Sachen kritischer Rekonstruktion, die nicht nur Kompetenzen in fragmentarischer hellenistischer Historiographie, sondern auch im Bereich der historischen Geographie, Epigraphik und Numismatik forderte. Entsprechend groß war aber die Forschungslücke, gibt es doch bis auf Eugenio Mannis altes Werk, dessen eigentliche Analyse primär chronologischen Problemen gewidmet war, keine Monographie.1 Die beste Darstellung fand sich bisher wahrscheinlich in Richard Billows Buch über Demetrios Vater, Antigonos Monophthalmos, was jedoch nicht heißt, dass es keine Forschung gegeben hat.2 Vielmehr haben die Widersprüche und Unklarheiten im Material zu einer Fülle von Aufsätzen zu verschiedenen Problemen Anlass gegeben, etwa zu Motiven in der Plutarchvita,3 der Rolle von Titel und Beinamen,4 oder der religiösen Beschaffenheit von Demetrios Königtum,5 sowie immer und immer wieder zur Chronologie. Die Hürde, über diesen König eine historisch wie historiographisch kritische und zugleich geschlossene Studie zu schreiben, war also nicht leicht zu nehmen.

Glücklicherweise hat sich das Warten gelohnt. Dass Pat Wheatley und Charlotte Dunn mit dieser Studie auf absehbare Zeit das Standardwerk zu Demetrios vorgelegt haben, steht außer Zweifel. Das liegt auch am Fokus und am Leitmotiv dieses Buches, die in gewisser Weise durchaus zeitlos sind: Im Zentrum stehen die penible Rekonstruktion historischer Abläufe und das Abwägen von Wahrscheinlichkeiten in chronologischer Reihenfolge, so dass sich in diesen Seiten zu jedem greifbaren Moment im Leben des Demetrios tiefgehende Einschätzungen finden lassen, die stets auf umfassender Kenntnis der Quellen und Forschung fußen. Gewandt führen Wheatley und Dunn ihre Leser:innen vom ersten Konflikt mit Ptolemaios in Syrien über die erste Niederlage bei Gaza, das mysteriöse Scheitern in Babylonien und die Kampagnen auf Zypern und Rhodos zum Tod des Vaters bei Ipsos, sowie anschließend durch die besonders überlieferungsarme Phase von der Eroberung Makedoniens, über den Konflikt mit Pyrrhos und Demetrios‘ letzte Manöver in Kleinasien bis zum Tod des Königs als „Gast“ am Hofe des Seleukos. Auf dem Weg werden Schlachten analysiert, Chronologie und Personen entwirrt, die Loyalitäten griechischer Städte erörtert, die Motive politischen wie persönlichen Handelns kontextualisiert, aber auch das komplexe Verhältnis des Königs zu Athenern und Makedonen, zur Ehefrau Phila und Hetäre Lamia, zum Vater und Sohn erhellt. Lücken und Widersprüche in der literarischen Überlieferung werden durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen, Kontextinformationen und epigraphisches wie numismatisches Material gefüllt. Beispielsweise werden zur Erhellung der schlecht überlieferten letzten Kampagne in den Territorien des Lysimachos zahlreiche Inschriftenbefunde zur Beleuchtung lokaler Loyalitäten herangezogen, theoretische logistische Hochrechnungen angestellt und die Örtlichkeiten von Ereignissen wie der Hochzeit zwischen Demetrios und Ptolemais auf politische Beweggründe hin abgeklopft. Jedes Wort Plutarchs gibt hier Anlass zu einer ganzen Seite wohldurchdachter Überlegungen über die Implikationen: Die Formulierung „This account suggests…“ vel sim. ist steter Begleiter. Nicht jede Einzelinterpretation wird überzeugen können, aber insgesamt beeindruckt die Tiefe der Reflexion der Autoren über Motive und Hintergründe von Demetrios‘ Handeln enorm; ihre Berücksichtigung und ihr Verständnis der dynamischen Territoriumsverschiebungen, der relativen Stärke der Diadochen, sowie der Praxis der Feldzüge und ihrer geographischen und chronologischen Verortung sucht ihresgleichen und wird dabei stets in glatter Prosa vorgetragen.

Im Kern geht es immer um ein Zurechtrücken des wirkmächtigen Bildes, das Plutarch vom tragisch auf der Bühne der hohen Politik scheiternden König gezeichnet hat – eine Reputation, die sich schon bei Droysen findet, dem Demetrios zwar als „der hellste Stern in der Sturmnacht, die mit Alexanders Tod hereinbrach“ galt, der mit seinem rastlosen, blinden Weiterstürmen jedoch den Geist der Zeit verkannte und so entsprechend ein verdumpftes Ende fand.6 Bei Wheatley und Dunn ist Demetrios in ähnlich astraler Metapher dagegen „a paragon in an age of superstars“, jedoch wird der vorgeblich negative übergeordnete Forschungsstand, den sie zu korrigieren gedenken, im Detail nicht genauer dargelegt (S. 3f., S. 9). Neuere Kurzdarstellungen scheinen mir die gemäßigte Faszination, die Demetrios‘ Charisma seit Plutarch erregt und die Wheatley und Dunn durchweg stützen, eher zu teilen.7

In seiner Orientierung an Plutarch ist das Buch tatsächlich eher eine Biographie als viele der Herrscherbiographien der 1990er-Jahre. Dieser Unterschied wird mit Blick auf eine vorherige Referenz zu Demetrios, Billows Biographie des Vaters, die etwa die königlichen Philoi detailliert verzeichnet, die Einrichtung und Funktionsweise des Hofes thematisiert und politische Strukturelemente wie Verwaltungsgliederung und Reichsfinanzen prominent in die Gliederung hebt, deutlich. Solche Stichworte sucht man hier in Index und Text vergeblich. Kapitel 21, „King of the Macedonians“, bleibt beispielsweise wie jedes Kapitel primär eine Ergründung von Demetrios‘ Handeln, mit dem Unterschied, dass er nun König der Makedonen ist. Er ist durchgehend der zentrale Akteur, der Dreh- und Angelpunkt der historischen Untersuchung; von Strukturgeschichte ist wenig zu finden. Zwar kommt die Bedeutung des Demetrios für das hellenistische Königtum durchaus zur Sprache (etwa S. 268f. anlässlich der Münzprägung), im Gegenzug nimmt jedoch die Kommunikation mit den griechischen Städten, etwa im zehnten Kapitel zu Athen,8 überraschend wenig Raum ein.

Ferner bleiben die herangezogenen Quellen aller wohlüberlegter Exegese und aller Plausibilitätsurteile zum Trotz stets ein Spiegel historischer Realität. Ihre Inhalte werden nicht als Diskursbeiträge interpretiert, die in der Zeit zur Neuaushandlung von Machtbeziehungen beitrugen. Die Textualität der Quellen oder die Akteurhaftigkeit ihrer Inhalte in der Zeit des Demetrios stehen nicht im Vorder- und auch nicht im Hintergrund dieses Buches. Damit ist dieses Werk zwar einerseits überfällig, wunderbar bereichernd und handwerklich eine bestechende Leistung. Aber es bleibt auch konventionell. Es entfaltet nicht den mitreißenden Geist von Plutarchs tragischem Bühnenhelden, dem im einen Moment im Dionysostheater die Welt zu Füßen liegt, während er im nächsten von Pfeilen umschwirrt allein überlegt, sich ins Schwert zu stürzen; das Bild des Königs ist nun zurechtgerückt, hat aber dadurch auch an dramatischem Glanz verloren.

Zwei Appendizes runden das ausgezeichnet produzierte Werk ab. Der erste legt eine detaillierte, faktenorientierte Darstellung des Kolosses von Rhodos vor, der zweite fasst die verbesserte Chronologie von Demetrios‘ Leben zusammen. Die Autoren folgen dabei, wie von Wheatley zu erwarten, eher der „hohen“ Chronologie, soweit man das pauschalisieren kann.9 Das Werk bietet ferner ausgezeichnete schematische Karten und leider etwas weniger nützliche Illustrationen, sowie eine wirklich umfangreiche Bibliographie und einen ordentlichen Index.

Anmerkungen:
1 Manni, Eugenio, Demetrio Poliorcete, Rom 1951; Wehrli, Claude, Antigone et Démétrios, Genf 1968.
2 Billows, Richard A., Antigonus the One-Eyed and the creation of the Hellenistic state, Berkeley 1990.
3 Diefenbach, Steffen, „Demetrius Poliorcetes and Athens: ruler cult and antimonarchic narratives in Plutarch’s Life of Demetrius“, in: Henning Börm (Hrsg.), Antimonarchic discourse in antiquity, Stuttgart 2015, p. 113–151. Dámaris Romero González, „As Alexander says: the Alexander-dream motif in Plutarch’s Successors’ Lives“, in: Cuadernos de Filología Clásica 29 (2019), p. 155–163.
4 Wheatley, Pat, „The implications of ‚Poliorcetes‘: was Demetrius the Besieger’s nickname ironic?“, in: Histos 14 (2020), p. 152–184; Paschidis, Paschalis, „Agora XVI 107 and the royal title of Demetrius Poliorcetes“, in: Víctor Alonso Troncoso und Edward M. Anson (Hrsg.), After Alexander: the time of the Diadochi (323–281 BC), Oxford 2013, p. 121–141.
5 Mari, Manuela, „A ‚lawless piety‘ in an age of transition: Demetrius the Besieger and the political use of Greek religion“, in: Cinzia Bearzot und Franca Landucci Gattinoni (Hrsg.), Alexander’s legacy, Rom 2016, p. 157-180; Holton, John R., „Demetrios Poliorketes, son of Poseidon and Aphrodite: cosmic and memorial significance in the Athenian ithyphallic hymn“, in: Mnemosyne 67:3 (2014), p. 370–390.
6 Droysen, Johann Gustav, Geschichte des Hellenismus, Band 2, Tübingen 1952/53 [1843], S. 416f.
7 Diefenbach, Steffen, „Demetrios I. Poliorketes (306–282 v.Chr.)“, in: Kay Ehling / Gregor Weber (Hrsg.), Hellenistische Königreiche, Darmstadt 2014, 36–41; Chaniotis, Angelos, Age of Conquests, London 2018, S. 40–47.
8 Luraghi, Nino, „Documentary Evidence and Political Ideology in Early Hellenistic Athens“, in: Henning Börm und Nino Luraghi, The Polis in the Hellenistic World, Stuttgart 2018, p. 209–228; Thonemann, Peter, “The Tragic King: Demetrios Poliorketes and the City of Athens“, in: Olivier Hekster und Richard Fowler (Hrsg.), Imaginary Kings. Royal Images in the Ancient Near East, Greece and Rome, Stuttgart 2005, p. 63–86.
9 Boiy, Tom, Between High and Low. A Chronology of the Early Hellenistic Period, Frankfurt 2007, S. 110–120 mit seiner eklektischen Lösung auf S. 129.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension