D.R. Magaziner: The Law and the Prophets

Cover
Titel
The Law and the Prophets. Black Consciousness in South Africa, 1968–1977


Autor(en)
Magaziner, Daniel R.
Reihe
New African Histories
Erschienen
Anzahl Seiten
298 S.
Preis
€ 19,91
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Marx, Historisches Institut, Außereuropäische Geschichte, Universität Duisburg-Essen

Eine genauere wissenschaftliche Untersuchung der einflussreichen Black-Consciousness-Bewegung in Südafrika, die hierzulande in erster Linie mit dem Namen Steve Biko verbunden wird, war überfällig. Auf den ersten Blick mag es merkwürdig erscheinen, dass eine Bewegung, die einen lang anhaltenden Einfluss ausübte, deren indirekte Wirkung auf den Schüleraufstand von Soweto im Juni 1976 zwar bekannt, aber noch nicht detailliert erforscht ist, und deren überlebende Repräsentanten heute hohe Ämter in Staat, Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen in Südafrika einnehmen, bislang einer umfassenden historischen Analyse nicht für würdig befunden wurde.

Des Rätsels Lösung liegt im Quellenproblem: Archivalische Quellen sind kaum erhalten, abgesehen von den Akten der Gerichtsprozesse gegen die Bewegung. Alle übrigen Unterlagen zum Fall Steve Biko wurden am Ende der Apartheidzeit vom alten Regime vernichtet, weswegen jeder Forscher, der sich mit Black Consciousness (BC) befassen will, auf Interviews und Oral-History-Quellen sowie auf die einschlägigen Publikationen der Protagonisten angewiesen ist. Daniel Magaziner, der an der Yale University Geschichte lehrt, hat sich dieser Aufgabe gestellt und insgesamt 51 Zeitzeugen interviewt, sowohl ehemalige Aktivisten als auch deren Familienangehörige und Freunde. Dabei kommen erstmals auch weniger bekannte Personen zu Wort, während in früheren Darstellungen meist nur die wenigen berühmten Namen wie Biko, Pityana, Nengwekhulu und Ramphele genannt und ihre Schriften zitiert wurden. Leider versäumt der Autor jedoch, die unbekannteren Vertreter der Bewegung vorzustellen, sondern schüttet den Leser mit Namen zu, die dieser kaum zuzuordnen in der Lage sein wird. Auf diese Weise aber bleiben interne Richtungskämpfe und Meinungsverschiedenheiten, die Magaziner nur ansatzweise untersucht, verschlossen und die Bewegung selbst bleibt merkwürdig konturlos. Die verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Bewegung, wie etwa die South African Student Organisation (SASO), werden nur erwähnt, ihr Verhältnis zueinander, die Organisationsform und die Zusammensetzung ihrer Mitgliedschaft werden nicht analysiert.

Magaziner zeigt die starke kirchliche Bindung von Black-Consciousness-Aktivisten auf und weist auf einen Aspekt der Bewegung hin, der lange von der Forschung vernachlässigt wurde, nämlich auf die religiösen Einflüsse und Energien, die diese Bewegung inspiriert und befeuert haben. Bislang war nur bekannt, dass die Black Theology für Black Consciousness wichtig war, doch wie sich das genau auswirkte, darüber bestand keine Klarheit. Das Buch von Magaziner verspricht darum nicht nur eine Geschichte der Black-Consciousness-Bewegung, sondern auch ihrer religiös-theologischen Komponenten. Beide Versprechen werden indes nur in begrenztem Maß eingelöst, da Magaziner die Kenntnis der ersteren bereits voraussetzt, während er beim zweiten Thema weit über das Ziel hinausschießt.

Diese offenbar stark gekürzte, auf knapp 190 Textseiten – ein Anhang umfasst weitere 100 Seiten – publizierte Version von Magaziners Dissertation ist in drei Teile zu jeweils drei Kapiteln gegliedert. Die Darstellung folgt weitgehend der Chronologie und konstruiert gleichzeitig einen Prozess der religiösen Sinnerfüllung. Denn die Geschichte der Black-Consciousness-Bewegung erscheint in dieser Studie als ein religiöses Erweckungserlebnis, an dessen Ende der Tod zahlreicher Aktivisten (für Magaziner „Märtyrer“, S. 160) und im Schlusskapitel die „Erfüllung“ im Nachapartheid-Südafrika stehen. Die Verquickung eines eher systematischen Ansatzes im Sinn eines Dreischritts „Making Black Consciousness“, „Emergent Gospel“ und „The Movement“ – so die Überschriften der drei Teile – mit der Chronologie der Entwicklung lässt die Darstellung streckenweise gefährlich in die Nähe einer heilgeschichtlichen Überhöhung geraten.

Das Buch ist weitgehend einem ideengeschichtlichen Ansatz verpflichtet. Dies ist problematisch, weil die sozial- und politikgeschichtlichen Kontexte oft nicht klar werden. Der Autor nennt die verschiedenen Einflüsse auf die Bewegung, doch liegt das klare Schwergewicht seiner Untersuchung auf den Einflüssen aus den USA und hier interessieren ihn fast ausschließlich die religiös-theologischen Aspekte. Dazu erfährt man hier zum ersten Mal genaueres und viele Äußerungen und Schriften südafrikanischer Aktivisten erweisen sich als Übernahmen, ja sogar als direkte Plagiate von Amerikanern (S. 91ff.). Doch steht dem Detailreichtum bei der Analyse der amerikanischen Anleihen die Oberflächlichkeit und Kürze der Ausführungen zu anderen Quellen der Black Consciousness gegenüber. Die Verweise auf Fanon sind eher punktuell, eine Charakterisierung seiner Theorien sucht man vergeblich, es finden sich einige Hinweise und Anspielungen, die nur versteht, wer Fanons Werke bereits kennt. Der Panafrikanismus und vor allem Kwame Nkrumah werden kaum angesprochen, selbst Marcus Garvey, dessen Rezeption in Südafrika eine längere Tradition hatte, findet nur einmal kurz Erwähnung. Mein Hauptkritikpunkt an dieser Transfergeschichte religiös-theologischer Ideen geht aber dahin, dass Afrikaner hier einmal mehr als diejenigen präsentiert werden, die andere imitieren (bis hin zum Plagiat) und denen es an originellen Ideen mangelt. Eine genaue und systematische Analyse der Schriften Bikos und anderer Protagonisten hätte sicherlich zu ganz anderen Befunden geführt. Stattdessen erwähnt der Autor lediglich an einer Stelle, dass Biko sich als Agnostiker betrachtete und für das Christentum in Gestalt der Black Theology eine begrenzte Sympathie aufbrachte (S. 123). Trotzdem unterschiebt er ihm eine eigene „Theologie“, ebenso wie er dezidiert säkular-politische Äußerungen anderer (S. 120) noch in sein Christianisierungsnetz einfängt.

Aufschlussreich ist die Beobachtung, dass die späteren Aktivisten fast alle die Möglichkeit hatten, die Bantu-Education des Apartheidstaates zu vermeiden, indem sie zumindest einen Teil ihrer Ausbildung an Missionsschulen absolvierten, wo sie mit den Lehren des Christentums konfrontiert wurden. Ausführlich behandelt Magaziner die tiefsitzende Abneigung der BC-Aktivisten gegenüber dem Paternalismus apartheidkritischer Weißer (S. 28ff.). Leider geht er der Frage nicht weiter nach, inwiefern die Bewegung in der Tradition des Panafricanist Congress stand und wie sich ihr Verhältnis zum ANC und seinem Staatsbürgernationalismus gestaltete. Eines der Verdienste dieses Buches ist sicherlich die intensive Behandlung des Gender-Themas (S. 32ff.). Magaziner geht von einer Beschreibung der maskulin gefärbten Sprache über zum realen Verhältnis der männlichen Aktivisten zu ihren Kommilitoninnen. Doch versteigt er sich zur Behauptung, Südafrika sei vom internationalen Feminismus der 1970er-Jahre in starkem Maß berührt worden, wofür er die Belege indes schuldig bleibt.

Trotz des innovativen Ansatzes, Black Theology in die Interpretation der Black-Consciousness-Bewegung zu integrieren, kommt Magaziner zu einer höchst einseitigen Sichtweise, wenn er beides als ein und dasselbe Phänomen behandelt. Dadurch wird BC einseitig als schwarzer Messianismus präsentiert, ohne dass etwa die intensive Auseinandersetzung mit dem Marxismus oder das bei verschiedenen Aktivisten sehr unterschiedliche Verhältnis zum ANC und dessen Freedom Charter auch nur diskutiert würde.

In seinem Bestreben, die religiösen Energien der Black Consciousness sichtbar zu machen, lässt der Autor es zuweilen auch an kritischer Distanz zu seinen Quellen mangeln. So wird die Selbstdarstellung, Afrikaner seien (im Gegensatz zu Europäern) durchweg spirituell orientiert, unbesehen übernommen, ebenso wie die Ansicht, dass in Afrika das Individuum sich über die Gemeinschaft definiere. Die von Magaziner erwähnten Einwände Sabelo Ntwasas (S. 110) erscheinen mir durchaus stichhaltig, dass die Black Theology, wie David Moore (ein Weißer!) sie formulierte, ein autoritär-revolutionäres, aber kein befreiendes Programm war (S.108ff.). Moore zog in seinem politischen Sendungsbewusstsein theologisch dubiose Parallelen von der Situation in Südafrika zum Neuen Testament, was man eigentlich kritisch analysieren sollte. Eine Bewegung, die sich selbst primär als Instrument des göttlichen Willens betrachtet, lässt sich kaum als emanzipatorisch bezeichnen. Folglich verblüfft es etwas, dass der Autor die religiöse Inbrunst, die er beschreibt, nicht mit dem Ziel einer psychischen Selbstbefreiung, wie Biko sie anstrebte, kritisch konfrontiert.

Insgesamt ist Magaziners Text passagenweise hochgradig suggestiv, eher rhetorisch überredend als logisch überzeugend. Es wird nie klar erkennbar und schon gar nicht vom Autor analysiert, ob sich die Black-Consciousness-Aktivisten einer christlichen Bildersprache bedienten oder ob sie tatsächlich heilsgeschichtliche Analogien herstellten, ob sie wirklich Black Consciousness als Religion begriffen (wie Magaziner) oder ob ihre Äußerungen ihre privaten religiösen Überzeugungen wiedergaben. Denn der Autor führt nur kurze Zitatschnipsel an, mit denen er seine Aussagen belegt, aber die Texte, aus denen die Zitate stammen, werden nicht als ganze und im Kontext analysiert (S. 117ff.). Hier zeigt sich einmal mehr ein Probleme einer Oral History, deren Quellen allein dem Autor zugänglich und damit nicht überprüfbar sind, wie auch nur ein einziger Hinweis auf die Interviewtechnik zu finden ist, der auf Suggestivfragen hindeutet (S. 167).

Biko schiebt er deutlich in den Hintergrund, da dessen Texte und Äußerungen die zentrale These des Buches, Black Consciousness sei eine „Religion“ (wohlgemerkt, eine Religion, nicht eine religiöse Bewegung), kaum stützen würden. Bikos Erkenntnis, dass die schwarzen Südafrikaner die verinnerlichten Minderwertigkeitskomplexe als Voraussetzung für ihre politische Selbstbefreiung abstreifen mussten, lief nicht auf einen schwarzen Messianismus hinaus; die daraus abgeleiteten Postulate waren vielmehr dezidiert säkular und politisch gedacht. Magaziner macht viel Aufhebens darum, dass Biko sich außerstande sah, die Stufe Zwei der Bewegung genauer zu charakterisieren (S. 51), doch ging es dabei gar nicht um ein unklares religiös gestimmtes Heilsversprechen, wie der Autor suggeriert. Vielmehr näherte Biko sich in seinen letzten Lebensjahren den Positionen des ANC an und seine Zurückhaltung war vor allem der innerhalb der Bewegung heftig umstrittenen Gewaltfrage geschuldet. Biko wollte kein Bekenntnis zum bewaffneten Kampf, um dem Staat keinen Vorwand zu liefern, die Bewegung zu verbieten.

Über die südafrikanische Spielart des Calvinismus weiß der Autor offensichtlich wenig (S.60ff), zum Beispiel dass es neben der Dutch Reformed Church (DRC) noch andere reformierte Kirchen gab. Er spricht vom „head of the DRC“, obwohl die DRC gerade nicht hierarchisch aufgebaut war. Seine Behauptungen über den niederländischen Theologen und Politiker Abraham Kuyper stimmen sachlich nicht und ebenso ist ihm Percy Qoboza, in den 1970er-Jahren der einflussreiche Herausgeber der Zeitung „World“, offenbar unbekannt (S.145). Er zitiert indirekt den „German political theorist“ Carl Schmitt und weiß allem Anschein nach gar nicht, um wen es sich dabei handelte (S. 140 u. 144); auch die Ausführungen über Bonhoeffer wirken wie oberflächlich aus der Sekundärliteratur angelesen und kontextlos. Verbindungen zu den äthiopischen und zionistischen Kirchen Südafrikas werden nur gelegentlich hergestellt, aber nie systematisch untersucht, obwohl dies für eine Kontextualisierung von BC als Religion unabdingbar wäre. Der „Black Messiah“, eine zentrale Gestalt in seiner Untersuchung, erhält die Aufgabe, „[to] lead the people to the promised land“ (S. 114), was sich aber weder im Alten noch im Neuen Testament als Erwartung an den Messias findet. Dort ist der Führer ins gelobte Land eindeutig Moses.

Das Buch enthält schlicht zu wenig Geschichte und zu viel amateurhafte Theologie und Kulturphilosophie. Man wird den Verdacht nicht los, dass der Autor, der in einer Gesellschaft aufgewachsen ist, deren politische Diskurse seit 30 Jahren immer stärker religiös eingefärbt werden, sich von seinem Erfahrungshintergrund nicht lösen kann und Züge der amerikanischen politischen Kultur in Südafrika gesucht und gefunden hat. Damit repräsentiert dieses Buch aber auch einen seit etlichen Jahren festzustellenden Trend in der historischen Forschung zu Südafrika, nämlich ihre Amerikanisierung. Nicht zuletzt wegen der Bestandskrise des Faches Geschichte an den südafrikanischen Universitäten, wo nach dem Ende der Apartheid an einigen Instituten ein Rückgang der Studierendenzahlen von bis zu 50 Prozent zu verzeichnen war, hat sich die Forschung rein quantitativ deutlich in die USA verlagert. Dies blieb nicht ohne Folgen für Erklärungsansätze und für die Wahrnehmung des südafrikanischen Rassismus, da sich eine Tendenz erkennen lässt, Rassentrennung und Apartheid aus der Perspektive der amerikanischen Erfahrung mit Rassismus zu untersuchen. Die Neugründung von Zeitschriften, die den Vergleich zwischen den USA und Südafrika zum Programm erhoben, verstärkte diesen Trend.

Die auf dem Klappentext wiedergegebenen Zitate aus Rezensionen geben eher zu der Erwartung Anlass, dass sich dieses Buch innerhalb kurzer Zeit zu einem Referenztext mausern und seine einseitige Lesart als etabliertes Wissen gehandelt werden wird. Die Interpretation wird nicht zuletzt in Südafrika auf gute Resonanz stoßen, wo immer größere Teile der Bevölkerung wegen ihres bleibenden materiellen und sozialen Elends Trost bei Pfingstkirchen suchen. Von ihnen wird möglicherweise einer der Schlusssätze des Buches tatsächlich als Versprechen gelesen werden: „There is still space for prophets in South Africa, and we should all [sic] look forward to their jeremiads.“ (S. 190)

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