J.-E. Steinkrüger: Thematisierte Welten

Cover
Titel
Thematisierte Welten. Über Darstellungspraxen in Zoologischen Gärten und Vergnügungsparks


Autor(en)
Steinkrüger, Jan-Erik
Reihe
Edition Kulturwissenschaft 26
Anzahl Seiten
348 S.
Preis
€ 33,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephanie Zehnle, Neuere und Neueste Geschichte, Universität Kassel

Die Historische Geographie ist in Deutschland sicherlich immer noch eine vom Aussterben bedrohte Subdisziplin der Geographie. Historiker/innen ist sie vor allem durch Beiträge zur Landesgeschichte bekannt, wo sie für historische Siedlungsforschung und das Aufspüren von Flurtypen steht. Obwohl sie sich dem Konnex von Raum und Zeit verschrieben hat, konnte sie doch nicht so recht an den spatial turn anknüpfen. Innovative Strömungen aus der angloamerikanischen Umwelt- und Tiergeschichte aufnehmend1, befindet sich die Historische Geographie nun aber in einem Aktualisierungsschub. Ihre Fähigkeit, ganz verschiedene Disziplinen zu vereinen, ist aktuell sehr gefragt. Jan-Erik Steinkrüger ist ein kulturwissenschaftlich arbeitender Historischer Geograph und hat in seiner Dissertation die Thematisierung von zoologischen Gärten und Vergnügungsparks als diskursive Räume untersucht, in denen bestimmte Naturen und Kulturen als fremde Landschaften geschaffen werden.

Die leitende Frage des Buches ist dem Verhältnis kollektiver Identitäten und ‚künstlich‘ geschaffener Themenwelten gewidmet. Auch wenn der Titel dies nicht impliziert, geht es Steinkrüger vor allem um die Darstellung von als exotisch und homogen wahrgenommenen Kulturen. Noch konkreter gefasst, drehen sich seine empirischen Beispiele um die Präsentation von afrikanisierten Räumen – Afrika als die fremde Kultur schlechthin im europäisch-amerikanischen Diskurs. Steinkrüger untersucht Freizeitparks und Zoos als Kollisionen imaginärer, kollektiver Geographien und semiotischer Gestaltung von Landschaft. In seiner Begriffsbestimmung von „Themenwelten“ bemüht er die Tourismusforschung sowie Schriften von Michel Foucault und Pierre Bourdieu mit vielen Zitaten. Etwa 100 Seiten nehmen diese methodischen Diskussionen ein, in denen die einschlägigen Theoretiker sehr verständlich auf das Verhältnis von Landschaft und Diskurs hin untersucht werden. Es geht Steinkrüger um die scheinbaren Dichotomien von Authentizität und Künstlichkeit, Wissenschaft und Freizeit, sowie von Kultur und Natur in Themenparks. Im westlichen Verständnis prägten eben jene Westler selbst immer aktiv die Landschaft, während die kulturell ‚Anderen‘ hingegen immer passiv von der Natur geprägt worden seien. Immer waren diese ‚Anderen‘ die Naturvölker im Gegensatz zu den Kulturvölkern.

In Zoos und Freizeitparks wurden und werden gleichermaßen Wissens- und Wahrheitsordnungen gesetzt. Zwei Annäherung an Themenparks seien dabei möglich: Man könne Themenparks als Mimikry-Spiele oder narratologisch als Geschichten verstehen. Beide Sichtweisen verstehen Wahrheit indes als gesellschaftliche Konstruktionen, durch die soziale und kulturelle Abgrenzung geschaffen wird. Der Adel grenzte sich durch seine exklusiven Raubtieranlagen und Menagerien ab, das Bürgertum wollte den Zoo später als wissenschaftlichen und didaktischen Raum etablieren. In den aktuellen Tierparks korrelieren meist pädagogische Konzepte von Wissensvermittlung und sinnliches Erlebnis durch Spaßaktivitäten. Die Grenzen zwischen Zoo und Freizeitpark verschwimmen zunehmend, wodurch die gemeinsame Behandlung in Steinkrügers Studie überzeugend gerechtfertigt wird. Dementsprechend ist auch sein empirisches Hauptkapitel angelegt, das die Geschichte zoologischer Gärten, der Vergnügungsparks und schließlich des hybriden Disney’s Animal Kingdom (eröffnet 1998 in Bay Lake, Florida, USA) behandelt.

Zoos versteht Steinkrüger als Themenwelt „Wildnis“ (S. 151). Er beginnt den historischen Abriss mit Hatshepsuts altägyptischer Sammlung ‚exotischer‘ Tiere, um sich dann ausführlicher mit den Menagerien der Vor- und Frühmoderne zu beschäftigen. Angelehnt an Foucaults Deutung dieser kreisförmig angelegten Gärten und Käfige vergleicht der Autor die Gestaltungsform mit panoptischen Gefängnisstrukturen: Ein Herrscher habe stets alles überblicken können, ohne selbst von den Tieren, Pflegern oder Häftlingen gesehen zu werden. Städtische Bärengruben und Wildgräben waren hingegen erste bürgerliche Einrichtungen früher Wildnis-Thematisierungen. In der Frühen Neuzeit wandten sich ebenjene Bürger immer stärker gegen solche Ausstellungsformen und die populären Wandermenagerien. Ihrem Wunsch nach Wissenschaftlichkeit wider die angeblich sensationslüsternen Massen entsprach die Schaffung von Zoos und Naturaliensammlungen in vielen Städten und Kleinstädten. Präsentierten die ersten zoologischen Gärten in Paris (1793) und London (1828) noch Tiere in schmucklosen Käfigen, thematisierten diese Räume bald auch die Kulturen der angeblichen Herkunftsregionen dieser Tiere: Elefanten wandelten zwischen indischen Tempelruinen und Gazellen zwischen Strohhütten. Das typische Panorama nach Carl Hagenbeck, in dem Zäune durch Felsen oder Wassergräben unsichtbar oder obsolet wurden, revolutionierte abermals die Zoogestaltung. Im Blick der Besucher sollte diese Landschaft natürlich wirken. Hatten zuvor Gebäude als Chiffren für fremde Kulturen ausgereicht, gastierten bald Völkerschauen in Zoos, um den Pseudo-Alltag dieser Kulturen zu inszenieren. Vegetation, Tiere, Menschen – das Eintauchen in eine andere Welt sollte landschaftlich komplettiert werden.

Über 70 Seiten hinweg behandelt Steinkrüger die Geschichte der Zoos auf Basis der mittlerweile recht umfangreichen Forschungsliteratur.2 Seinem Beispiel eines Zoos zeitgenössischer Rekonzeptualisierung, die Zoom Erlebniswelt Gelsenkirchen (eröffnet 1949 als Ruhr-Zoo), widmet er allerdings nur wenige Seiten. Es hätte sich hier sicherlich gelohnt, diesen Tierpark auch historisch – er ist immerhin 65 Jahre alt – zu untersuchen. Außerdem wäre eventuell ein Vergleich unterschiedlicher Kontinentalthematisierungen spannend gewesen (z.B. des Bereichs „Alaska“ ab 2005 oder der „Grünen Hölle Asiens“ ab 2010). In der Gelsenkirchener Afrika-Sektion dominieren klar Thematisierungen von Natur und rückschrittlicher Tradition. Mit einem Schiff könnten Besucher kolonialromantische Safari-Touren durch den Park unternehmen und Trommel-Tanz-Shows sehen. Somit wird, wie Steinkrüger zusammenfasst, das ‚eigentliche‘ Afrika stets in der Vergangenheit verortet. Wissensvermittlung über das heutige Afrika suchen Gäste des Parks vergeblich. In dieser ökozonalen Strukturierung blieben etwa urbane afrikanische Lebensformen völlig ausgeblendet. Doch auch wenn man Steinkrüger intuitiv zustimmen möchte, dass Afrika in besonderem Maße in Themenparks und Zoos exotisiert wird, wäre der direkte Vergleich mit anderen geographischen „Themen“ wünschenswert. Wo werden Vergleiche zu anderen und zur vermeintlich eigenen Kultur gezogen? Welche Blickregime werden anders oder gleich etabliert?

Das Kapitel über Vergnügungsparks beginnt mit dem historischen Vorläufer Coney Islands (New York), das 1894 als erster abgeschlossener, kostenpflichtiger Park eingerichtet wurde. Er entwickelte sich in den kommenden Jahrzehnten vom Park für ein vornehmlich männliches Publikum hin zum Familienerlebnis. In den Disneyland-Parks wurde dann ausschließlich die amerikanische Mittelklasse-Kleinfamilie angesprochen. In Deutschland war das Phantasialand seit 1967 ein Vorreiter der Vergnügungsparks. Es besitzt ganz verschiedene Themenbereiche, vom Wilden Westen und Mexiko über Chinatown und Berlin bis hin zu Deep in Africa. Steinkrüger setzte sich aber nur mit dem letztgenannten Bereich näher auseinander. Dort werde Afrika als ausschließlich körperlich-sinnlich erfahrbarer Kontinent thematisiert, indem die Kultur in Trommelkursen und als Tanz vermittelt werde. Das Personal in dieser Sektion sei ausschließlich schwarz, was die Authentizität der Themenwelt Afrika unterstreichen solle. Auch in der Mischform von Disney’s Animal Kingdom würden hauptsächlich Asien und Afrika als Tierwelten präsentiert, wobei Marokko als „zivilisierte“ Enklave gezeigt werde.

In seinem Abschlusskapitel beschreibt Steinkrüger Themenwelten als Landschaftsdopplungen, in denen imaginierte fremde Räume mit materiellen, regionalen Landschaften zusammenfallen. Mit Werbeslogans wie etwa „Safari im Ruhrgebiet“ spielen Zoos bewusst auf diese Überformungen an. Korrelationen sieht der Autor außerdem bezüglich der Darstellungsform und der sozialen Distinktion. Die Asymmetrien seien stets im Blickregime der Themenwelten eingebaut, sodass etwa Afrika immer nur als „fremde“ Naturlandschaft erfahren werden könne. Hier stellt sich unweigerlich die Frage, wie Afrika in Themenparks anderer Regionen und in Afrika selbst dargestellt wird. Beeinflussen sich hier die Stereotypen? Inwiefern kreieren afrikanische Hotels, Safari-Lodges, Tier- und Freizeitparks ein ähnliches oder anderes Bild von Afrika? Das Buch setzt aber vor allem theoretische Maßstäbe und ermöglicht Fragestellungen, wie weiter über diese Diskurse geforscht werden könnte. Mehr Verweise auf Themenparks und entsprechende Praktiken, also Verzahnungen zwischen Theorie und Empirie, wären hier ergänzend möglich gewesen. Steinkrüger hat auf die Beobachtung von und Interviews mit Parkbetreibern, Angestellten und Besuchern verzichtet. Vielleicht sind dies Aufgaben weiterer Arbeiten aus dem Bereich der Historischen Geographie. Steinkrüger hat aktuelle Strömungen in seine Studie einbezogen und eine klare Sprache für globale Zusammenhänge und Diskurse gefunden, denen es sicherlich nicht an Komplexität mangelt. Das Buch ist ein historisch-geographischer Beitrag zur Kolonialgeschichte und zur raumbezogenen Alteritätsforschung.

Anmerkungen:

1 Siehe unter anderem Chris Philo / Chris Wilbert (Hrsg.), Animal Spaces, Beastly Places. New Geographies of Human-Animal Relations, London 2000.
2 Vgl. dazu Éric Baratay, Zoo. Von der Menagerie zum Tierpark, Berlin 2000; Eric Ames, Carl Hagenbeck's Empire of Entertainments, Seattle 2008. Siehe zu architektonischen und landschaftlichen Rauminszenierungen in Zoos auch Christina May, Künstliche Savannen. Afrikanisch thematisierte Landschaften in zoologischen Gärten seit 1900, in: Winfried Speitkamp / Stephanie Zehnle (Hrsg.), Afrikanische Tierräume. Historische Verortungen, Köln 2014, S. 161–178.

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