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Titel
Wagners Welttheater. Die Geschichte der Bayreuther Festspiele zwischen Kunst und Politik


Autor(en)
Buchner, Bernd
Erschienen
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gero Tögl, DFG-Reinhart Koselleck Projekt „Global Theatre Histories“, Ludwig-Maximilians-Universität München

Das Wagner-Jahr 2013 brachte eine durchaus stattliche Anzahl von Neuerscheinungen zu Leben, Werk und Wirkung des – im Positiven wie im Negativen – deutschesten aller Komponisten. Die Bilanz fällt allerdings doch recht durchwachsen aus: Neben den unvermeidlichen Biografien zum 200. Geburtstag des „Meisters“1 erschienen auch die zu erwartenden aktualisierten Studien zur Wirkungsgeschichte aus den Reihen der oft jahrzehntelang umtriebigen Wagnerforscher2, substantiell neue Beiträge zur (theater- und musik-)historischen Forschung waren jedoch die Ausnahme.3 Immer noch dominieren Biografik, Werkanalysen, Studien zu Richard Wagners notorischem Antisemitismus und seine Rolle als Stichwortgeber für den völkischen und nazistischen Nationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts, ergänzt um schon deutlich spärlichere Darstellungen der Rettungs- und Erneuerungsbemühungen Neubayreuths unter der gemeinsamen Direktion der Enkel Wieland und Wolfgang Wagner (1945–1966). Bis heute gilt der „Jahrhundertring“ Patrice Chéreaus und Pierre Boulez’ aus dem Jahr 1976 als Fluchtpunkt für die Überleitung des Wagnerschen Werkes in die Gegenwart des Regietheaters sowie für die Transformation der Bayreuther Festspiele von einer Pilgerstätte in einen vielbeachteten, letztlich aber nicht mehr grundsätzlich herausgehobenen Fixpunkt des zeitgenössischen Festivalkalenders. Es schwingt somit stets eine gewisse Grundskepsis gegenüber Neuerscheinungen auf dem teils überbearbeiteten Feld der Wagnerforschung und -publizistik mit, der sich jeder Autor zu stellen hat.

Dies betrifft auch die vom Journalisten Bernd Buchner vorgelegte Monografie zur „Geschichte der Bayreuther Festspiele zwischen Kunst und Politik“, die zunächst dadurch positiv auffällt, dass sie sich mit der von Wagner ins Leben gerufenen Institution auseinanderzusetzen verspricht und „damit nach den Handlungsräumen von Kulturpolitik gegenüber einer politisierten Kulturorganisation fragt“ (S. 18). Tatsächlich handelt es sich um einen klug gewählten Teilbereich der Wagnerforschung, welcher im Vergleich zur personen- und werkzentrierten Auseinandersetzung stets ein wenig stiefmütterlich behandelt wurde. Immer noch stellt Michael Karbaums anlässlich der Einhundertjahrfeier verfasste Studie den wichtigsten Beitrag zur Institutionengeschichte der Bayreuther Festspiele dar4, und nur vergleichsweise wenige Autoren scheinen hier ein ergiebiges Forschungsfeld zu sehen.5

Buchner geht dabei – angesichts der Masse an Sekundärliteratur in der Wagnerforschung durchaus verständlich – recht konventionell vor: Der Aufbau seiner Geschichte orientiert sich an den Wirkungsdaten der einzelnen Festspielleiter, kombiniert diese jedoch mit anerkannten historischen Epochenbezeichnungen. So bilden die Aufbau- und Konsolidierungsjahre unter Richard Wagner selbst (1870–1883), und seiner ihm nachgefolgten Witwe Cosima (1883–1906) die ersten beiden Kapitel. Es schließt sich die erste Phase unter Wagnersohn Siegfried an, welche mit der Zäsur des ersten Weltkriegs und der darauf folgenden zehnjährigen Festspielpause ihr Ende nimmt (1906–1924). Zu diesem Abschnitt wird auch die Wiederaufnahme der Festspiele in der Weimarer Republik gezählt, während im vierten Kapitel die politische Sicht auf die Bayreuther Festspiele als „Hitlers Hoftheater“ zunächst wieder unter Siegfried, nach dessen Tod 1930 unter der Ägide seiner Gattin Winifred und ihres künstlerischen Beraters Heinz Tietjen zur dominierenden Fluchtlinie wird. Es gehört zu den Charakteristika der Bayreuther Festspiele als familiäres Privatunternehmen, dass Brüche vermieden wurden. So arbeitet Buchner die sanften Übergänge zwischen Cosima und Siegfried Wagner, aber auch die frühe Beteiligung Wieland Wagners und seines jüngeren Bruders Wolfgang noch während der NS- und unmittelbaren Nachkriegszeit, gekonnt heraus. Die endgültige Übernahme der Festspielleitung durch die beiden Brüder mit ihrer Neuerfindung Bayreuths als „Werkstatt“ nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1966 bildet den Rahmen für das letzte eigentliche Kapitel des Buches. Buchner legt hier viel Wert auf die nicht nur personellen Kontinuitäten des „neuen“ Bayreuths zu den 1930er- und 1940er-Jahren, wie sie sich exemplarisch in der eindeutig nationalsozialistisch gebliebenen Haltung Winifreds und einer symptomatischen Flucht ins Unpolitische ausdrückt, die Buchner anhand ihres Entnazifizierungsverfahrens treffend beschreibt.

Dass Buchner die alleinige Intendanz Wolfgang Wagners (1966–2008) im abschließenden Ausblick unter der Überschrift „Die letzten fünfzig Jahre“ zusammenfasst, mag jedoch ein wenig verwundern. Immerhin hätte sich einer Publikation zum Wagner-Jahr 2013 hier erstmals die Chance einer umfassenden Würdigung und kritischen Betrachtung geboten, zumal durch die verstärkte öffentliche Auseinandersetzung um Bayreuth die immer noch recht zweifelhafte Informationspolitik und die zurecht im Buch bemängelte Haltung der Festspielleitung zur Freigabe von Archivalien ein wenig korrigiert wurde. Immerhin fiel in diese Zeit der „Jahrhundertring“, welchen Buchner als „den Abschied von der verdrängenden Vergangenheitspolitik der Festspiele“ der Nachkriegszeit betont (S. 209) und die Umgestaltung der Bayreuther Festspiele in eine öffentliche Stiftung 1973, die zwar an der realen Machtposition Wolfgang Wagners wenig änderte, aber institutionengeschichtlich das Ende des Privatunternehmens Bayreuth bedeutete. Auch setzte der Enkel Richard Wagners seit der Übernahme seiner alleinigen Direktion eigenständige kulturpolitische Akzente im Verhältnis zur DDR, die in Buchners Argumentation hätten aufgewertet werden können: So bemühte sich Wolfgang Wagner im Lichte der Ostpolitik Willi Brandts darum, zahlreiche ostdeutsche Musiker in sein Ensemble zu integrieren, um Bayreuth als gemeinsames Erbe beider deutscher Staaten hervorzuheben. Zunichte gemacht wurden diese Bemühungen allerdings durch Wahlerfolge der NPD in Bayreuth, die von DDR-Kulturpolitikern als neuerliches Erstarken der NS-Ideologie in der Festspielstadt kritisiert wurden. Der darauf folgende DDR-seitige Rückzug aus einer Beteiligung an den Festspielen durch Nicht-Erteilen von Reisegenehmigunge, wurde von Wahnfried bis 1988 durch tschechoslowakische Gäste kompensiert, was von einem bemerkenswert eigenständigen Verhältnis der Festspiele zu den Fronten des Kalten Krieges zeugt. Dass die Bayreuther Intendanz dann pünktlich zur Wende den ehemaligen Mitarbeiter der Semperoper in Dresden und Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi Peter Emmerich zum Pressesprecher machte und Katherina Wagner Kritik an dieser Besetzung noch 2008 damit entschuldigte, seine „Spitzelei habe nicht mit seiner aktuellen Tätigkeit zu tun“ (S. 210), lässt wiederum an die zahlreichen Ambivalenzen Bayreuths in politischen Fragen denken. Nichts davon fehlt in Buchners Festspielgeschichte, man hätte hier allerdings argumentativ deutlich stärkere Akzente setzten können. Gleichermaßen wird der gemeinsame Antritt von Katherina Wagner und Eva Wagner-Pasquier im Jahr 2008 nur erwähnt.

Aus theaterwissenschaftlicher Sicht zu kritisieren ist die sinngemäße Einschätzung Buchners, dass es sich bei den Regiearbeiten seit 1976 häufig um Fehlinterpretation von „Wagners Ideal“ und eine „Tendenz […], Musik und Bühnengeschehen voneinander zu lösen“, handle, die dem Konzept des Wagnerschen Gesamtkunstwerkes zuwiderlaufe (S. 218). Namentlich genannt werden hier die Arbeiten Christoph Schlingensiefs (2005) und Sebastian Baumgartners (2011), unerwähnt bleiben die Inszenierungen Werner Herzogs (1987), Heiner Müllers (1993), Christoph Marthalers (2005), Stefan Herheims (2008) und Hans Neuenfels (2010). Auch wenn Buchner betont, sich vor allem für die (kultur-)politischen Aspekte der Festspielgeschichte zu interessieren, und sich größtenteils auf die häufig kritischen Publikumsreaktionen bezieht, bleibt doch in Frage zu stellen, ob sich neuere Ansätze des avancierten und häufig postdramatisch ausgerichteten Regietheaters tatsächlich nicht oder nur teils mit dem Werk Richard Wagners und der Gesamtkunstwerkskonzeption vereinbaren lassen. Neuere Publikationen zur Festspielgeschichte und dem Werk Wagners täten jedenfalls gut daran, von solchen normativen Positionen Abstand zu nehmen und auch diesen Teil des Bayreuther Erbes, nämlich einen allzu werkzentrierten Inszenierungsbegriff, zumindest stärker zu problematisieren.

Aus historiographischer Sicht fällt besonders auf, dass Buchner keinen spezifischen Ansatz verfolgt. Gerade eine Analyse der kulturpolitischen und institutionengeschichtlichen Verknüpfungen Bayreuths vor den wechselnden Hintergründen des Wilhelminischen Kaiserreichs, der Weimarer und der Bonner Republik sowie des nationalsozialistischen Deutschlands hätten von einen einheitlichen analytischen Bezugspunkt profitieren können. So verbleibt Buchner allein im Rahmen eines national gerahmten Geschichtsbildes, kann damit aber die zahlreichen transnationalen und ökonomischen Einflussfaktoren auf das „Unternehmen Bayreuth“ und seine internationale Anhängerschaft nicht bearbeiten.6 Dies hat zwar Tradition im Feld der Wagnerforschung, doch sollten künftige Arbeiten ihre Forschungsperspektive in diese Richtung erweitern.

Angesichts dieser Kritikpunkte fällt das Resümee zu Bernd Buchners Wagners Weltheater gemischt aus. Als gelungene Zusammenfassung, die sich mit geübtem Blick fürs Wesentliche durch die Menge der Sekundärliteratur zu Wagner und seinem Festspielprojekt gearbeitet hat und keinen wichtigen Beitrag vermissen lässt, eignet sich diese Festspielgeschichte sehr gut für das schnelle Einarbeiten in das Thema und den Stand der Forschung. Allerdings verwundert, dass aus Platzgründen auf das eigentlich obligatorische Literaturverzeichnis verzichtet wurde, welches stattdessen online auf der Verlagsseite zugänglich ist. Buchners Sprache ist journalistisch präzise, neigt aber dazu, vorrangig einschlägige Arbeiten zu referieren. Der Autor kommentiert äußerst sparsam und zurückhaltend. Einen eigenständigen Forschungsbeitrag, der neue Erkenntnisse zur Geschichte der Bayreuther Festspiele liefert, vermag man hier nicht zu erkennen.

Anmerkungen:
1 Beispielhaft genannt seien: Martin Gregor-Dellin, Richard Wagner. Sein Leben, sein Werk, sein Jahrhundert, München 2013; Walter Hansen, Richard Wagner. Biographie, München 2013; Dieter Borchmeyer, Richard Wagner. Werk, Leben, Zeit, Stuttgart 2013.
2 Jens Malte Fischer, Richard Wagner und seine Wirkung, Wien 2013; Udo Bermbach, Mythos Wagner, Berlin 2013.
3 Eine nennenswerte Ausnahme ist Nicholas Vazsonyi (Hg.), The Cambridge Wagner Encyclopedia, Cambridge 2013.
4 Michael Karbaum, Studien zur Geschichte der Bayreuther Festspiele (1876–1976), Regensburg 1976.
5 Auch hier gibt es freilich Ausnahmen. Zum Beispiel die noch ältere Studie Lore Lucas, Die Festspiel-Idee Richard Wagners, Regensburg 1973. Zumeist findet die Auseinandersetzung mit den Festspielen jedoch im Rahmen der genannten Themenfelder statt.
6 Im Gegensatz dazu siehe Philipp Ther, In der Mitte der Gesellschaft. Operntheater in Zentraleuropa 1815–1914, Wien 2006; Nicholas Vazsonyi, Richard Wagner. Self-Promotion and the Making of a Brand, Cambridge 2010.

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