T. Hertfelder u.a. (Hrsg.): Erinnern an Demokratie in Deutschland

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Titel
Erinnern an Demokratie in Deutschland. Demokratiegeschichte in Museen und Erinnerungsstätten der Bundesrepublik


Herausgeber
Hertfelder, Thomas; Lappenküper, Ulrich; Lillteicher, Jürgen
Erschienen
Göttingen 2016: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Magnus Koch, Hamburg

Der Erscheinungszeitpunkt des Bandes könnte angesichts der Krise der liberalen Demokratie kaum besser gewählt sein. Denn eine Auseinandersetzung darüber, welchen Beitrag die Erinnerung an die Demokratie gerade angesichts ihrer Vorgeschichte(n) in Deutschland für die politische Kultur im Land leisten können, scheint notwendiger denn je. Die Herausgeber sind selbst mit drei der im Band vorgestellten Ausstellungshäusern verbunden; in der Einleitung stellen sie fest, dass die (positive) Erinnerung an demokratische Bewegungen und damit verbundenen Persönlichkeiten in Deutschland noch immer marginalisiert und gerade die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den ebenso beliebten wie einflussreichen Ausstellungen als dürftig zu bezeichnen ist. Der Band will hier eine Lücke schließen bietet einen systematischen Vergleich von Geschichtsmuseen, die sich intensiv mit der Demokratie in Deutschland beschäftigen. Konstitutiv für die Schauen sei dabei ein antitotalitärer Konsens, auf dessen Grundlage die historischen Wege nach 1945 bzw. 1989 als Erfolgsgeschichten präsentiert werden. Der Band versucht zu zeigen, wie Geschichte in den Ausstellungen erzählt wird, wie der didaktisch narrative Zugriff beschreibbar ist, wer die Ausstellungsmacher sind und wie die Öffentlichkeit darauf reagiert. Schließlich geht es immer wieder um die Frage des Spannungsverhältnisses von Ereignis und AkteurInnen und mithin auch um den Platz biografischer Darstellungen in den Ausstellungen.

Im ersten Abschnitt geht es um die Wege in die Demokratie aus Diktatur und Obrigkeitsstaat. Andrea Mork verlässt den ansonsten vorwiegend nationalen Rahmen des Bandes, indem sie das Konzept des Museums für europäische Geschichte vorstellt. Leitkonzept ist hier nicht der Begriff einer „europäischen Identität“, sondern die Schaffung eines europäischen Bewusstseins durch die Betonung der Unterschiedlichkeit von Traditionen und Geschichte(n). Dabei wird die Darstellung die gewaltsamen historischen Wurzeln der heutigen politischen Ordnung ebenso betonen wie die „Probleme und Chancen der Gegenwart“.

In seinem Vergleich der großen Nationalmuseen Haus der Geschichte (HdG) und Deutsches Historisches Museum (DHM) sieht Frank Bösch trotz großer Unterschiede auch erstaunlich viele Gemeinsamkeiten. So stünden die Häuser für einen anhaltenden Geschichtsboom und den Wunsch nach nationaler Selbstvergewisserung. Gleichzeitig sei die Zivilgesellschaft insgesamt relativ wenig präsent – wenn, dann meist im Kontext von Konsum (hier vor allem der Gegensatz DDR-BRD) oder Protest (Neue Soziale Bewegungen [West], Mauerfall [Ost]). Eine vorab befürchtete homogenisierende nationale Sinnstiftung durch die Ausstellungen der beiden Museen sei jedoch ausgeblieben; insgesamt repräsentierten sie – auf anti-diktatorischer Grundlage – zeitgemäße Narrationen von Pluralismus und Multiperspektivität einer modernen Gesellschaft.

Irmgard Zündorf leitet ihre Analyse der Ausstellungen der Politkergedenkstiftungen mit der Frage ein, ob es überhaupt Sinn mache, die historischen Persönlichkeiten „im Interesse demokratischer Sinnstiftung zu monumentalisieren“, und sie kommt zu dem Ergebnis, dass eben dies dort nicht geschehe: Adenauer, Bismarck, Brandt, Ebert und Heuss würden insgesamt durchaus kritisch gewürdigt, ihre Politik in zeitgeschichtliche Kontexte eingeordnet und zur Diskussion gestellt. Allein darin sieht sie, bei allen Unterschieden (und auch Kritik) im Detail, den demokratischen Mehrwert. Mit anderen Autoren des Bandes teilt sie jedoch die Einschätzung, dass es in den Häusern jeweils einen deutlichen Überhang an (partei-)politischer Geschichte gebe, der cultural turn hier also nur bedingt angekommen sei.

In diesem Sinne urteilt auch Thomas Lindenberger, der in seiner der Deutung der historischen Basisbewegungen in Deutschland ausgangs der 1970er-Jahre eine auch museale Präsentation von Demokratiegeschichte in der Erweiterung fordert: weg von der „alten Bundesrepublik“ mit der Fixierung auf das Parlament als Ort politischer Willensbildung hin zu einem offeneren Gesellschafts- und Politikbegriff im Sinne einer „Fundamentalliberalisierung“. Dem von ihm skizzierten Anspruch kann jedoch kaum eines der hier vorgestellten Museen gerecht werden.

Dass die Geschichte der Demokratie im Prinzip deckungsgleich mit der Etablierung demokratischer Strukturen sei, hebt Paul Nolte in seinem Beitrag hervor. Ebenso wie Thomas Hertfelder (und mit ihm die Herausgeber insgesamt) schlägt er den Begriff der Demokratiegeschichte als „Meistererzählung“ vor (so auch der Titel des zweiten Buchabschnitts), verstanden als „Befreiung und Heilung, als Wiedergutmachung und Lernprozess“. In einer Bilanz fordert Nolte jedoch eine Erweiterung von einer deutschen auf eine europäische Perspektive, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der demokratischen Umwälzungen in Osteuropa seit den 1980er-Jahren.

Vor der Hintergrund einer demokratischen „Meistererzählung“ vergleicht Thomas Hertfelder ebenfalls DHM und HdG. Ersteres verlange den Besuchenden bei ihrem Versuch von „Evidenzerzeugung“ sehr viel ab, da es weitgehend mit der Suggestionskraft der Objekte arbeite, ohne Leitfragen und mit wenig erläuternden Texten. Dies ermögliche (dem kundigen Betrachter) jedoch auch multiperspektivische Offenheit und eigene Assoziationsmöglichkeiten. Den Vorwurf der Abbildung von Elitenkultur im DHM könne man dem HdG weniger machen, auch weil es eher auf Inszenierungen setze. Die Grenzen einer hier (im Gegensatz zum DHM) verwirklichten Meistererzählung mache jedoch zum Beispiel die in der Ausstellung gezeichnete gerade Linie zwischen der 1848er-Revolution und 1989 klar, die die Brüche und Diskontinuitäten ausblende.

Die Schwierigkeiten der Erinnerung an demokratische Umbrüche behandelt Andreas Biefang in seinem Beitrag über die Demokratiemuseen in der Frankfurter Paulskirche und das Herrenchiemseer Museum über den Verfassungskonvent von 1949. In der Paulskirche verschwinde das Volk als Souverän praktisch hinter der Aura des nach 1945 umgestalteten Gebäudes selbst. In beiden Ausstellungen werde ein eher den staatlichen Institutionen verhafteter Demokratiebegriff zelebriert, Spannung und Konflikt auch zwischen Parlamentariern und denen, die sie repräsentieren sollen, kämen kaum vor.

Die Frage der Präsenz der „Vielen“ in den verschiedenen Ausstellungen fokussiert der dritte Abschnitt. Michele Barricelli ist der von ihm untersuchten Politikergedenkstiftung dankbar für die Entbindung von jeglicher „obszönen Formelhaftigkeit des Leitbildes“, das häufig mit der Vorstellung der Lebenswerke „großer Männer“ verbunden sei. Auch hier funktioniere trotz der nicht immer lupenreinen Demokraten (Bismarck) das Museum als eine moderne Vermittlungsagentur, auch wenn der Biografie-Begriff sehr stark einer westlichen Tradition verhaftet sei. Auch weist Barricelli durchaus feinsinnig auf die Fixierung der Bundesstiftungen auf „(ziemlich) alte weiße Männer“ in den Ausstellungen hin.

Mit drei Demokratiegedenkorten des 19. Jahrhunderts setzt sich Bernd Braun auseinander, der die Präsenz von Biografien erfreulicherweise auch anhand der zur Verfügung stehenden Quellen diskutiert; hier seien die Möglichkeiten begrenzter. Die Orte selbst waren schon vor ihrer „Entdeckung“ durch die staatliche Gedenkpolitik (seit den 1960er-Jahren) Orte der volkstümlichen Erinnerungskultur. Trotz der Randlage und geringer Ausstattung der Häuser sei erfreulich, dass hier keine Heroisierungen oder Deutschtümelei betrieben würden.

Harald Schmid beklagt in seinem Beitrag über die Erinnerung an Demokraten in Deutschland die vertane Chance, sich für die Wahl eines Nationalfeiertages nicht auf die (bürgerlich-)revolutionären Traditionen besonnen zu haben. Hier hätte sich der 18. März angeboten; der 3. Oktober stehe demgegenüber für einen staatspolitischen Akt, was wiederum die Fixierung auf die (demokratischen) Institutionen betone. Schmid beschäftigt sich unter anderem mit dem Museum für Matthias Erzberger als ebenfalls im doppelten Sinn peripherem Ort der Erinnerung an einen Demokraten. In Deutschland vermute man demokratische Lernpotenziale nach wie vor in Ausstellungen zu NS- oder allgemein diktaturgeschichtlichen Themen. Diese Institutionen seien allerdings meist auf Initiative „von unten“ entstanden, ganz im Gegensatz zu den in diesem Band besprochenen Institutionen.

Jürgen Lillteicher schließlich beschäftigt sich mit der Präsenz von Zeitzeugen in den großen Ausstellungshäusern des Bundes. Insbesondere in der musealen Aufbereitung des Nationalsozialismus sei dieses Feld auch methodisch intensiv erforscht, jenseits davon könne davon jedoch kaum die Rede sein. Im Deutschen Historischen Museum (DHM) fungierten Zeitzeugen im Bereich nach 1945 meist als Statisten und Stichwortgeber, die die Gesamterzählung illustrierten, aber eben kaum kritisch reflektierten. Ähnlich, wenn auch (zum Beispiel hinsichtlich der gebotenen Themenvielfalt) etwas positiver, fällt Lillteichers Analyse für das Haus der Geschichte in Bonn oder dessen Zweigstelle, dem Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig aus. Er fordert die Einhaltung quellenkritischer Standards in den Interviews, die letztlich auch die Rolle des Zeitzeugen (und Staatsbürgers) aufwerteten.

Wie also stellt man die (parlamentarische) Demokratie aus? Der Band gibt darauf originelle und vielfältige Antworten und spart nicht an konstruktiver Kritik. Immer wieder zeigt sich allerdings die Schwierigkeit, etwa trocken anmutende Schlüsseldokumente wie Verfassungstexte und andere papierne Objekte (Flachware) auszustellen. Auch der Befund, die Geschichte von Aufstieg und zunehmendem Wohlstand auszustellen, biete dramaturgisch weniger Stoff als Geschichten von Verfolgung, Tod und Widerstand, taucht immer wieder auf. Je mehr die aktuellen Krisen die Zeitgenossen beschäftigen, desto weniger bedeutsam wird in den Ausstellungen wohl der Bezug auf die vorgängigen Diktaturen werden, dieser Trend lässt sich schon jetzt absehen. Ebenso offen wie spannend bleibt die Frage, wie viele Gründungsmythen die Demokratie braucht, wie also das Verhältnis zwischen moderner wissenschaftlicher Analyse als Grundlage der Darstellungen und dem (mutmaßlichen) Bedürfnis nach Identifikation künftig beantwortet wird. Die Skepsis gegenüber allen Formen affirmativer Gedenkpraktiken, eine von Martin Sabrow am Ende des Bandes festgestellte „Artikulationsscheu“ ist angesichts der deutschen Geschichte nachvollziehbar, könnte aber, so lässt sich aus einigen Beiträgen herauslesen, angesichts der aktuellen Herausforderungen problematisch werden. Allein die Tatsache, dass die Demokratie ein offener Prozess ist, dessen positive Fortsetzung täglich neu erstritten werden muss, macht für Sabrow deutlich, dass es in den Ausstellungen nicht um die Monumentalisierung eines Erfolgsmodells gehen könne. Dies biete schließlich auch das dramaturgische Potenzial, das er auf die Formel der „kritischen Identifikation“ bringt. Polyperspektivität und die Möglichkeit der eigenständigen Meinungsbildung für die Ausstellungsbesucher bleiben dabei die Mindeststandards demokratiegeschichtlicher Ausstellungen.

Als einzige Kritik bleibt abschließend anzumerken, dass in den Beiträgen die Ausstellungsmacher selbst als Autorinnen und Autoren kaum vorkommen. Ihre Texte scheinen in den Präsentationen so etwas wie objektive Wahrheiten zu verkünden. Die kritische Beschäftigung damit, übrigens auch mit der machtvollen Rolle, die die Museen in den Geschichtsdiskursen spielen, klingt in der Einleitung kurz an, wird jedoch im Band nicht systematisch verfolgt. Mehr Transparenz – als ein zentrales demokratisches Prinzip – wäre hier konsequent und würde die Perspektive erweitern.

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