E. Illner (Hrsg): Eduard von der Heydt

Cover
Titel
Eduard von der Heydt. Kunstsammler, Bankier, Mäzen


Herausgeber
Illner, Eberhard
Erschienen
München 2013: Prestel Verlag
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Dinges, Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart

Bei dem Namen von der Heydt mögen manche Leser an das nach dieser Familie benannte Wuppertaler Kunstmuseum denken, wenigen dürfte der Monte Verità, sein Lebensmittelpunkt seit 1926, oder das Rietberg-Museums in Zürich einfallen, dessen Grundstock er stiftete. Auch die beiden anderen Institutionen prägte Eduard von der Heydt entscheidend. Da der 1882 Geborene vom Kaiserreich bis in die zweite Nachkriegszeit Bankgeschäfte machte und in vier Ländern lebte, eröffnet sich mit der vorliegenden Publikation eine europäische Perspektive auf die erste Jahrhunderthälfte. Bisher wurden nur Teilaspekte der Sammlungsgeschichte und das Kunstverständnis des Bankiers erforscht sowie Unsicherheiten einiger Provenienzen geklärt. Ein Gesamtbild fehlte auch aus praktischen Gründen: Ohne einen Nachlass, der an einem Ort zugänglich wäre, musste der Herausgeber und Hauptautor des Bandes in ca. 40 Archiven in sieben Ländern recherchieren, um erstmals eine differenzierte Biographie vorzulegen.

Geprägt wurde von der Heydt, Urenkel eines preußischen Finanzministers und Sohn eines Bankiers, im pietistischen Wuppertal durch einen aristokratischen Stolz auf seine monarchistisch gesinnte Familie. Humanistisches Gymnasium, Jurastudium mit einer Dissertation im Aktienrecht und Militärzeit in einem Potsdamer Traditionsregiment bereiteten ihn auf seine Rolle in der Elite des Reiches vor. Eine längere Station bei einer Bank in New York führte direkt in die spätere Berufstätigkeit. So eröffnete er in London 1910 eine erste Bank, die allerdings 1917 als Feindvermögen liquidiert wurde. Nach einer Kriegsverletzung analysierte er ab Juni 1915 im neutralen Den Haag für die deutsche Botschaft die englischsprachige Presse und machte sich mit seinen Berichten einen Namen. Fortgesetzte Kritik an den Entscheidungen der Admiralität machten Karrierehoffnungen von der Heydts im Auswärtigen Dienst gegenstandslos.

Nach Krieg und Revolution kehrte er nach Amsterdam zurück, wo er 1920 eine zweite Bank gründete. Die Zweckheirat mit der wohlhabenden Bankierstochter Vera von Schwabach (Bankhaus Bleichröder) hatte nicht unwesentlich zum Grundkapital dieses Unternehmens beigetragen. Schon vor der einvernehmlichen Scheidung (1927) musste denn auch das Geschäft umgegründet werden. Von der Heydt hielt sich selbst für eheuntauglich, blieb sein Leben lang auch im Umgang mit den vielen Bekannten emotional sehr zurückhaltend und hatte homophile Neigungen.

Als Achtzehnjähriger hatte er 1900 mit dem Kauf eines ersten Gemäldes von Gustave Courbet das Sammeln begonnen, worin er einer Familientradition folgte. Allerdings setzte er stilistisch stärker auf die Gegenwartskunst und erwarb ab 1917 ganze Sammlungen von „Kunst der Primitiven“. In den unteren Stockwerken seines Amsterdamer Hauses stellte er seine Ostasiatica-Sammlung aus. Nicht zuletzt zur Streuung seiner Anlagen kauft er in Zandvoort am Strand mehrere Grundstücke und eröffnete dort 1925 ein MULURU genanntes Café mit Museum, das auch die Ausstellung einiger Werke aus Afrika und der Südsee ermöglichte. Wegen der Größe seiner Sammlungen konnte er bald international als Leihgeber wirken. Er deponierte Werke in skandinavischen und Schweizer Museen, Bankaktiva streute er ebenfalls. Ab Mitte der 1920er-Jahre wirkte er von seinem Berliner Wohnsitz aus in der Ankaufskommission der Nationalgalerie mit.

Im MULURU gingen die haute volée und der im Exil lebende Kaiser Wilhelm II. ein und aus, den er in Finanzangelegenheiten beriet. Da seine mehrfach umgegründete Bank von Fritz Thyssen übernommen worden war, hatte er auch mit diesem Großförderer der NSDAP ständig zu tun. Die Hoffnung auf die Wiedereinsetzung des Kaisers durch die Nationalsozialisten war für von der Heydt ein wesentlicher Beweggrund, im April 1933 in die NSDAP einzutreten. Umgehend erlebte er die Gleichschaltung seines Berliner Golfclubs, was ihm ebenso wie der Röhm-Putsch (Juni 1934) zu Distanzierungen veranlasste. Er wurde Schweizer Staatsbürger mit Wohnsitz in Ascona, wo er den Ausbau des Hotelbetriebs auf dem Monte Verità betrieb. 1938 wurde er aus der Partei ausgeschlossen, bestand formal aber auf einem freiwilligen Austritt.

Als Fritz Thyssen 1939 vor der Gestapo geflohen war, musste von der Heydt die Bank in Berlin bis 1943 als Aufsichtsratsvorsitzender vertreten. Von Ascona aus führte er Finanztransfers für die Abwehr der Wehrmacht durch, gleichzeitig aber auch Konten einer Widerstandsgruppe im Auswärtigen Amt. Aufgezwungene Kunstgeschenke an Hitler oder Göring wusste er zu umgehen. Gleichzeitig gelang es ihm, durch verschachtelte Rechtskonstruktionen seine Leihgaben in deutschen Museen vor dem Staatszugriff zu schützen. Steuermindernd verschob er Geld und Rechte an der Sammlung aus dem 1940 bedrohten Holland in die neutrale Schweiz. Um einen „sicheren Hafen“ für seine Sammlung zu schaffen, bot er sie 1945 der Stadt Zürich an. So konnte er die zeitweise auf 69 Standorte verteilten Bestände an das 1949 vom städtischen Wahlvolk beschlossene Museum Rietberg zurückbeordern. Seit den 1950er-Jahren wurde das Wuppertaler Museum durch seine wertvolle Bilder- und Graphiksammlung sowie Kapital für Zukäufe sehr aufgewertet.

Der Volkswirt Michael Wilde analysiert von der Heydt als Bankier. Der Vermögensverlust 1917 in London sei die Schlüsselerfahrung, die ihn veranlasste, durch extreme Risikostreuung Vermögen und Sammlung zu schützen. Schenkungen vollzog er unter Vorbehalt der Rücknahme, um letztlich alles in der eigenen Hand zu behalten. Ein Prozess wegen Vorschubleistung für Spionage für fremde Mächte während der NS-Zeit wurde 1948 in der Schweiz, deren Bürger er seit 1937 war, mit einem Freispruch beendet. Von der Heydts Reputation und das Schenkungsangebot an Zürich dürften auch vor Gericht genützt haben.

Hinsichtlich der beiden Sammlungsschwerpunkte werden Strategie und Kunstgeschmack in dem Band getrennt abgehandelt. Den vielen Fotos aus den verschiedenen Wohnungen von der Heydts, in denen er Geselligkeit ästhetisch stilisierte, belegen aber, dass für ihn ausschließlich die künstlerische Qualität, unabhängig von der Herkunft der Objekte, zählte. Er stellte sie dementsprechend munter zusammen. Heike Ising-Alms belegt, dass er sich schon als Jugendlicher profunde Kenntnisse der Kunst durch die Präsenz erstrangiger Werke im Elternhaus erwarb. Er ergänzte die elterliche Sammlung um zeitgenössische Bilder und rettete seinen Teil des Erbes. Er bevorzugte Landschaften und Frauenbildnisse, kaufte eher bei Kunstvermittlern als bei Künstlern selbst, nutzte den Sachverstand der Museumsdirektoren und stellte gezielt Werke bestimmter Künstler aus, von denen er weitere kaufte, so dass die Wertsteigerung gewährleistet war. Als Mitglied der Ankaufskommission der Nationalgalerie und Vorsitzender des Vereins der Freunde bis 1937 stärkte er während der 1920er-Jahre den Aufbau der zeitgenössischen Sammlung. Er kaufte bewusst nicht bei sogenannten „Judenauktionen“.

Die mit 3000 Objekten sehr große Sammlung außereuropäischer Kunst begann er eher spontan. Esther Tisa Francini weist in ihrem Beitrag auf das Konzept der „ars una“, also einer gleichwertigen „Weltkunst“ hin, das von der Heydt vielleicht von Karl With übernommen hat. Dieser prägte entscheidend die neue Praxis, Kunst aller Kontinente zusammen auszustellen, beriet den Bankier und inventarisierte später seine Sammlung. Von der Heydt hatte kein ethnologisches, sondern ein spirituelles und vor allem ästhetisches Interesse an diesen Werken. Wohl auch deshalb baute praktisch nur er eine derart kulturenübergreifende Sammlung auf: Schwerpunkte waren Ostasiatica – davon einige Stücke aus jüdischem Besitz während der NS-Zeit – und die Südsee. Als erster kaufte er einige indische Plastiken, erwarb außerdem Africana, indonesische Werke und Schweizer Masken. Er bevorzugte Werke, die „Erhabenheit und Ruhe ausstrahlen und bei denen das Abbild des Menschen sowie Darstellungen von Göttern oder Ahnen im Zentrum standen“ (S. 139), reiste aber nie in die Herkunftsländer seiner Kunstwerke.

Das Buch ist exzellent gestaltet: Eine durchgehende Bilderleiste in der oberen Hälfte jeder Seite ermöglicht eine zweite Lektüre. Das gilt auch für die Doppelseiten mit Quellen, die ausgiebig erläutert werden und zusätzliche, teilweise pittoreske Informationen zu einzelnen Werken bringen. Abgeschlossen wird der Band mit einer sehr nützlichen Publikation des Gästebuchs des Monte Verità (1926–1935), das die gesellschaftliche Einordnung von der Heydts ermöglicht. Zu jedem Künstler, Kunsthändler, Industriellen oder Aristokraten wurden biographische Daten ermittelt. Insgesamt ein hervorragender Beitrag zur Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.

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