M. Cioli: Il fascismo e la «sua» arte

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Titel
Il fascismo e la «sua» arte. Dottrina e istituzioni tra futurismo e Novecento


Autor(en)
Cioli, Monica
Erschienen
Firenze 2011: Olschki
Anzahl Seiten
xxvi+366 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrick Bernhard, Freiburg Institute for Advanced Studies, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Monica Ciolis Studie ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis des Faschismus. Das liegt vor allem am originellen Zuschnitt der Arbeit: In einem weiten zeitlichen Bogen, der vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die späten 1930er-Jahre reicht, analysiert die in Deutschland lebende Historikerin das Wechselverhältnis von Kultur, Wissenschaft und Politik. Die Autorin untersucht einerseits am Beispiel von Ausstellungen wie der Venediger Biennale das Agieren des faschistischen Regimes auf dem Gebiet der Kultur, andererseits nimmt sie die gesellschaftlichen und politischen Visionen der Kunstschaffenden in den Blick. Zentrale These Ciolis ist, dass sich im Denken von Faschisten und Künstlern beträchtliche Schnittmengen auffinden lassen.

Das betraf vor allem die Faszination für Technik und Wissenschaft. So macht Cioli deutlich, welche enorme Bedeutung das faschistische Regime diesem Lebensbereich zuschrieb. Führende Faschisten wie Bildungsminister Giovanni Gentile bezeichneten Wissenschaft gar als die Quintessenz des Faschismus, ging es doch um die Modellierung einer italienischen Volksgemeinschaft, die auf rationalen Prinzipien beruhen sollte. Wissenschaft diente hier aber zugleich auch der Legitimierung des faschistischen Staates. Entsprechend betrieb das Regime eine rege, auch auf das Ausland zielende Wissenschaftspolitik und hob 1923 einen Nationalen Wissenschaftsrat aus der Taufe. Dessen vermeintlich effiziente zentralistische Struktur bedachten Vertreter der erst im Werden begriffenen Deutschen Forschungsgemeinschaft mit viel Anerkennung. Wissenschaft war dabei integraler Bestandteil einer organisch verstandenen faschistischen Doktrin, die auf Sakralisierung setzte und sich als vitalistisch verstand. Wissenschaft sollte mit spirituellen Elementen eine Synthese eingehen.

Umgekehrt waren die zahlreichen wissenschaftliche Erfindungen und Entdeckungen, die – wie etwa die Relativitätstheorie – um die Jahrhundertwende die gängigen Vorstellungen von Raum und Zeit grundlegend veränderten, eine Quelle beständiger Inspiration für die italienischen Kulturschaffenden, insbesondere die Futuristen. In diesem Zusammenhang weist Cioli auf die Begeisterung für technische Neuerungen hin, die sogar in der Forderung nach einer „mechanischen Kunst“ gipfelte. Besonderes Augenmerk schenkt Cioli hier der sogenannten Aeropittura, der künstlerischen Darstellung der Fliegerei, die sich nach dem Ersten Weltkrieg als neues Genre rasch etablierte. Das Thema Aviatik ist klug gewählt, denn die Flugzeuge faszinierten die Zeitgenossen damals in einem ungeheuren Maß; man denke hier nur an den Aufsehen erregenden Atlantikflug von Italo Balbos Geschwader im Jahr 1933.

Cioli arbeitet schön heraus, wie die Erfahrung nicht zuletzt von Geschwindigkeit im Raum nach dem Willen der Futuristen den „Menschen von Morgen“ schaffen sollten. In diesem Punkt stellt ihre Arbeit eine wertvolle Ergänzung zu den Befunden von Fernando Esposito dar .1 Dieser konnte in seiner hervorragenden Arbeit zum Diskurs über das Fliegen in Deutschland und Italien zeigen, dass es in dieser Zeit zu einer massiven Verklärung und Sakralisierung des Fliegens kam: Insbesondere die Piloten des Weltkriegs verstand man nun nicht nur als Helden, die sich für das Vaterland geopfert hatten. Sie wurden darüber hinaus zum Sinnbild des Neuen Menschen, wie ihn das Regime Mussolinis für seine Vision einer radikal alternativen faschistischen Moderne propagierte.

Nach Cioli war es diese Verschmelzung von Ästhetik, Technik und Wissenschaft mit der Vorstellung einer Erneuerung von Staat und Gesellschaft, die den anfänglichen Erfolg des Faschismus ausmachte und diesem neuen politischen Ordnungsmodell erst seine Schlagkraft verlieh. Kunst sorgte vor allem für die Breitenwirkung der faschistischen Visionen und wurde dementsprechend großzügig staatlich gefördert. Cioli macht zwar deutlich, dass diese Strahlkraft ab Mitte der 1930er-Jahre schwand, als sich nach über zehn Jahren faschistischer Herrschaft die Rhetorik des Neuen verbraucht hatte. Zugleich zeigt sie jedoch auch, dass das Regime in seiner auf Massenmobilisierung zielenden Politik auch weiterhin auf die Unterstützung aus den Bereichen Kunst und Wissenschaft zählen konnte, institutionell sich einiges sogar über das Jahr 1945 hinaus erhielt.

Die Kritik, die jüngst von sozialgeschichtlich ausgerichteten Kollegen wie Paul Corner an den kulturalistischen Ansätzen innerhalb der englischsprachigen Faschismusforschung laut wurde, erscheint vor dem Hintergrund dieser Befunde vielleicht doch etwas zu voreilig.2 Nach Corner habe sich Mussolinis Regime ab Mitte der 1930er-Jahre nur mehr durch Gewalt und Repression an der Macht halten können. Damit greift Corner auf ältere, durchaus politisch motivierte Interpretamente zum Faschismus zurück, die eine Distanz von weiten Teilen der italienischen Gesellschaft zum Regime postulieren.

Diese Anmerkung leitet allerdings zugleich über zur Kritik an dem Buch von Cioli. Sie spinnt zwar die kulturalistischen Ansätze, wie sie im angelsächsischen Raum entwickelt worden sind, weiter, lässt aber jeden Bezug zu diesen Vorarbeiten vermissen; das Literaturverzeichnis weist überwiegend deutsche und italienische Arbeiten auf. Die Studien der ganz ähnlich argumentierenden Ruth Ben-Ghiat etwa fehlen.3 Cioli hätte unter Bezugnahme hierauf ihren eigenen Standpunkt sogar noch stärker machen können. Zweitens hätte es weiterführend sein können, das Bild des Wissenschaftlers und Technikers und seine Ästhetisierung näher zu beleuchten; die Studie Ciolis ist ja letztlich auch als ein Beitrag zur Wissenschaftshörigkeit und dem Expertenkult des 20. Jahrhunderts zu verstehen. Das gilt umso mehr, als der „neue politische Lebensstil“ des Faschismus, wie das Alfred Rosenberg einmal formulierte, anfangs eine nicht zu unterschätzende Attraktivität auch auf Nationalsozialisten ausübte.4

Diese Einwände sollen den beträchtlichen Ertrag, den die Studie Ciolis erbracht hat, jedoch nicht schmälern. Es ist vielmehr zu hoffen, dass das Buch nicht nur von der Forschung zum italienischen Faschismus, sondern auch zum Nationalsozialismus rezipiert werden wird. Eröffnet es doch durch seinen Fokus auf Wissenschaft und deren Spiegelung in Kunst und Politik interessante Vergleichsmöglichkeiten zum deutschen Fall.

Anmerkungen:
1 Fernando Esposito, Mythische Moderne. Aviatik, Faschismus und die Sehnsucht nach Ordnung in Deutschland und Italien, München 2011.
2 Paul Corner, Fascist Italy in the 1930s: Popular Opinion in the Provinces, in: ders. (Hrsg.): Popular Opinion in Totalitarian Regimes Fascism, Nazism, Communism, Oxford 2009, S. 122-146.
3 Ruth Ben-Ghiat, Fascist Modernities: Italy 1922-1945, Berkeley u.a. 2001.
4 Patrick Bernhard, Konzertierte Gegnerbekämpfung im Achsenbündnis. Die Polizei im Dritten Reich und im faschistischen Italien 1933 bis 1943, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), S. 229-262, hier S. 232.

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