L. Geis: Hofkapelle und Kapläne im Königreich Sizilien (1130–1266)

Titel
Hofkapelle und Kapläne im Königreich Sizilien (1130–1266).


Autor(en)
Geis, Lioba
Reihe
Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 128
Erschienen
Berlin 2014: de Gruyter
Anzahl Seiten
X, 636 S.
Preis
€ 119,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Knut Görich, Historisches Seminar, Ludwig Maximilians-Universität München

In den neueren Untersuchungen zur Herrschaftsausübung Friedrichs II. dominieren nüchterne Betrachtungen der konkreten Verwaltungsrealität1, die Frage nach spezifisch normannischen Voraussetzungen der staufischen Herrschaft im sizilischen regnum2 sowie die Problematisierung der je nach Herrschaftsraum unterschiedlichen politischen Voraussetzungen.3 Daß solche Differenzierung lohnt, stellt Lioba Geis in ihrer ebenso gedanken- und materialreichen wie ergiebigen Arbeit unter Beweis, in der sie die bisherige Vorstellung von der sizilischen Hofkapelle einer gründlichen Revision unterzieht.

Der einleitende Forschungsüberblick mündet in die Einsicht, daß man Struktur, Aufgabenbereiche und Funktionen der Hofkapelle des 1130 gegründeten regnum Siciliae in bislang weitgehend unproblematisierter Analogie zur karolingisch-deutschen Hofkapelle beschrieben hat. In ebenso sachlicher wie überzeugender Auseinandersetzung mit den bisher allgemein rezipierten Thesen von Hans Martin Schaller zeigt Frau Geis (S. 6–12), daß ein neuerlicher Zugriff auf das Thema wegen der durch zahlreiche Editionen erweiterten Quellengrundlage möglich und durch eine mittlerweile vertiefte Einsicht in die Andersartigkeit des süditalienisch-sizilischen Herrschaftsraumes im Vergleich zum ostfränkisch-deutschen sowie durch begründete Vorbehalte gegenüber dem älteren Denkmodell einer stark normativ ausgerichteten Verfassungsgeschichte auch geboten ist. Nicht nur die Analogieschlüsse, die die Verhältnisse aus angevinischer Zeit auf die staufische Periode zurückprojizieren, ohne dabei auch nach genuin normannischen Voraussetzungen zu fragen, erscheinen problematisch; mit Recht warnt Frau Geis angesichts der Zentralität und Leistungsfähigkeit schon der normannenzeitlichen Verwaltung, der Kleinteiligkeit der Kirchenlandschaft mit bis zu 145 Bistümern, der Verwendung von ausschließlich Laien für Verwaltungsaufgaben sowie der bis weit in die staufische Zeit ethnisch und religiös anders gelagerten Verhältnisse davor, die aus Untersuchung der nordalpinen Verhältnisse gewonnenen Einsichten einfach auf die Hofkapelle im regnum zu übertragen. Außerdem gelten ihre Vorbehalte einem zu statisch gedachten Institutionenbegriff, der die Hofkapelle zu unbedenklich an einer definierten Strukturform mißt.

Aus diesen Defiziten zieht Frau Geis die Konsequenz, die sizilische Hofkapelle „mittels ihrer Kapläne“ (S. 21) erforschen zu wollen und den zeitlichen Rahmen von 1130 bis 1266 durch die Integration bereits Rogers I. und der Grafen- und Herzogszeit Rogers II. als unverzichtbare Vorgeschichte zu erweitern. Struktur und Funktionen der sizilischen Hofkapelle werden also über die Frage nach den konkreten Lebensumständen und Tätigkeitsfeldern der einzelnen Kapläne beantwortet. Zu diesem Zweck verfolgt die Autorin einen prosopographischen Ansatz, der „Verflechtungen und Beziehungen von Einzelpersonen innerhalb einer klar umrissenen Personengruppe“ (S. 20) untersucht. Als gemeinsame Kriterien der Zugehörigkeit zur Personengruppe der Hofkapläne gelten „Name des Kaplans, seine Bezeichnung in den Quellen, sein Bildungsstand, seine Aufgaben und Tätigkeiten sowie Ämter, seine Mobilität, seine finanzielle Ausstattung und seine räumliche wie persönliche Nähe zum Herrscher“ (S. 22). Diese Gesichtspunkte strukturieren die im Anhang des Buches versammelten, wesentlich aus Herrscher- und süditalienischen Privaturkunden, vereinzelt auch aus historiographischen Quellen gewonnenen 239 Einzelbiographien (S. 311–559), die gleichzeitig die Grundlage der Untersuchung bilden; die hohe Verlustrate unter den Urkunden erlaubt freilich häufig genug nur eine lückenhafte Rekonstruktion.

Schon die Konstituierung der Personengruppe selbst stellt insoweit eine besondere Schwierigkeit dar, als die Quellen ein breites Begriffsspektrum für die Bezeichnung der Hofkapläne aufweisen. Konstituierend ist die personale Bindung an den König, die funktionale Zugehörigkeit zum Königshof oder zu einer der sechs Hofkirchen. Der Gebrauch unterschiedlicher Bezeichnungen (magister, clericus, canonicus) läßt jedoch darauf schließen, daß es weder zu normannischer noch staufischer Zeit einen festen und einheitlich gebrauchten Titel für die Bezeichnung der Kapläne gab (S. 24–77). Das zweite und umfangreichste Hauptkapitel gilt den Lebensumständen und Tätigkeitsfeldern der Kapläne (S. 78–234) und untersucht in differenzierter Kasuistik ihre Handlungsfähigkeit mit und ohne herrscherlichen Auftrag, ihre Standortgebundenheit und Mobilität, ihre in immerhin sechs Fällen belegte Doppelfunktion auch als päpstlicher Subdiakon oder Kaplan, ihre finanzielle Ausstattung als Folge herrscherlicher Fürsorge oder aber materieller Eigenständigkeit, ihre Aufgaben in Krisenzeiten und die Kriterien ihrer Ernennung. Nur auf den ersten Blick ist ihre fehlende Teilhabe an kulturellen Austauschprozessen überraschend, denn ihre Anbindung an die Hofkirchen, ihre nur ausnahmsweise über das Lateinische hinausgehende Sprachkompetenz und die unverkennbare Dominanz des lateinisch-westlichen Ritus am Königshof legte ihnen eine Rolle als etwaiger Träger eines Kulturtransfers gerade nicht nahe, und zwar auch schon zu normannischer Zeit nicht (S. 164–181). In der Zusammenschau zeigen sich Lebens- und Karrierewege der sizilischen Kapläne wesentlich weniger am Herrscher ausgerichtet, als es der aus den nordalpinen Verhältnissen bekannte ‚Prototyp’ eines Hofkaplans erwarten läßt. Dazu paßt, daß die Kapläne während der Brüche, die Herrscher- und Dynastiewechsel mit sich brachten, für den König – anders als das Kanzleipersonal – offenbar eine Personengruppe von nur untergeordneter politischer Bedeutung waren.

Quellen für die Frage nach Selbst- und Fremdwahrnehmung der Kapläne, die im Zentrum des dritten Kapitels steht (S. 235–285), sind nur ausnahmsweise überliefert. Gruppenbewußtsein läßt sich bestenfalls im Falle der Kaplansgemeinschaft an einer bestimmten Hofkirche erkennen; in den Horizont der Geschichtsschreiber traten Kapläne aber nicht als Gruppe, sondern als Einzelpersonen, und dann war es auch nicht das Tätigkeitsprofil des Kaplans, das Interesse auf sich zog, sondern seine Vertrauensstellung beim Herrscher, die ihn zur Ausführung eines bestimmten politischen Auftrags qualifizierte. Allem Anschein nach waren die pastoralen und liturgischen Aufgaben der Kapläne zu selbstverständlich, um ausdrücklich berichtenswert zu sein.

Überblickt man den Gesamtbefund (S. 286–306), so weichen die Verhältnisse im sizilischen regnum in vieler Hinsicht markant von den für die Hofkapelle des deutschen Königs als typisch geltenden Kennzeichen ab: Weder gab es eine dem archicapellanus im Reich vergleichbare hierarchische Spitze aller Kapläne noch einen kontinuierlichen Tätigkeitsschwerpunkt der Kapläne im Bereich von Kanzlei, Verwaltung und Diplomatie. Zur Urkundenproduktion nur punktuell herangezogen, waren sie auch nur ausnahmsweise mit bedeutenden Gesandtschaftsaufträgen betraut, unvergleichbar viel häufiger dagegen ohne unmittelbaren Zusammenhang mit der königlichen Herrschaftsausübung tätig und insgesamt für die Aufrechterhaltung der bestehenden Herrschaftsstrukturen in Krisenzeiten ohne erkennbare Bedeutung. Allerdings erweist sich ein sozialwissenschaftlich erweiterter Institutionenbegriff gegenüber dem älteren verfassungsgeschichtlichen als ebenfalls nur begrenzt tauglich, weil die Überlieferung kaum einen Einblick in etwaige normative Leitideen und Verhaltensmuster erlaubt, die als Grundlage einer Institutionalisierung im Sinne der Ausbildung sozialer Handlungsstrukturen hätten fungieren können. Zwar sind für die Kaplansgemeinschaften der Capella Palatina und von S. Nicola in Bari ansatzweise Dauer und Beständigkeit erkennbar, jedoch verbietet sich eine Verallgemeinerung der Befunde, weil die Hofkirchen ihre erkennbar unterschiedlichen Eigenheiten behielten, so daß lediglich in deren engerem Rahmen Ansätze einer Institutionalisierung erkennbar sind, nicht aber für eine sizilische Hofkapelle insgesamt. Daß mit der Verlagerung des Aufenthalts Friedrichs II. auf das Festland keine Umsiedlung der Capella Palatina von Palermo nach Apulien verbunden war, zeigt gleichzeitig, daß es keinen Bedarf an dauerhafter Präsenz einer größeren Gruppe von Kaplänen am Hof zu Zwecken der Herrschaftsausübung gab. Das schloß ihre politisch hervorgehobene Verwendung im Einzelfall nicht aus, jedoch sprechen die insgesamt nur sehr wenigen belegten Fälle dieser Art gerade nicht dafür, daß sich die sizilischen Herrscher der Hofkapelle als eines politischen ‚Steuerungsinstruments’ hätten bedienen wollen oder können.

Im besten Sinne belehrt legt man das anschaulich und flüssig geschriebene Buch aus der Hand – im sicheren Wissen darum, von ihm für das Verständnis der Herrschaftspraxis im normannisch-staufischen regnum wesentlich zu profitieren.

Anmerkungen:
1 Christian Friedl, Studien zur Beamtenschaft Kaiser Friedrichs II. im Königreich Sizilien (1220–1250), Wien 2005.
2 Theo Broekmann, Rigor iustitiae. Herrschaft, Recht und Terror im normannisch-staufischen Süden (1050–1250), Darmstadt 2005. Dazu die Rezensionen von Jan Keupp, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 4 [15.04.2006] <http://www.sehepunkte.de/2006/04/9313.html> (11.03.2015); Jean-Marie Martin, in: Revue de l'IFHA [01.01.2007] <http://ifha.revues.org/550> (11.03.2015); Walter Koller, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 64 (2008), S. 825f. Vgl. außerdem Wolfgang Stürner, Friedrich II., 3., bibliogr. aktual. Aufl., Darmstadt 2009, S. XIX–XXI.
3 Knut Görich / Jan Keupp / Theo Broekmann (Hrsg.), Herrschaftsräume, Herrschaftspraxis und Kommunikation zur Zeit Friedrichs II., München 2008; Hubert Houben / Georg Vogeler (Hrsg.), Federico II nel Regno di Sicilia, Bari 2008.