L. Kreye: »Deutscher Wald« in Afrika

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Titel
»Deutscher Wald« in Afrika. Koloniale Konflikte um regenerative Ressourcen, Tansania 1892–1916


Autor(en)
Kreye, Lars
Reihe
Umwelt und Gesellschaft (23)
Erschienen
Göttingen 2021: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
536 S.
Preis
€ 65,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Schürmann, Forschungskolleg Transkulturelle Studien / Sammlung Perthes, Universität Erfurt

In der Forschung zur Umweltgeschichte Afrikas bildet der Osten des Kontinents seit Jahrzehnten einen Schwerpunkt. Zu den wiederkehrenden Themen der inzwischen kaum mehr zu überblickenden Fülle von Regionalstudien zählen Auseinandersetzungen um Wälder.1 An diesen Forschungsstrang knüpft nun Lars Kreye an und geht in seiner Untersuchung – einer gekürzten Fassung seiner Dissertation – ökologischen und sozialen Konflikten um Waldgebiete in der Kolonie Deutsch-Ostafrika nach. Die dafür leitenden Fragen betreffen die Haupt- und Nebenfolgen der Kolonisierung von Waldressourcen, Friktionen beim Transfer mitteleuropäischer Forstpraktiken ins tropische Afrika sowie Divergenzen zwischen den Bedeutungen, die unterschiedliche Akteure Bäumen zudachten. Für Nahbetrachtungen von Konfliktdynamiken zieht Kreye die Bezirke Tanga und Morogoro heran, kontrastiert also ein Gebiet mit vergleichsweise starker und eines mit vergleichsweise schwacher Präsenz der Kolonialmacht.

Im ersten Teil des Buchs befasst sich Kreye mit den ökologischen, diskursiven und institutionellen Rahmenbedingungen von „kolonialer Forstherrschaft“ (S. 171), zu denen er auch die frühere Waldgeschichte zählt. In den vorangegangenen Epochen hatten bäuerliche Gesellschaften in Ostafrika mitnichten in einem harmonischen Einklang mit den Wäldern gelebt. Westlich des Viktoriasees etwa sind manche Baumarten bereits vor rund 2.000 Jahren bei der Gewinnung von Holzkohle für die Eisenverarbeitung ausgerottet worden. In den nachfolgenden Jahrhunderten etablierten feldbauende und viehhaltende Gemeinschaften zur Gewährleistung einer langfristigen Reproduktion von Waldressourcen allerdings Regulationsmechanismen, zu denen Kreye auch heilige Waldschreine oder etwa Tabus hinsichtlich des Fällens bestimmter Bäume zählt. Abseits der Eisenverarbeitung diente die Holzentnahme dem Bau von Gebäuden und dem Anfertigen von Dingen wie Stühlen oder Trommeln; auch rodete man Waldflächen für den Feldbau. Die Integration der ostafrikanischen Küstengebiete und Mittelgebirge in die kapitalistische Weltwirtschaft hob diese Subsistenzorientierung ab dem frühen 19. Jahrhundert auf. Walderzeugnisse wie Kopalharz, Kautschuk und Pflanzenöle avancierten zu Exportwaren. Um Karawanen, die all dies aus dem Binnenland an die Küste beförderten, mit Lebensmitteln, Tragestangen und Feuerholz zu versorgen, entwaldeten bäuerliche Gemeinschaften entlang der Handelsrouten immer größere Flächen. Auch verschifften Küstenhändler Hart- und Mangrovenhölzer über den Indischen Ozean, und auf den Inseln Sansibar und Pemba fielen Wälder Nelkenplantagen zum Opfer.

Auf diese waldbezogene Ökonomie wirkte sich die Gründung der Kolonie Deutsch-Ostafrika in den 1890er-Jahren anfangs noch nicht gravierend aus, so Kreye. Der kolonialstaatliche Umgang mit Wäldern ging generell von Theorien und Handlungsmaximen aus, die deutsche Forstwissenschaftler seit dem 18. Jahrhundert entwickelt hatten, um unter den Bedingungen von Mechanisierung und Industrialisierung eine berechenbare, einträgliche und nachhaltige Holzgewinnung zu gewährleisten. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt die Forstwissenschaft wegweisende Impulse aus transimperialen Kooperationen: Neben Wissen tauschten Experten in akademischen Netzwerken auch Saatgut und Pflanzen aus. Der Einfluss dieser global orientierten Expertenkultur nahm laut Kreye ab 1900 allerdings ab.

Eine zweite Verschiebung konstatiert Kreye im Hinblick auf Handlungsmotivationen und -legitimierungen, die er auch anhand von Fotografien und Malereien nachweist: Anfangs begründeten kolonialforstliche Akteure die Implementierung eines Forstverwaltungsmodells mitteleuropäischer Prägung mit der Notwendigkeit, Wälder wirtschaftsplanerisch zu regulieren, um einer durch unternehmerischen Raubbau und afrikanische Brandrodungen drohenden „Holznot“ vorzubeugen. Gegenüber dieser ökonomischen Argumentation trat ab etwa 1900 ein konservatorischer Diskurs in den Vordergrund, demzufolge es ein durch Wanderfeldbau und Waldweidepraktiken afrikanischer Gemeinschaften bevorstehendes „Waldsterben“ mit weitreichenden Folgeschäden abzuwenden gelte. Von dieser Rechtfertigungserzählung unterscheidet Kreye ein präservatorisches beziehungsweise naturschützerisches Narrativ, das in den Spätjahren der deutschen Herrschaft zur zentralen Legitimationsfigur avancierte: Die Wälder sollten nicht mehr allein aufgrund ihrer ökosystemischen Funktion erhalten werden, sondern als urtümliche Überreste erhabener Naturschönheit, als idyllische Naturdenkmale und Zeugnisse göttlicher Schöpfung.

Die Übersetzung der daraus abgeleiteten Strategien in kolonialforstliche Praktiken führte zu Spannungen und Verwerfungen, die Kreye im zweiten Teil des Buchs darstellt. Erst 1892 begann der Aufbau einer kolonialen Forstverwaltung, ihre Reichweite blieb effektiv auf das Umland der deutschen Stationen begrenzt. Die in den 1890er-Jahren erlassenen Bestimmungen zur Bewirtschaftung, zum Besitz und zum Schutz von Wäldern widersprachen sich in manchen Aspekten und eröffneten dadurch weite Spielräume bei der Umsetzung. Entsprechend betrachteten Bezirkskommandanten Holzschlagrechte als einen „Teil der Gegenstände, die zur Disposition standen, um das lokale Machtgleichgewicht auszutarieren.“ (S. 219) Um die kolonialstaatliche Kontrolle über die Wälder zu verdichten und zu professionalisieren, rekrutierte die Administration ab 1898 preußische Forstdienstanwärter als „Oberjäger“. Zur Unterstützung dieses fachlich geschulten, aber kleinen Personalstabs setzte die Forstverwaltung auf eine intermediäre Kontrolle durch örtliche Autoritäten und ab der Jahrhundertwende auch durch angelernte Afrikaner („Waldwärter“). Außerdem bediente sie sich eines brutalen Repressionsapparats: Brandrodung ahndete die Kolonialmacht mit Kettenhaft, Dienstvergehen von „Waldwärtern“ mit Prügelstrafen und das Anlegen von Gehöften oder Feldern in Waldreservaten mit hohen Geldbußen.

Unter Gouverneur Gustav Adolf von Götzen erfuhr die Forstverwaltung ab 1901 eine institutionelle Aufwertung, verbunden mit ambitionierten Zielen für einen weltweiten Holzexport. Als Herzstücke dieser Politik stellten die „Waldreservatsverordnung“ und die „Waldschutzverordnung“ von 1904 die Holzentnahme durch Afrikanerinnen und Afrikaner aus den vom Kolonialstaat beanspruchten Wäldern unter Strafe. Die auf den Maji-Maji-Krieg (1905–1907) folgende Kolonialreform unter der Ägide Bernhard Dernburgs beinhaltete eine Neuausrichtung des Forstwesens nach den Maßgaben eines wirtschaftsliberal aufgefassten Entwicklungsparadigmas. Die Forstverwaltung sollte verkleinert werden und sich nicht länger mit der Bewirtschaftung, sondern nur noch mit dem Erhalt von Wäldern befassen. Die Umsetzung dieses Programms blieb aufgrund von Widerständen innerhalb der Gouvernementsverwaltung allerdings inkonsequent, sodass die Reform „kaum bis zur lokalen Ebene durchdrang“ (S. 401) und Forstbeamte ihre Zuständigkeiten aufrechterhalten konnten.

In und an den Wäldern führte die kolonialforstliche Praxis zu Konflikten sowohl mit der afrikanischen Bevölkerung als auch mit Siedlern, privatwirtschaftlichen Unternehmen, Missionsgesellschaften und Bezirksämtern. Im abschließenden und längsten Kapitel der Untersuchung analysiert der Autor solche Streitfälle en miniature und zeigt, wie sich um Forststationen Subimperien formierten, in denen Forstbeamte die Wälder oft eigenmächtig regulierten und dafür persönliche Übereinkünfte mit lokalen Autoritäten suchten – „wie ein kleiner König in meinem Reviere“, so ein von Kreye zitierter Stationsförster (S. 330). Vielerorts erwies sich die für afrikanische Gemeinschaften oft unplausible Staatspraxis, einen Wald als „Reservat“ zu okkupieren, ohne ihn jedoch aktiv zu kultivieren, als konfliktverschärfend.

Obgleich der Kolonialstaat „seine forstwirtschaftlichen Interessen gegenüber der einheimischen Bevölkerung zumeist nur punktuell, aber nicht umfassend“ durchzusetzen vermochte (S. 421), beurteilt Kreye das koloniale Forstregime resümierend als Zäsur: Die staatliche Enteignung vormals gemeinwirtschaftlich genutzter Wälder, die Verdrängung der dort lebenden Menschen und generell der nicht-sesshaften Formen von Waldwirtschaft sowie die scharfe Regulierung waldbezogener Ökonomien wirkten sich weitaus einschneidender auf alltägliche Lebenszusammenhänge aus als Eingriffe der Deutschen in anderen Bereichen. Kaum anderswo ging die Entrechtung der Kolonisierten so weit wie bei ihrem Ausschluss von der Waldnutzung. Ähnlich wie in Britisch-Indien erschienen den Betroffenen die Waldreservate daher zunehmend als „Symbole der Fremdherrschaft“ (S. 433), und in einem Ausblick diskutiert Kreye, wie solche Erbschaften der Kolonialzeit bis heute die Auseinandersetzungen um Naturschutz im unabhängigen Tansania belasten.

Kreyes gründlich recherchierte Nahbetrachtungen von Waldkonflikten erhellen nicht nur die Bedeutung lokaler Mikrodynamiken für die Kolonialherrschaft, sondern bekräftigen auch die unter anderem von Bernhard Gißibl vertretene Auffassung2, dass die Naturpolitik der Kolonialmacht neben der ökologischen auch die soziale Umwelt ordnen und regulieren sollte. Anders als etwa Steven Feierman, Christopher A. Conte oder Jan Bender Shetler, die kolonialstaatliche Umweltauffassungen mit eingehenden Untersuchungen zu Humanökologien ostafrikanischer Gemeinschaften konfrontiert haben3, konzentriert sich Kreye überwiegend auf die deutsche Seite. Deren Debatten um Verordnungen, Ausführungsbestimmungen und Dienstanweisungen zeichnet er in bisweilen erschöpfenden Details nach. Doch gerade durch diese Detaillierung führt er überzeugend vor Augen, dass jene deutsche Seite keine monolithische Einheit bildete, sondern sich fortwährend in interne Interessenkonflikte verstrickte. Ein weiteres Verdienst des Buchs besteht in der sorgsamen Differenzierung zwischen waldbezogenen Narrativen, Diskursen und normativen Vorgaben auf der einen und kolonialforstlichen Praktiken auf der anderen Seite. Nachvollziehbar wird dadurch beispielsweise, wie die Informalität der um die Forststationen entfalteten Herrschaftsbeziehungen einesteils das Risiko von Willkür steigerte, anderenteils aber auch die Bildung mancher Nischen ermöglichte, die afrikanische Bauern und Holzhändler zum eigenen Vorteil zu nutzen verstanden.

Treffend attestiert Kreye dem kolonialen Forstregime eine „europäische Sichtweise auf den Wald, die diesen zumeist unter dem Aspekt der Holzversorgung konzipierte“ (S. 259). Von der Fixierung auf Bäume und Holz in den kolonialen Quellen löst sich allerdings auch der Autor nur stellenweise: Allein in den Kapiteln 2 und 8 befasst er sich näher mit afrikanischen Auffassungen, nach denen Wälder etwa auch Natur-, Ahnen- und Clangeister, Opferstätten, Hexentreffpunkte, Heiligtümer und mannigfaltige geschichtliche und mythische Zeichen beheimateten. Kreye spricht von einem „spirituellen Wert“ der Wälder (S. 91), lässt aber offen, inwieweit sich der im Untertitel gebrauchte – und in der Geschichtsforschung zuletzt intensiv diskutierte – Begriff der „Ressourcen“ in diesem Zusammenhang fruchtbar machen ließe. Kaum Beachtung finden schließlich die tierlichen Bewohner der Wälder und mit ihnen Zugänge der Human Animal-Studies zur Forstgeschichte Afrikas.

Anmerkungen:
1 Neben den im Weiteren genannten Autorinnen und Autoren sind insbesondere die Arbeiten von Thaddeus Sunseri zu nennen, zuvorderst: Thaddeus Sunseri, Wielding the Ax. State Forestry and Social Conflict in Tanzania, 1820–2000, Athens 2009.
2 Christopher A. Conte, Highland Sanctuary: Environmental History in Tanzania’s Usambara Mountains, Athen 2004; Steven Feierman, Peasant Intellectuals: Anthropology and History in Tanzania, Madison 1990; Jan Bender Shetler, Imagining Serengeti: A History of Landscape Memory in Tanzania from Earliest Times to the Present, Athen 2007.
3 Bernhard Gißibl, The Nature of German Imperialism: Conservation and the Politics of Wildlife in Colonial East Africa, Oxford/New York 2016.

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