Titel
Gräfin Anna von Ostfriesland - eine hochadelige Frau der späten Reformationszeit (1540/42 - 1575).. Ein Beitrag zu den Anfängen der reformierten Konfessionalisierung im Reich


Autor(en)
Janssen, Heiko Ebbel
Erschienen
Münster 1998: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
285 S.
Preis
€ 57,30
Margarete Wittke

Die im Sommer 1995 im Fachbereich Kultur- und Geowissenschaften der Universität Osnabrück angenommene Dissertation von Heiko Ebbel Janssen "versteht sich als ein moderner, vergleichender Beitrag zur allgemeinen Geschichte der Reformation und Konfessionalisierung in Nordwestdeutschland" (S. 7). Vor dem Hintergrund des Ringens um die "wahre" Religion im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation wird die Gräfin Anna von Ostfriesland in den Blick genommen, die zwischen 1542 und 1561 die Regentschaft für ihre drei unmündigen Söhne in dem kleinen Territorium an der Nordsee wahrnahm. Obwohl die Arbeit vorrangig einen Beitrag zur Konfessions-geschichte leisten will, möchte sich der Autor nicht darauf beschränken: Am Beispiel der Vormundschaftsregentin sollen auch "verfassungs-, sozial-, mentalitäts- und geschlechtsgeschichtliche Strukturelemente" (S. 3) herausgearbeitet werden.

Um die Situation zu erklären, die Anna von Ostfriesland nach dem Tod ihres Ehemannes Graf Enno II. vorfand, holt der Autor zunächst weit aus. Auf 80 Seiten, etwa einem Drittel des Textteils der Arbeit, beschreibt er das Erringen der Reichsgrafenwürde der Dynastie Cirksena in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, wodurch trotz der Randlage des Territoriums eine gewisse Nähe zum Kaisertum begründet wurde. Er umreißt die Bestrebungen des Schwiegervaters von Anna von Ostfriesland, Graf Edzard I. (1491 - 1528), am Ende des 15. Jahrhunderts, landesherrliche Macht auszudehnen und die Lage der landständischen Stadt Emden, deren städtische Privilegien bereits um 1500 auf ein Mindestmaß zurechtgestutzt waren.
Schließlich zeichnet er den Beginn der Reformation im Territorium nach, deren Ausformung maßgeblich von der Nähe zu den Niederlanden und von dem landständischen Adel bestimmt war (S. 45).

Zur Haltung der ostfriesischen Grafen in Glaubensfragen konnte der Verfasser herausarbeiten, daß Edzard I. noch keine klare Position einnahm. Sein Sohn Enno II. (1528 - 1540) propagierte bereits offen evangelische Kirchenpolitik und versuchte, ein landesherrliches Kirchenregiment zu etablieren (S. 144). Gräfin Anna von Ostfriesland schließlich, deren Regentschaft von den Landständen gestützt wurde, verfolgte ein "bikonfessionelles Koexistenzsystem" (S. 132). Obwohl sie persönlich zur reformierten Konfession neigte, hatte sie offensichtlich erkannt, daß gegenüber dem Adel, in dem Luthertum wie Zwinglianismus gleichermaßen verbreitet war, keine der beiden protestantischen Konfessionen als territoriales Landesbekenntnis durchsetzbar war. Auch Katholiken und Spiritualisten wurden in ihrer Regentschaftszeit weiterhin geduldet und an ihrer Glaubensausübung nicht gehindert. Allein auf Druck des Kaisers verbot sie 1549 den Täufern den Aufenthalt in der Grafschaft (S. 119).

Der Verfasser zeigt auf, daß sich Anna von Ostfriesland nicht nur in Glaubensfragen, sondern in ihrer allgemeinen politischen Haltung von ihrem Ehemann unterschied. Während Enno II. eher als "Expansionsfürst" (S. 229) zu charakterisieren ist, bestimmte nicht die territoriale Ausweitung, sondern der Erhalt des Bestehenden die von diplomatischem Geschick und Kompromißbereitschaft geprägten Handlungen der Gräfin. Ihr wichtigster Berater und Vertrauter war dabei in allen Belangen ihr Bruder Christoph von Oldenburg.

Die wohl bemerkenswerteste politische Entscheidung fällte Anna von Ostfriesland, als sie 1558 bestimmte, daß die Regierung über das Territorium nach ihrer Regentschaft von ihren drei Söhnen Edzard, Christoph und Johann gemeinsam ausgeführt werden sollte. Mit diesem Schachzug wollte sie vor allem den Einfluß des Hauses Wasa in der Grafschaft eindämmen, der durch die Ehe ihres ältesten Sohnes Edzard mit der ältesten Tocher des schwedischen Königs begründet worden war. Nach dem Tode des zweitgeborenen Sohnes Christoph im Jahre 1566 verschärfte sich der zuvor schon vorhandene Zwist unter den Brüdern Edzard und Johann, der einerseits eine Ausübung landesherrlicher Macht geradezu blockierte und den Adel und das Emdener Stadtbürgertum stärkte. Der Bruderzwist bildete andererseits aber auch die Garantie für eine Koexistenz der Glaubensbekenntnisse. Da sich keiner der beiden gegen den anderen durchsetzen konnte, gelang es dem Lutheraner Edzard auch nicht, eine Landeskirche einzurichten.

Heiko Ebbel Janssen liefert mit seiner Dissertation einen wichtigen Beitrag zur Konfessions- und politischen Geschichte eines kleinen Territoriums, das, wie viele im Reich in der Mitte des 16. Jahrhunderts, zum Spielball unterschiedlichster Interessen zu werden drohte. Gräfin Anna von Ostfriesland gelang hier in hohem Maße ein Ausgleich nach innen und außen, der aber seinen Preis darin fand, daß der Ausbau der landesherrlichen Macht gehemmt wurde. Die ungünstige Quellenlage (S. 6) mag dazu beigetragen haben, daß sozial-, mentalitäts- und geschlechtsgeschichtliche Aspekte nur angerissen werden konnten. Insbesondere auf die in der Einleitung explizit gestellte Frage nach den spezifischen Eigenschaften eines "Weiberregiments" vermeidet der Verfasser eine klare Antwort. Die Funktion der Vormundschaftsregentschaft ist per se noch nicht als typisch weiblich anzusehen, schließlich gab es auch entsprechende männliche Regenten. Bei der Charakterisierung der Person der Gräfin hebt der Verfasser immer wieder ihre Kompromißfähigkeit, ihre offene Haltung gegenüber den Konfessionen und ihr Bemühen, den Machtbestand eher zu erhalten, als ihn zu vergrößern, hervor. Ob darin vorrangig weibliche Eigenschaften zu erkennen sind, bleibt fraglich. Ein Vergleich mit anderen zeitgenössischen Regenten wäre sicherlich wünschenswert gewesen und hätte vielleicht zu dem Ergebnis geführt, daß die Handlungen der Gräfin weniger von weiblichen Attitüden, als von geschicktem, situationsangepaßtem Taktieren bestimmt waren.

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