Titel
Alexander von Humboldt and the United States. Art, Nature, and Culture


Autor(en)
Harvey, Eleanor Jones
Erschienen
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
$ 75.00; £ 62.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sandra Rebok, University of California San Diego

Von Mai bis Juli 2021 zeigte die Smithsonian Institution in Washington D.C. in ihrem American Art Museum eine aufwändig gestaltete und vielseitig beworbene Ausstellung zu dem weit gefassten Thema „Alexander von Humboldt und die Vereinigten Staaten“. Ursprünglich sollte sie bereits im Frühjahr 2020 eröffnet werden, also kurz nach Beendigung der Feierlichkeiten zu Humboldts 250. Geburtstag. Wie viele andere Projekte auch musste sie jedoch pandemiebedingt verschoben werden. Umso größer ist die Bedeutung, die dem umfangreichen und reich bebilderten Katalog als bleibendes Produkt der Ausstellung zukommt. Inhaltlich deckt er einen überaus breiten Themenbereich ab, wie nicht nur der Titel selbst, sondern auch ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt. Hier wird zunächst eine Einleitung zur Person Humboldts und seinem Aufenthalt in den USA geboten und anschließend auf spezielle Themen näher eingegangen: In den folgenden Kapiteln wird der historische Kontext seines Besuches beleuchtet, insbesondere in Bezug auf die Expansion der USA im Anschluss an den Kauf des Louisiana-Territoriums 1803. Des Weiteren wird auf Humboldts Naturverständnis und seine Faszination für die amerikanische Natur eingegangen, die im klaren Gegensatz stand zu der damals von führenden europäischen Gelehrten wie Buffon, Raynal und Pauw propagierten Minderwertigkeit des Neuen Kontinentes. Auch seinem Eintreten für amerikanische Kunst und Kultur nach seiner Rückkehr nach Europa wird ein Kapitel eingeräumt, mit Blick auf seine vehemente Haltung gegen die Sklaverei sowie seinem Interesse für die indigene Bevölkerung Amerikas. In einem weiteren Kapitel wird die Bedeutung der Humboldtschen Wissenschaft für die Entwicklung der amerikanischen Landschaftsmalerei und insbesondere sein Einfluss auf den bekannten Landschaftsmaler Frederic Edwin Church thematisiert. Abschließend wird Humboldt in Beziehung gesetzt zu dem britischen Mineralogen und Chemiker James Smithson, der ebenfalls ein besonderes Interesse an den USA hatte. Smithson sah in diesem Land Potenzial für eine vielversprechende Zukunft, vor allem innerhalb der Wissenschaften, und vermachte ihm daher nach seinem Tod im Jahr 1829 sein Vermögen. Dies geschah unter der Auflage, eine Einrichtung zur Vermehrung und Verbreitung von Wissen zu schaffen („increase and diffusion of knowledge“), was wiederum den Grundstein zur Gründung der Smithsonian Institution im Jahr 1846 legte.

Der Katalog deckt somit zahlreiche Themen ab, die auch für den nicht-akademischen Leser, der mehr über Humboldt und seine Beziehung zu den USA wissen möchte, von Interesse sind. Positiv zu vermerken ist an dieser Stelle, dass die Lektüre durch die Erklärung von Hintergründen sowie durch eine lebendige Sprache erleichtert wird. Hinzu kommen zahlreiche und gut gewählte Illustrationen als visuelle Untermalung des Textes. Hierin liegt sicherlich eines der Verdienste des Kataloges: in der Darbietung einer leicht verständlichen und engagiert geschriebenen Zusammenfassung von Fachliteratur zum Thema in einer attraktiven Optik. Jedoch mag auch die Hauptproblematik des Werkes hier ihren Ursprung haben. Inhaltlich weit ausholend befasst sich die Autorin mit sehr unterschiedlichen Themen, was leider zu zahlreichen Fehlinterpretationen führt, die sowohl inhaltlicher, historischer als auch konzeptueller Natur sind. Zum Teil scheinen die Interpretationen auch eher institutionellen und Marketinginteressen zu folgen als der Absicht einer ausgewogenen und historisch getreuen Annäherung an eine bedeutende Person des 19. Jahrhunderts. Deutlich wird dies bereits in der Feststellung im Vorwort, dass bislang „relativ wenig über Humboldts Einfluss in den USA geschrieben worden ist“ und daher der Autorin das Verdienst zukomme, „Humboldts Fingerabdruck in der amerikanischen Kunst und Kultur“ (S. 11) offenzulegen. Die lange Liste der im Katalog zitierten Literatur zum Thema bietet hierzu ein eindeutig anderes Bild.

Die inhaltlichen Fehlinterpretationen häufen sich vor allem dort, wo es um den historischen bzw. politischen Kontext geht, insbesondere um europäische Geschichte bzw. Kolonialgeschichte. Dies trifft auch auf Humboldts Bezug zum spanischen Imperium zu, das ihm seine fünfjährige Reise in die Neue Welt ermöglicht hat. Es scheint Unklarheit über die geopolitischen Entitäten Spanien, Neuspanien und Mexiko zu geben, hinsichtlich ihrer geographischen Ausdehnung sowie ihrer zeitlichen Entwicklung. Humboldt unternahm seine Recherchen nicht in „mexikanischen Archiven“ (S. 34), sondern in den Kolonialarchiven des Vizekönigreiches Neuspanien. Die von Humboldt geschaffene Carte Générale zeigte keineswegs „exakt was das Land gerade durch den Louisiana-Kauf erstanden hatte“ (S. 40), denn die Unklarheit hinsichtlich der Grenzziehung war ja gerade das Problem jener Zeit. Als Frankreich das von Spanien im Jahr 1800 erhaltene Louisiana-Territorium an die USA verkaufte, verursachte das keineswegs „Schockwellen in Mexiko“ (S. 40), wohl aber deutliche Proteste in Spanien auf diplomatischer Ebene, da die Unveräußerlichkeit des Gebietes eine Kondition des 1800 mit Frankreich geschlossenen Dritten Vertrages von San Ildefonso gewesen war.

Des Weiteren perpetuiert die Autorin den Mythos um den maßgeblichen Einfluss Humboldts auf Simón Bolívar, der hier eher salopp als „junger südamerikanischer Aktivist“ (S. 178) bezeichnet wird, obwohl dieser Mythos in der Forschung schon längst entlarvt worden ist. Unrichtig ist zudem die Feststellung, dass Neuspanien ein „Teil der Welt war, zu dem normalerweise europäische Reisende keinen Zutritt hatten“ (S. 42). Einerseits kontrollierte das spanische Imperium (wie andere europäischen Mächte auch) zwar den Zugang zu ihren Überseegebieten, andererseits standen jedoch zahlreiche Europäer in seinen Diensten, darunter auch deutsche Experten im Bergbauwesen, die vor allem in Neuspanien tätig waren. Erstaunen weckt ebenfalls die Aussage, dass Napoleons Eroberungsfeldzüge Humboldts geplante Reiserouten abschnitten. Im Gegenteil, es war ein erklärtes Ziel Humboldts, Napoleon auf seinem Ägyptenfeldzug als Wissenschaftler zu begleiten (S. 42, S. 180), auch wenn dieser Plan letztendlich nicht zustande kam.

Fehlerhaft ist die Argumentation auch, wenn es um Humboldts Beziehung zu Thomas Jefferson geht. Sein Besuch gab dem Präsidenten keineswegs die Möglichkeit, US-amerikanische „Verhandlungen mit Spanien zu gestalten“ (S. 57), denn solche Verhandlungen gab es nicht, auch wenn dies im Katalog behauptet wird. Humboldts Karte war daher auch kein „powerful piece of military intelligence“ für Jeffersons „Verhandlungen mit dem spanischen König“ (S. 100). Abgesehen von der offensichtlichen historischen Unrichtigkeit fällt an dieser (und vielen anderen Stellen im Katalog) zudem eine durchgehend überzogene Darstellung von Humboldts Einfluss und Bedeutung auf.

Irreführend werden die Ausführungen auch dann, wenn es um Humboldts Wissenschaft geht. Das von ihm weiter entwickelte Konzept der Einheit der Natur war weder „ground-breaking“ noch war es eine „radikale Idee“ (S. 11), sondern hatte seinen Ursprung bereits bei den Philosophen der Antike. Humboldt revolutionierte weder „unser Verständnis vom Planeten“ (S. 21) noch die Wissenschaften an sich, wie kontinuierlich wiederholt wird, ohne zu erklären, worin diese „Revolution“ bestehen soll. Dies ist nicht nur aus wissenschaftshistorischer Perspektive unrichtig, es ist zudem eine falsche Einordnung seiner wissenschaftlichen Methode, die in einer steten Auseinandersetzung mit den Arbeiten seiner Vorgänger sowie seiner Zeitgenossen bestand. Falsch ist ebenfalls, dass Humboldt einen internationalen Austausch von Ideen und Wissen „ohne politische Einmischung“ wünschte (S. 175); war doch gerade er geschickt darin, wissenschaftliche Ziele durch seine engen Kontakte zur politischen Welt auf eine Weise zu fördern, für die wir heute den Begriff Science diplomacy gebrauchen.

Diese Liste ließe sich noch beliebig fortsetzen. Problematisch sind jedoch nicht nur die unrichtigen Aussagen selbst, sowie die stete Heroisierung seiner Person, sondern auch die dahinter erkennbare Absicht, einen für die eigenen Belange passenden Humboldt zu konstruieren. Gerade im Rahmen der Wissenschaftspopularisierung sind solch interessensgeleiteten Interpretationen bedenklich. So wird beispielsweise stets ein Bezug bemüht zwischen Humboldt und einer auf der Natur gründenden amerikanischen Identität, er wird mit der „amerikanischen Wildnis“ in Einklang gebracht, um ihn quasi zu einer mythischen Figur für die amerikanische Seele zu stilisieren. Diese Instrumentalisierung manifestiert sich in faktisch nicht haltbaren Feststellungen wie „America’s nature-based sense of identity stems in large part from Humboldt’s friendship with the president“ (S. 11) oder „the invocation of ‚unity and immensity‘ tracks directly back to Humboldt“ (S. 165). Bei der Betonung seines Beitrages „zur Entstehung einer auf der Natur basierenden amerikanischen Identität“ (S. 167) wird jedoch eine wichtige Gegebenheit außer Acht gelassen: Im Gegenzug zu Spanischamerika bestand die Attraktivität der USA für Humboldt nicht in der „majestätischen Natur“, sondern vielmehr in dem politischen System und den dort zirkulierenden aufgeklärten Ideen, wie er selbst mehrfach betonte. Diese sich durch den gesamten Katalog ziehende hagiographische Sicht auf seine Person, die Konstruktion von interessengeleiteten Bezügen und monokausalen Erklärungen sind aus wissenschaftlicher Sicht durchaus problematisch. Humboldt wird hier quasi zu einem europäischen founding father für die amerikanische Nation stilisiert, wegweisend auch für die Entstehung der Smithsonian Institution, die als Inkarnation der Humboldtschen Wissenschaft gezeichnet wird, als „Amerikas Antwort auf Humboldt“ (S. 381). An dieser Stelle ist eine gewisse Parallele zu epischen Humboldt-Konstruktionen in den neu entstandenen Nationen Spanischamerikas zu erkennen. Ein Heldenepos dieser Art wird jedoch – zu Recht – im Licht des gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskurses zunehmend kritisch bewertet. Ein ausgewogener und reflektierter Blick auf Humboldt hätte sicherlich mehr im Trend der Zeit gelegen und bewirkt, dass das durchaus vorhandene Potenzial des Kataloges mehr zur Erklärung als zur Verklärung seiner Person und seines Wirkens in den USA hätte beitragen können.

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