A.M. Mehdorn: Prosopographie der Missionare

Cover
Titel
Prosopographie der Missionare im karolingischen Sachsen (ca. 750–850).


Autor(en)
Mehdorn, Andreas Maximilian
Reihe
Monumenta Germaniae Historica – Hilfsmittel (32)
Erschienen
München 2021: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
404 S.
Preis
€ 80,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrick Breternitz, Historisches Institut, Universität zu Köln

Die Bonner Dissertation Andreas M. Mehdorns nimmt ihren Ausgangspunkt in der Neubewertung einiger Immunitätsprivilegien sächsischer Bistümer in der von seinem Doktorvater Theo Kölzer besorgten MGH-Edition der Urkunden Ludwigs des Frommen. Kölzer konnte zeigen, dass die meisten dieser Urkunden gefälscht und die entsprechenden Diözesen daher jünger sind, als bis dahin angenommen. Mehdorn fragt in seiner Studie nach den Konsequenzen dieser Neubewertung zentraler Quellen für die Erforschung der Christianisierung in Sachsen. Er wendet sich gegen die ältere Forschungsansicht von einer frühen räumlichen Durchdringung und Gliederung der sächsischen Gebiete durch die Festlegung einer Diözesanstruktur und plädiert dafür, die Missionierung und Christianisierung der Sachsen über die diese vorantreibenden Personen, die Missionare, zu erforschen.

Nach einem einleitenden Kapitel zur angelsächsischen Mission in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts, zu den Sachsenkriegen Karls des Großen und den Sachsen im Frankenreich bis 850 folgt eine prosopographische Analyse von 50 Missionaren, die zwischen 750 und 850 in Sachsen tätig waren. Darunter finden sich bekannte Namen wie Ansgar, Ebo, Liudger oder Sturmi, aber auch weniger bekannte Personen wie ein gewisser Benjamin (ein Begleiter Willehads) und immerhin zehn Missionare, deren Historizität Mehdorn mit guten Gründen anzweifelt. Dazu zählen die ältesten sieben für Verden überlieferten Bischöfe, die ersten beiden Bischöfe der Osnabrücker Bischofsliste und Gerbert Castus, dessen von der Forschung postulierte Missionstätigkeit nach Mehdorn auf einer fragwürdigen Kombination von Quellenzeugnissen beruht. Die Biogramme umfassen eine bis zu gut 50 Seiten, wobei die Ausführlichkeit stark von der Quellenlage bestimmt wird. Die Biogramme folgen jeweils dem gleichen Schema und beleuchten erstens Quellenlage, Herkunft, geistlichen Werdegang, zweitens die missionarische Tätigkeit selbst und drittens das Verhältnis des Missionars zur weltlichen Macht.

Im dritten Kapitel wertet der Autor die 50 Biogramme, von denen sich 40 auf historisch verbürgte Personen beziehen, systematisch unter verschiedenen Aspekten aus. Bei den meisten Aspekten liegen nur von einem Teil der untersuchten Personen verlässliche Daten vor, da nur von Ansgar, Liudger, Sturmi und Willehad Viten überliefert sind, während in den meisten Fällen nur einzelne Quellenerwähnungen zu verzeichnen sind. Dennoch ermöglicht die Gesamtschau viele interessante Beobachtungen: 17 der 40 Geistlichen waren erkennbar adliger oder zumindest freier Herkunft. Die Mehrheit stammte aus an Sachsen angrenzenden Regionen und dürfte der sächsischen Sprache mächtig gewesen sein. Sie wuchsen größtenteils in Klöstern auf, die aus der angelsächsischen Mission Willibrords und Bonifatius’ entstanden waren. Daneben brachte das von Corbie aus gegründete und von Ludwig dem Frommen geförderte Kloster Corvey eine Reihe von Geistlichen hervor, die in Sachsen tätig waren.

Mehdorn hält fest, dass die Missionare an sich mobil und ihre Zuständigkeitsbereiche nicht räumlich, sondern gentil definiert gewesen seien. Zwar seien an verkehrsgünstigen Orten Missionsstationen eingerichtet worden, aber nicht jede von ihnen habe sich in späterer Zeit zu einem Bischofssitz entwickelt. Anders als teilweise die ältere Forschung sieht der Autor kein bewusstes Einrichten von Missionsstationen in der Nähe sächsischer Heiligtümer, Gerichtsplätze oder Hauptorte, wobei es letzteres nach Ausweis der archäologischen Forschung kaum gegeben haben dürfe. Der langwierige Entwicklungsprozess von einer Missionsstation zum Bischofssitz entziehe sich größtenteils der Beobachtung. Lediglich der Abschluss eines solchen Prozesses lasse sich beobachten, wenn für eine bestimmte sedes erstmals explizit der Bischof der sedes genannt werde oder wie im Fall von Paderborn 822 eine Immunitätsurkunde vorliege. Aus diesen Überlegungen heraus müsse die Etablierung der acht sächsischen Bistümer spätestens 868 abgeschlossen gewesen sein, als acht sächsische Bischöfe unter Nennung ihrer sedes in Worms eine Urkunde unterzeichneten.

Um Bischöfe ohne feste sedes von Diözesanbischöfen mit fester sedes abgrenzen zu können, möchte Mehdorn am Begriff Missions(erz)bischof festhalten, auch wenn es sich, wie er völlig korrekt betont, nicht um einen zeitgenössischen Quellenbegriff handelt (S. 375–377). Letzteres gilt allerdings nicht erst für das Kompositum, sondern schon für den Grundbegriff Mission selbst. Für die Zeitgenossen des 8. und 9. Jahrhunderts scheint es einen solchen Oberbegriff für verschiedene Aktivitäten wie das Predigen, die Taufe von Heiden und die generelle Verbreitung und Durchsetzung christlicher Glaubensvorstellungen und Lebensweisen in erst kürzlich christianisierten Gebieten nicht gegeben zu haben. Daher stellt sich die methodische Frage, inwieweit die Gemeinsamkeiten zwischen den untersuchten Personen alle auf einer den Betroffenen selbst vermutlich nicht bewussten Funktion als Missionar oder zumindest teilweise auch auf die Rolle als Geistlicher in einer im Hinblick auf Herrschaft, Administration und Infrastruktur noch wenig erschlossenen Region zurückzuführen sind. Aus dieser Perspektive verwundert es auch nicht, dass sich beispielsweise keine gezielte Ausbildung der späteren Missionare für ihre Tätigkeit erkennen lässt, wie Mehdorn festhält (S. 357).

Die Frage, inwieweit die Bezeichnung der untersuchten Personen als Missionare oder Missions(erz)bischöfe gewinnbringend ist, soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die von Mehdorn untersuchten, in Sachsen tätigen (Erz-)Bischöfe eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung des Christentums und der Entstehung einer Bistumsorganisation in diesem Gebiet spielten. Nur bei wenigen untersuchten Personen erlauben die Quellen einen Blick auf konkrete Tätigkeiten zur Verbreitung des Christentums. Als wichtigste Handlungen neben der Predigt arbeitet Mehdorn Taufen, Bekämpfung heidnischer Heiligtümer sowie die Gründung von Kirchen und Klöstern heraus. Die Rolle der karolingischen Herrscher stuft der Autor eher gering ein. Zwar sieht er vor allem Karl den Großen als direkten oder indirekten Auftraggeber der untersuchten Personen für deren Tätigkeit in Sachsen, kann aber kaum Kontakte zwischen den Missionaren und Karl feststellen. Diese Beobachtung stützt die These des Buches, dass Karl der Große die Missionierung der eroberten Gebiete nicht von vornherein systematisch geplant habe.

Durch die Hinwendung zu den Akteuren ist es Andreas M. Mehdorn gelungen, die Lücke, die durch die Neubewertung mehrerer Immunitätsdiplome durch Theo Kölzer entstand, überzeugend zu füllen. Wer sich zukünftig mit der Christianisierung und Ausbildung einer Diözesanstruktur in Sachsen beschäftigt, wird an dieser Studie nicht mehr vorbeikommen. Auch für die Debatte um die Einstufung der Sachsenkriege als Missionskriege oder um Karl den Großen als „Glaubenskrieger“ dürfte von dieser Studie ein wichtiger Impuls ausgehen. Nicht zuletzt verdient aber auch der prosopographische Hauptteil der Arbeit Anerkennung, in dem Mehdorn in mühevoller Kleinarbeit die verfügbaren Quellen über 50 größtenteils historische Missionare aufgearbeitet hat.

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