Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte

Titel
Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte. Eine Online-Quellenedition.
Herausgeber
Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg DE: <http://www.igdj-hh.de>
Von
Jonas Jung, Berlin

Am 22.09.2016 präsentierte das Hamburger „Institut für die Geschichte der deutschen Juden“ (IGdJ), anlässlich seines 50-jährigen Bestehens und des zeitgleich in Hamburg stattfindenden 51. Deutschen Historikertags, seine neue Online-Quellenedition „Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte“ und machte diese im selben Zuge online zugänglich. In der Einladung zum Launch des Projektes wird der eigene Anspruch folgendermaßen formuliert: „Die Quellenedition führt erstmals das aufgrund von Migration und Verfolgung in alle Welt verstreute jüdische Erbe der Stadt digital wieder zusammen, macht es weltweit zugänglich und bewahrt es für zukünftige Generationen.“1

Die „Hamburger Schlüsseldokumente“ beschäftigen sich inhaltlich mit Quellen zur deutsch-jüdischen Geschichte der Stadt Hamburg. Dabei lässt sich kein subdisziplinärer oder zeitlicher Schwerpunkt ausmachen. Vielmehr versucht die Quellenedition die gesamte Geschichte der Juden in Hamburg nachzuzeichnen, beginnend mit dem Generalprivileg für die Altonaer Juden von 1641 bis in die Gegenwart. Zielsetzung der Schlüsseldokumente ist es „Wissen zur jüdischen Geschichte über Quellen zu vermitteln, größere Zusammenhänge über konkrete Beispielfälle zu erschließen, den Zugang zu den Quellen zu erleichtern und dadurch neue Forschungen anzustoßen“ sowie darüber hinaus zur „Bewahrung und Nutzung des jüdischen Erbes“ beizutragen.2 Die lokale Begrenzung auf Hamburg soll nicht regionalgeschichtlich interpretiert werden. Vielmehr wollen die Herausgeber/innen Hamburg als „Brennglas für größere Entwicklungen und Fragestellungen der deutsch-jüdischen Geschichte“3 verstehen.


Abbildung 1: Startseite der „Hamburger Schlüsseldokumente“

Realisiert wurde das Projekt vom IGdJ. Als Kooperationspartner fungieren Forschungsinstitute, Archive und Museen aus dem In- und Ausland. Seit Juli 2015 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Realisierung der Online-Edition für zwei Jahre.4 Leitende Idee war es, eine digitale Edition mit den Ansprüchen einer kritischen Edition zu vereinen.5 Diese Symbiose stellt ein Novum der bisher bestehenden deutschsprachigen Online-Angebote zur jüdischen Geschichte dar.

Die primäre Zielgruppe bilden „Studierende, Forschende und Lehrende aus dem Bereich der jüdischen Geschichte“.6 Gleichzeitig soll die Webseite aber auch für Laien und Schüler/innen, die beispielsweise über die gute Auffindbarkeit der Seite durch Suchmaschinen auf die Quellenedition stoßen, einen Einstieg in die jüdische Geschichte bieten. In der Konzeption der Edition wurde berücksichtigt, dass diese „absichtslosen“ Nutzer ebenso nachhaltig informiert werden sollen wie „zielgerichtete“ Nutzer.

Die Quellenedition ist modular aufgebaut und bietet fünf verschiedenartige Zugänge zu ihren Inhalten an. So kann der Nutzer unter den Reitern „Themen“, „Karte“ und „Zeitstrahl“ thematisch, topografisch und chronologisch Zugang auf die Inhalte der Seite erhalten. Als vierte Option gibt es den Reiter „Nachschlagen“, wodurch man anhand der Unterpunkte Personen, Orte, Organisationen, Bibliographie und Glossar die gesamte Edition analog zu einem Index alphabetisch durchsuchen kann. Zusätzlich besteht die Möglichkeit der Nutzung einer Stichwort-Suchfunktion, die sich nach Rubriken filtern lässt.


Abbildung 2: Übersicht unter dem Reiter "Themen"

Auf die Begründung der Auswahl der digitalisierten Quellen verweist der Begriff der Schlüsseldokumente. Die Quellen sollen demnach exemplarisch für allgemeinere Aspekte der deutsch-jüdischen Geschichte stehen. Es werden nicht alle Quellen vollständig zur Verfügung gestellt, was inhaltlich mit der durch die Kürzung ermöglichten genaueren interpretatorischen Arbeit und „den Online-Lesegewohnheiten“7 der Nutzer begründet wird. Diese Vorgehensweise erschwert jedoch eine selbstständige und vollständige wissenschaftliche Bearbeitung der Quellen.

Der Umfang der Quellenedition ist bisher überschaubar, soll aber konsequent ausgebaut werden. So lassen sich derzeit 46 Quellen (Stand 28.2.2017) auf der Seite finden, bis zum Ende der Projektlaufzeit sollen es 150 sein.8 Dabei handelt es sich bisher fast ausschließlich um Textquellen. Es finden sich lediglich fünf Bildquellen, drei Tondokumente und eine Videoquelle, welche die online gegebenen multimedialen Möglichkeiten ausnutzen. Zusätzlich zu den Quellen gibt es zu jedem der 15 Themen einen, bis auf den ausgefallen kurzen Artikel zum Thema „Sefarden“, umfangreichen Einführungstext der/des jeweiligen eigenverantwortlichen Herausgebers/in sowie zahlreiche Quelleninterpretationen und beschreibungen von über 100 Wissenschaftler/innen. Die Texte sind wissenschaftlich fundiert, zitierfähig und in den Aspekten des wissenschaftlichen Anspruchs und des Umfangs vergleichbar mit Artikeln in gängigen Enzyklopädien zur deutsch-jüdischen Geschichte.

Um auf die Quellenedition zuzugreifen, bedarf es keiner Anmeldung. Alle Inhalte sind im Sinne des Open Access frei zugänglich und kostenfrei nutzbar. Zusätzlich zur deutschen Version wird eine englischsprachige Version angeboten, einschließlich der transkribierten Übersetzungen von Originalquellen. Dadurch ist das Angebot auch außerhalb des deutschsprachigen Raumes nutzbar und soll so transnationale Forschungen ermöglichen. Die Inhalte der Quellenedition werden mit den Inhalten externer Seiten bidirektional verknüpft, unter anderem über die Gemeinsame Normdatei (GND). Beteiligungsformen für Nutzer wie Crowdsourcing oder eine Kommentarfunktion bestehen nicht.

Das optische Design der Webseite wirkt ansprechend und übersichtlich. Es folgt einer einheitlichen Handschrift und unterstützt so bei der Benutzerführung durch die verschiedenen Ebenen der Quellenedition. Lediglich die Einbindung der Audioquellen, die beispielsweise unter dem Reiter Zeitstrahl als einzige ohne Vorschaubild angezeigt werden, stört die Einheitlichkeit des Designs. Die Programmierung auf Basis des CSS-Framework Bootstrap ist technisch zeitgemäß. Es leistet responsive Webdesign und ermöglicht so die Nutzung auf verschiedenen Endgeräten. Allerdings gibt es bei der Darstellung der Quellenseiten auf mobilen Endgeräten Optimierungsbedarf.

Die Funktionalität der Webseite ist, bis auf wenige verbesserungswürdige Mängel, positiv zu bewerten. Die ausgewählten Quellen werden als Transkript und digitales Faksimile bereitgestellt. Text- und Bildquellen lassen sich sehr einfach im Browser als PNG-Grafik abspeichern. Suchanfragen über die Suchfunktion liefern die erwünschten Ergebnisse, soweit der gesuchte Begriff im Rahmen der Quellenedition thematisiert und korrekt buchstabiert wurde. Hier könnten Suchvorschläge oder Autovervollständigungen die Stichwortsuche entscheidend verbessern. Über SeeAlso-Links verweist die Seite auf weitere Erwähnungen von Personen oder Begriffen im Rahmen der Onlineedition. Hilfreich für weiterführende Recherchen ist es, dass über die Gemeinsame Normdatei (GND) auch Querverbindungen zu Erwähnungen auf anderen Webseiten aufgezeigt und verlinkt werden. Während des Lesens eines Artikels erweisen sich die SeeAlso-Links innerhalb eines Textes jedoch als unhandlich, da sich diese nicht in einem neuen Tab öffnen lassen. Bei Interesse an Kurzinformationen zu den im Text erwähnten Personen, Parteien und Orten ist der Nutzer gezwungen die Seite des Artikels zu verlassen. Dadurch ist diese an sich nützliche Funktion beim Lesen eines Artikels unhandlich und behindert so den Lesefluss.


Abbildung 3: Beispiel für eine Quellenseite, Transkription ausgeblendet

Inhaltlich decken die 15 Themen der Quellenedition fast 400 Jahre deutsch-jüdischer Geschichte unter verschiedenen Aspekten umfassend ab. Zu kritisieren ist das Auslassen des Themenfeldes der Geschichte der Juden in der DDR (Stand 28.2.2017). Zwar widmet sich das Projekt der Geschichte der deutschen Juden in Hamburg, betont dabei jedoch einen universelleren Anspruch von Hamburg als Brennglas. Angesichts dieser Zielsetzung erscheint es verwunderlich, warum sich keine Quellen oder Texte zur Geschichte der Juden in der SBZ und DDR finden lassen. Dadurch werden 45 Jahre deutsch-jüdischer Geschichte und die Erfahrungen der in der DDR lebenden Juden ausgeblendet.

Der Ansatz, die digitale Publikation mit den Ansprüchen einer kritischen Edition zu verbinden, ist beispielhaft gelungen, wenn auch einige Details Optimierungsbedarf aufzeigen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Projekt in den kommenden Jahren entwickeln und von den Nutzern angenommen wird. Die Voraussetzungen um die oben genannten selbstgesetzten Ziele zu erreichen und noch umfangreicher zu verfolgen sind gegeben.

Anmerkungen:
1 Daniel Burckhardt, Zum 50. Geburtstag: Das IGDJ wird digital, in: <http://juedische-geschichte-online.net/projekt/2016/08/zum-50-geburtstag-das-igdj-wird-digital/>, (28.2.2017).
2 IGdJ: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, Eine Begleitbroschüre zur Online-Quellenedition, S. 18, online unter: <http://juedische-geschichte-online.net/pdf/Guide-to-the-Digital- Source-Edition.pdf>,(11.11.2016).
3 <http://juedische-geschichte-online.net/>, (28.2.2017).
4 <http://juedische-geschichte-online.net/ueber/mittelgeber> , (15.05.2017).
5 IGdJ: Begleitbroschüre, S.10.
6 Ebd., S. 24.
7 Ebd., S. 29.
8 Vgl. Ebd., S. 27; Wann genau das Ende der Projektlaufzeit ist, lässt sich auf der Seite der Quellenedition nicht feststellen. Die Förderung der DFG ist allerdings auf zwei Jahre festgeschrieben, so dass diese im Juni 2017 ausläuft.

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