Titel
Race, Sport and Politics. The Sporting Black Diaspora


Autor(en)
Carrington, Ben
Reihe
Published in Association with Theory, Culture & Society
Erschienen
Anzahl Seiten
216 S.
Preis
€ 76,66
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Orban, Historisches Seminar, Universität Erfurt

In seinem Erstlingswerk „Black Skin, White Masks“, ein viel beachteter Text zunächst seitens der Befreiungsbewegungen der 1960er-Jahre und heute post/kolonialer Studien, analysierte Frantz Fanon (1925-1961) die nachhaltigen Effekte kolonialer Rassismen hinsichtlich der Identitäts- und Subjektpositionen kolonisierender und vor allem kolonisierter Menschen. Dabei diagnostizierte der afro-französische Arzt, revolutionär-politische Autor und Vordenker des Projekts der Dekolonialisierung eine Mentalität schwarzer Minderwertigkeit 1, die er gleichsam wie die Vorstellung natürlich-unumstößlicher „rassischer“ Identitäten dekonstruierte. Im Kontext „rassischer“ Identifikation untersuchte er auch die Bedeutungen von Wünschen und Ängsten; wozu er unter anderem mit seinen weißen Patient/inn/en freie Assoziationstests durchführte, in denen sechzig Prozent der rund 500 befragten Europäer/innen folgende Aussagen tätigten: „Negro = biological, sex, strong, athletic, powerful, boxer, Joe Louis, Jesse Owens, Senegalese infantryman, savage, animal, devil, sin.“ 2 Diese explizite Gleichsetzung von Schwarzsein mit einer verkörperlichten, sexualisierten, undisziplinierten, entmenschlichten und somit reduzierten Männlichkeit findet insbesondere in einer soziokulturellen Konstruktion, die aus dem Repertoire kolonialer Fantasien hervorging, einen öffentlich wirksamen Blueprint: Die Rede ist vom Entwurf des schwarzen Athleten – einem wichtigen Marker der diskursiven Grenzen von Schwarzsein und zugleich das zentrale Sujet von „Race, Sport and Politics“.

Gelesen als Gegenentwurf, durch den das kognitive, zivilisierte weiße Selbst erst konstituiert wird, skizziert Ben Carrington (University of Texas at Austin) die stereotype Figur der „Sporting Negritude“: „The angry, wild, uncontrolled and almost uncontrollable, and ungrateful sporting subject that owes its success to innate animalistic physiology and that often requires a white male overseer to channel the naturally aggressive black body (male or female) towards disciplined, productive sporting ends; the white coach or trainer providing the necessary intelligence lacking in the inherently lazy but potentially dangerous black subject“ (S. 81). Anhand des Profils, das der renommierte afro-britische Sportsoziologe zeichnet, ist der somatische Link zwischen Race und Sport schwerlich zu verkennen: Denn erst der menschliche Körper macht Sport als (selbst)disziplinierende Praktik möglich sowie Race als politische Ideologie dinglich. „[If] race is a story about power that is written onto the body, then sport is a powerful, and perhaps at certain moments even pivotal, narrator in that story“ (S.67), so Carringtons richtungsweisende Formulierung. Schließlich bietet die wohl bedeutsamste und sichtbarste Form populärer Kultur, die als Spektakel gedachte sportive Aufführung, eine nicht zu vernachlässigende Modalität, durch die Rassismus effektvoll gelebt, verkörpert und mitunter herausgefordert wird. Folglich nimmt Carrington das Politische einer scheinbar apolitischen Entität ernst und versteht Sport als ein wichtiges soziokulturelles Terrain für das Ausagieren politischer Bedeutungskämpfe. Damit trifft er eine bewusste, eine (forschungs)politische Entscheidung. Denn die transdiziplinäre kritische Auseinandersetzung mit Sport beschreibt zwar eine lebendige und produktive, aber auch eine überschaubare und eingehegte Forschungsgemeinschaft, der angesichts der Zentralität von Sport in Kultur und Gesellschaft eine weitaus größere Beachtung und Anerkennung zukommen sollte. Im Spannungsfeld des intellektuellen Snobismus vieler Wissenschaftsdisziplinen und dem zumeist kulturell unkritischen „Sports Chatter“ der Massenmedien bleibt Sport daher ein nicht unproblematischer Untersuchungsgegenstand der Nische. Es mag sonach nicht verwundern, dass die Sportarena auch in puncto „making and remaking of race beyond its own boundaries“ (S. 3) trotz einiger exzellenter Forschungsarbeiten 3 regelmäßig übersehen wurde und wird.

Carrington sieht hingegen genauer hin und bietet gemäß dem Haupttitel seines Buches einen gut lesbaren „account of the intra-relationship between discourses of race, the nature of embodied sporting performance, and the role of politics itself in the (re)making of the ‚black athlete‘“ (S. 6). Dabei dient ihm das bereits vorgestellte diskursive Konstrukt des schwarzen Athleten als Bezugspunkt für sein diachron ausgerichtetes und auf die vergangenen 100 Jahre fokussiertes historisches Narrativ und zugleich als Brennglas, um die politische Wechselbeziehung zwischen Sport und Race analytisch zu beleuchten. Er offeriert demnach nicht nur eine reflektierte Geschichte über die fortgeschriebenen, sich verschiebenden, oft konträren und umkämpften Bedeutungen des schwarzen Athleten, sondern gleichzeitig gibt er auch kritische Einblicke in die (re)produzierte und sich wandelnde Bedeutung und Matrix von Race im Sport und der weiteren Gesellschaft sowie die wichtige historische und gegenwärtige Rolle und Stellung des kompetitiven, (hyper)kommerzialisierten Profisports im „rassischen“ Diskurs der „westlichen Welt“. Dass solch ein ambitioniertes und komplexes Angebot, dargeboten auf knapp 180 Seiten, nicht ohne Verengungen, Generalisierungen und Abstraktionen auskommt, ist naheliegend. Jedoch muss dies, wie Carrington zeigt, dem Text nicht abträglich sein. Vielmehr begegnet er Limitierungen, etwa seiner begrenzten empirischen Basis, offensiv: „Using charcoal to disappoint botanists and pollsters“ (S. 13), wie er etwa einen Paragraphen betitelt. Zumal er sich besonders in den vier thematisch strukturierten Kapiteln 4 auf ausgewählte sportive Momente und Episoden des schwarzen Athleten konzentriert, die er vermittels eines ausdifferenzierten Sets an methodisch-theoretischen Werkzeugen in Beziehung zu historischen Kräften akzentuiert und verdichtet, um das wirkmächtige Sport-Race-Geflecht zu dekonstruieren. Was die ausgeprägte methodisch-theoretische Fundierung des in der Reihe „Theory, Culture & Society“ erschienenen Buches anbelangt, so zeichnet Carrington gestützt auf Diskursanalyse, dichte Beschreibung, Social Theory und generell ein vielschichtig interpretatives und historisches Framework bewusst eine theoretische Karte, die dem entgrenzenden, hybriden Programm der Cultural Studies verpflichtet ist. Zur Schärfung seiner Analyse schaut er kritisch „beyond boundaries“ (frei nach dem afro-karibischen Historiker C.L.R. James), was sich insbesondere darin manifestiert, dass er den Sport-Race-Komplex post/kolonial, diasporisch liest und durch die Linse der Critical Race Theory betrachtet. Dabei ist jene Theorieanwendung auch als Korrektiv des eurozentrischen Masternarrativs der Herausbildung des modernen Sports im „Westen“ und auch der theoretisch oft unzureichend reflektierten Sportgeschichte als Disziplin zu denken – etwa wenn er miteinander verlinkte „rassische“ und geschlechtlich imprägnierte koloniale Tropen sowie binäre (Erzähl)Strukturen aufbricht und in Anlehnung an Paul Gilroy für einen „sporting black Atlantic“ (S. 17) eintritt.

„Race, Sport and Politics. The Sporting Black Diaspora“ ist mithin eine Arbeit, die aufgrund ihrer erfrischenden politischen Diversität für am „Querdenken“ interessierte Studierende und Wissenschaftler/innen aus den verschiedensten kultur- und sozialwissenschaftlichen Feldern anschlussfähig und gewinnbringend sein sollte. Zumal Carrington neben einer breiten methodisch-theoretischen Palette wie schon angedeutet gleichzeitig eine überblicksartige inhaltliche Einführung gibt, also ein weites historisches Panorama entwickelt, das er anhand von männlich dominierten Fallstudien blickpunktartig analytisch ausleuchtet: Von Jack Johnson, dem ersten schwarzen Schwergewichtsweltmeister im Boxen, als diasporischer und „key, foundational figure“ (S. 65) für die Erfindung des fetischisierten Objekts des schwarzen Athleten und Verschiebungen im „rassischen“ Diskurs; via der limitierenden und entmenschlichenden Logik des Zur-Ware-Werdens schwarzer Sportkörper, die durch ein transnational angelegtes Gegenlesen der kolonisierenden Narrative über die (ehemaligen) Boxchampions Mike Tyson und Frank Bruno sichtbar gemacht wird 5; zur Rolle und umkämpften Positionierung von Sport in Beziehung zu den sich verschiebenden Politiken der Anerkennung und Zugehörigkeit in den gegenwärtigen multikulturellen Gesellschaften des „Westens“, aufgezeigt am britischen Beispiel bzw. der Athleten Lewis Hamilton und Monty Panesar. Daran anschließend und abschließend unterstreicht Carrington in einer post/kolonialen Konklusion das Andauern von sich verändernden und verlagernden Rassismen, „rassifizierten“ kulturellen Strukturen und ihrer Effekte, was wiederum auf die Bedeutsamkeit von Sport verweist, als ein zentraler Raum der Re-Produktion und Re-Artikulation von Formen „rassischen“ Wissens als auch von identitären Entwürfen. Um jedoch als anti-rassistisches Projekt fungieren zu können, bedarf es erst einmal schwarzer Athleten und Athletinnen, die ein kritisches politisches Bewusstsein ausbilden und vor allem gewillt sind, die Ketten der symbolischen Gefangenschaft im Stereotyp zu lockern (oder gar zu sprengen).6 So betonte bereits Frantz Fanon vor fünfzig Jahren: „[We] should not be concerned with producing sportsmen [and sportswomen], but conscious individuals who also practice sports“ (S. 169).

Anmerkungen:
1 Der angesehene afroamerikanische Public Intellectual Cornel West spricht hierbei von „Niggerization“. Vgl. Cornel West (feat. Talib Kweli), Bushonomics, Never Forget: A Journey of Revelations, Hidden Beach Recordings 2007; und Cornel West, Niggerization, in: The Atlantic, November 2007, <http://www.theatlantic.com/magazine/archive/2007/11/niggerization/6285/> (14.10.2010).
2 Frantz Fanon, Black Skin, White Masks, New York 2008 [Peau Noire, Masques Blancs, Paris 1952], S. 143-144.
3 Verwiesen sei hier auf Amy Bass, Not the Triumph but the Struggle. The 1968 Olympics and the Making of the Black Athlete, Minneapolis 2002; und Douglas Hartmann, Race, Culture and the Revolt of the Black Athlete. The 1968 Olympic Protests and Their Aftermath, Chicago 2003.
4 Bei den einzelnen Buchabschnitte handelt es sich teilweise um modifizierte und erweiterte Argumentationen bereits veröffentlichter (Vor)Arbeiten Carringtons.
5 Zudem präsentiert Carrington hierbei einen interessanten Ansatz („Failure as Liberation“, S. 125ff.) zur Rehumanisierung ihrer politisch eingehegten, sprachlosen und „rassifizierten“ hegemonialen Männlichkeiten.
6 Man denke beispielsweise an Bill Russell, Muhammad Ali, Tommie Smith, John Carlos, Kareem Abdul-Jabbar, Arthur Ashe, Etan Thomas und Lilian Thuram. Leider bricht Carrington diese männlich dominierte Matrix nur am Rande auf. Insbesondere werden die Effekte des hypermaskulin kodierten Entwurfs des schwarzen Athleten auf schwarze Athletinnen in seiner Darstellung weitgehend ausgeblendet.

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