F. Weber: Die amerikanische Verheissung

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Titel
Die amerikanische Verheissung. Schweizer Aussenpolitik im Wirtschaftskrieg 1917/18


Autor(en)
Weber, Florian
Reihe
Die Schweiz im Ersten Weltkrieg 1
Erschienen
Zürich 2016: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 43,00
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Béatrice Ziegler, Pädagogische Hochschule der FHNW, Basel

Mit der «amerikanischen Verheissung» legt Florian Weber eine Dissertation zur schweizerischen Aussen(handels)politik in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs vor, als sich die schweizerische Regierung wie auch die involvierten Wirtschaftskreise von der engen Verflechtung mit der Wirtschaft (und Politik) der Mittelmächte zu lösen und zunehmend dem Aufbau von intensiven Wirtschaftsbeziehungen mit der aufstrebenden Grossmacht USA zuzuwenden begannen. Die Arbeit entstand in einem Sinergia-Projekt zur Schweiz im Ersten Weltkrieg, das mit transnationalen Perspektiven auf einen Kleinstaat im totalen Krieg blickte.1

Der Autor gliedert seine Arbeit grundsätzlich chronologisch und periodisiert die referierten Inhalte ab dem Winter 1916/17 in sieben Etappen bis in die unmittelbare Nachkriegszeit – eine Darstellung, die insgesamt überzeugt. Dabei orientiert er sich vor allem an den Herausforderungen, die sich der Schweiz im Aussenhandel stellten. Diese wurden bestimmt sowohl von der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wie auch dem Export von landwirtschaftlichen und industriellen Produkten unter der Kontrolle der kriegführenden Mächte. Weber folgt dabei der Grundidee, dass der Kriegsverlauf und die damit verbundenen wirtschaftlichen Probleme für die Schweiz jeweils neue politische Aktivitäten bzw. neue Phasen der Politik auslösten. Dies mag für einige der politischen Entwicklungen wie etwa den Aufbau eines amerikanischen Propagandanetzes in der Schweiz etwas gesucht sein und suggeriert eine Dominanz des Wirtschaftlichen, wie sie wohl nicht für alle Bereiche der Politik zutrifft. Das Buch legt damit die These nahe, dass im Ersten Weltkrieg die Aussenpolitik des Kleinstaates der Aussenhandelspolitik gleichgesetzt werden kann bzw. letztere dominierend war.

Dabei referiert Weber in der Einleitung auch das diachrone Modell, das Roman Rossfeld und Tobias Straumann für die schweizerische Volkswirtschaft im Krieg entworfen haben2, und situiert die untersuchte Zeitspanne von 1916 bis 1918 in der (dritten) Phase, in der ein verschärfter Wirtschaftskrieg mit einem Rückgang der Produktion verbunden gewesen ist. Mit dem Kippen der Kriegskonjunktur geriet nicht nur der Export in Schieflage3, sondern auch die Geldpolitik sowie die von Weber primär untersuchte Versorgung mit Importgütern. Er sieht in der Zeit von 1917/18 eine entscheidende Wende; weg von der engen Bindung an das deutsche Kaiserreich hin zur Orientierung am amerikanischen bzw. internationalen Markt, die dann auch die politische Öffnung des Landes zur Folge gehabt habe.

Die derart angelegte Arbeit von Florian Weber hat ein grosses Verdienst: Mit Rückgriff auf die frühe und durchaus nicht interessefreie Studie von Jacob Ruchti4 und das Nachschlagewerk Historisch-Biografisches Lexikon der Schweiz HBLS5, die beide in der Zwischenkriegszeit entstanden, wird in der bis heute praktizierten Darstellung der Schweiz im Ersten Weltkrieg das Wirtschafts- und politische Gebaren des Kleinstaats als praktisch unverbunden präsentiert, sodass die Neutralität der Schweiz im Krieg fast ausschliesslich beim Handeln der schweizerischen Regierung in der diplomatisch-politischen Sphäre angesiedelt wird.6 Zwar sieht schon Jakob Tanner die Entwicklungen während des Kriegs in einer transnationalen und vielseitig verwobenen Perspektive7, aber erst Weber behandelt die Geschehnisse verschränkt mit kriegswirtschaftlicher Entwicklung und den darauf bezogenen aussenwirtschaftlichen Aktivitäten und Massnahmen der schweizerischen Regierung und ihrer Diplomaten bzw. Missionen.

Als enorme Herausforderungen stellten sich der schweizerischen Regierung einerseits die Sicherung der Zufuhr von Kohle und Eisenerz, mit der das deutsche Kaiserreich der Eidgenossenschaft eine starke Abhängigkeit aufzwingen konnte; und andererseits zunehmend die damit konkurrierende Zufuhr von Getreide, da die Schweiz diesbezüglich vom Weltmarkt und mit dem Eintritt der USA in den Krieg von den Alliierten abhängig war. Weber stellt diese schwierige Balance als Entwicklung dar, die geprägt war vom Kriegsverlauf, den Anstrengungen der Schweiz, sich in den USA mit Delegationen und Missionen ins Bewusstsein und in ein positives Licht zu rücken, und den Absetzbewegungen insbesondere gegenüber dem deutschen Kaiserreich. Diese Entwicklung wurde zudem von einem starken Bemühen begleitet, die schweizerischen Produkte als solche und eben nicht als deutsche zu kennzeichnen, also ein offensives «Branding» (S. 177ff.) zu betreiben.

Insbesondere an den gegen Ende des Weltkriegs immer bedrohlicheren Phasen der Mangelversorgung mit Getreide zeigt Weber eindrücklich, wie das Kriegsgeschehen, die Interessen kriegführender Staaten und schliesslich die Bereitschaft der USA, mit Getreidelieferungen die befürchtete steigende soziale Unrast in der schweizerischen Bevölkerung zu dämpfen, das weitere Schicksal der Schweiz beeinflussten. Das Taktieren der schweizerischen Regierung zwischen den kriegführenden Mächten machte die Situation des Landes darüber hinaus wenig berechenbar.

Weit weniger systematisch dokumentiert Florian Weber die Exporte und legt damit, wenn auch nur implizit, nahe, dass diese als viel weniger entscheidend für die Aussenpolitik bzw. für die Situierung des Landes im Kriegsgeschehen beurteilt werden müssten. An einzelnen Stellen wird zwar berichtet, dass die (jurassische) Munitionszulieferung für die Alliierten bzw. die USA bedeutsam war und dass die Lieferung von Lebensmitteln und Kühen sowie von Holz für Baracken und Unterstände mit dem Eintritt der US-Amerikaner ins Kriegsgeschehen zunehmend wichtiger wurden. Ferner wird für die Nachkriegszeit referiert, dass der Sekretär des Bauernverbandes für eine internationalistische Politik der Schweiz mit dem Argument warb, dass die Landwirtschaft auf die Exportmöglichkeiten angewiesen sei. Abgesehen von diesen Ausführungen werden die aussenwirtschaftlichen Verbindungen aber vor allem aus der Perspektive der Importnotwendigkeiten betrachtet und dies, obwohl mit der Publikation von Rossfeld und Straumann wichtige Entwicklungen in der Exportindustrie während des Ersten Weltkriegs branchenspezifisch aufgearbeitet worden sind.

Möglicherweise liegt diese Gewichtung auch am Material, das Weber in aufwendiger internationaler Archivarbeit für die Arbeit erschlossen hat. Seine Ausführungen dazu lassen diesbezüglich keine Aussagen zu. Obwohl die Quellenbestände, die der Arbeit zugrunde liegen, auf eineinhalb Seiten genannt werden, vermisst man die Kriterien, nach denen die Bestände ausgewählt wurden, ebenso wie eine Bewertung des zusammengestellten Materials in seiner Aussagequalität und bezüglich seiner Geschlossenheit und Perspektive(n). Dies ist bedauerlich, da man damit die Aussagekraft der Darstellung nur schwer situieren kann.

Insgesamt gelingt es dem Autor gut, anhand der Abhängigkeit von lebenswichtigen und für die Wirtschaft unverzichtbaren Importen die erst zögerliche, dann allmählich drängender werdende Ausrichtung der schweizerischen Aussen(handels)politik auf die USA als neuem dominanten Wirtschaftsmagneten zu interpretieren. Es wird dabei zum einen deutlich, dass die Abkehr von der engen Verbindung mit den Mittelmächten und insbesondere mit dem deutschen Kaiserreich als nicht ohne Risiko beurteilt wurde und deshalb erst spät erfolgte – nämlich erst dann, als eine nochmalige Wende des Kriegs zugunsten der Mittelmächte ausgeschlossen werden konnte. Zum anderen kann Weber einleuchtend darlegen, dass die Entscheidung der eidgenössischen Regierung zugunsten einer Weltgesellschaft und ihr Einsatz für die Verwirklichung der Völkerbundidee sehr stark von der Überzeugung bestimmt waren, dass die international überaus stark vernetzte eigene Wirtschaft von einer derartigen Nachkriegsregelung am meisten profitieren könne.

Anmerkungen:
1 Die Schweiz im Ersten Weltkrieg: Transnationale Perspektiven auf einen Kleinstaat im totalen Krieg / Switzerland in the First World War: Transnational Perspectives on a Small State in Total War. Sinergia 141906. Laufdauer: 01.10.2012–30.09.2015, http://p3.snf.ch/Project-141906 (18.05.2017). Das Projekt wurde unter der Gesamtleitung von Jakob Tanner (Universität Zürich) an den Standorten Zürich, Bern, Genf, Luzern durchgeführt.
2 Roman Rossfeld / Tobias Straumann, Zwischen den Fronten oder an allen Fronten? Eine Einführung, in: dies. (Hrsg.), Der vergessene Wirtschaftskrieg. Schweizer Unternehmen im Ersten Weltkrieg, Zürich 2008, S. 11–59.
3 Ebd., S. 28.
4 Jacob Ruchti, Geschichte der Schweiz während des Weltkrieges 1914–1919. Politisch, wirtschaftlich und kulturell, 2 Bde., Bern 1928–1930. Bereits 1920 fertig gestellt, erschien das Werk erst 1928 bis 1930.
5 Allgemeine Geschichtsforschende Gesellschaft der Schweiz (Hrsg.), Historisch-Biographisches Lexikon der Schweiz, Neuenburg 1921–1934. Im letzten Band, erschienen 1934 in deutscher (bereits 1926 in französischer) Sprache, wird der Erste Weltkrieg abgehandelt, wobei Politik und Wirtschaft in separaten Kapiteln thematisiert werden.
6 Konrad J. Kuhn / Béatrice Ziegler, Dominantes Narrativ und drängende Forschungsfragen. Zur Geschichte der Schweiz im Ersten Weltkrieg, in: traverse. Zeitschrift für Geschichte 2011, Heft 3, S. 123–141.
7 Jakob Tanner, Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert, München 2015, S. 116–156, bes. S. 135–141.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit infoclio.ch (Redaktionelle Betreuung: Eliane Kurmann und Philippe Rogger). http://www.infoclio.ch/