L. A. Hansen u.a. (Hrsg.): Bunkers

Cover
Titel
Bunkers. Atlantvoldens perspektiver i Danmark


Herausgeber
Hansen, Lulu Anne; Rheinheimer, Martin
Erschienen
Anzahl Seiten
350 S.
Preis
375,00 kr
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jelena Steigerwald, Hauptstaatsarchiv Dresden

Der Gegenstand dieses dänischsprachigen Sammelwerks ist der Atlantikwall in Dänemark. Die heute noch sichtbaren Bunker an der dänischen Westküste waren Teil der Verteidigungsanlagen, die zwischen 1940 bis 1945 unter Leitung der Organisation Todt zumeist mit Zwangsarbeitern erbaut wurden. Der dänische Abschnitt dieses Bauwerkes ist insofern eine Ausnahme, weil hier überwiegend dänische Arbeiter auf freiwilliger Basis eingesetzt wurden. Der Fokus auf diese Bunker ermöglicht somit einen Einblick in die deutsche Besatzungspolitik in Dänemark und die dänische Verhandlungspolitik gegenüber Nazideutschland.

Ursprung dieses Buches war ein Workshop, der 2010 am Center for Maritime og Regionale Studier in Esbjerg stattfand. Hier trafen sich mehrere Forscher, die primär am dänischen und regionalgeschichtlichen Kontext interessiert waren und die sich insbesondere vor dem Hintergrund der didaktischen, erinnerungspolitischen und identitätsstiftenden Zwecke, zu denen die Bunker zunehmend eingesetzt werden, mit ihnen auseinandersetzten. Die acht Autoren haben sieben unterschiedliche Perspektiven zum Thema gewählt, so dass neben regionalhistorischen und historischen Untersuchungen, Artikel mit diskursanalytischer, archäologisch-militärhistorischer wie auch erinnerungspolitischer Thematik in diesem Sammelwerk zu finden sind. Darüber hinaus ermöglichen 98 aktuelle Farbfotografien von Martin Rheinheimer einen Blick auf die Bunker als einen schönen und interessanten Bestandteil der Kulturlandschaft. Eine zehnseitige deutsche Zusammenfassung der Beiträge am Ende des Sammelwerkes erleichtert dem deutschen Leser die Orientierung.

Die Einleitung der Herausgeber stellt nicht nur die verschiedenen Beiträge kurz vor, sondern erläutert auch die bisherige Forschungslage, was sie sehr lesenswert macht. Aus ihr geht hervor, dass es zwar bereits eine Reihe von Werken über die Bunker gibt, aber zu zentralen Fragen, nämlich der Bedeutung der Bauten für die Besatzungspolitik, der sozialhistorischen und ökonomischen Aspekte des Festungsbaus für die betroffene Region und den erinnerungspolitischen Wandel bis heute, noch keine systematischen und in die Tiefe gehenden Forschungen vorliegen.

Der erste stadtgeschichtliche Beitrag von Mona Jensen, Mitarbeiterin in der Historisk Samling fra Besaettelsestiden (HSB)1, setzt sich mit dem Bau der Verteidigungsanlagen in Esbjerg auseinander. Die Hafenstadt Esbjerg bot nach Einschätzung der deutschen Besatzer die besten Voraussetzungen für eine Invasion, deswegen war sie besonders stark vom Bunkerbau betroffen. Nicht nur der Bunkerbau, der neben ökonomischen Gewinnen auch sozialpolitische Auswirkungen auf Esbjerg hatte, sondern auch die Furcht vor der Invasion stehen im Mittelpunkt dieser Analyse. Jensen nutzt dafür neben der Sekundärliteratur Zeitungsartikel und Akten aus der HSB. Sie beginnt mit einem kurzen Überblick über die militärischen Pläne der Besatzungsmacht. Grund für den Bau des Atlantikwalls war nicht, wie man häufig annimmt, die militärische Stärke der Wehrmacht, sondern gerade ihre Schwäche. Jensen erläutert, dass erst nach den militärischen Niederlagen an der Ostfront und der Eröffnung der zweiten Front durch die westlichen Alliierten der Bunkerbau begann. Diese Anlagen sollten also ermöglichen, auch mit wenigen und schlecht ausgebildeten Soldaten eine Invasion zu verhindern. Sie geht dann zunächst auf die einzelnen Anlagen in Esbjerg ein, erläutert wie diese Bauarbeiten vor Ort organisiert wurden und welche Auswirkungen sie hatten. Ihr Fokus liegt auf den Arbeitern, ihrer Unterbringung, Verpflegung und Bezahlung, sowie den mit diesem Arbeitseinsatz zusammenhängenden Verwaltungsaufgaben und Problemen.

Der Beitrag von Jacob Leth basiert auf seiner unveröffentlichten Diplomarbeit an der Syddansk Universität. Er untersucht das Verwaltungsbüro in Silkeborg zwischen 1943 und 1945, das nach dem Rücktritt der gewählten Sammlungsregierung als mittlere Verwaltungsebene zwischen der Verwaltung in Kopenhagen und den lokalen Verwaltungen fungierte. Die Aufgabe des Büros war unter anderem die Bereitstellung der Arbeitskräfte für den Bunkerbau. Seine Studie ermöglicht damit einen interessanten Einblick in die praktische Zusammenarbeit zwischen der Besatzungsmacht und den dänischen Behörden. Er zeigt anhand der bisher nicht untersuchten Journale vor allem das Wirken des Bürochefs Peder Herschend auf, geht aber auch auf die unterschiedlichen Interessen zwischen dem Reichsbevollmächtigten für Dänemark, Werner Best, sowie dem Wehrmachtsbefehlshaber für Dänemark, General von Hanneken, ein. Bemerkenswert ist, dass anhand dieser Journale nicht nur die chaotischen Zustände der Arbeitsorganisation deutlich werden, sondern auch die bei Jensen unbeantwortete Frage geklärt wird, warum die Arbeitskräfte über Privatunternehmer rekrutiert wurden. Leth bezeichnet die Bereitstellung der Arbeitskräfte für den Bunkerbau als „mehr oder minder freiwillig“ (S. 88), weil sie nur durch die Androhung der Besatzungsmacht Arbeitskräfte zwangsweise zu rekrutieren, erreicht wurde. Dagegen drohte die dänische Regierung damit, jegliche Zusammenarbeit zu unterlassen, sollte es tatsächlich zum Einsatz von dänischen Zwangsarbeitern kommen. Somit dienten die zwischengeschalteten Privatunternehmer dazu, die Illusion der Freiwilligkeit weiter aufrechtzuerhalten.

Der Archiv- und Forschungsleiter der Dansk Centralbibliotek for Sydslesvig, Mogens R. Nissen, erläutert in seinem Artikel den Bau der Verteidigungslinien Gudrun und Kriemhild. Die Baumaßnahmen für diese von Ost nach West quer verlaufenden Sperranlagen auf der jütischen Halbinsel begannen im September 1944 und sollten die Alliierten nach der Invasion daran hindern, weiter nach Süden vorzustoßen. Nissen erklärt welche militärischen und strategischen Überlegungen hinter der Anlage des Baus steckten und wie die dänischen Behörden auf diese neuen Anforderungen reagierten. Anschließend geht er auf die Rekrutierung der Arbeitskräfte und die Arbeitsbedingungen ein. Zuletzt stellt er die Sicht der illegalen Presse auf den Bau dar. Dieser Artikel ist besonders interessant, weil die dänischen Behörden sich weigerten, Arbeiter zu verpflichten und für deren Unterkünfte zu sorgen. Deshalb wurden sowohl deutsche Zivilarbeiter und Wehrmachtssoldaten als auch russische Kriegsgefangene für den Bau eingesetzt. Außerdem bemühte sich General von Hanneken um freiwillige Arbeitskräfte aus der deutschen Minderheit. Nissen geht hier insbesondere den Fragen nach, inwieweit diese Arbeiten freiwillig erfolgten und wie die illegale Presse versuchte, die Arbeiter zu beeinflussen. Er trägt dazu Informationen aus verschiedenen bereits publizierten Artikeln zusammen und ergänzt diese mit eigenen Forschungen zur illegalen Presse.

Der gemeinsame Beitrag der Herausgeberin Lulu Anne Hansen, Leiterin der geschichtlichen Abteilung der Sydvestjyske Museen und dem Archivleiter der Historisk Samling fra Besættelsestiden, Henrik Lundtofte, beschäftigt sich wiederum mit Esbjerg. Ergänzend zu Jensens Beitrag gehen die Autoren auf die Erzählungen über Esbjerg und die Westküste ein. Esbjerg galt als Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten und des schnellen Reichtums, sozusagen als dänische Goldgräberstadt. Da sich dieser ökonomische Aufschwung durch den Bau der Bunker erheblich verstärkte, untersuchen sie, wie diese ökonomisch sehr erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht in der lokalen und regionalen legalen und illegalen Presse, sowie in literarischen Werken dargestellt wurde. Die erzählanalytische Analyse ist mit zahlreichen Quellen bebildert.

Bo Ejstrud, Leiter des Sønderskov Museums, schreibt über den Stützpunkt Henne, eine Bunkeranlage 20 Kilometer nordwestlich von Varde. Ausgangspunkt für die Untersuchung war die archäologische Ausgrabung dieses Stützpunktes 2010. Der Artikel legt den Fokus auf die Frage, warum der Stützpunkt gerade an dieser Stelle gebaut wurde und untersucht ihn im Zusammenhang mit der umgebenden Landschaft. Dazu werden die militärgeographischen Analysen der deutschen Besatzungsmacht nachvollzogen und anhand des geographischen Informationssystems (GIS) und auf Grundlage des NATO Reference Mobility Models die Möglichkeiten einer potentiellen Invasionsarmee berechnet. Mit sehr detaillierten Karten und Tabellen weist er nach, dass der Stützpunkt militärstrategisch gut platziert ist.

Im abschließenden Beitrag untersuchen die Herausgeberin Hansen zusammen mit der Museumsinspektorin des Varde Museums, Mette Bjerrum Jensen, die Rezeption der Bunker von 1945 bis heute. Sie gehen auf die Frage ein, warum die Bunker heute als wertvolles dänisches Kulturerbe gelten, obwohl sie zunächst als Hinterlassenschaften der deutschen Besatzungsmacht unerwünscht waren. Die Diskursanalyse von 1980 bis 2010 belegt, dass eine Neuinterpretation stattfand, die unter anderem darauf beruht, dass Zeitzeugen nicht mehr leben und dadurch neue, pluralistischere Deutungen möglich wurden.

Wer sich für den Atlantikwall in Dänemark interessiert, bekommt mit diesem Sammelwerk eine gute Einführung geliefert, die den neuesten Forschungsstand wiedergibt und neue Forschungsperspektiven eröffnet. Alle Beiträge bieten Quellenverweise in den Fußnoten. Im Anhang befindet sich das Literaturverzeichnis sowie ein Überblick der verwendeten Onlineressourcen und der Archive.

Anmerkung:
1 Das Archiv „Die historische Materialsammlung aus der Besatzungszeit 1940–1945“ ist eine Abteilung des Museums in Esbjerg. Siehe dazu: <http://www.sydvestjyskemuseer.dk/da/besoeg-museerne/arkivet-historisk-samling-fra-besaettelsestiden/> (09.05.2015).

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