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Titel
Das Prachtboot. Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten


Autor(en)
Aly, Götz
Erschienen
Frankfurt a. M. 2021: S. Fischer
Anzahl Seiten
235 S.
Preis
€ 21,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Schwarz, Department of German Literature, Nihon University, Tokyo

Aufhänger des Buches ist das „Prachtboot“ von der Insel Luf, das sich heute im Besitz der ethnologischen Sammlungen in Berlin befindet.1 Es handelt sich um ein 15 Meter langes, hochseetaugliches Auslegerboot, das bis zu 50 Personen zu tragen vermochte. Der für die Südsee zuständige Kurator des Berliner Völkerkundemuseums, Felix von Luschan, hatte es 1903/04 für 6000 Mark gekauft (S. 16, S. 122). Doch auch bei diesem Südsee-Objekt stellt sich die Frage, ob es rechtmäßig erworben worden ist, oder ob es sich um koloniales Raubgut handelt. Alys Provenienzforschung kann zwar nicht alle Umstände des Erwerbs klären, doch seine Rekonstruktion der Umstände wirft ein bezeichnendes Licht auf die Methoden des deutschen Kolonialismus im Pazifik.

Mitte des 19. Jahrhunderts lebten auf der Insel Luf im Hermit-Archipel noch mehr als 400 Menschen (S. 14). 1879 ließ der deutsche Südsee-Unternehmer Eduard Hernsheim auf den Hermits eine Handelsstation errichten, die er 1881 auf die Hauptinsel Luf verlegte. Als er sich im Sommer 1882 in Deutschland aufhielt, erreichte ihn die Nachricht, dass Hermit-Leute seine Handelsstation angezündet und angeblich auch Schiffe überfallen und einen Kapitän erschossen hätten (S. 48). Er legte Bismarck die Entsendung einer Strafexpedition nahe, auf dessen Befehl hin schließlich das Kanonenboot Hyäne und die Korvette Carola im Dezember 1882 vor Luf aufkreuzten. Die „Terroraktion“ (S. 50) des deutschen Militärs verwüstete durch Granatbeschuss und Landungskommandos mit den Häusern und Booten die Existenzbasis der Insulaner. Insgesamt dürfte die Bevölkerung der Insel im direkten Zusammenhang mit der ‚Strafexpedition‘ um etwa die Hälfte ihrer Einwohnerschaft dezimiert worden sein (S. 53f.). Der Anthropologe Augustin Krämer registrierte 1905 noch genau 52 Einwohner auf Luf (S. 128). Sein Kollege Paul Hambruch kam zu dem Schluss, dass es „Strafexpeditionen“ waren, die das „Aussterben“ der Bevölkerung Lufs eingeleitet hätten (S. 60). Aly spricht von einer „Politik des Ausrottens“, die der Gründungsdirektor des Berliner Völkerkundemuseums, Adolf Bastian zu einem gleichsam „naturhaften“ Aussterben „primitiver“ Kulturen stilisiert hat (S. 66).

Das Unternehmen Hernsheim, das seine Gewinne der steigenden Nachfrage nach Kopra verdankte, wurde 1892 von Max Thiel übernommen (S. 81). In einem Brief von Richard Parkinson an das Berliner Völkerkundemuseum aus dem Jahr 1904 ist davon die Rede, dass die Firma Hernsheim die pazifische Inselwelt in ihrem Einzugsbereich „rattenkahl absammeln“ lasse, hier spiele sich ein „ethnographischer Raubzug“ sondergleichen ab (S. 82). Im Jahr 1902 hatte Max Thiel etwa 500 Hektar „herrenloses“ Land auf den Hermit-Inseln an den Prokuristen der Firma Hernsheim verkauft, an Heinrich Rudolph Wahlen (S. 123). Dessen „Übernahmekommando“ schloss sich neben Hellwig auch der Malariaforscher Otto Dempwolff an (S. 124f.). Die Dezimierung der Inselbevölkerung von Luf erklärte dieser in seinem 2019 edierten Tagebuch zunächst mit Seuchen und der tabulosen „Ausübung des Geschlechtsverkehrs“ (S. 125). Einige Tage später klärte ihn der irische Händler Jimmy Devlin über die ‚Strafexpedition‘ gegen Luf auf, behauptete aber auch, dass sich die Überlebenden selbst aufgegeben hätten (S. 126). Dempwolff kolportierte diese Mitteilung in einem Vortrag über „aussterbende Völker“, in dem er „Kindsmord und Abtreibung“ für eine „Selbstvernichtung“ des Inselvolkes verantwortlich macht (S. 127). Devlin bekannte sich später dazu, Dempwolff belogen zu haben (S. 128). Dessen ungeachtet floss diese Version der Geschichte auch in die offizielle Darstellung der Provenienz des Luf-Bootes ein (S. 35f., 41). Wenn also Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung preußischer Kulturbesitz, 2018 von einem „Bevölkerungsrückgang auf der Insel“ Luf spricht, wirft ihm Götz Aly zurecht eine euphemistische Verdrehung der Tatsachen vor (S. 41, S. 60). Für die Dezimierung der Bevölkerung auf Luf war die deutsche Kolonialmacht verantwortlich und daraus ergeben sich Konsequenzen für den Umgang mit dem Boot in der Berliner Sammlung. Götz Alys Buch vertritt die These, dass hinter der Rede vom „Aussterben“ der Naturvölker ein Konzept von deren „Vernichtung“ stehe (S. 173).

Das Luf-Boot hatten drei Männer namens Karai, Nemin und Xelau zusammen mit dem Häuptling Sini und dessen Vater Xaighud gebaut (S. 136f.). Der Anthropologe Georg Thilenius hatte bei seinem Besuch der Hermit-Gruppe 1899 erklärt, dass es das letzte seiner Art sei. Es liege bereits jahrelang in einem Bootshaus, da es den wenigen Männern auf der Insel Luf an Kraft fehle, es noch zu bewegen (S. 145f.). Eduard Hernsheim schreibt in seinen Lebenserinnerungen, das Luf-Boot sei von Max Thiel „in seine Hände“ ‚übergegangen‘ (S. 28, S. 131). Wie genau das Boot in den Jahren 1902 oder 1903 seinen „rechtmäßigen Eigentümern abgenommen worden“ ist (S. 184), bleibt in den Quellen eine Leerstelle (S. 38). Doch die Kontextualisierung von Aly zeigt überzeugend, dass „sämtliche Sammlungsstücke aus ehemaligen Kolonien unter dem Generalverdacht der unregelmäßigen, gewaltsamen oder ethisch fragwürdigen Akquisition“ stehen (S. 183).

Götz Aly schreibt verständlich für ein breites Publikum. Anschließen kann er vor allem an Alexander Krugs 2005 erschienene Monographie über die deutschen „Strafexpeditionen“ im Südpazifik zwischen 1872 und 1914. Zwar gibt es bereits zahlreiche Arbeiten, die sich der kritischen Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus in Afrika widmen, doch die ‚Schutzherrschaft‘ in der ‚deutschen Südsee‘ wird in der die Wahrnehmung prägenden Geschichtsschreibung bis heute als eine Art humanitäres Projekt verklärt. Alys Verdienst besteht in einem klaren Bruch mit einer solchen Historiographie, die den Kolonialismus im Pazifik als eine Form der interkulturellen Begegnung mit anschließendem Bevölkerungsrückgang zu verharmlosen sucht.

Auch um einen Verfahrensvorschlag ist der Autor am Ende nicht verlegen. Er empfiehlt, die „Nachfahren der einst beraubten Schöpfer des Luf-Bootes“ und ihren Repräsentanten, den Staat Papua-Neuguinea, als „Treugeber“ zu behandeln und als „Eigentümer“ zu bestätigen, um ihnen so das Recht einzuräumen, über die „Weiterführung oder das Ende der Treuhandschaft“ zu entscheiden (S. 191). Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Stiftung Preußischer Kulturbesitz das Boot seiner Größe wegen 2018 vom ehemaligen Standort des Ethnologischen Museums in Berlin-Dahlem in den Rohbau des rekonstruierten Hohenzollernschlosses hat bringen lassen, um es dort noch vor der Eröffnung des Humboldt-Forums im Jahr 2020 in das Gebäude praktisch einzubetonieren. Sollte es dennoch zu einer Rückgabe kommen, wäre die Fassade des Schlosses wohl aufzubrechen.

Anmerkung:
1 Diese Rezension ist entstanden im Rahmen eines Forschungsprojekts der Japan Society for the Promotion of Sciences mit dem Titel „Exoticism and the Spread of Disease on Pacific Islands“ (21K00444).