H. Siegrist u.a. (Hrsg.): Property in East Central Europe

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Titel
Property in East Central Europe. Notions, Institutions and Practices of Landownership in the Twentieth Century


Herausgeber
Siegrist, Hannes; Müller, Dietmar
Erschienen
New York 2015: Berghahn Books
Anzahl Seiten
IX, 331 S.
Preis
€ 110,26
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bianca Hoenig, Departement Geschichte, Universität Basel

Die landwirtschaftliche Prägung der Gesellschaften im östlichen Europa ist ein klassisches Thema der Geschichtswissenschaften, das aber derzeit nicht besonders intensiv bearbeitet wird. Der vorliegende Sammelband ist den Rechtsordnungen in Bezug auf landwirtschaftliches Grundeigentum im 20. Jahrhundert gewidmet, die er an konkreten Fällen und in einer vergleichenden Perspektive für Ostmittel- und Südosteuropa erforscht. Dem Band kommt damit das Verdienst zu, diesen Aspekt, der angesichts der ausgeprägt ländlichen Struktur der osteuropäischen Gesellschaften zentrale Bedeutung besitzt, erneut auf die Agenda zu setzen. Hinterfragt werden soll das Narrativ vom rückständigen Osteuropa, das vom Fortschrittspfad abgewichen, inzwischen aber auf den modernen westeuropäischen Weg zurückgekehrt sei (S. 3–6). Tatsächlich zeigen die Beiträge wichtige Kontinuitäten über politische Zäsuren hinweg auf und befassen sich ausführlich mit den Aneignungsstrategien rechtlicher Vorgaben durch die Landbevölkerung. Es werden aber auch die Leerstellen des verwendeten Eigentumskonzepts deutlich sichtbar.

Mit seiner Themenstellung knüpft der Band an frühere Arbeiten der beiden Herausgeber an, die sich Eigentum und „Propertisierung“ in modernen Gesellschaften in einem weiteren Spektrum widmen. Die Fokussierung auf landwirtschaftliches Grundeigentum steht im Zusammenhang mit einem an der Universität Leipzig angesiedelten Forschungsprojekt. Im Mittelpunkt des Bandes steht die Frage nach spezifischen Eigentumskonzepten und -praktiken in Ostmittel- und Südosteuropa (S. 2). Diese Frage leiten die Herausgeber von den vielfachen Herrschaftsumbrüchen und territorialen Neuformierungen ab, die sich im 20. Jahrhundert im östlichen Europa abspielten und die stets mit einem Wandel der ländlichen Eigentumsordnung einhergingen. Die Texte des Bandes beschäftigen sich mit Polen, Rumänien und dem (ehemaligen) Jugoslawien. Mit dem vergleichenden Blick auf diese drei Fälle machen die versammelten Texte vor allem die Parallelen und Übereinstimmungen in den großen Entwicklungslinien transparent, es treten aber im Detail auch signifikante Unterschiede hervor.

Eigentum wird hier vor allem als rechtliche Institution gedacht. Das hat den Vorteil, dass diachron und synchron gut vergleichbare Themen gesetzt sind, etwa Verfassungsbestimmungen, Grundbuchordnung oder Vererbungsstrategien. Die Herausgeber wählen ein sozialwissenschaftliches Instrumentarium, indem sie drei Idealtypen von Rechtskultur unterscheiden, den liberal-individualistischen, den ethno-nationalen und den sozialistischen. Als Ausgangspunkt dient ihnen der liberale Eigentumsbegriff, der Eigentum als umfassende Zugriffs- und Nutzungsrechte einer Person auf eine Sache definiert und den Schutz des Privateigentums postuliert. Die beiden anderen vorgestellten Eigentumstypen stehen für die Einschränkung des Privateigentums zugunsten des kollektiven Anspruchs eines ethnisch homogen oder aber marxistisch-klassenkämpferisch verstandenen „Volkes“ (S. 8–10). Mehrere Tabellen zeigen den Zusammenhang zwischen den vielfachen Systemwechseln im 20. Jahrhundert, dem jeweils dominierenden Eigentumsbegriff und dessen Auswirkung auf die landwirtschaftlichen Strukturen.

Produktiv ist die interdisziplinäre Zusammensetzung des Bandes, der neben historisch ausgerichteten Texten auch juristische und anthropologische Perspektiven berücksichtigt. Dem entsprechen die in der Einleitung angesprochenen Untersuchungsfelder Rechtsnormen, -wirklichkeit und -kulturen. Die ersten beiden Studien von Jacek Kochanowicz und Bogdan Murgescu betrachten landwirtschaftliches Eigentum in Polen bzw. Rumänien im Lauf des 20. Jahrhunderts aus einer wirtschaftshistorischen Perspektive. Sie beschreiben die Versuche verschiedener Regierungen, die kleinräumig organisierte und wenig produktive Landwirtschaft zu reformieren, und weisen auf die häufig schädlichen Auswirkungen dieser Visionen auf die Menschen und den Ertrag hin.

Die nächste Sektion versammelt fünf Studien unterschiedlichen Zuschnitts über „Eigentum zwischen Recht und Politik“. Herbert Küpper bietet eine vergleichende Rechtsgeschichte des Eigentumsbegriffs in Ostmittel- und Südosteuropa, die sich gut als Einstieg in die Thematik des Bandes eignet. Darin weist er auf grundlegende Definitionen des Eigentumsrechts hin und erläutert Besonderheiten in der Rechtsetzung der untersuchten Länder. Zwei vergleichende Aufsätze zur Militärkolonisation in Polen nach den beiden Weltkriegen (Christhardt Henschel) und zur politischen Steuerung von landwirtschaftlichem Eigentum in den drei untersuchten Ländern von 1918 bis 1948 (Dietmar Müller) arbeiten wichtige Kontinuitäten über die Zäsuren der Jahrhundertmitte heraus. So argumentiert Müller gegen das Narrativ der liberalen Zwischenkriegszeit und des krassen Bruchs im Eigentumsbegriff nach 1945 für die grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen den Bodenreformen der 1920er- und der 1940er-Jahre. Ähnlich weist Henschel auf zahlreiche strukturelle Gemeinsamkeiten in dem staatlichen Projekt hin, ehemalige Soldaten nach den Weltkriegen als Kolonisten in staatlich prekären Gebieten einzusetzen.

Schließlich widmen sich fünf Beiträge dem Umgang der Landbevölkerung mit rechtlichen Vorgaben und politischen Eingriffen in die Eigentumsordnung. Sie sind anthropologisch ausgerichtet und fokussieren auf einzelne Dörfer oder Regionen. Der Schwerpunkt dieses Abschnitts liegt auf den postsozialistischen Wandlungen durch die Einführung der Marktwirtschaft und Restitutionen. Wie in den vorangehenden Abschnitten bieten diejenigen Texte die interessantesten Erkenntnisse, deren Ergebnisse sich nicht an den herkömmlichen Zäsuren und Narrativen orientieren. Srđan Milošević betont, dass strukturelle Probleme der serbischen Gesellschaft wie etwa geringes Vertrauen in Institutionen und patriarchalische Strukturen zahlreiche Systemwechsel überdauert und auch im Postsozialismus Bestand hätten. Solche Perspektiven und die auch von anderen Autor/innen angesprochenen individuellen Aneignungsstrategien und Bewertungen durch die betroffene Landbevölkerung machen deutlich, wie vielfältig „Eigentum“ an landwirtschaftlichen Flächen in Vorstellungen und Praktiken erscheint.

Dieser historischen Vielfalt wird der interpretatorische Rahmen leider nur bedingt gerecht. Das zeigt sich meines Erachtens unter zwei Gesichtspunkten, die ich abschließend darlegen möchte. Die thematische Ausrichtung des Bandes ist auf die rechtliche Regulierung von Eigentum festgelegt. Im Vordergrund steht damit das Haben oder Nichthaben von Ackerland, wohinter beispielsweise Verpachtung oder Fragen der Nutzung zurücktreten. Ebenso geraten nicht kodifizierte oder lokal diverse Arrangements wie Nießbrauchrechte oder Allmendebewirtschaftung in den toten Winkel. Zudem ist meistens Land gleich Land. Nur punktuell spielt die unterschiedliche Bodenqualität eine Rolle, wohingegen die naturräumlichen Bedingungen, Landschaftsimagination und unterschiedliche Anbautraditionen fast gänzlich unberücksichtigt bleiben. Eine Ausnahme davon bildet Jacek Nowaks Beitrag, der über den ideellen Eigentumsanspruch der Lemken auf ihr früheres Siedlungsgebiet in den Karpaten schreibt. Indem die Wechselbeziehung von Mensch und Boden ansonsten weitgehend ausgeklammert bleibt, gehen spannende Facetten verloren: Ist der Eigentumstitel oder die Bewirtschaftung (oder beides) identitätsstiftend für die Bauern? Wie wird die landwirtschaftliche Nutzung gegenüber konkurrierenden Nutzungskonzepten (z.B. Viehwirtschaft, Infrastrukturbau, Naturschutz) verhandelt? Greift die staatliche Regulierung des Eigentums überall gleich, in der fruchtbaren Ebene ebenso wie in extensiv bewirtschafteten Bergregionen? Was passiert, wenn mit fortschreitender Urbanisierung Ackerland in Bauland umgezont wird? Solche Fragen hätten möglicherweise auf Umbrüche im Herrschaftsgefüge hingedeutet, die sich abseits der großen Systemwechsel abspielten.

Die angesprochenen Punkte können vielleicht Ansatzpunkte für zukünftige Studien zum ländlichen Eigentum bilden. Ein Sammelband kann ja niemals alle Perspektivierungen berücksichtigen. Irritierend bleibt allerdings die häufige Rede von der „Modernisierung“ eines vom „westeuropäischen Modell“ des liberal-individualistischen Eigentumsbegriffs abweichenden Osteuropa. In der Tat zeichnen zahlreiche Beiträge mehr oder weniger explizit den Weg ruraler, traditional organisierter Gesellschaften hin zu einer (mehr oder weniger gelungenen) Modernisierung, die sie nicht als Quellen-, sondern als analytischen Begriff verwenden. Bei Kochanowicz und Kurt Scharr steht sie schon im Titel, Cornel Micu geht es um die Gründe für das Fehlschlagen der „Modernisierung“ des „vormodernen“ rumänischen Dorfes von oben (S. 223f.), Murgescu erblickt die Gründe für die geringe Produktivität der rumänischen Landwirtschaft in den im ganzen 20. Jahrhundert zu schwachen Marktkräften und der Abwesenheit „moderner Eigentumsrechte“ (S. 58), Küpper bescheinigt Ostmitteleuropa die Rückkehr zur westeuropäischen Rechtstradition nach 1989 (S. 92f.).

Dieser Bezug auf eine nicht näher spezifizierte „Modernisierung“ birgt die Gefahr, einen Idealtypus zu setzen, demzufolge alternative Eigentumskonzepte als Abweichungen vom „normalen“ Zustand konstruiert werden. Eine solche Bevorzugung des liberalen Eigentumsbegriffs kann letztlich dasjenige Narrativ stabilisieren, das die Herausgeber zurecht auf den Prüfstand stellen. Es steht außer Frage, dass ethno-nationale und marxistische Eigentumsmodelle bestimmten ideologischen Zielen dienten, die gegen die Gleichberechtigung aller Staatsbürger/innen gerichtet waren. Darüber sollte aber nicht verloren gehen, dass auch der liberale Eigentumsbegriff einer kollektiven Vorstellung entspringt und Ausdruck einer bestimmten Ideologie ist.

Gerade derzeit, da der Neoliberalismus ohne erkennbares Gegenmodell bleibt, ist es eine lohnende Aufgabe für die Geschichtswissenschaft, Eigentumskonzepte nicht als gegeben hinzunehmen, sondern in ihrer historischen Vielfalt zu beschreiben. Hier ruft der Band Widerspruch hervor, aber er zeigt auch, wie vielfältig ländliche Eigentumsordnungen waren, wie sehr mit ihnen Politik gemacht wurde und wie kreativ die betroffene Landbevölkerung mit den häufig wechselnden rechtlichen Vorgaben umging. Er bietet damit vielfältige Anregungen, an denen sich kommende Arbeiten zum wichtigen Bereich des landwirtschaftlichen Grundeigentums abarbeiten können.