Amerika

Veranstalter
Übersee Museum Bremen
Ort
Bremen
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.11.2016 -

Publikation(en)

Cover
Ahrndt, Wiebke; Übersee Museum Bremen (Hrsg.): Amerika. . Bramsche 2016 : Rasch Verlag, ISBN 978-3-89946-255-5 180 S. € 15,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sarah Ehlers, CHF/Beckman Center for the History of Chemistry, Philadelphia

Amerika im 21. Jahrhundert ist das Thema der neugestalteten Dauerausstellung im Bremer Übersee-Museum, die im November 2016 eröffnet wurde. Nach insgesamt drei Jahren Umbau ist mit ihr nun die letzte der Kontinent-Ausstellungen des Museums überarbeitet, so dass, wie die Direktorin Wiebke Ahrndt betont, den Besucher/innen wieder eine Reise um die Welt geboten wird. Eben dieses Anliegen, Gründungsdirektor Hugo Schauinsland formulierte es als „die Welt unter einem Dach“, verfolgt das Übersee-Museum seit seiner Eröffnung 1896, als Sammlungen von Reichtümern, die Bremer Kaufleute aus der Ferne in die Hansestadt gebracht hatten, in Schaugruppen und Dioramen dem Publikum geöffnet wurden. Die Geschichte des Museums ist mit der Bremens eng verknüpft, der Umfang der Sammlungen und der imposante Bau nicht zuletzt aus Bremens Vergangenheit als Kolonial- und Überseehandelsstadt zu erklären. Besonders ist für den deutschen Kontext zudem die Kombination von Völker-, Handels- und Naturkunde in einem Haus.


Abb. 1: Außenansicht Übersee-Museum Bremen
© Übersee-Museum Bremen, Foto: Matthias Haase

Mit dem Beibehalten der traditionellen Kontinent-Struktur setzt sich das Museum von jüngeren Trends ethnologischer Ausstellungspraxis ab, vorwiegend thematisch zu strukturieren. Innerhalb der geographischen Sektionen (Asien, Afrika, Amerika, Ozeanien) gliedern allerdings thematische Blöcke das Material. Die Sektion „Erleben, was die Welt bewegt“ ergänzt den kontinentalen Zugriff zudem mit Fragen zur Globalisierung. In dieser Aufteilung zeigt sich ebenso wie in den einzelnen Ausstellungen ein gestalterischer Zugriff, der insgesamt sehr traditionell wirkt, jedoch punktuell Kritik und Anregungen zu insbesondere ethnologischer Ausstellungspraxis aufnimmt. Deren Umsetzung allerdings – um die Leitthese dieser Rezension vorwegzunehmen – ist vielfach halbherzig und verkopft, so dass die Zuschauer/innen eher die Zielsetzung der Kurator/innen durchschauen, als dass der gewünschte Effekt auch tatsächlich eintritt.

Die Amerika-Ausstellung nimmt beide Kontinente in den Blick und setzt dabei die Schwerpunkte auf die Länder USA, Brasilien und Mexiko. Die vier Kapitel „Einwanderung“, „Religion“, „Politik & Gesellschaft“ und „Welthandel“ sollen Amerika in seiner Vielfalt fassbar machen, indem sie Verbindungen, Parallelen und Unterschiede zwischen Nord und Süd herausstellen. Entsprechend der Tradition des Museums an der Schnittstelle von Ethnologie und Naturkunde gerät die Tier- und Pflanzenwelt dabei nicht aus dem Blick: So beschreibt die Einwanderungssektion Wege von Puritanern und Sklaven neben denen von Bison und Opossum während die Folgen des Welthandels für Bauern in Chiapas sowie für Ökosysteme des Amazonas diskutiert werden. Ein visueller Rahmen entsteht durch über 60 fotographische Portraits von Amerikaner/innen in Bremen sowie einer Serie von Natur-, Architektur- und Menschenaufnahmen von Kanada bis Brasilien. Zudem führen acht Filmportraits durch die Ausstellung, in denen Menschen aus den Schwerpunktländern über ihre Geschichte und ihr Leben reflektieren. Der Begleitband zur Ausstellung liefert kurze Essays zur Vertiefung einzelner Aspekte der vier Kapitel sowie zahlreiche Abbildungen ausgestellter Objekte.


Abb. 2: Bison im Bereich Einwanderung
© Übersee-Museum Bremen, Foto: Matthias Haase

Am Anfang der Ausstellung steht die Auseinandersetzung mit Immigration nach Amerika. Hier gibt die Darstellung der Einwanderungsschübe seit 1492 die Perspektive, um die im Folgenden erörterten Phänomene aus Kultur, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu verstehen. Historisch stehen Immigration aus Europa, Landkonflikte, die Indianerkriege, Sklaverei und Plantagenwirtschaft in knappen Abhandlungen zur Diskussion und werden mit vergleichsweise wenigen, aber ausführlich kommentierten Objekten illustriert. Eine irokesische Perlenstickerei wird beispielsweise hinsichtlich ihrer einzelnen europäischen und indianischen Einflüssen entschlüsselt; ein Brandeisen ist nicht nur ein voyeuristisches Accessoire zur Darstellung der Sklaverei, sondern wird als Instrument benannter Sklavenbesitzer beschrieben und durch eine Aufstellung ihrer Vermögensverhältnisse kontextualisiert. Auch die Objekte aus Mittelamerika erzählen eine gewaltsame Geschichte der Einwanderung: Masken aus Guatemala verarbeiten Eroberung und Zerstörung durch die Kolonisatoren im 16. Jahrhundert, Handwerksgegenstände illustrieren Ausbeutung und zerstörte Lebensgrundlagen.

Das zweite Kapitel der Ausstellung beschreibt die Suche europäischer Auswanderer nach religiöser Freiheit, um dann Schlaglichter auf verschiedene Religionen zu werfen. In sämtlichen Abhandlungen betonen die Kurator/innen Verschmelzungen verschiedener Einflüsse und Traditionen, was das Religiöse an das vorherige Kapitel bindet. Der Kult um die Jungfrau von Guadeloupe beispielsweise dient als historisches Prisma, an dem sich Konjunkturen jahrhundertelanger religiöser und nationaler Identitätssuche Mexikos erkennen lassen. Vodou-Objekte wie die kunstvoll verzierten Pakés öffnen den Blick darauf, wie verschleppte Sklaven in der Karibik spirituelle Praktiken unter dem Deckmantel des Katholizismus fortsetzten und diese Geschichte der Unterdrückung und Unterwanderung die soziale Funktion der Religion im heutigen Haiti prägt. Anhand des Sonnentanzes der Plains-Indianer wird der Kampf um kulturelle Aneignung in den USA diskutiert. Filmausschnitte aus Megakirchen, kreationistische Kinderbücher, Spielzeug wie Bibelbingo und Jesus-Actionfiguren sowie Anti-Darwin-Accessoires repräsentieren Evangelikale in den USA, während eine Portraitserie sämtlicher Kirchen im US-amerikanischen Bremen, Indiana, protestantische Lebenswelten veranschaulicht. Die Ausstellungsmacher/innen betonen anhand der Kleinstadt im Mittleren Westen die soziale Funktion der Kirche, die sie mit dem Fehlen eines staatlichen Sozialnetzes begründen und mit einer monotonen Videoendlosschleifenfahrt durch die Tristesse der Stadt illustrieren.


Abb. 3: Sonnentanzaltar im Bereich Religion
© Übersee-Museum Bremen, Foto: Matthias Haase

Der dritte Bereich „Politik und Gesellschaft“ bietet ein Potpourri aus gesellschaftlichen Impressionen von Nationalfesten, Wochenmärkten, Highways, Kleidung und mehr. Bei den Besuchern beliebt ist die Vitrine mit Handfeuerwaffen, die das Second Amendment illustriert. In Bezug auf Lateinamerika stehen Fragen des gesellschaftlichen Friedens und der sozialen Gerechtigkeit im Mittelpunkt, die durch Schautafeln zur US-mexikanischen Grenze und Dollardiplomatie Fragen zum Nord-Süd-Verhältnis aufwerfen. Den Bezug zu Deutschland und Bremen stellt die Auseinandersetzung mit der Familie Klee-Ubico als Beispiel von Machteliten in Guatemala dar. Das einflussreiche Familienbündnis geht zurück auf das 19. Jahrhundert und den Geschäftsmann und Generalkonsul der Hansestädte in Mittelamerika Carl Friedrich Rudolf Klee. Nach Aufbau eines Farbstoff-Handelsimperiums stieg die Familie später – wie so viele deutsche Einwanderer – in den Kaffeehandel ein, wovon in erster Linie Bremer und Hamburger Handelshäuser profitierten. In den 1930er-Jahren ermöglichte die Verbindung mit der Ubico-Familie es dem Diktator Jorge Ubico Castañeda sich auf ein breites Netzwerk zu stützen, deren Nachkommen noch heute über politische Posten und beträchtlichen Landbesitz verfügen.

„Welthandel“, das Schlusskapitel der Ausstellung, sucht anhand der Themen Kaffee, Mais, Soja, Rinderzucht, Erdöl und Silber eine globale Rahmung und diskutiert inneramerikanische Gefälle und Abhängigkeiten. Hier ist mit dem Fokus auf Flächenverbräuche, Ökosysteme, Biodiversität und indigene Lebensgrundlagen die Verzahnung zwischen natur-, volks- und handelskundlicher Fragestellungen am besten gelungen. Mais in Mexiko beispielsweise verweist auf die negativen Folgen von NAFTA für die mexikanische Wirtschaft, auf den symbolischen Wert der Pflanze in der Mythologie und auf die ökologischen Folgen des Anbaus von Monokulturen.

Zusammengenommen lässt die in weiten Teilen kritische und gelungene Schau somit ein deutliches Bemühen erkennen, aktuelle Postulate ethnologischen Ausstellens aufzunehmen. Davon zeugt der sparsame Umgang mit Objekten bei gleichzeitig mühevoller Kontextualisierung, die wiederkehrende Verknüpfung des Ausgestellten mit eigener, hier Bremer, Geschichte, der Versuch, indigene Lebenswelten nicht statisch und in Isolation, sondern in Aushandlung (beispielsweise mit Europäern) zu thematisieren sowie die Übertragung der Deutungshoheit über die gezeigten Objekte an Vertreter ihrer Kultur.

Eines der Probleme der Umsetzung ist allerdings, dass sie in weiten Teilen nicht zu fesseln vermag. Objekte fremder Kulturen unter Glas auszustellen, um sie dann mit ausführlichen, schulbuchartig strikten Interpretationen zu ergänzen, ist ein zu zaghafter wie durchschaubarer Versuch des Blickwechsels. Damit verbunden ist das altbekannte Problem (ethnologischer) Ausstellungen, dass Besucher/innen häufig stärker am Objekt als am Kontext interessiert sind. Diesen Kontrast erlebte ich beim anschließenden Besuch des Schaumagazins, wo ein Großteil der 1,2 Millionen Objekte aus der Sammlung des Museums auf engem Raum und nur mit spärlichsten Informationen versehen gezeigt wird – und wo das Publikum auf einmal begeistert staunte. Ebenfalls eine Kopfgeburt ist der Versuch einen Perspektivwechsel zu erreichen, indem portraitierte Amerikaner/innen selbst Auskunft geben dürfen, was für sie das Entscheidende am Leben in Amerika ist. Die kurzen Statements an den Wänden der Ausstellung zeigen eine bemühte Vielfalt erwartbarer Stichworte von Familie, Natur, Selbstverwirklichung zu Armut, Gewalt und Diskriminierung, ändern in ihrer Oberflächigkeit die Blickachse aber keineswegs. Die Videoportraits dagegen sind zwar in ihrer Begrenzung auf acht Personen selektiv und in der Darstellung etwas sperrig, geben aber in der Tat Deutungsmacht ab. Ernie LaPointe, Urenkel von Sitting Bull, kann beispielsweise seine – durchaus kontroverse – Interpretation zur Rolle des Lakota-Häuptlings darlegen und Reservate als Konzentrationslager bezeichnen, ohne dass Kommentare seinen Auftritt einhegen.

Was völlig fehlt, ist zudem die Frage nach der eigenen Perspektive. Die Ausstellung ist insgesamt sehr US-kritisch, was anhand der Themen vielleicht nicht verwundert, ohne Thematisierung deutscher Amerika-Faszination und -Klischees und von Antiamerikanismus aber schablonenhaft wirkt. Möglichkeiten dazu, wie auch zur Auseinandersetzung mit deutscher Lateinamerika-Romantik, hätte es zahlreiche gegeben. Allein das Interesse, das Ernie LaPointe bei seinen Besuchen in Bremen von Presse und Öffentlichkeit entgegengebracht wird, wäre hierzu eine Steilvorlage gewesen. Zur Verschleierung der eigenen Perspektive gehört zudem, dass – obwohl seit Jahrzehnten und in verschiedensten Tonarten an ethnologische Museen herangetragen – der Weg der ausgestellten Objekte in die Sammlungen kein Thema ist.1 Dass das Übersee-Museum momentan an einer eigenen Ausstellung zur Geschichte seiner Objekte arbeitet, ist zwar zu begrüßen, als Einwand allerdings etwas schal. Selbstverständlich zielte die Kritik nicht darauf ab, die Auseinandersetzung mit der Sammlungsgeschichte in Sonderausstellungen oder Veröffentlichungen auszulagern, sondern die Ausstellungspraxis selbst zu verändern.

Anmerkung:
1 Siehe stellvertretend: Christina F. Kreps, Liberating Culture. Cross-Cultural Perspectives on Museums, Curation and Heritage Preservation, London 2003.