E. Kotowski u.a. (Hrsg.): Salondamen und Frauenzimmer

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Titel
Salondamen und Frauenzimmer. Selbstemanzipation deutsch-jüdischer Frauen in zwei Jahrhunderten


Herausgeber
Kotowski, Elke
Reihe
Europäisch-Jüdische Studien Beiträge 5
Erschienen
Anzahl Seiten
161 S., 13 Abb.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Richarz, Berlin

Der vorliegende schmale Band enthält Aufsätze von zehn Autorinnen aus dem Umkreis des Moses Mendelssohn Zentrums (Potsdam) und des Zentrums für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg zu Themen der jüdischen Frauengeschichte primär in Berlin. Er umspannt einen Zeitraum von 200 Jahren von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis in die Zeit nach dem Ende der NS-Herrschaft. Es handelt sich um Vorträge, die 2010 auf einer Konferenz zum Thema „Jüdische Frauen in Brandenburg-Preußen und ihre Selbstemanzipation in Religion, Kultur und Gesellschaft“ gehalten wurden. Der Klappentext des Buches spricht von „Porträts jüdischer Frauen“ auf dem Weg zur Selbstemanzipation, was etwas irreführend Kurzbiographien unter einer gemeinsamen Perspektive erwarten lässt. Es handelt sich jedoch nicht um biographische Darstellungen im engeren Sinne, sondern eher um einen kulturgeschichtlichen Zugang zu einzelnen Aspekten im Leben dieser Frauen.

Das Spektrum reicht von der Analyse von Kochbüchern mit immer weniger koscheren Rezepten (A. Falk) und der Darstellung der zunehmend weniger jüdischen Kleidung von drei Frauengenerationen der Familie Mendelssohn (E. von Nieding) über die ersten sich mühsam durchsetzenden jüdischen Kunstsammlerinnen (A.-C. Augustin u. A.-D. Ludewig) bis hin zu den Neuen Frauen der Weimarer Republik, die sich wie die Künstlerinnen Valeska Gert, Gabriele Tergit oder Lotte Laserstein primär über ihr Werk definierten (E.-V. Kotowski). Dazwischen befindet sich unter anderem eine kritische Bestandsaufnahme der Literatur zu den preußischen Salonièren (H. L. Lund), die vielleicht den interessantesten Beitrag in diesem Sammelband bildet. Etwas aus der Reihe fällt der Aufsatz zu Lotte Cohen, der 1921 aus Berlin ausgewanderten Zionistin und bedeutenden Architektin Israels. Den Abschluss bilden ein Beitrag über das dichterische Selbstverständnis von Nelly Sachs, Gertrud Kolmar und Edith Anderson (H. Thein) sowie ein Essay zur Wiederentdeckung der 1942 in Riga ermordeten Pianistin Ellen Epstein (S. Brankowicz).

Die meisten der Darstellungen widmen sich dem Werk von Frauen aus dem deutsch-jüdischen Bürgertum, die nicht unbekannt sind oder zumindest von den Verfasserinnen der Beiträge selbst schon intensiv erforscht wurden. Bezug auf eigene frühere Forschungen nehmen vor allem H. L. Lund, die über Berliner Salons promovierte, und A.-C. Augustin, die eine Dissertation über die bisher generell unentdeckten Kunstsammlerinnen unter Berücksichtigung der Gendergeschichte schrieb, während I. Sonder bereits eine Biographie zur bisher wenig gewürdigten Architektin Lotte Cohn vorgelegt hat.1 Diesen Autorinnen gelingt es deshalb eher, einen kenntnisreichen und reflektierten Beitrag zu leisten als einigen anderen der qualitativ sehr unterschiedlichen Texte des Sammelbandes. Den meisten Aufsätzen fehlt eine theoretische Konzeption oder der Bezug auf eine gemeinsame Perspektive.

Das Konzept der „Selbstemanzipation“, das in dem erfrischend kritischen Beitrag über die Salons von H. L. Lund durchaus eine Rolle spielt, wird im zweiten Teil der Sammlung nicht mehr erwähnt und wird dann offensichtlich eher mit der künstlerischen Leistung emanzipierter Frauen gleichgesetzt. Auch die kurze Einleitung reflektiert dieses in der Forschung wenig benutzte und sehr allgemeine Konzept kaum. Zu Recht merkt die Herausgeberin hier an, dass es sich um einen modernen Begriff aus der zionistischen Bewegung vom Ende des 19. Jahrhunderts handelt. Genauer gesagt, war es Leo Pinsker, der 1882 eine Schrift betitelt „Autoemancipation!“ veröffentlichte, die die zionistische Selbstemanzipation der Juden postulierte.2 Wie weit dieser Begriff aber im historischen Kontext der jüdischen Frauengeschichte tragen kann, bleibt offen. Frauen als politische Vorkämpferinnen für Frauenrechte kommen in diesem Band nicht vor. Die Journalistin Ottilie Assing, die 1852 in die USA auswanderte und gegen die Sklaverei kämpfte, machte sich im Gegenteil in ihren Briefen sogar über die amerikanischen Frauenrechtlerinnen lustig (Jutta Dick). Der jüdische Frauenverein Potsdam andererseits wird als rein der Sozialarbeit verpflichtet dargestellt (J. Toussaint). Was in diesem Sammelband also im Zentrum der kulturgeschichtlichen Untersuchungen steht, ist eine Selbstemanzipation durch Bildung und künstlerische Kreativität. Diese wird allerdings bis auf wenige Ausnahmen kaum genauer analysiert, sondern stillschweigend angenommen.

Die interessanteste Ausnahme bildet hier der bereits erwähnte Beitrag von H. L. Lund, verfasst auf der Basis einer umfassenden Kenntnis der Sozial- und Kulturgeschichte der europäischen Salons. Die Autorin diskutiert einerseits kritisch die oft Mythen bildende Historiographie über die Salons, die schwankt zwischen dem Lobpreis der sich emanzipierenden Jüdinnen und der Verurteilung ihres häufigen Abfalls vom Judentum. Vor allem aber betrachtet Lund den Salon als Schnittstelle zweier zentraler Diskurse der Zeit – zur Judenemanzipation und zur Frauenemanzipation.

Im Vorwort des Bandes wird behauptet, dass die jüdischen Frauen Ende des 18. Jahrhunderts säkulare Bildung forderten. „Wie ihre Brüder wollten sie teilhaben an der Kultur der Umgebungsgesellschaft“ (S.V). In Wirklichkeit jedoch besaßen jüdische Frauen gegenüber den jüdischen Männern zumindest seit dem 17. Jahrhundert einen bedeutenden Vorsprung an säkularer Bildung, denn ihnen war im Gegensatz zu den Talmudstudenten die Beschäftigung mit säkularer Kultur erlaubt. Sie lasen Volksbücher in jiddischer Sprache, später deutschsprachige Romane, lernten Französisch und spielten Klavier. Die religiöse Gelehrsamkeit bildete dagegen das Monopol und die Pflicht des Mannes und war das eigentliche Kriterium männlicher Identität im traditionellen Judentum. Dieses Männlichkeitsideal schwand sehr schnell dahin seit der Zeit der jüdischen Aufklärung und Moses Mendelssohns, der religiöse und säkulare Bildung vorbildlich verbunden hatte. Und damit nahm auch die Kenntnis des Judentums im wachsenden jüdischen Bürgertum im Laufe des 19. Jahrhunderts immer weiter ab. Dies Bürgertum übernahm die bürgerlichen Geschlechterrollen, die die jüdischen Frauen dann tatsächlich auch im Bereich der Bildung stark diskriminierten. Dagegen wehrten diese sich langfristig erfolgreich. Jüdische Frauen waren nicht zufällig unter den ersten, die Anfang des 20. Jahrhunderts in relativ großer Zahl ein Universitätsstudium absolvierten und selbständige Berufe ergriffen. Dies spiegeln auch deutlich die Lebensläufe der behandelten Frauen, wie etwa im Falle Lotte Cohns, eine der ersten Architekturstudentinnen in Deutschland.

Es ist auffällig, dass im vorliegenden Band über jüdische Frauen und ihre Kultur ihr Judentum so gut wie kaum eine Rolle spielt. Das ist vermutlich weniger einem Mangel an Forschung oder der Forschungsperspektive geschuldet, als ein Hinweis auf den genannten Verlust an jüdischer Bildung. Mehrfach wird in den Beiträgen ein weitgehendes oder endgültiges Schwinden alles Jüdischen markiert. Valeska Gert musste gegen ihren Willen Hebräisch lernen, weil die Großeltern noch fromm waren, und auch Gabriele Tergit erfuhr etwas über die jüdischen Feiertage und über biblische Texte nur bei den orthodoxen Großeltern. Ottilie Assing bekannte, sie habe durch ihre Erziehung und den Einfluss deutscher Bildung und Literatur schon früh den Gottesglauben überwunden. Eine stärkere Aufmerksamkeit für diesen Prozess der Säkularisierung hätte sich durchaus gelohnt – ist er doch eng verbunden mit der Verbürgerlichung der deutschen Juden, die hier kaum erwähnt wird, obgleich das jüdische Bürgertum das Milieu war, aus dem fast alle diese Frauen kamen. Die Verbindung von nachlassender Befolgung der Religionsgesetze und erstrebter Verbürgerlichung zeigt allein A. Falk in ihrem interessanten Beitrag zu jüdischen Kochbüchern sehr genau. Ein jüdisches Kochbuch von 1890, das kaum koschere Gerichte und gleichzeitig trefe Menüs für gesellschaftliche Anlässe mit Anweisungen zu Tischmanieren enthielt, entsprach exakt den Bedürfnissen des jüdischen Bürgertums.

Insgesamt gesehen vereint dieser Band alle Vor- und Nachteile eines Tagungsbandes. Etwas zufällig zustande gekommen durch das jeweils vorhandene Angebot, regt er an durch eine Vielfalt von Themen, doch ist das übergreifende Konzept nicht immer klar wiedererkennbar. Die innovativsten Beiträge beruhen in diesem Falle auf vorangegangenen ausführlichen Werken der Autorinnen, in die ihre Essays eine lohnende Einführung geben.

Anmerkungen:
1 Hanna Lotte Lund, Der Berliner „jüdische Salon“ um 1800. Emanzipation in der Debatte, Berlin 2012; Anna-Carolin Augustin, Berliner Kunstmatronage. Sammlerinnen und Förderinnen Bildender Kunst um 1900 (erscheint voraussichtlich im Juni 2018 im Wallstein Verlag); Ines Sonder, Lotte Cohn – Baumeisterin des Landes Israel. Eine Biographie, Berlin 2010.
2 Die Schrift erschien anonym unter dem Titel: Autoemancipation! Mahnruf an seine Stammesgenossen von einem russischen Juden, Berlin 1882.

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