B. van Bavel: The Invisible Hand?

Cover
Titel
The Invisible Hand?. How Market Economies have Emerged and Declined since AD 500


Autor(en)
van Bavel, Bas
Erschienen
Anzahl Seiten
330 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christof Jeggle, Institut für Rechtsgeschichte, Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Die Geschichte von Marktwirtschaften wird häufig mit einem Fokus auf neuzeitliche Märkte als lineare Erfolgsgeschichte dargestellt. Dieser Sichtweise möchte Bas van Bavel, Wirtschafts- und Sozialhistoriker des vorindustriellen Nordwest-Europas, einen Entwurf entgegensetzen, dem die zyklische Entwicklung von Marktwirtschaften und die Bedeutung von Faktormärkten für Boden, Arbeit und Kapital zugrunde liegen. Gesellschaften, in denen der Transfer wirtschaftlicher Güter vorwiegend über Märkte abgewickelt wird, gab es dem Autor zufolge bereits seit der Antike. Nach einer Einführung in die Thematik, den Forschungsstand und die Ziele des Buches in der Einleitung wählt er für den Hauptteil drei Fallstudien aus: für frühmittelalterliche Imperien den Irak (500–1100), für das Mittelalter die Stadtrepubliken in Nord- und Mittelitalien (1000–1500) und für spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Territorien die Niederlande (1100–1800). Es folgt ein „Epilog“ der die Märkte in „modernen Staaten“ anhand der Beispiele England, Vereinigte Staaten und Westeuropa für den Zeitraum von 1500 bis 2000 skizziert. Abschließend werden die verschiedenen Aspekte der historischen Entwicklung von Märkten systematisch zusammengefasst.

Ausgehend von der These, dass die Art und Weise, wie Tausch und Allokation ökonomischer Güter erfolgen, für das Wachstum der Wirtschaft und den Wohlstand der Gesellschaft entscheidend seien, diskutiert van Bavel aktuelle Strömungen der Forschung zur historischen Entwicklung von Märkten. Dabei unterscheidet er Märkte von anderen Formen des Tausches. Während Waren sehr häufig über Märkte getauscht würden, sei dies bei Land, Arbeitskraft und Kapital nur in vergleichsweise wenigen Gesellschaften der Fall. Marktgesellschaften, in denen diese Faktormärkte dominieren, bilden den Gegenstand der Untersuchung. Van Bavel konzediert zwar, dass diese Faktormärkte phasenweise Dynamik und Flexibilität förderten, sie trugen dabei jedoch nicht, wie in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur häufig angenommen wird, notwendigerweise zum Wachstum bei. Vielmehr postuliert er, dass sie ab einem gewissen Punkt zum Niedergang führten. Damit setzt er sich von linearen Entwicklungsmodellen ab und propagiert ein zyklisches Modell der Entwicklung von Marktgesellschaften, das sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt. Der Zyklus beginnt mit sozialen Revolten, denen eine Phase gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Konsolidierung folgt, in der Faktormärkte für Land, Arbeitskraft und Kapital entstehen und wirtschaftliches Wachstum befördern. Diese dominieren im Lauf der Zeit die wirtschaftliche Entwicklung, während gleichzeitig die soziale Ungleichheit zunimmt. Eine nächste Phase, die geprägt ist von gesellschaftlichen Polarisierungen und der politischen Dominanz der Vermögenden, die die ökonomischen Institutionen in ihrem Interesse gestalten und ihr Kapital weniger in Produktion, sondern in Repräsentation und in Kapitalanlagen investieren, leitet am Ende eine Phase des wirtschaftlichen Niedergangs ein.

Um seine Thesen mit ökonomischen Daten zu belegen, bezieht sich der Autor auf Vergleiche des Bruttoinlandsprodukts – Maßstab wirtschaftlicher Entwicklung ist die Vorstellung von Wachstum – und von Gini-Koeffizienten zur Darstellung von Ungleichverteilungen. Trotz der Bezüge auf einschlägige historische Datenerhebungen zu diesen Indikatoren kann es sich aufgrund der verfügbaren Datenlage hierbei nur um eher spekulative Annäherungen handeln, und van Bavels Darstellung basiert dann auch überwiegend auf der historischen Untersuchung sozioökonomischer Prozesse, um seine Argumentation zu entwickeln, und weniger auf einem streng quantifizierenden Ansatz.

Die drei Fallstudien wurden unter dem Gesichtspunkt der Dominanz der Faktormärkte ausgewählt. Als weitere mögliche Beispiele werden das antike Babylon, das klassische Griechenland sowie Teile von China zwischen dem vierten bis zweiten vorchristlichen Jahrhundert sowie zwischen 1000 und 1400 erwähnt. Der Grad der Monetarisierung der Wirtschaft sowie die Anteile von Lohnarbeit und von Pachtbeziehungen in der Landwirtschaft sind dabei Kriterien, um die Bedeutung von Faktormärkten zu ermitteln. Das frühneuzeitliche Frankreich und die deutschen Territorien erfüllen die Kriterien des Autors nicht, sodass erneut das in der Wirtschaftsgeschichte etablierte Narrativ der Entwicklung von Marktgesellschaften vom frühmittelalterlichen Orient über die norditalienischen Stadtrepubliken und den Niederlanden bis zu den angelsächsischen Ländern reproduziert wird.

Empirisch basiert die Fallstudie zu den Niederlanden auf den bisherigen Forschungen van Bavels. In diesem Rahmen entwickelte er bereits sein Modell eines zyklischen Ablaufs von Marktgesellschaften und versucht nun, dessen Evidenz in einem breiter angelegten komparativen Rahmen zu belegen. Er vertritt dabei mehrfach explizit die Position, dass bestimmte, meist krisenhafte Entwicklungen nicht durch Faktoren wie Agrarkrisen und Seuchen oder den Klimawandel der „Kleinen Eiszeit“ bedingt seien, sondern primär durch die negativen Eigendynamiken der dominierenden Faktormärkte innerhalb der Marktwirtschaften. Problematisch bleibt hierbei jedoch, dass Thesen zur historischen Entwicklung auf der Makroebene empirisch verifiziert werden sollen und die Belege auf die Argumentation und das Modell zugeschnitten werden. In einigen Fällen verweist der Autor darauf, dass Ereignisse, die in der Forschung für Änderungen ökonomischer Entwicklungen verantwortlich gemacht werden, nicht in die Chronologie passen, dennoch erscheinen manche Belege diskussionswürdig. Immerhin basieren die beiden Fallstudien zu Babylon und Italien, die nicht zu van Bavels Forschungsschwerpunkten gehören, nicht allein auf der Lektüre einschlägiger Literatur, sondern auf eigens durchgeführten Forschungsprojekten. Dass sein Schwerpunkt im Mittelalter liegt, wird deutlich, wenn der Autor die Entwicklungen in den „modernen Staaten“ zwischen 1500 und 2000 in einem Essay zwar skizziert, jedoch nicht in Fallstudien ausführt. Er begründet dies damit, dass auch hier der für die anderen Studien gewählte große Zeitrahmen zugrunde gelegt werden solle und eingehendere Detailstudien für die neuere Zeit zu einer gewissen Kurzsichtigkeit führen könnten, da die Komplexität moderner Muster über- und diejenige früherer Epochen unterbewertet würden.

Am Ende nimmt das Buch eine politische Wendung, die van Bavel auch schon in öffentlichen Stellungnahmen vorgetragen hat: Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass die gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen in den durch Faktormärkte dominierten Marktwirtschaften durch eine massive Interessenpolitik vermögender Kreise sowie durch zunehmende soziale Differenzen geprägt seien. Wie in den früheren Epochen befänden wir uns im zyklischen Modell der historischen Entwicklung von Marktgesellschaften an einem Punkt, an dem ein Niedergang aufgrund der Eigendynamiken absehbar sei. Bislang sei es noch keiner Gesellschaft gelungen, diesen Dynamiken zu entgehen.

Die Herausforderung, die van Bavel mit seinen Thesen zur Entwicklung von Marktwirtschaften stellt, besteht weniger darin, diese nun empirisch genau zu verifizieren oder zu falsifizieren, denn das Ergebnis dürfte, wie die Diskussionen dazu zeigen, je nach Position gemischt ausfallen. Vielmehr könnte das Buch den Anstoß geben, sich mit den Thesen und dem Modell einer zyklischen Entwicklung auseinanderzusetzen und dem Autor zumindest soweit zu folgen, als alternative Narrative zu den fast schon kanonisch gewordenen linearen Erfolgsgeschichten der westlichen Marktwirtschaften in Betracht gezogen werden sollten. Ganz neu ist der Gedanke einer zyklischen Entwicklung nicht, vielmehr zielt van Bavel darauf, die etablierten Narrative vom ökonomischen Auf- und Abstieg der untersuchten Regionen anhand eines Modells sozioökonomischer Dynamiken in einer historisch langfristig angelegten Perspektive mittels einer breiteren systematischen Analyse zu erfassen. Während die meisten Darstellungen Erfolgsgeschichten ökonomischer Eliten präsentieren und Phasen ökonomischer Stagnation oder des Niedergangs eher inneren Dynamiken der Eliten oder externen Faktoren zuschreiben, versucht der Autor, das Agieren der Eliten, die sich zum Teil erst durch die Dynamiken der Entwicklung von Faktormärkten neu konstituierten, in engem Zusammenhang mit den sozialen, ökonomischen und letztendlich politischen Folgen für die gesamte Gesellschaft zu sehen. Dazu gehört auch, dass die Entstehung von Faktormärkten nicht uneingeschränkt als positiv zu bewertender Fortschritt erachtet wird, sondern deren Effekte auf die Dynamisierung von wirtschaftlichen Beziehungen gewürdigt werden, um dann auf die langfristig problematischen sozialen und politischen Folgen dominierender Faktormärkte hinzuweisen. Durch seinen Fokus auf mittelalterliche Gesellschaften bringt der Autor zudem in Erinnerung, dass nicht nur Kaufleute Protagonisten ökonomischer Entwicklungen waren, sondern deren ökonomisches Agieren in Agrargesellschaften eingebettet war. Die zunehmenden Konflikte um die Verteilung agrarischer Ressourcen und deren Distribution über Märkte in der Gegenwart zeigen, dass dieser Aspekt wirtschaftshistorisch durchgehend stärker gewichtet werden sollte. Die räumlichen Schwerpunkte des Buches werfen zudem für Regionen wie die deutschen Territorien, Frankreich und andere, die den Kriterien hinsichtlich der Entwicklung von Faktormärkten nicht entsprachen, die Frage nach alternativen Entwicklungswegen auf. Grundsätzlich wäre es wünschenswert, der Bedeutung von Faktormärkten in den regional sehr ausdifferenzierten deutschen Ökonomien genauer nachzugehen. Daher ist dem Buch eine breite Rezeption und eingehende Diskussion seiner Thesen zu wünschen.

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