Titel
Kooperation und Kontrolle. Die Arbeit der Stasi-Operativgruppen im sozialistischen Ausland


Autor(en)
Domnitz, Christian
Reihe
Analysen und Dokumente der BStU 46
Erschienen
Göttingen 2016: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
261 S., 7 Tab.
Preis
€ 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anna Warda, Historisches Institut, Universität Potsdam

Der absolute Kontrollanspruch des Ministeriums für Staatssicherheit führte dazu, dass es auch die Landesgrenzen der DDR überschritt. Der Historiker Christian Domnitz gewährt in seiner Studie „Kooperation und Kontrolle“ Einblick in die „geheimdienstliche Außenpolitik“ (S. 9) der Stasi. Er erarbeitete diese Studie als Mitarbeiter der Abteilung Bildung und Forschung des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen. Nachdem er 2015 unerwartet verstarb, wurde das Manuskript von Georg Herbstritt für die Veröffentlichung vorbereitet.

In dieser Studie analysiert Domnitz die Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit in der Sowjetunion, Bulgarien, Ungarn, der ČSSR und Polen sowie die Kooperation mit den jeweiligen Partnerdiensten. Die geheimdienstliche und geheimpolizeiliche Arbeit der sozialistischen Staaten vernetzte sich ab den 1950er-Jahren über die Landesgrenzen hinaus. Die Notwendigkeit lag zum einen in der wachsenden Verflechtung von staatssozialistischer Herrschaft sowie in der Errichtung von internationalen Organisationen. Ab den 1970er-Jahren kamen die wachsenden gesellschaftlichen grenzüberschreitenden Verbindungen hinzu. Daher dehnten die kommunistischen Staatssicherheitsdienste ihre Überwachung in das Ausland aus, wobei sich das MfS auf Spionageabwehr und Tourismusüberwachung konzentrierte.

Das MfS richtete für diese Aufgabe ab 1954 die so genannten Operativgruppen (OG) ein. Je nach Aufgabe entsandten unterschiedliche Hauptabteilungen die Gruppen, so beispielsweise die Hauptabteilung II (Spionageabwehr), die Hauptabteilung VI (grenzüberschreitender Reiseverkehr), die Hauptabteilung XVIII (Wirtschaft) oder die Hauptabteilung I (Überwachung des Militärs). Den Begriff „Operativgruppe“ nutzte das MfS ohne inhaltliche oder geographische Beschränkungen. So wurden die Gruppen beispielsweise in Krisenregionen in Afrika eingesetzt, sie überwachten die olympischen Spiele oder kontrollierten die eigene Volkspolizei im Ausland. Die Gruppen agierten häufig unter einem Tarnnamen; ihre Existenz war zeitlich begrenzt.

Domnitz untersucht in seinem Band die Entstehungsgeschichte, den Aufbau, den Aufgabenbereich, die Funktionsweise und die alltägliche Arbeitspraxis der Operativgruppen in fünf Ländern des sowjetisch beherrschten Blocks. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von der offiziellen Institutionalisierung der Kooperation mit dem KGB im Jahr 1954 bis zum Ende der DDR. Der Fokus liegt dabei auf der Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Partnerdienst und dem Aufbau von Operativgruppen in der Sowjetunion sowie in Bulgarien, Ungarn, der Tschechoslowakei und Polen. Die Zusammenarbeit mit den dortigen Diensten fußte auf gemeinsamen geheimdienstlichen Aktivitäten und gegenseitigen Unterstützungsmaßnahmen.

Im ersten Teil seiner Untersuchung beschreibt Domnitz die verschiedenen Gruppen, die verantwortlichen Diensteinheiten, die entsandten Mitarbeiter, ihre Informationsquellen und die Zusammenarbeit mit den Geheimpolizeien der anderen Länder. Dabei ist besonders interessant, dass die Auslandseinsätze für die MfS-Mitarbeiter unattraktiv waren. Sie fühlten sich bis in die 1980er-Jahre schlecht auf ihren Auslandseinsatz vorbereitet und zusätzlich gab es vielfach interkulturelle Probleme zwischen den MfS-Mitarbeitern und den Angehörigen der anderen Dienste (S. 45 ff.).

In einem zweiten Schritt untersucht Domnitz die Aktivitäten der Operativgruppen in den fünf genannten Ländern Osteuropas, wobei er diese nacheinander in der Reihenfolge ihrer Gründung behandelt. Die erste Operativgruppe wurde etwa 1954 in der Sowjetunion gegründet und im Dezember 1959 zum ersten Mal als solche benannt. Trotz der lückenhaften Quellenlage gelingt es Domnitz, die Arbeit der Operativgruppen in der Sowjetunion weitgehend zu rekonstruieren. Diese Arbeit bestand zum großen Teil darin, DDR-Bürger und Bürger aus NATO-Staaten zu überwachen. Die Gruppe fungierte weniger als Koordinierungsachse der Zusammenarbeit. Sie ist vielmehr als langer Arm der Kontrolle über die eigene Bevölkerung und als Überwachung der Kommissionen und Tagungen des RGW zu verstehen (S. 64). Das Verhältnis zum „großen Bruder“ beschreibt Domnitz als asymmetrisch, da die Aktivitäten des MfS von dem Bestreben geprägt waren, die Anerkennung des sowjetischen Dienstes zu gewinnen. Wenn die Zusammenarbeit auch nicht auf Augenhöhe geschah, so habe die „geheimdienstliche Außenpolitik“ der Operativgruppen dazu beigetragen, die Rolle als „Juniorpartner“ 1 des KGB zu erlangen.

Nach dem Mauerbau entstand 1962 eine weitere Operativgruppe in Bulgarien, welche als „verlängerte Mauer“ (S. 240) vor allem die Fluchten von DDR-Bürgern über die Grenze am Schwarzmeer verhindern sollte. In Domnitzs Untersuchung zeigt sich, dass die Kooperation mit anderen Diensten von Reibungen gekennzeichnet war. Das MfS beanspruchte oft die Entscheidungshoheit für sich und geriet dadurch in Konflikt mit den Kooperationspartnern. In Bulgarien nahm der dortige Dienst die Vorreiterrolle des ostdeutschen Gegenübers an, aber im Fall von Ungarn zeigt sich, dass dies nicht immer so problemlos gelang.

Eigentlich galt das Prinzip der Nichteinmischung in die innenpolitischen Sphären der sozialistischen Partner. Im Rahmen der geheimdienstlichen Arbeit ging dieses Prinzip jedoch nur bedingt auf. Domnitz geht sogar noch weiter, indem er mit Blick auf Ungarn von „Spionage unter Freunden“ (S. 241) schreibt. Die 1964 begonnene Zusammenarbeit mit dem ungarischen Partner gestaltete sich schwierig: Der massenhafte Tourismus sowie die dadurch entstehenden Westkontakte stellten die Operativgruppen des MfS in Ungarn immer wieder vor Probleme. Zudem lehnte das ungarische Innenministerium, vor allem in den 1980er-Jahren, viele Kooperationsangebote ab und bearbeitete die zahlreichen Informationsanfragen des MfS nur schleppend. Die diametral unterschiedlichen Ansätze der Außenpolitik der DDR und Ungarns, im Besonderen mit Blick auf die ungarische Westorientierung, erschwerte den Kontrollversuch des DDR-Ministeriums. Dies betraf beispielsweise die Postkontrolle: Auf die vielen Anträge des MfS, Einsicht in Sendungen von DDR-Bürgern zu erhalten, reagierte der ungarische Dienst gereizt. Auch in der Zusammenarbeit mit dem tschechoslowakischen Organ entstanden wiederholt Konflikte, denn auch hier empfand der Partner die angestrebte Führungsrolle des MfS als anmaßend. Dort verstand sich die DDR-Staatssicherheit freilich vor allem nach dem Prager Frühling als Garant für eine stabile Lage.

Polen stellt in dieser Untersuchung einen Sonderfall dar, da die Kooperation der Staatssicherheiten erst in den 1980er-Jahren installiert wurde. Aber auch in dieser späten Phase des Sozialismus, in der das MfS bereits auf einige Erfahrungen in dieser Form der Zusammenarbeit zurückblicken konnte, gestaltete sich diese als konfliktgeladen. Auch wenn die Beziehung der Ministerien besser war, als die der jeweiligen Staatsparteien PZPR und SED: Die Partner vertrauten einander nicht. Der polnische Dienst hielt Informationen zurück und inszenierte die einvernehmliche Kooperation lediglich.

Die Studie stützt sich überwiegend auf die Archivalien der BStU. Domnitz arbeitet sehr nah an den Quellen. Dies ist Stärke und Schwäche der Untersuchung; an einigen Stellen wäre es sicher möglich gewesen, die MfS-Perspektive aufzubrechen und Aktivitäten der Stasi zu kontextualisieren, etwa mit Hilfe globalgeschichtlicher Netzwerktheorien. 2 Der besondere Wert der Arbeit liegt darin, dass Domnitz den Blick auf die Institutionen mit den Biografien der Akteure – der hauptamtlichen Mitarbeiter, die in den Operativgruppen eingesetzt waren – verbindet. So wird über die sicherheitsdienstlichen Ziele hinaus die Motivation der Mitarbeiter greifbar.

Diese Methode ermöglicht es Domnitz auch, Momente von Frustration und auch Isolation zu beschreiben. Der eigene Kontrollanspruch ging so weit, dass sich beispielsweise ein Mitarbeiter der Gruppe in Warschau eine Erlaubnis für eine Freundschaft mit einem polnischen Kollegen erbeten musste (S. 49). Besonders in diesen Passagen überzeugt die Untersuchung, wobei sie durch weitere Studien um die Sicht der Partnerdienste ergänzt werden sollte. Domnitz schreibt keine reine „intelligence history“, sondern verbindet diese mit einer Gesellschaftsgeschichte des Spätsozialismus. Einhergehend resümiert er, dass internationale Arbeit der Operativgruppen nicht über einen „Vernetzungsversuch“ (S. 241) hinausging. Die interkulturellen Konflikte, die verschiedenen Interessen, das Grunddilemma (Kontrolle versus Kooperation) und die niedrige hierarchische Ansiedlung der Gruppen hätten dazu beigetragen, dass es zu keinem lückenlosen Überwachungsnetz gekommen sei.

Einen interessanten Exkurs stellt Domnitz’ Versuch dar, in Stichproben die statistischen Zahlen des MfS zu den Fluchtbewegungen von DDR-Bürgern aufzuarbeiten und in Relation zu den Angaben aus der BRD zu stellen. Für das Jahr 1972 arbeitet er beispielsweise anhand der westdeutschen Angaben heraus, dass von den Übersiedlern in die BRD nur 3,5 Prozent über die „Drittländer“ (S. 18) gekommen waren, das MfS jedoch intern einen höheren Prozentsatz angab und mit diesem argumentierte. Domnitz hat diesen Exkurs gewählt, um zu zeigen, wie die MfS-Zentrale mit den Fluchten umging und wie inkonsistent die internen Statistiken waren. Hiermit bietet einen Anknüpfungspunkt für weitere Analysen der Flucht- und Migrationsbewegungen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Domnitz’ Untersuchung einen wichtigen Beitrag zur Strukturgeschichte des MfS und zur Stellung der geheimdienstlichen Auslandsarbeit in den internationalen Beziehungen der DDR liefert. Durch den Vergleich der fünf Kooperationen kann Domnitz übergreifende Charakteristika und Entwicklungstendenzen herausarbeiten. Der Anspruch des MfS war es, Tausende von im Ausland befindlichen DDR-Bürgern zu überwachen, was trotz des vernetzten Vorgehens und grenzübergreifenden Systems nicht gelang. Der besondere Wert dieses Bandes liegt in dem Fokus auf die internationalen Aktivitäten des MfS. Diese multilaterale Analyse erweitert die Forschungslandschaft durch übergreifende Ergebnisse. 3 Damit wird diese Arbeit auch Anschluss an weitere Untersuchungen zu den internationalen Aktivitäten der sozialistischen Dienste bieten.

Anmerkungen:
1 Domnitz (S. 239) verwendet hier einen Begriff des übergelaufenen HVA-Mitarbeiters Werner Stiller, Im Zentrum der Spionage. Mainz 1986, S. 168. Siehe auch Jens Gieseke, Der Mielke-Konzern. Die Geschichte der Stasi 1945–1990. München 2001, S. 220.
2 Ansätze sind erläutert bei Sebastian Conrad, Globalgeschichte. Eine Einführung. München 2013, S. 112–135.
3 Bisher lag der Fokus auf den bilateralen Aktivitäten des MfS. Siehe dazu: Thomas Auerbach, Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front. Terror- und Sabotagevorbereitungen des MfS gegen die Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl., Berlin 2004; Hans-Joachim Döring, »Es geht um unsere Existenz«. Die Politik der DDR gegenüber der Dritten Welt am Beispiel von Mosambik und Äthiopien, Berlin 1999; Gerhard Ehlert / Jochen Staadt / Tobias Voigt, Die Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) und dem Ministerium des Innern Kubas (MININT), Berlin 2002; Martin Grossheim, Fraternal Support. The East German ‚Stasi‘ and the Democratic Republic Vietnam during the Vietnam War. In: CWIHP Working Paper #71, September 2014, https://www.wilsoncenter.org/sites/default/files/CWIHP_Working_Paper_71_East_German_Stasi_Vietnam_War.pdf (27.04.2017); Hans-Georg Schleicher / Ulf Engel, DDR-Geheimdienst und Afrika-Politik, in: Außenpolitik – Zeitschrift für internationale Fragen, 47,4 (1996), S. 399ff.

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