S. Petke: Muslime in der Wehrmacht und Waffen-SS

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Titel
Muslime in der Wehrmacht und Waffen-SS. Rekrutierung – Ausbildung – Einsatz


Autor(en)
Petke, Stefan
Erschienen
Berlin 2021: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
581 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephan Theilig, Institut für Caucasica-, Tatarica- und Turkestan-Studien (ICATAT), Magdeburg / Bernau

Seit den ersten größeren Arbeiten zu muslimischen Soldaten in den deutschen Streitkräften während des Zweiten Weltkriegs von Joachim Hoffmann1 wurde das Thema gern als ein Exotikum vorgestellt, manchmal auch als nahezu natürlicher Zusammenhang von islamischen Fundamentalismus und antisemitisch-nationalsozialistischer Ideologie. Zuletzt hat das Buch von David Motadel für Aufregung und weites Interesse gesorgt.2 Jedoch blieben auch hier noch viele Fragen offen, zahlreiche Quellen und Interpretationen unhinterfragt. In seiner Dissertationsschrift nimmt sich Stefan Petke diesen offenen Fragen an. Des Weiteren geht es ihm, um eine ausführliche Darstellung und Analyse der Verbände und Einheiten in Wehrmacht und Waffen-SS, in denen Personen aus muslimisch geprägten Gesellschaften dienten.

Bereits der sparsame und sensible (Nicht-)Umgang mit dem Wort „Muslime“ lassen den Islamwissenschaftler deutlich werden. Seine Begründung liegt auf der Hand, denn Petke stützt sich vorwiegend auf einen deutschen Quellenkorpus, der in sich generalisierende Begriffe wie „Muslim“ oder „Islam“ verwendet. Er verweist darauf, dass dies deutsche Zuschreibungen waren und von späteren Wissenschaftlern nur allzu gern unreflektiert übernommen wurden. (S. 13) Petke will keinen Rundumschlag zum Verhältnis des NS-Staats zum Islam und zu Muslimen machen. Seine Herangehensweise ist eine militärhistorische, die sich den im Titel genannten Teilaspekten widmet und die Motivationen beider Seiten hinterfragt.

Bisherige Arbeiten zu diesem Thema hatten häufig einen sehr deskriptiven Charakter, welcher den Quellenwert und Inhalt oft nicht hinreichend hinterfragten. Vielfach wurden diese seit Hoffmann übernommen und neu kontextualisiert. So fällt auch Petkes berechtigte Kritik an der bereits erwähnten Betrachtung Motadels deutlich aus, wenn er sie themenbezogen in Teilen als „anekdotenhaft“, „deskriptiv“ und auf veralteter, ungeprüfter Literatur mit ungenauen Zahlen beruhend charakterisiert. (S. 23) Ausgenommen aus dieser Forschungskritik sind dabei aber ausdrücklich Arbeiten zur Ostlegion etwa von Oleg Romanko, Iskander Gilyazov sowie neuere Arbeiten von Franziska Zaugg und Xavier Bougarel.3

Als Auftakt für seine Analyse dient Petke eine Erörterung der Vielschichtigkeit der Diskurse im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs in Hinblick auf den Umgang mit indigenen Ethnizitäten und nationalen Minderheiten insbesondere denen des islamischen Raums. Er spricht von einem vorherrschenden Bild in der deutschen Öffentlichkeit, welches diese Bevölkerungen als „brutale, hinterlistige Kämpfer zeichnete, ihnen aber ebenso gute soldatische und kämpferische Eigenschaften zuschrieb, sofern sie durch deutsche Stellen kanalisiert werden konnten“ (S. 85). In Fachkreisen wurde auch eine geostrategische Bedeutung der islamischen Kulturräume diskutiert. Doch sollten die Ursprünge dieser Diskussionen nicht auf einzelne Personen oder „Dschihadisierungsphantasien“ reduziert werden. Vielmehr ist von entscheidender Bedeutung, dass den islamischen Kulturräumen vom Maghreb bis in den Kaukasus ein „unberührter islamischer Wesenskern mit starkem Freiheitsdrang“ (S. 86) nachgesagt wurde.

Es zeigten sich unterschiedliche Ansätze zur Nutzbarmachung, ausgehend von der jeweilig angenommenen Wirkmächtigkeit eines Panislamismus, eines Panturkismus bzw. Panarabismus. All diese Vorüberlegungen hatten durchaus in den bereits früheren Versuchen ihren Ursprung, eine Form des religiös begründeten Fundamentalismus zu militärischen Zwecken zu instrumentalisieren, sei es im arabischen Raum gegen die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien oder aber im sowjetischen Bereich in den Autonomiebestrebungen und antibolschewistischen Bestrebungen indigener Bevölkerungen. Eine Zäsur in der Debatte sieht Petke im Frühjahr 1941, als sich die Praxistauglichkeit der unterschiedlichen Strömungen offenbarte. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den Besuch Erwin Rommels im Führerhauptquartier am 20. März 1941. In der Folge hätten Planungen für einen baldigen bewaffneten irakischen Aufstand gegen die Briten begonnen. Ziel der Vorbereitungen war es, im Herbst 1941 im Vorderen Orient durch den Aufbau eines Nachrichtendienstes, Sabotageaktionen und Initiierung von Aufständen u.a. in Palästina aktiv zu werden (S. 104). Petke erwähnt die Vielzahl von Abteilungen, Sonderstäben und Kommandos, die folgend in Planung und Aufstellung begriffen waren, sei es der Sonderstab F und die Deutsch-Arabische Lehrabteilung, der Sonderverband Bergmann oder die Unternehmen „Tiger“ und „Tiger B“. Es ist eine Phase, in der lokale Gruppen zu Spezialverbänden ausgebildet wurden (S. 107–147). Und genau hier zeigt sich sehr deutlich die geringe Systematik des deutschen Vorgehens.

Noch deutlicher wird dies in einer weiteren Zäsur, die Petke im Herbst des Jahres 1941 verortet. Nachdem bereits im Sommer Einstimmigkeit darüber entstanden war, fremdländische Verbände aufzustellen, dabei jedoch die osteuropäischen bzw. turk-tatarischen vorerst auszulassen, änderte sich dies mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941. Denn weitergehende Pläne zum Verfahren mit den eroberten Gebieten und mit der Behandlung der nicht-slawischen Bevölkerungen waren noch nicht gefasst bzw. divergierten abhängig von der planenden und verantwortlichen Institution. Die Vielfalt der handelnden Akteure ist es auch, die die zeitliche Verortung der konkreten Aufstellung, insbesondere der turk-tatarischen Einheiten, so schwierig macht. Denn bereits im August 1941 begannen erste Kriegsgefangenenkommissionen des Ostministeriums geeignetes ziviles Personal unter den turk-tatarischen gefangenen Rotarmisten zu rekrutieren. Und auch an den Fronten entstanden im rückwärtigen Raum erste Abteilungen. Alles ohne einen konkreten „Führerbefehl“, der erst am 15. November 1941 für die Aufstellung einer Legion aus turkstämmigen Kriegsgefangenen erfolgte (S. 168). Noch am gleichen Tag erfolgte der Aufstellungsbefehl für turkestanische und kaukasische Hundertschaften. Dieses Turk-Bataillon 444, auf welches die Ostlegionen dann aufbauen konnten, entstand damit noch vor dem 22. Dezember 1941, als Hitler offiziell die militärische Einbindung von Angehörigen der Turkvölker entschied. Zutreffend hält Petke fest, dass es sich hierbei um eine nachholende Sanktionierung bestehender Verhältnisse handelte (S. 169).

Im Folgenden untersucht Petke den Dreischritt von Rekrutierung, Ausbildung und Einsatz der Verbände und Einheiten mit „Personen aus muslimisch geprägten Gesellschaften“. Er geht dabei chronologisch vor. Petke gelingt es, durch seine quellenkritische Betrachtung und Neubewertung der Überlieferung zahlreiche Missverständnisse und augenscheinliche Fehler in eben dieser Überlieferung herauszuarbeiten. Auf einem umfangreichen Quellenkorpus bauend hinterfragt er Zahlen, Zusammenhänge und Abläufe. Er unterscheidet konsequent zwischen Soll- und einer häufig viel niedrigeren Iststärke der Einheiten. Hoffmann ging noch von einer Stärke von 170.000 Kaukasieren und Turkvolkangehörigen aus, die auf einem nicht zurückverfolgbaren Manuskript beruhte. Diesen Angaben wurde bislang in der Forschung gefolgt. Petke geht dagegen von einer Stärke zwischen 50.520 und 134.000 Personen aus. Er weist nach, dass die Mehrzahl der Bataillone und Kompanien nie vollständig aufgefüllt werden konnten und in der Stärke eher noch unter einem Minimum von 600 bzw. 60 Personen lagen (S. 180).

An dem Beispiel der krimtatarischen Verbände und Kollaborateure wird dies besonders deutlich, wenn von der bislang überlieferten Anzahl von 20.000 Personen nach kritischen Analysen nur die Hälfte übrigbleibt. Gleiches gilt für den Osttürkischen Waffenverband der SS, der im April 1945 nur noch 3.800 Mann stark war, gegenüber der übernommenen und geschönten Zahl von 8.500 Mann, wie zuletzt bei Motadel.4

Neben der numerischen Relativierung sind es weitere kritische Analysen, die neue Forschungsfragen aufwerfen. Petkes Buch ist keine populärwissenschaftliche, auf öffentliche Wirksamkeit zielende Arbeit. Teilweise ist die Lektüre herausfordernd. Es gelingt dem Autoren jedoch, ein über Jahrzehnte tradiertes, exotisiertes Forschungsfeld fundiert infrage zu stellen. Deutlich wird, dass es unterschiedlichste Motivationen waren, welche „Personen aus muslimisch geprägten Gesellschaften“ dazu bewogen, in deutschen Verbänden und Einheiten zu kämpfen. Es könne zudem bezweifelt werden, dass sie es verallgemeinernd gesprochen für „Prophet und Führer“ taten (S. 472).

Anmerkungen:
1 Joachim Hoffmann, Die Ostlegionen 1941–1943. Turkotartaren, Kaukasier, Wolgafinnen im deutschen Heer, Freiburg i.Br. 1976.
2 David Motadel, Islam and Nazi Germany’s War, Cambridge (Mass.) 2014; David Motadel, Für Prophet und Führer. Die Islamische Welt und das Dritte Reich, Stuttgart 2017.
3 Oleg Romanko, Musulmjmanskie legionj vo Vtoroj Mirovoj vojne, Moskau 2004; Iskander Gilyazov, Legion „Idel-Ural“: Predstaviteli narodov Povolzh’a i Priuralia pod znamenami „Tretego Reikha“, Kasan 2005; Xavier Bougarel u.a., Muslim SS units in the Balkans and the Soviet Union, in: Jochen Böhler / Robert Gerwarth (Hrsg.), The Waffen-SS. A European History, Oxford 2017, S. 252–283; Franziska Zaugg, Albanische Muslime in der Waffen-SS. Von „Großalbanien“ zur Division „Skanderbeg“, Paderborn 2016.
4 Motadel, Für Prophet und Führer, S. 280.

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