Cover
Titel
A Wall of Our Own. An American History of the Berlin Wall


Autor(en)
Farber, Paul M.
Reihe
Studies in United States Culture
Erschienen
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
$ 29.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Etges, Amerika-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München

Berlin hatte im Kalten Krieg eine besondere politische und symbolische Bedeutung, weshalb unter anderem der Historiker Ernest May über „America’s Berlin“ geschrieben hat.1 Neuere Studien nähern sich der geteilten Stadt und der Berliner Mauer auch aus kulturwissenschaftlicher und erinnerungspolitischer Richtung und enden dabei nicht 1989/90.2 Dazu gehört auch Paul M. Farbers Buch A Wall of Our Own, das auf seiner an der University of Michigan geschriebenen Doktorarbeit im Fach „American Culture“ beruht. Der Buchtitel ist einer Rede von Robert F. Kennedy in West-Berlin im Februar 1962 entlehnt. Der damalige US-Justizminister kritisierte die ein halbes Jahr zuvor errichtete Berliner Mauer, richtete den Blick aber auch auf die Rassentrennung in den USA, die er als „a wall of our own“ bezeichnete.

Diesen doppelten Fokus, auf das geteilte Berlin und zugleich auf die USA, untersucht Farber im Werk und Wirken ausgewählter „American cultural producers”, für die die Stadt zu einer „site of pilgrimage“ wurde. Im Fokus der vier Hauptkapitel stehen der weiße jüdisch-amerikanische Fotograf Leonard Freed, die afroamerikanische Bürgerrechtlerin und Philosophin Angela Davis, der Künstler Shinkichi Tajiri, Sohn japanischstämmiger Eltern, und die Schriftstellerin und Aktivistin Audrey Lorde, deren Eltern von den Grenadinen stammten.

Die Berliner Mauer beeinflusste ihre jeweilige Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der amerikanischen Demokratie, mit Rassismus sowie der Kalte-Kriegs-Politik in Berlin und andernorts. Nur in diesem Sinne ist es eine American History of the Berlin Wall, die der etwas missverständliche Untertitel des Buches verspricht.

Der mit seiner deutschen Frau in den Niederlanden lebende Leonard Freed reiste bereits Ende August 1961 in den Westteil der Stadt und fotografierte weniger die neuen Grenzanlagen, sondern fokussierte vielmehr auf die amerikanische Militärpräsenz und einzelne US-Soldaten. Das Bild eines afroamerikanischen GI vor der noch rudimentären Mauer wählte Freed später als erste Abbildung in seinem 1968 veröffentlichten Buch White in Black America. Farber analysiert dieses Bild und weitere von in Berlin stationierten GIs ausführlich, zudem auch Freeds Fotos vom March on Washington im August 1963 und dem Bürgerrechtler Martin Luther King, Jr., ebenso wie Freeds Fotoband Made in Germany (1970). Die „Berlin Wall“ wurde laut Farber zu einer „portable, descriptive phrase to refer to specific cases of U.S. segregation“, wie er durch zahlreiche Verweise auf die Berliner Mauer in der damaligen Diskussion über die Bürgerrechte für Afroamerikaner eindrucksvoll zeigen kann.

Ein DAAD-Stipendium ermöglichte Angela Davis in Frankfurt am Main Philosophie zu studieren. 1966 kam sie erstmals nach Berlin. Davis verbrachte viel Zeit im Ostteil der Stadt und schaute sich unter anderem die Feierlichkeiten zum 1. Mai an. Auch später war sie immer wieder zu Besuch in Ost-Berlin, sie wurde von der SED hofiert und als radikale Bürgerrechtlerin gefeiert. Die Tatsache, dass sie es weitgehend vermied, von der Berliner Mauer zu sprechen und statt dessen den Fokus auf Segregation in den USA richtete und auf den rassistisch geprägten Strafvollzug – und damit auch auf Gefängnismauern –, macht sie für Farber zu einem „dissident American Berliner“.

Den Künstler Shinkichi Tajiri faszinierte wie kaum einen anderen die sich immer wieder wandelnde Form der Berliner Mauer. 1969 an die West-Berliner Hochschule der Künste berufen, machte er es sich zur Aufgabe, den kompletten Mauerverlauf fotografisch zu dokumentieren. 1972 durfte er sie sogar aus einem Hubschrauber aus filmen. Farber setzt diese Arbeit auch in Verbindung mit Tajiris Jahren in einem Internierungslager für japanisch-stämmige Amerikaner während des Zweiten Weltkriegs.

1984 lehrte Audrey Lorde für drei Monate als Gastprofessorin am John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin. Dieser Aufenthalt schlug sich besonders in Gedichten wie Berlin Is Hard on Colored Girls nieder, das 1964 in der Sammlung Our Dead Behind Us erschien. Lorde kehrte bis zu ihrem Tod 1992 regelmäßig zurück und wurde eine zentrale Figur in der entstehenden Afro-German-Bewegung. Laut Farber wurde die Berliner Mauer in Lordes Gedichten zu einem „complex symbol of history and memory through which she addressed Cold War-era issues of division and difference, solidarity and survival“. Aber sie setzte sich auch mit dem Holocaust und der deutschen Erinnerungskultur auseinander. Wie der ausführliche Schlussteil zeigt, bedeutete das Jahr 1989 nicht nur für Lorde keinen Endpunkt.

Farber gelingt es eindrücklich, die vielschichtige Auseinandersetzung von US-amerikanischen Künstlern und Aktivisten mit der geteilten Stadt Berlin, der Mauer und dem Kalten Krieg auszuleuchten. Er zeigt im Kleinen, wie die Erfahrungen seiner vier „American Berliners“, aber auch zahlreicher anderer, ihre Erlebnisse und deren Verarbeitung ihren jeweiligen Blick auf die Verhältnisse in ihrem Heimatland beeinflussten. Inwieweit Freed, Davis, Tajiri und Lorde jedoch den Blick auf die Berliner Mauer in den USA, in Deutschland oder anderswo beeinflusst haben, bleibt vage. Auch dass deren „collective choreography of encountering the Wall“ zugleich eine „intergenerational and intersectional counternarrative of Cold War history” darstellt, kann nicht voll überzeugen. Farber hat detektivisch nach jeder Verwendung von und jedem Bezug zu Berlin, der Berliner Mauer oder irgendeiner Mauer in Reden, Texten, Fotografien und Kunstwerken gefahndet; auch, wie bei Lorde, in bislang unveröffentlichten Tagebucheinträgen. Dabei fördert er viele interessante Bezüge zutage, aber Gefängnismauern wären sicherlich auch ohne die Berliner Mauer thematisiert worden.

Leider zeigt sich bei diesem Buch erneut der eher unerfreuliche Trend bei Universitätsverlagen in den USA, die aus intensiver Forschungsarbeit für eine Dissertation hervorgehende Publikation auf möglichst wenige – in diesem Fall 186 – eng bedruckte Textseiten (mit immerhin 40 Fotos) zu pressen. Der Autor hingegen ist dafür verantwortlich, wie diese Seiten gefüllt werden. Farbers Einleitung ist 20 Seiten lang, der Schlussteil umfasst 25 Seiten. Das führt zu einem gewissen Ungleichgewicht mit den Hauptkapiteln. Für Farber wichtige inhaltliche Beschreibungen werden in die noch enger bedruckten 28 Seiten Fußnoten ausgelagert, von denen einzelne über mehr als eine Seite gehen. Während zentrale Thesen mehrfach wiederholt werden, sind vor allem in der Einleitung die Verweise auf wichtige Sekundärliteratur zu spärlich. So fehlt etwa der oben genannte Aufsatz von Ernest May. Zudem finden sich ärgerliche Fehler. Andreas Daum beschreibt das Entstehen von „America’s Berlin“ seit der Luftbrücke 1948/49 – und nicht erst nach 1961, wie Farber schreibt. Der Warschauer Pakt existierte – anders als die NATO – 1949 noch nicht. Das Gipfeltreffen von Präsident John F. Kennedy und dem sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow im Juni 1961 in Wien wird ebenso falsch datiert wie Kennedys Fernsehansprache zur Berlinkrise im Juli 1961. Auf den entsprechenden Schildern – die auch auf im Buch abgedruckten Bildern zu sehen sind – war „You are leaving the America sector“ zu lesen, und nicht „You are now leaving…“.

Trotz dieser Kritik: A Wall of Our Own hätte nicht nur eine bessere redaktionelle Bearbeitung verdient, sondern auch mehr Seiten, um Freed, Davis, Tajiri und Lorde sowie den vielen anderen Künstlern, Intellektuellen und Aktivistinnen mehr Raum zu geben, die im Buch oftmals nur kurz erwähnt werden. Sie alle verliehen „America’s Berlin“ über die außenpolitische, militärische und ideologische Bedeutung hinaus weitere Komponenten, wie Farber auf anregende Weise zeigt.

Anmerkungen:
1 Ernest R. May, America's Berlin. Heart of the Cold War, in: Foreign Affairs 77,4 (1998), S. 148–160.
2 Siehe zuletzt Hope M. Harrison, After the Berlin Wall: Memory and the Making of the New Germany, 1989 to the Present, Cambridge 2019.