Gender and Power and the House of Orange-Nassau

: Gender, Power and Identity in the Early Modern House of Orange-Nassau. . London 2016 : Routledge, ISBN 978-1-4094-5146-4 XI, 279 S. € 145,99

: Dynastic Colonialism. Gender, Materiality and the Early Modern House of Orange-Nassau. London 2016 : Routledge, ISBN 978-1-138-95336-9 XIII, 345 S. € 107,99

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jill Bepler, Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel

Diese Publikationen entstanden aus der Zusammenarbeit zwischen zwei Forscherinnen, die am Australian Research Council Centre of Excellence for the History of Emotions beteiligt sind. Sie beleuchten zwei verschiedene Zugänge zu einem einzigen Gegenstand: die dynastischen und kulturellen Bezüge des Hauses Nassau-Oranien in der Frühen Neuzeit. Grundlage hierfür sind Korrespondenzen und materielle Zeugnisse der Architektur, Kunst und des Kunsthandwerks ebenso wie das Zeremoniell und Praktiken der dynastischen Interaktion. Ungewöhnlich ist die Tatsache, dass die Bücher das Produkt eines gemeinsamen Schreibprozesses sind, ohne Zuschreibung von Einzelabschnitten an die beteiligten Autorinnen.

Die gemeinsame methodische Grundlage bildet die Kombination von Emotions-, Gender- und Materialitätsforschung. Sie wird auf die dynastische Geschichte eines in der Frühen Neuzeit entstehenden „Hauses” angewendet, die traditionell von der Fokussierung auf seine führenden männlichen Protagonisten, ob als Politiker, Feldherren oder Sammler, geprägt ist. Dabei werden die relationale Herausbildung und die Dynamik von Machtverhältnissen und transnationalen Netzwerken innerhalb der erweiterten Familie über mehrere Generationen thematisiert. Die Studien sind eingebettet in die aktuelle englischsprachige, deutsche und niederländische Diskussion zur Gender-, Familien- und Egodokumentenforschung. Gerade die Oranier als neue Dynastie, die zunehmend Zugang zu globalen Netzwerken gewannen, eignen sich zur Untersuchung der allmählichen Herausbildung von dynastischer Identität über einen längeren Zeitraum; dies wird dadurch begünstigt, dass mehrere große diesen Zeitraum abdeckende Editionen von innerdynastischen Briefwechseln vorliegen und dass die reichhaltige mit der Dynastie verbundene Kunstproduktion fast lückenlos erhalten geblieben ist.

„Gender, Power and Identity in the Early Modern House of Orange-Nassau“ fokussiert auf Strategien der Identitätsbildung und der Förderung dynastischer Interessen unter den unterschiedlichsten Mitgliedern des Hauses Oranien über drei Jahrhunderte. Die Autorinnen plädieren dafür, die Prozesshaftigkeit dieser Entwicklungen und die changierenden Stellenwerte der beteiligten Akteure und Akteurinnen besser zu beleuchten, indem unabhängig von Geschlecht nach der Mehrfachbesetzung von Rollen und Hierarchiepositionen gefragt wird.

Zunächst werden Briefwechsel herangezogen, um zu zeigen, wie Rollenzuschreibungen, auch die des pater familias, von einer Akzeptanz und der beidseitigen Erfüllung gewisser Normen abhängig war, die es bei Dissens und ernsthaften Zerwürfnissen aus Eigeninteresse wieder auszuhandeln galt: „The survival of the family, however, depended on the ability of its members to survive disputes.“ (S. 47) Anhand der Briefkommunikation zwischen weit verstreuten Verwandten, ob Geschwistern, Vettern und Cousinen, Tanten oder Onkeln, werden die Strategien, die zur Unterhaltung und Stärkung horizontaler einerseits und vertikaler Allianzen andererseits innerhalb der Dynastie dienten, untersucht. Erstere stifteten eher unter Geschwistern, Cousinen und Vettern, ob legitim oder illegitim, in vielfältigen Situationen über Distanz abzurufende Verbundenheit und Unterstützungsbereitschaft, wohingegen letztere auf materielle Absicherung und finanzielle Zuwendung zielten und zwischen ungleichen Partnern Verpflichtungen und Abhängigkeiten generierten. Rhetorische Unterwerfungsgesten und emotionale Appelle gehörten für beide Geschlechter zu den Techniken, die in deren Korrespondenz eingesetzt werden.

Vier weitere Abschnitte des Buches beleuchten identitätsstiftende Übergangsphasen im Leben der Mitglieder der Dynastie: Kindheit, Ehe, Konfessionswechsel und Tod. Beim Thema Kindheit wird zu Recht die oft übersehene Bedeutung der Erziehung an fremden Höfen durch „Pflegeeltern“ im Kreis deren eigener Kinder betont und damit die Entstehung einer zweiten Referenzfamilie mit Rollenduplizierungen (wie die des „pater familias“), die das Beziehungsnetzwerk erweiterte und starke emotionale Bindungen produzieren konnte. Die Autorinnen sprechen von „alternative power structures“, die unerwartete Handlungsoptionen und Ambiguitäten zuließen (S. 137). Bei einer durchaus aus politischen Gründen hingenommenen Erziehung von Kindern an konfessionsverschiedenen Höfen – die reformierten Oranier platzierten ihre Kinder auch bei lutherischen und katholischen Familienmitgliedern – wurden Entfremdungstendenzen in Kauf genommen. Geteilte und potentiell konfliktbeladene Loyalitäten ergaben sich ebenfalls bei Eheschließungen, auch bei Mesalliancen oder Eheverweigerungen, die eine weitreichende Verschiebung von Hierarchien innerhalb der Dynastie zur Folge haben konnten. Die Oranier wurden international, auch aufgrund eigener Propaganda, als Hüter des Protestantismus kalvinistischer Prägung wahrgenommen. Die Konversion eines Familienmitgliedes löste schon deshalb Unterbrechungen im Beziehungsgeflecht der Dynastie aus, die Autorinnen betonen jedoch, dass Konversionen auch als Chance begriffen wurden, neue Netzwerke zu eröffnen. Der Fokus ihres Interesses liegt hierbei auf den bislang wenig erforschten komplexen Strategien der nachträglichen Aushandlung von neuen Beziehungen der Konvertiten innerhalb ihrer Herkunftsfamilie.

Beendet wird der Band zum einen mit einem Blick auf die identitätsstiftende, nach außen gerichtete Inszenierung von Todesfällen, ob beim Mausoleum für den ermordeten Gründer Willem I. (1533–1584) oder bei der Darstellung der vielen gefallenen Feldherren aus der Dynastie als Opfer für das zu schaffende Vaterland; zum anderen wird die eher innerdynastische Memorialkultur thematisiert, etwa hinsichtlich vererbter materieller Objekte und einer weiblich konnotierten Trauergrotte. Die Studie fußt sehr stark und mit Gewinn auf Briefzeugnissen als Quelle der Emotionsforschung. Nicht immer korrespondiert die oft holprige englische Übersetzung genau mit den vor allem französischen Vorlagen, dies ist aber unerheblich für die Argumentation der Autorinnen. Obwohl sie gelegentlich den Anteil der im Umkreis der Oranier wirkenden Diplomaten, Sekretäre und Schriftsteller an der Konstruktion einer dynastischen Identität streifen, bleibt dieser weitgehend ausgeblendet. Hier wären die zeitgenössischen gedruckten Biographien (Stichwort: Lebensläufe in Funeralwerken) vor allem der weiblichen Protagonisten eine lohnende Quelle gewesen. Es fehlt der Blick auf den reaktiven Aspekt dynastischer Öffentlichkeitsstrategien in Hinblick auf eine von außen kommende nicht steuerbare Publizistik, die in der besprochenen Epoche eine immer größere Rolle spielte und durchaus im zweiten Buch thematisiert wird.

Obwohl die Autorinnen sich bemüht haben, die parallel erschienenen Publikationen als vollkommen eigenständig zu präsentieren, ist es doch so, dass „Dynastic Colonialism“ stark auf den Prämissen von „Gender, Power and Identity“ aufbaut und daher eine aufeinander folgende Lektüre sich empfiehlt. Dass textliche Redundanzen sich gelegentlich aufdrängen, ist unvermeidbar. „Dynastic Colonialism: Gender, Materiality and the Early Modern House of Orange-Nassau“ blickt nämlich auf die gleichen Akteure und teilweise auf die gleichen Objekte (etwa Porträts), die sie zuvor emotionsgeschichtlich auf innerdynastischer Ebene interpretiert haben, um jetzt den Fokus auf die mit den Oraniern verbundene materielle Kultur und deren Breitenwirkung zu lenken. Hier kommen Kunsthandwerk, Malerei und Grafik, Bauten und Raumausstattung, Gärten und Tierhaltung in den Blick, die für die Identitätsbildung der Oranier konstitutiv waren. Es wird auf die zentrale Rolle der Zurschaustellung von Exotik hingewiesen, die durch Produkte aus den niederländischen Kolonien bzw. aus Fernhandelsbeziehungen ermöglicht wurde. Auch hier liegt ein Fokus auf dem geschlechtsspezifischen Einsatz von Objekten, diesmal zur dynastischen Markierung von Raum, sowie auf Praktiken des Schenkens und der Namensgebung zur Förderung dynastischer Ambitionen und Stärkung der gemeinsamen Identität. Diese Strategien beschreiben die Autorinnen als „cultural colonialism“.

Mit dem Aufstieg der Dynastie hatten die Töchter von Frederik Hendrik (1584–1647) und Amalia von Solms (1602–1675) wesentlich stärkere Möglichkeiten, die kulturellen Vorgaben ihrer Geburtsdynastie in ihren neuen Umgebungen vor allem im Reich erfolgreich umzusetzen, wie die berühmten Namensbeispiele – Oranienburg, Oranienbaum, Oranienstein, Oranienhof – eindrucksvoll belegen. Auch hier muss man mit kleinen Übersetzungsfehlern im Französischen rechnen, wie beim Brief von Kurfürstin Luise Henriette (1627–1667) über die Arbeiten in Oranienburg (S. 96), die das Pflastern des Hinterhofes („basse cour“) und des Weges um das Haus anmahnt („que la basse-cour soit pavée et le tour de la maison“). Die Autorinnen übersetzen: „that the basse cour is paved and the tower of the house“.

Die Gründung von Waisenhäusern durch weibliche Mitglieder der erweiterten Dynastie folgte sicher dem Beispiel Maria von Nassaus (1556–1616) in Buren vom Anfang des 17. Jahrhunderts, aber das 1665 eröffnete Waisenhaus in Oranienbaum war nicht die erste solche Einrichtung in den deutschen Territorien (S. 101), denn schon 1604 wurde das Waisenhaus in Hamburg gegründet. Die Anlage von Grotten, Pflanzen- und Viehzucht gehörten zu den üblichen Tätigkeitsfeldern von Fürstinnen, die auch Importe aus ihren jeweiligen Herkunftsländern einbezogen (etwa die dänischen Fürstinnen Sachsens): Die Oranier aber schafften es, besonders durch die Symbolkraft der mit ihrem Namen verbundenen Orange ihren Anlagen eine besonders markante und erkennbare Prägung zu geben, auch dadurch dass sie untereinander Handwerker, Architekten und Gärtner austauschten. Die Verbreitung von Ansichten ihrer Bau- und Gartenanlagen als Druckgrafik etablierte einen „Dutch style“ sowohl in den deutschen Territorien als auch in England, der in weiten Kreisen des Adels geschmacksbildend wirkte. Die Namenspolitik setzte sich auch in den Niederlassungen der Niederländer in Übersee fort, wo das Ansehen der Dynastie dadurch befördert wurde, dass dort wirkende Diplomaten und Handelsgesellschaften der Republik den Bedarf nach der Präsentation eines eigenen „monarchischen“ Gegenüber im Umgang mit den dort Regierenden erkannten und sich daher der Oranier als symbolischen „Oberhaupt“ bedienten.

In einem zweiten Abschnitt untersuchen die Autorinnen zunächst die Strategien, mit denen insbesondere die weiblichen Mitglieder der erweiterten Dynastie durch Innenausstattungen ihre Verbindungen zum Haus Nassau-Oranien in Szene setzten, sei es in ihren Porträtsammlungen oder wiederum in der Anlage von Schlössern und Gärten. Die Beispiele des preußischen Königs Friedrich II., der sich baulich und in Bildprogrammen auf die Oranier bezog, sowie des schottischen Duke of Atholl, der in der Mitte des 18. Jahrhunderts große Anstrengungen unternahm, eine lückenlose Ahnengalerie seiner Vorfahren aus dem Hause Oranien anzukaufen, zeigen, dass auch männliche Nachfahren sich des „brand Orange“ in ihrer Selbstdarstellung bewusst bedienten.

Neben der Zurschaustellung von dynastischen Verbindungen wird die Präsentation von Exotica – Kunstgegenstände, Menschen, Tiere und Pflanzen – als Signal für die Verbindung mit dem Haus Oranien gesehen. Natürlich liefert hier das zentrale Beispiel die von Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604–1679) gesammelten und bis nach Dänemark und Frankreich vermittelten Gegenstände und Gemälde aus seiner Zeit als Gouverneur in Brasilien. Die Einrichtung von Schauräumen mit Porzellan und Keramik aus der Delfter Manufaktur war zunächst den weiblichen Mitgliedern der Dynastie eigen. Gerade Porzellansammlungen wurden in weiblicher Linie vererbt. Es wird betont, dass solche von Frauen angelegten Sammlungen immer wieder im Erbgang zerstreut wurden und sich nur durch Nachlassinventare rekonstruieren lassen. Im 18. Jahrhundert wird Porzellan zu einem auch von Männern bevorzugten Sammlungsgebiet, wie das Beispiel König Friedrichs II. und seiner Berliner Schlösser demonstriert.

Der Verdienst der Autorinnen ist, dass sie in diesen zwei Büchern zum Teil bekannte und gut erforschte Narrative aus einem spezifischen Blickwinkel beleuchtet und damit einen Beitrag zur Materialitäts- und Genderforschung geleistet haben, der neue Perspektiven für die grenzüberschreitende Erforschung dynastischen Handelns in der Frühen Neuzeit eröffnet.

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